@lilitNa gut. Das ist nicht ganz einfach. Der Unterschied zwischen Definieren und Interpretieren ist zwar schon gegeben, aber immer gewissen menschlichen Maßstäben unterworfen.
Wenn die Menschen definieren, dass der Himmel blau ist, dann beruht dies auf Erfahrungen, die bei den meisten Menschen gleich wahr genommen werden. Der Himmel ist deswegen trotzdem nicht blau. Aber er erscheint uns so.
Eine Definition ist auch immer eine allgemeine Übereinkunft. Wir sind diejenigen, die quasi etwas festlegen. Daher können wir die Dinge auch, wenn wir darüber eine neue Übereinkunft treffen, anders definieren.
Das würde aber im Hinblick auf das Wort Gottes dann auch bei vielen Dingen eine ganz andere, neue Bedeutung hervorbringen. Wenn wir nun den Begriff Tod anders, also neu definieren als wie er seiner ursprünglichen Bedeutung her gemeint gewesen ist, dann wäre dies gleichbedeutend wie einer Fälschung. Sagen wir der Einfachheit mal, wir definieren Tod jetzt einfach um und sagen: Mit Tod ist eigentlich Leben gemeint...
Dann bekäme alles was in den Hl. Schriften über den Tod ausgesagt würde, ein völlig andere Bedeutung und der Sinn dessen was da einst gestanden hat, wäre damit auch ein völlig anderer. Und damit würde man das ursprüngliche sozusagen dann ins völlige Gegenteil verkehren.
Bei der Interpretation hingegen definiert man keine neue Bedeutung eines bereits mit einem Begriff belegten Wortes, Satzes usw... sondern versucht, den eigentlichen Sinn dahinter zu ergründen, quasi aufzuschlüsseln was damit im eigentlichen Sinne gemeint ist (oder gemeint sein könnte).
An der Definition dessen was bereits geschrieben steht, ändert man dadurch nichts. Man versucht nur, den Sinn des geschriebenen zu entschlüsseln, sich für heute und jetzt verständlich zu machen.
Eine neue Interpretation oder Auslegung einer Schriftstelle ist nur eine andere Herangehensweise zum ursprünglichen Verständnis, aber keine neue Definition des bereits geschriebenen.
Ich weiß, nicht ganz einfach. Ein Beispiel aus der Textilwirtschaft: Wolle war schon immer Wolle. Weil man früher eh nichts anderes kannte wie etwa künstliche Textilfasern. Wenn man nun auf einen Pullover drauf schrieb 100% Wolle, dann ging man auch davon aus, dass ein solches Kleidungsstück auch aus nichts anderem bestand, als eben aus 100% Wolle.
Wenn sich nun die Industrie darauf geeinigt hat, wenn wir 100% Wolle drauf schreiben, muss aber gar nicht 100% Wolle drin sein, ein bestimmter Anteil davon darf auch was anderes sein, dann ist das eine neue Definition von 100% Wolle. Inhaltlich ist es aber dann eben nicht mehr nur Wolle...
Durch eine neue Definition wird also auch tatsächlich inhaltlich eine Änderung vollzogen. Bei der Interpretation wird aber der Inhalt selbst nicht berührt. Man sinniert quasi nur darüber: Was könnte wohl 100% Wolle bedeuten? Ist damit Reine Wolle gemeint, ohne jegliche andere Zusätze, oder kann da auch etwas anderes drin enthalten sein...?
Das kann auch dazu führen, dass es zu unterschiedlichen Interpretationen kommt. Für den einen ist eben genau genommen 100% auch der komplette Bestandteil und der andere geht eben anders vor uns kommt zu einem anderen Ergebnis...
Auf die Frage des Threads bezogen, wäre jetzt zB. die Koranstelle wo es um die Bedeckung der Reize einer Frau geht bei einer neuen Definition ihres ursprünglichen Sinnes enthoben und durch einen neue Definition ersetzt. Wobei man das eigentlich dann erst kann, wenn man eindeutig geklärt hätte, was eigentlich damit gemeint ist.
Das wiederum ist die Aufgabe der Interpretation. Die ändert an der Aussage selbst nichts, sondern fragt nur: Was könnte eigentlich damit gemeint gewesen sein.
Wenn sich nun darüber irgendwie mal einen Konsens darüber gebildet hat, was also mit der Bedeckung der Reize einer Frau wohl gemeint sein könnte, dann wird ein gläubiger Mensch aber sicher nicht hergehen wollen und genau diesen ändern wollen um der Aussage eine völlig andere Bedeutung zu geben.
Die Frage hierbei ist eben nur: Ist denn überhaupt jemals eindeutig geklärt worden, was damit ursprünglich gemeint war? Und sind die Voraussetzungen die damals eine gewisse Notwendigkeit hierzu bedingten immer noch vorhanden? Wenn sich eine Gesellschaft, eine Kultur, eine Zeit ändert, dann taucht auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit auf.
Macht es heute noch Sinn, einer solchen Textstelle Buchstabe für Buchstabe Folge zu leisten, nur weil das eben da steht? Und welche Art der Bedeckung ist überhaupt sinnvoll? Eine Vollbedeckung, eine Teilbedeckung, welcher Art, was sollte Bedeckt sein, was sollte frei bleiben können usw...
Aus der Aussage eines Textes der von Bedeckung spricht gleich auf eine Vollbedeckung zu schließen, halte ich persönlich für falsch. Noch schlimmer wäre es, den Passus Bedeckung gleich in Vollbedeckung umzudefinieren ! Das erstere wäre eine Form der Interpretation. Bedeckung ja, aber Vollbedeckung nein. Das zweite wäre eine neue Definition des ursprünglichen Begriffs Bedeckung durch Vollbedeckung zu ersetzen. Hieße: Wenn man von Bedeckung spricht, ist immer Vollbedeckung gemeint. Und das kann man, meine ich, wenn man es mit der Hl. Schrift des Korans erst nimmt, so nicht machen.
An dem was geschrieben steht, darf man nichts ändern. Man kann es nur neu interpretieren. Denn niemand weiß ob die älteren Interpretationen wirklich richtig waren. Und ausserdem ist immer alles auch Zeitabhängig. Der Sinn einer Aussage ist für mich letztlich entscheidend. Wenn man diesem versucht auf den Grund zu gehen, durch andere Herangehensweisen, liegt man eher richtig als wenn man versucht, etwas völlig neu zu definieren. Naja, so sehe ich das jedenfalls.