@Adamon Das sind kluge Überlegungen! Stimmt, vor dem Tod können wir uns nicht fürchten, aber vor dem Sterben.
Ich habe in meinem Leben drei Menschen bis zum letzten Atemzug begleitet. Allen war bewusst, dass sie sterben würden.
Mein Großvater starb an einer Lungenentzündung. Wahrscheinlich war er zum Ende hin in einem Fieberwahn. Er erzählte von allen einscheidenden Erlebnissen in seinem Leben. Angefangen von den ausgehungerten Soldaten der Bourbaki-Armee, die im Gasthof seiner Eltern interniert wurden, über seine Verlobung, die Hochzeit, die Geburt und den Tod vieler Kinder, bis hin zu den langen Stunden, wo er mit gebrochenem Bein hilflos auf dem eisigen Waldweg lag, bis er gefunden wurde.
Mein Vater war emotional sehr aufgewühlt: Zum Einen war er total neugierig, auf das, was kommen würde (er war nicht religiös, aber naturverbunden), zum Anderen weinte er, weil ihm das Abschiednehmen schwer fiel. Ein Wechselbad zwischen Lachen und Weinen.
Vor einigen Jahren begleitete ich einen Familienfreund in den Tod. Er starb an Lungenkrebs. Ins Hospiz wollte er nicht, obwohl er sich vor dem Tod fürchtete. Eigentlich hoffte er bis zum letzten Augenblick, dass er am Leben bleiben würde. Mit seinen 50 Jahren war er zu jung, um zu sterben. Er hatte eine häusliche Vollpflege, die so aussah, dass ein Zivi mehrmals am Tag vorbei kam, um nach dem Rechten zu sehen. Meistens war er allein. Er konnte die Schmerzen kaum noch ertragen. So richtig schien das Morphium nicht mehr zu wirken. Er kauerte wie ein Häuflein Elend an der Bettkante. Ich strich alle Termine und blieb die letzten drei Tage bei ihm. Die Glotze lief ununterbrochen. Er liebte Autorennen und war Schumi-Fan. Am Samstag hatte Schumi beim Training von Imola die Pole-Position verfehlt. Das regte meinen Freund auf. Ich meinte, dass er, mit einem bisschen Glück, das Autorennen live als Engelchen erleben könne, worauf er mich ganz erstaunt fragte, ob ich meinte, er würde in den Himmel kommen. Er war jedenfalls beruhigt, als ich das bejahte. Dann bekam er Appetit auf Krimsekt. Ich ging los, um welchen zu besorgen. Trotz der Schmerzen beim Trinken genoss er den Sekt. Der Pflegedienst war schon überfällig. Offenbar hatten diese Leute zum Wochenende nicht genügend Personal. Dann musste er aufs Klo. Er schickte mich raus, weil es ihm peinlich wäre, sein Geschäft in meinem Beisein zu verrichten. Ich hörte ihn husten und spucken. Ich schaute nach, und erschrak: Das Blut schoss ihm aus der Nase und aus dem Mund. Ich wickelte ein Tuch um ihn, holte einen Eimer und rief nach dem Hausarzt. Nach einer unendlich langen Wartezeit traf die Pflegerin ein. Sie kam ins Bad, sah unseren Freund und kotzte in die Badewanne. Zum Glück kam der Notarzt hinterher. Nun war guter Rat teuer: Sollte man unseren Freund noch ins Krankenhaus bringen? Der Arzt fragte mich, ob die Nerven hätte, bei ihm zu bleiben, bis er's geschafft hätte. Das konnte ich weder bejahen, noch verneinen. Also wurde die Feuerwehr gerufen. Wir hatten unseren Freund mittlerweile in eine Bettdecke gewickelt, weil er sich Sorgen um das frisch renovierte Badezimmer machte. Ein junger Notarzt ließ sich vom Hausarzt über den hoffnungslosen Zustand des Patienten informieren. Selbst wenn es gelingen sollte, die Blutung zu stillen, hätte unser Freund kaum länger als zwei Tage überlebt. So einigte man sich, ihn in die Notaufnahme der Klinik zu bringen. Sicherheitshalber stellte sich der junge Notarzt rittlings über den Sterbenden und fragte, ob er denn wirklich sterben wolle. Unser Freund, der seltsame Brocken auswürgte, konnte kaum sprechen. Seine letzten Worte waren: "Ja, dann ist die Sch... endlich vorbei". (So banal kann Sterben sein...) Um die Verpflichtung zur Intensivbetreuung so zu umgehen, wurde die Aufnahme verzögert. Man brachte ihn in eine Art Besenkammer. Eine Schwester errrichtete ihm zur Erleichterung ein Sauerstoffzelt. Nachts um 01.00 Uhr schlief unser Freund ein.