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Forensic Science - Todeszeitpunkt
09.09.2024 um 06:53Das ist ein Blog-Revival aus 2019 im Zusammenhang mit dem Fall:
Badewannenunfall von Rottach-Egern
Der 2010 zu lebenslanger Haft verurteilte Manfred Genditzki wurde 2023 freigesprochen und entschädigt.
Das Henßge Nomogramm
Während der ersten 1-2 Tage nach Todeseintritt (frühe postmortale Phase) wird der Todeszeitpunkt neben zeitlichen Anhaltspunkten der Leichenschau (Totenflecken, Leichenstarre etc.) anhand der abnehmenden Körperkerntemperatur bestimmt.
Die Körpertemperatur sinkt nach Todeseintritt bis auf die Umgebungs- oder Wassertemperatur ab. Etwa die ersten 2 Stunden bleibt die Kerntemperatur relativ konstant, dann nimmt sie linear ca. 0,5 bis 1,5 Grad je Stunde ab und am Ende des Temperaturangleichs flacht die Kurve wieder ab (Doppel-Exponential-Modell). Beim Abbilden des Abkühlungsprozesses sind neben Temperaturen natürlich weitere wesentliche Faktoren (Bekleidung, Körpergewicht, Auffindebedingungen) zu berücksichtigen.
In der späteren postmortalen Phase kann die Bewertung früher Todeszeichen sowie die Temperaturmethode nicht mehr angewandt werden, dort kommt die forensische Entomologie (Beobachtung Leicheninsekten) à la Mark Benecke :merle: zum Einsatz sowie die zeitliche Bewertung von Zersetzungs- und Konservierungsvorgängen. Auch per DNA-Analyse kann das Leichenalter bestimmt werden, was in der frühen postmortalen Phase aber (noch) nicht gerichtsfest ist.
Eine genaue wissenschaftliche Bestimmung des Todeszeitpunkts ist quasi unmöglich, es handelt sich also immer um eine valide Schätzung (keine bloße Vermutung). In der frühen postmortalen Phase liegt die kleinste Toleranz per Temperatur-Methode etwa bei +/- 2-3 Stunden, später ist bestenfalls noch der Tag feststellbar.
Es existieren einige mathematisch-empirische Temperatur-Methoden, die quasi alle auf dem Newtonschen Abkühlungsgesetz basieren, ca. seit der Jahrtausendwende auch mit erweitertem physikalischen Ansatz und Computer-Simulation (Finite Elemente Modell). Die weltweit etablierte und führende Temperatur-Praxis-Methode ist die Todeszeitbestimmung nach Marshall und Hoare und Henßge bzw. mittels des Henßge Nomogramms - darum geht es nachfolgend.
Here we go!
Zur Überzeugung des Gerichts festgestellter Tatzeitpunkt (Ertränken): ca. 15 Uhr - der zu lebenslanger Haft Verurteilte hatte ab 15:09 Uhr ein Alibi. Todeszeitpunkt nicht tatrelevant eingrenzbar und somit mit o.g. Tatzeit vereinbar.
Simple Vorgehensweise
Ergebnis Todeszeitpunktbestimmung
Etwas vereinfacht, aber das wars schon ... :rock:
Tools
Time since death calculator inkl. autom. Nomogramm-Generierung
Weiterer Online-Calculator nach Henßge
.
Badewannenunfall von Rottach-Egern
Der 2010 zu lebenslanger Haft verurteilte Manfred Genditzki wurde 2023 freigesprochen und entschädigt.
Das Henßge Nomogramm
Während der ersten 1-2 Tage nach Todeseintritt (frühe postmortale Phase) wird der Todeszeitpunkt neben zeitlichen Anhaltspunkten der Leichenschau (Totenflecken, Leichenstarre etc.) anhand der abnehmenden Körperkerntemperatur bestimmt.
Die Körpertemperatur sinkt nach Todeseintritt bis auf die Umgebungs- oder Wassertemperatur ab. Etwa die ersten 2 Stunden bleibt die Kerntemperatur relativ konstant, dann nimmt sie linear ca. 0,5 bis 1,5 Grad je Stunde ab und am Ende des Temperaturangleichs flacht die Kurve wieder ab (Doppel-Exponential-Modell). Beim Abbilden des Abkühlungsprozesses sind neben Temperaturen natürlich weitere wesentliche Faktoren (Bekleidung, Körpergewicht, Auffindebedingungen) zu berücksichtigen.
In der späteren postmortalen Phase kann die Bewertung früher Todeszeichen sowie die Temperaturmethode nicht mehr angewandt werden, dort kommt die forensische Entomologie (Beobachtung Leicheninsekten) à la Mark Benecke :merle: zum Einsatz sowie die zeitliche Bewertung von Zersetzungs- und Konservierungsvorgängen. Auch per DNA-Analyse kann das Leichenalter bestimmt werden, was in der frühen postmortalen Phase aber (noch) nicht gerichtsfest ist.
Eine genaue wissenschaftliche Bestimmung des Todeszeitpunkts ist quasi unmöglich, es handelt sich also immer um eine valide Schätzung (keine bloße Vermutung). In der frühen postmortalen Phase liegt die kleinste Toleranz per Temperatur-Methode etwa bei +/- 2-3 Stunden, später ist bestenfalls noch der Tag feststellbar.
Es existieren einige mathematisch-empirische Temperatur-Methoden, die quasi alle auf dem Newtonschen Abkühlungsgesetz basieren, ca. seit der Jahrtausendwende auch mit erweitertem physikalischen Ansatz und Computer-Simulation (Finite Elemente Modell). Die weltweit etablierte und führende Temperatur-Praxis-Methode ist die Todeszeitbestimmung nach Marshall und Hoare und Henßge bzw. mittels des Henßge Nomogramms - darum geht es nachfolgend.
Here we go!
Zur Überzeugung des Gerichts festgestellter Tatzeitpunkt (Ertränken): ca. 15 Uhr - der zu lebenslanger Haft Verurteilte hatte ab 15:09 Uhr ein Alibi. Todeszeitpunkt nicht tatrelevant eingrenzbar und somit mit o.g. Tatzeit vereinbar.
- 87-jährige (74 kg) wird um 18:30 Uhr vom Pflegedienst tot in der vollen Badewanne gefunden (zuletzt von Zeugen lebend gesehen um 13:30 Uhr) - der Wasserhahn ist aufgedreht, gleichzeitig fließt Wasser über den Überlauf ab, der Pflegedienst stoppt den Wasserfluss
- Gemessene Wassertemperatur um 21:05 Uhr: 25,9 Grad
- Leichenschau vor der Badewanne 21:20 Uhr: Totenflecken sind noch vollständig verlagerbar, Leichenstarre lt. Fotos voll ausgeprägt, Waschhautbildung vermutl. gering ausgeprägt (genauere Angaben öffentl. nicht verfügbar)
- Thermodynamisch berechnete gleichbleibende Wassertemperatur zum Auffinde- und Todeszeitpunkt: zwischen 26,5 und 29,8 Grad (wir nehmen ∅ 28 Grad) ... Newton grüßt erneut aus dem 17. Jahrhundert :kaffee:
- Rektaltemperatur gemessen um 21:50 Uhr: 33,9 Grad
Simple Vorgehensweise
- Bestimmung des Korrekturfaktors (Wasserleiche = 0,5) und des Nomogramm-Gewichts
- Gelbe Gerade von Rektaltemperatur 33,9 Grad nach Umgebungstemperatur 28 Grad
- Cyanfarbene Gerade vom Fadenkreuz durch den Schnittpunkt der gelben Gerade mit der im Nomogramm enthaltenen weißen Diagonale
- Auf dem Kreisbogen des Nomogramm-Gewichts (37kg) Todeszeitpunkt ablesen = 5,2 Stunden sowie auf dem äußeren Kreisbogen die Toleranz +/- 2,8 Stunden
Ergebnis Todeszeitpunktbestimmung
- lt. Ermittlungen / Zeugen: 13:30 bis 18:30 Uhr
- lt. Leichenschau: grob 2 bis 6 Std. (ca. 15:20 bis 19:20 Uhr)
- lt. Henßge Nomogramm "Erwartungswert" (Mittelwert): 5,2 Std. +/- 2,8 Std. (13:50 bis 19:26 Uhr)
[Bei tiefstmöglicher ∅ Wassertemperatur 26 Grad: 14:44 bis 20:20 Uhr]
Etwas vereinfacht, aber das wars schon ... :rock:
Tools
Time since death calculator inkl. autom. Nomogramm-Generierung
Weiterer Online-Calculator nach Henßge
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