@froulein Die mir bekannten Flüchtlingskinder an den mir bekannten Schulen hier oben hoch im Norden gehen in gemischte Klassen - Kriterium sind Alphabetisierungsgrad und Sprachkenntnis(se) - und nicht das Geschlecht. Sie werden sowohl von Frauen wie von Männern unterrichtet.
Natürlich gibt es individuelle Sensibilitäten, z.B. wollte eine von mir betreute Iranerin unbedingt eine Frauenärztin. Das stellte sich aber erst heraus, als der Herr Doktor sie bat, die Hose runterzulassen. Da haben wir uns dann eine Medizinerin gesucht. Aber diese Hemmung habe ich auch schon von hier aufgewachsenen Frauen gehört.
Anderes Beispiel: Ein Mann aus Afghanistan hatte offenbar Probleme damit, meiner Frau die Hand zu geben. Er verneigte sich vor ihr. Es gibt bei manchen Menschen offenbar die Tradition, dass Mann keine Frau eines anderen Mannes anfasst. Beim nächsten Besuch packte meine Frau seine Hand und schüttelte den schmächtigen Kerl durch: "Moin! So geht das hier bei uns!"
Andererseits haben wir gelernt, dass man in islamischen Ländern die Schuhe an der Tür auszieht. Ein schöner Brauch, der die Bude sauber hält. Da habe ich meine Kinder islamisiert.
Die Begegnung mit fremden Kulturen geht manchmal nicht ohne Lern- oder gar Schockeffekte ab - ob nun fremde Männer schockiert sind, wenn zwei Frauen miteinander verheiratet sind (und sich auch noch küssen) oder wenn eben diese Frauen sich von einer Somalierin ihre verstümmelten Genitalien zeigen lassen.
Was die "Männerflut" angeht, so waren es immer die jungen, kräftigen, dynamischen Männer, die sich in neue Welten aufgemacht haben. Das war bei deutschen Auswanderern in früheren Jahrhunderten nicht anders.
Es kommen ja auch nicht alle durch:
Vor Kurzem sprach ich mit einem Jungen aus Eritrea. Er erzählte mir seine Geschichte: Sie waren fünf Brüder. In Eritrea wirst Du schon mit Abschluss der Schule, ca. mit 14, zum Militär eingezogen. Als Junge und als Mädchen. Du unterstehst lebenslänglich diesem Militärdienst und musst dem Militär zur verfügung stehen, wenn Du nicht ohnehin in Militärcamps unter elendigen bedingungen hausen muss. Viele Fabriken gehören hohen Militärs. Da müssen die Dienstverpflichteten arbeiten. Wer fehlt, wird alsDdeserteur bestraft. Krank sein ist keine Ausrede. Lohn gibt es nicht, nur den kargen Sold. Du wirst dahin befohlen, wo Dich Deine Vorgesetzten am profitabelsten einsetzen können. Folgst Du nicht, landest Du im Militäknast incl. Folter - wenn sie Dich nicht gleich als Deserteur an die Wand stellen.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezeichnet Eritrea als ein einziges „gigantisches Gefängnis“.
Folglich hat die Familie alles zu Geld gemacht, was sie konnte und sich zusätzlich verschuldet, um ihren Kindern die Flucht zu ermöglichen. Die Ausreise ist illegal. Erwischen sie Dich: Knast oder Erschiessen. Zurückkehren kannst Du nie wieder. Dagegen war die DDR ja noch fast "human" zu nennen.
Um es kurz zu machen: Fünf sind geflohen - einer hat überlebt. Die anderen vier: Verschollen - seit rund einem Jahr ohne Lebenszeichen. Gefasst? Getötet? Verschleppt? Im Mittelmeer ertrunken? Er weiss es nicht - wird es nie erfahren.
Ich denke, bevor man über Flüchtlinge urteilt, sollte man zunächst mal mit einigen von ihnen gesprochen haben. Seit Jahresbeginn bin ich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe tätig. Ich habe im Laufe von sechzig Jahren schon so einiges an tragischen Schicksalen gehört und mitbekommen. Aber so manches, was ich in Gesprächen erfahre, toppt alles.
Jeder, der Unverständnis für Fluchtmotive äussert, sollte sich selbst einmal ganz ehrlich fragen, wie er sich in einer vergleichbaren Situation verhalten würde.
Und noch ein Blick zurück und in meine Heimat:
Die Bewohner Nordfrieslands mussten im Laufe der Geschichte oft ihr Land verlassen, weil es sie nicht ernähren konnte oder schlichtweg abgesoffen ist. Nach dem von Preussen gegen Dänemark gewonnen Krieg 1864 kam Nordfriesland zu Preussen. Damals sind junge Männer in Scharen - angeblich etwa 30 Prozent, aus Nordfriesland abgehauen, meist in die USA, weil Preussen, im Gegensatz zu Dänemark, für sie mehrjährige Wehrpflicht bereit hielt. Dann hätten sie ihre Familien nicht mehr unterstützen oder ernähren können. Also haben sie "rübergemacht" und, so seltsam es klingt, in Parallelgesellschaften z.B. in New York, gelebt und gearbeitet und haben mit dem verdienten Geld entweder ihre Familie daheim unterstützt oder für deren Nachzug gesorgt.
Da haben wir es wieder: Alles Drückeberger!