Interessantes Thema!
:)chen schrieb:Was ich in der Schule zu viel fand:
- Nationalsozialismus rauf und runter, immer wieder. Von 8 Jahren Geschichtsunterricht war vielleicht die Hälfte über Nazis. Dazu noch der ein oder andere Themenblock im Religions- und Politikunterricht. Der gesamte kalte Krieg und die Wende wurden dagegen mehr oder weniger stiefmütterlich behandelt, exotische Sachen wie asiatische Geschichte überhaupt nicht.
- Literatur im Deutschunterricht. Gut, über Geschmack lässt sich streiten, aber wir haben ab Klasse 10 praktisch nur noch diese kleinen gelben Reclam-Heftchen gelesen mit Schiller, Goethe, Lessing, Fontane... ich habe es gehasst wie die Pest. Und dann auch noch 5 Stunden die Woche. Nicht ein mal haben wir ein zeitgenössisches Buch in die Hand genommen.
- Analysis und Vektoralgebra in der Mathematik. Nach Klasse 11 gab es quasi nichts anderes mehr. Ich bezweifle, dass wirklich jeder Mensch für sein späteres Leben wissen muss, wie man eine komplette Kurvendiskussion anfertigt, wenn die Hälfte der Schüler noch nicht einmal ordentlich Kopfrechnen und Termumformungen beherrscht. Wer Physik später im Leistungskurs hat, klar, aber für die meisten Schüler sollte es ausreichen, das Konzept von Ableitung und Steigung verstanden zu haben.
Zum NS: Ich kann das nachvollziehen und habe es zeitweise ähnlich empfunden. Natürlich ist der Grat zwischen notwendiger Erinnerung und Mahnung und Überdruss schmal. Grundsätzlich denke ich aber, dass das deutsche Gesellschafts- und Bildungssystem nach '68 sehr sinnvoll mit dem Thema umgeht, und es leider alternativlos, immer wieder und überall mahnend an die Zeit zu erinnern. Dass einen das als jungen Schüler schon 'mal nervt, kann man verstehen - aber auch, denke ich, vernachlässigen.
Zur Literatur: Naja, die sogenannten Klassiker haben aber schon ihre Berechtigung, oder?
;) Wo, wenn nicht in Schule und Uni, würde man sie sonst lesen. Sie haben nunmal eine ungleich höhere geistesgeschichtliche Relevanz als die meisten zeitgenössischen Autoren.
Gegenfrage: Was hättest Du Die stattdessen mehr gewünscht? Welche zeitgenössischen Werke z.B.?
Zur Mathe: Brauchen tut man das natürlich nicht. Ich denke aber, dass die Geisteswissenschaften - zu denen die Mathematik zur Verwunderung vieler ja auch zählt - von diesem reinen Nützlichkeitsdenken ("Wozu brauche ich das später mal?") getrennt betrachtet werden müssen.
Stochastik und Statistik hatte ich indes in der Schule, und gebe Dir recht: Das waren interessante und überraschend "lebensnahe" Lektionen.
Mir hingegen war zuviel:
- "Praktische Kunst": Nicht jedem liegt es, mit dem Pinsel umzugehen. Ich finde es fragwürdig, dass man trotzdem die ganze Schulzeit über dafür bewertet wird. Insbesondere weil der Wert "künstlerischer Arbeiten" ja immer sehr, sehr subjektiv ist. Mehr Kunstgeschichte hätte ich hingegen interessant und sinnvoll gefunden.
Mir hat gefehlt:
- Zeitgemäßerer Englischunterricht: Bei uns lehrten zumeist anglophile Studienräte nach uralten Englischlehrbüchern. Warum nicht mal zeitgemäßere Themen anschneiden? Warum nicht mal das amerikanische Englisch, das ungleich mehr Menschen auf der Welt sprechen, genauer analysieren?
- "Vergleichende Religionswissenschaft": Das Fach Religion ist eine komische Mischung aus christlicher Theologie und christlicher Religionswissenschaft. Angebrachter und zeutgemäßer wäre es in meinen Augen, tatsächlich das geistige Erbe und die gesellschaftliche Bedeutung der verschiedenen Weltreligionen miteinander zu vergleichen, und somit das eigentlich interessante Fach auch für "Nicht-Christen" und Nicht-Gläubige zu öffnen.
- Kunstgeschichte: s.o.
- "Überblickswissen" Geschichte und Philosophie: Mein Geschichts-, und auch mein Philosophieunterricht, waren extrem fragmentiert. In Geschichte gab es ein wenig alte Ägypter, dann etwas Mittelalter, französische Revolution, Industrialisierung und schon war man im 20. Jahrhundert. Aber wie hing das alles zusammen? Gar nicht? Auch wenn es schwierig ist, fänd' ich es sinnvoll, Schülern einen grundlegenden Überblick über die historische Vergangenheit anstelle von inkohärentem Einzelwissen zu vermitteln.
- Chens Vorschlag "Schreiben" unterschreibe ich.
:)PS: Ich bin seit 2005 aus der Schule raus.