Ufologie in der Krise
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Weltweit nehmen Ufo-Sichtungen dramatisch ab. Haben die Aliens kein Interesse mehr an uns? Oder sind die Handys schuld? Im englischen Worcester beriefen Ufologen einen Krisengipfel ein.
Smartphones sind nicht für Ufo-Sichtungen gemacht. Sie sind einfach nicht gut genug!, verteidigt der Redner mit den langen Kruselhaaren und den dicken Brillengläsern die mögliche Existenz von Ufos im 21. Jahrhundert. «Nicht gut genug?», amüsiert sich ein Ufo-Skeptiker, der nicht weniger nerdig ausschaut. «Die Dinger sind verdammt gut, die haben heute alle HD!» Ein Affront. Ein Raunen und Kopfschütteln geht durch die Reihen des Publikums.
Die Referenten der Ufologen-Tagung «Seriously Unidentified?» – Ernsthaft unbekannt? – im Konferenzzentrum der Universität Worcester hatten bereits viele Zündschnüre gelegt, an denen man hitzige Debatten hätte entfachen können. Fotos mit ominösen Flecken, die auch unscharfe Spatzen hätten sein können, wurden als Belege für Ausserirdisches angeführt. Es wurde von Aliens berichtet, die Erdenbürger auf dem Festnetz anrufen. Aber so heftig, dass die Backsteine wackelten, wurde die Diskussion erst, als die Frage zurückkehrt: Warum gibt es trotz so vielen Smartphones noch immer keine Beweise für Ufos? Warum haben Handy-Kameras in allen möglichen Bereichen die Beweislage verbessert, nur nicht in der Ufologie?
Das Thema ist heikel. Denn die Ufologie steckt in einer existenziellen Krise, weltweit. Seit zwanzig Jahren werden immer weniger fliegende Untertassen gesichtet. Die spektakulärsten Landungen liegen Jahrzehnte zurück. Allein in Grossbritannien wurden von einst über hundert Ufologen-Vereinen zwei Drittel aufgelöst und renommierte Magazine eingestellt. 2009 schloss auch noch das britische Verteidigungsministerium sein Ufo-Büro.
«Die Zahl paranormaler Aktivitäten ist stabil», meint Dave Wood von der britischen «Association for the Scientific Study of Anomalous Phenomena» (ASSAP). Geister werden nach wie vor gesichtet und Gedanken telepathisch übertragen. «Aber die Zahl der Ufo-Meldungen ist in den letzten zwanzig Jahren um 96% eingebrochen.» Grossbritannien hat eine der aktivsten Ufologen-Szenen, und Ausserirdische haben dieses Interesse mit vielen Besuchen gedankt. Aber seit «Akte X» nicht mehr läuft und Hollywood das Interesse an Aliens verloren hat, ist der Himmel auch hier dunkler geworden.
Unter diesen Vorzeichen hat die ASSAP einen Krisengipfel einberufen. Denn gehe es weiter wie bisher, sei die Ufologie in zehn Jahren tot. Und das ist fast wörtlich zu verstehen, wirft man einen Blick durch die Reihen der über hundert Ufologen, die sich in Worcester versammelt haben: Viele graue Köpfe sind da.
Der Space-Appeal fehlt fast ganz. Ein Tisch mit Büchern, von denen «die Regierung nicht will, dass du sie liest», oder über die Kraft aus dem Universum. Aber sonst sieht es hier aus wie an einer Gemeindeversammlung. Ian Ridpath, der erste Sprecher des Tages, testet mit einer Publikumsfrage zuerst das «Level an Feindschaft», das ihm entgegenschlägt (zehn Hände gehen hoch). Ridpath ist Herausgeber des «Oxford Dictionary of Astronomy» und für die Ufologen so etwas wie Richard Dawkins für die Kirche: ihr Chef-Kritiker. In den Achtzigern legte er nahe, dass es sich bei dem Licht der berühmtesten Ufo-Landung im Wald von Rendlesham um einen Leuchtturm gehandelt hat. Man hört aus jedem Satz, wie viel Spass Ridpath das Krisen-Thema macht. «Ein halbes Jahrhundert lang wurde gesucht und nichts gefunden», sagt er und geht genüsslich die Fälle durch, die die Ufologie seit den fünfziger Jahren beschäftigen.
Zwar hatten bereits im 19. Jahrhundert Science-Fiction-Autoren wie H. G. Wells Alien-Invasionen beschrieben. 1938 löste ein Radiohörspiel seines Buches in den USA eine Massenpanik aus, weil die Zuhörer es für real hielten. Populär wurden Ufo-Sichtungen aber erst in den paranoiden Jahren des Kalten Krieges, vor allem in den Vereinigten Staaten.
In den Fünfzigern überraschte der Amerikaner George Adamski mit ersten (verdächtig guten) Fotos fliegender Untertassen. In den Sechzigern glaubte das Ehepaar Hill, von Ausserirdischen missbraucht worden zu sein, erregte damit viel Aufsehen und begründete ein neues biografisches Genre: die Alien-Entführung.
Steven Spielberg bescherte darauf mit Filmen wie «Unheimliche Begegnung der dritten Art» (1977) oder «E. T.» (1982) den Ufologen viele neue Mitglieder. Und dann war da natürlich noch der berühmt-berüchtigte Zwischenfall von Roswell, New Mexico. 1947 passiert, aber erst in den Siebzigern – der Zeit von Watergate – bekanntgeworden. Ridpath meint, dass damals ein Wetterballon der nahen Militärbasis abgestürzt sei.
Während wir in der Mittagspause für Sandwiches anstehen, erklärt mir Dave Hodrien, was wirklich passiert sei in Roswell. Dave zählt mit 35 zu den jüngsten Besuchern des Kongresses. Dave ist Vorsitzender und Ermittler der «Birmingham UFO Group». Zu Roswell meint er: «Ein oder zwei Ufos sind dort abgestürzt, möglicherweise kollidiert. Die Aliens wurden von der Armee verwahrt.» Leider gibt es davon keine Filme im Netz.
Aber auf Youtube findet man ein Video, das Dave zeigt, wie er seiner Frau in der Wüste von Nevada, beim Militärstützpunkt «Area 51», wo besagte Aliens obduziert worden sein sollen, das Ja-Wort gibt. In seinen Ehering hat er die Zeichen graviert, die im Untertassen-Wrack gefunden worden sein sollen. Den Alien hat er sich flächendeckend auf den Rücken tätowiert. Es gibt sie also noch, die Begeisterten, die ihre Freizeit damit verbringen, Ufo-Sichtungen akribisch genau aufzuklären. Aber Birmingham hat eine Million Einwohner, nur ein Dutzend davon ist aktives Mitglied der «Birmingham UFO Group».
Ich spreche Dave auf die jüngste Theorie der Journalistin Annie Jacobsen an, dass in Roswell tatsächlich eine fliegende Untertasse abgestürzt sei, allerdings eine, die von den Nazis entwickelt wurde (nicht ganz unwahrscheinlich), von den Sowjets nach dem Zweiten Weltkrieg erbeutet (möglich) und von diesen dann unter dem Radar in die amerikanische Wüste geschickt wurde (hochspekulativ). Ein Streich Stalins, um die Ufo-paranoiden Amerikaner zu erschrecken. Doch Dave hält das Buch für einen weiteren Zug der Regierung, die Wahrheit zu verdecken.
Es sind Leute wie die folgende Rednerin, denen Dave mehr glaubt als der Regierung. Eine Frau mit tiefschwarzen Haaren und etwas trauriger Stimme hält einen Vortrag über den Kontakt, den sie mit Ausserirdischen hatte, und erzählt davon, dass solche Erfahrungen sozial nicht akzeptiert seien. Aus dem Publikum kommen zustimmende Geräusche. Einige Köpfe nicken.
Wie einsam es auf der Erde werden kann, wenn man nicht allein im Universum ist, erzählt auch der ihr folgende Redner, ein gemütlicher Brite mittleren Alters von jenem Typ, den man abends gerne im Pub trifft. Als in den Sechzigern Nachrichten von seltsamen Geräuschen, Kegeln und Lichtern über dem südenglischen Warminster den Weg in die Presse fanden, reisten Tausende auf den dortigen Cradle Hill, stellten Zelte auf und schauten in die Nacht. New Age war die Religion der Zeit und Warminster – nahe Stonehenge – das Woodstock der Ufologie. Der Redner, damals noch Teenager, war einer der Pilger. Er wurde nicht enttäuscht, sah verhaltensauffällige rote Lichter und hält dem mysteriösen Hügel seither die Treue. Jährlich organisiert er ein Skywatching. Doch der Zustrom an Erdlingen hat nachgelassen seit den Achtzigern: «Wir werden immer älter und immer weniger.»
Vielleicht waren es diese wehmütigen Worte, vielleicht war es auch die ernüchternde Abschlussdiskussion, die wenig Hoffnung liessen, am Himmel über Worcester noch etwas Neues zu entdecken. Oft bricht man nach Ufologen-Konferenzen zum Skywatching auf. Diesmal entschied man sich gleich für das Pub. Ein ufologischer Durchbruch sei in den nächsten zehn Jahren nicht zu erwarten.
Um den Nachwuchs steht es schlecht. Und Steven Spielbergs nächster Film handelt leider von Robotern. Es sieht düster aus am Himmel. Statt unter leuchtenden Sternen ging die Tagung unter bewegungslosen, angestaubten Discokugeln zu Ende.
http://herrfischer.net/2013/01/09/ufologie-in-der-krise/