Die Scharia
24.01.2010 um 10:38
Ich bin ja nun schon eine ganze Weile hier im Forum und habe mich mit dem islamischen Glauben beschäftigt und etliche Diskussionen mit Muslimen geführt, teils gute und weniger gute, erheiternde, erweiternde und auch zuweilen Streitgespräche.
Was mir immer wieder aufgefallen ist, dass der islamische Glaube auf verschiedenen Dingen aufbaut und sich darin Vervielfältigt. Im islamischen Glauben geht man zunächst von Gott, dem einen und einzigen aus. Dann gehen drei Dinge daraus hervor, die eine wichtige Rolle spielen. Der Koran, die Hadithe und die Scharia. Der Koran ist die Hl. Schrift als Grundlage. Daneben stehen die Hadithe, also die gesammelten Überlieferungen von und über die Worte und das Leben Mohammeds. Und dann taucht eben auch die Scharia auf, als die Rechtsgrundlage des Islam. Des weiteren gibt es fünf Säulen des Islam, die vor allem gewisse religiöse Pflichten des Glaubenden beinhalten. Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosen, Fasten, Pilgerreise nach Mekka.
Was aber ist die Scharia eigentlich, woher bekommt sie ihre Bedeutung und was steht eigentlich in ihr bzw. wo steht sie überhaupt niedergeschrieben? Ich habe mich, da mal selber auf die Suche nach einer Antwort gemacht.
Zunächst einiges Grundwissen aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie:
Die Scharia ist das islamische Recht, das alle Bereiche des Lebens umfasst und nach göttlichen, unveränderbaren Regeln ordnet. Diese Regeln wurden vor allem in der frühen Abbasidenzeit schriftlich fixiert und bilden auch heute noch die Grundlage des islamischen Rechts. Die konkrete Anwendung geschieht durch Fatwas, religiöse Gutachten oder Lehrentscheidung, die von Religionsgelehrten (Muftis) aufgrund der Interpretation von Koran und Sunna nach traditionellen Regeln (usul al-fiqh) getroffen werden.
Hier haben wir schonmal einen Punkt, über den es sich zu diskutieren lohnt: Die konkrete Anwendung ! Diese wird von sogenannten islamischen Rechtsgelehrten durch Fatwas (Gutachten/ Lehrentscheidungen) aufgrund einer Interpretation des Korans und der Sunna bestimmt !
Heißt: Nicht der Gläubige selbst kommt etwa zu eigenen Erkenntnissen in seinem Glaubensleben, was richtig und was falsch ist, sondern seine Stellvertreter, die Rechtsgelehrten bestimmen das aus ihrer Sicht und zwar durch Hinzunahme des Korans und der Sunna. Also nebst der Offenbarungen durch Mohammed durch eine bestimmte Auswahl von Hadithen. Im weiteren obliegt die Anwendung, die dann für die Gläubigen bestimmt wird, einer Interpretation !
Es gibt Fatwas aus allen Bereichen des Lebens. Ehe-, Kauf-, Vertrags- und Strafrecht, sowie die Beziehungen zu der nichtmuslimischen Welt wird geregelt. Die Scharia darf aber nicht als kodifiziertes Recht verstanden werden, obwohl es auch Bemühungen zur Kodifizierungen gab. Wann immer deshalb von der „Einführung der Scharia“ als Rechtssystem gesprochen wird, handelt es sich nur um Teile der Scharia.
Die klassische islamische Jurisprudenz sah als Ziel des Dschihad eine Vormachtstellung des Islam und damit einhergehend eine weltweite Durchsetzung der Scharia vor. Bestimmte Regeln zur Glaubensausübung, wie Gebet und Wallfahrt, waren nur für Muslime gültig, während im Ehe- und Privatrecht Ausnahmen vorgesehen waren. Dafür hat die islamische Rechtsprechung ein besonderes Fremdenrecht und Recht für Minderheiten wie das osmanische Millet-System entwickelt.
Die klassische Scharia unterteilt sich in eine schiitische und vier sunnitische Rechtsschulen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie im Umfeld von mehrheitlich islamischen Gesellschaften entstanden. Die Diasporasituation von Muslimen fehlt in den klassischen Rechtsschulen und wird erst durch neuere Fatwas zunehmend berücksichtigt. Da es unter islamischen Rechtsgelehrten keinen allgemeinen Konsens gibt, ist es nicht möglich von „der Scharia“ zu sprechen, da es keine einheitliche Scharia gibt.
Nächster Punkt: Es gibt keine einheitliche Scharia ! Es gibt unterschiedliche Rechtsschulen, also auch unterschiedliche Rechtsauffassungen. Das macht die Sache leider wieder kompliziert. Es gibt keinen allgemeinen Konsens. Es kann also sein, dass bei den Sunniten gewisse Dinge anders gehandhabt werden als bei den Shiiten oder den Wahabiten usw... Alles zwar Islam, aber eben doch nicht einheitlich in der Rechtssprechung. Und dann darf man sich auch berechtigterweise durchaus auch mal fragen: Was gilt denn jetzt eigentlich?
Im Sufismus (islamische Mystik) hat die Scharia den Stellenwert der Basis für den Weg des Gottessuchenden. Weitere Stationen sind in der Reihenfolge: Tariqa („der mystische Weg“), Haqiqa („Wahrheit“) und Ma'rifa („Erkenntnis“).
Für mich ist eine solche Ansicht, also als Basis für den Weg der Gottsuchenden, auf mystischer Ebene, auf der Suche nach Wahrheit (in der Rechtleitung Gottes) und als Weg der Erkenntnis (über Gottes Willen) durchaus nachvollziehbar. Die Frage ist für mich, wie kommt man dahin?
Die Schari'a, eingedeutscht Scharia im Sinne von „Weg zur Tränke“, „deutlicher, gebahnter Weg“; auch: „religiöses Gesetz“, „Ritus“; abgeleitet aus dem Verb schara'a „den Weg weisen, vorschreiben (auch Gesetz)“ ist das religiös legitimierte, unabänderliche Gesetz des Islam. Die Pluralform schara'i' bezeichnet alle einzelnen darin enthaltenen Vorschriften. Unter Fiqh versteht man die Gesetzeswissenschaft im Islam. Es entspricht der jurisprudentia der Römer und erstreckt sich auf alle Beziehungen des religiösen, bürgerlichen und staatlichen Lebens im Islam. Alle Beziehungen des öffentlichen und privaten Lebens müssen im Sinne des religiösen Gesetzes geregelt werden.
Nun wird schon mehr deutlich, dass die Wege zur Tränke, oder anders ausgedrückt, die Rechtleitung durch den Koran zur Vorschrift und zum Gesetz wird und alle Lebensbereiche umfasst. Der nächste Schritt wäre dann, dass Gesetze einzuhalten zur Pflicht werden und damit jeder Verstoß auch entsprechend durch weltliche Instanzen geahndet werden... Ich glaube persönlich nicht, dass das im Sinne Mohammeds war und dass Gott das so gewollt hat.
Koranisch ist der Begriff Schari'a in Sure 45, Vers 18, wo er ursprünglich den Pfad in der Wüste meint, der zur Wasserquelle führt, woraus sich für Muslime der göttliche Ursprung der Schari'a herleitet:
„Hierauf (das heißt nach dem Zeitalter der Kinder Israels) haben wir dich in der Angelegenheit(?) auf einen (eigenen) Ritus festgelegt. (Das Wort „Ritus“ steht für Schari'a)“
Die oben genannte Verbform ist im Korantext in diesem Sinne belegbar:
„Er hat euch von der Religion festgelegt (schara'a), was Er seinerzeit Nuh (Noah) anbefahl und was Wir dir (als Offenbarung) eingegeben haben und was Wir Ibrahim (Abraham), Musa (Moses) und Isa (Jesus) anbefahlen: Haltet die (Vorschriften der) Religion ein und spaltet euch nicht darin (in Gruppen). Den Götzendienern setzt das schwer zu, wozu du sie aufrufst. Allah erwählt dazu, wen Er will, und leitet dazu, wer sich (Ihm) reuig zuwendet.“
– Sure 42, Vers 13
Die Schari'a ist für den Muslim der verbindliche Wegweiser, der den Menschen zu Gott, seiner Quelle, führen soll und „die Gesamtheit der auf die Handlungen des Menschen bezüglichen Vorschriften Allahs.“
„In der islamischen Kultur bezeichnet die Scharia das Gesetz in seiner weitesten Form, d. h. die Gesamtheit der religiösen, moralischen, sozialen und rechtlichen Normen, welche im Koran und der prophetischen Tradition beinhaltet sind.“
Der Begriff Schari'a bezeichnet das islamische Recht; es enthält die Gesamtheit der auf die Handlungen des Menschen bezüglichen Vorschriften Gottes. Die Gesetze der Schari'a sind für alle Menschen in einer islamischen Gesellschaft verbindlich, auch für Nichtmuslime. Lediglich einige wenige Verpflichtungen, wie etwa das fünfmalige tägliche Gebet oder das Fasten im Ramadan, sind nur für Muslime obligatorisch. Das islamische Gesetz regelt alle äußeren Beziehungen und Verpflichtungen (forum externum) des Menschen zu Gott und zu den Mitmenschen. Das Gesetz achtet darauf, dass die religiösen Verpflichtungen des Einzelnen gegenüber Gott, „gottesdienstliche Handlungen“, erfüllt werden und alle Beziehungen des Einzelnen zu seinen Mitmenschen, stets dem Gesetz entsprechen. Um Glaubensfragen im engeren Sinne kümmert sich die Schari'a nicht. Der Mensch hat das islamische Recht mit seinen Bestimmungen und Widersprüchen kritiklos zu akzeptieren. Das Forschen nach der Bedeutung und inneren Logik der göttlichen Gesetze ist nur zulässig, soweit Gott selbst den Weg dazu weist.
Das wird nun schon recht "streng" gehandhabt ! Das islamische Gesetz regelt also alles ! Und es "achtet" auch darauf, dass die religiösen Verpflichtungen auch erfüllt und eingehalten werden !
Frage: Wie kann ein Gesetz darauf achten, dass religiöse Verpflichtungen auch eingehalten werden? Das Gesetz kann es nicht selbst ! Also bedarf es wieder des Menschen, der als Kontrollinstanz zum Richten diese Funktion erfüllt. Auch das ist meiner Ansicht nach nicht aus dem Koran ableitbar, sondern eine vom Menschen selbst erdachte Konstruktion. Viel besser eignet sich da eine Art Selbstkontrolle unter Glaubensgeschwistern - Das ließe sich aber eben nur machen, wenn islamische Glaubensregeln nicht gleichzeitig staatliche Gesetze sind. Das ist aber eben bei den meisten islamischen Staaten, in denen die Sharia gilt, der Fall. Folglich muss es eine staatliche Kontrollinstanz geben, die darauf achtet, dass das Gesetz auch erfüllt wird und wenn nicht, muss auch entsprechendes Fehlverhalten geahndet werden. Ob das so in diesem Sinne wirklich nach dem Willen Gottes oder Mohammeds jemals beabsichtigt war, möchte ich auch mal zur Diskussion stellen.
Als unfehlbare Pflichtenlehre umfasst die Schari'a das gesamte religiöse, politische, soziale, häusliche und individuelle Leben sowohl der Muslime als auch das Leben der im islamischen Staat geduldeten Andersgläubigen (dhimma) insofern, als ihre öffentliche Lebensführung dem Islam und den Muslimen in keiner Weise hinderlich sein darf. Die Einheit zwischen Religion und Recht bringt in einem theokratischen Staatswesen auch die Einheit zwischen Religion und Staat mit sich, die sich in den arabisch-islamischen Staaten der Gegenwart (deren Staatsreligion der Islam ist) unterschiedlich bemerkbar macht.
„Rechte und Ansprüche der Menschen erscheinen grundsätzlich nur als Reflexe religiöser Pflichten. Daher ist die Freiheit des Einzelnen im Scheriatrecht weit mehr eingeschränkt als im abendländischen Recht. Während hier alles erlaubt ist, was nicht gesetzlich verboten ist, verbietet der Islam alles, was nicht gesetzlich erlaubt ist. Er kennt daher auch nicht den unser heutiges Recht beherrschenden Grundsatz der Vertragsfreiheit; zulässig ist nur der Abschluß von Verträgen, die schariatrechtlich erlaubt sind.“
Nächster Punkt: Scharia bedeutet somit auch "Einschränkung" der Freiheit ! Glaube sollte aber befeien und frei machen und nicht (unnötig) einschränken. Ausserdem darf es im Glauben keinen Zwang geben. Shariarecht als religiöses Gesetz, welches gleichzeitig staatliche Rechtsordnung ist, ist aber Zwang ! Denn zuwiderhandlungen werden geahndet !
Neben der Eigenverantwortung steht die Verantwortung für andere: Jeder Muslim ist verpflichtet, zu „gebieten, was recht ist“ und zu „verbieten, was verwerflich ist (mehrfach im Koran, z. B. in Sure 7, Vers 157).
Frage: Kann das überhaupt jeder Muslim? Gebieten was recht ist, verbieten was verwerflich ist? Dazu bedarf es erst einmal eines intensiven Koranstudiums, um das überhaupt wissen zu können. Aus dieser Mitverantwortung für andere und nicht nur sich selbst entstehen dann leider auch solche Probleme wie Ehrenmorde, Zwangsheirat usw... Einfach aus dem Grunde, weil sich Verwandte in die Angelegenheiten eines Familienmitgliedes einmischen und sich in der Pflicht sehen, gewisse Dinge mitzuregeln. Ich frage mich allerdings, ob es Recht ist, zu verurteilen und die Justiz dabei auch noch mitzuverkörpern? Jemanden auf etwas hin zu weisen, aufmerksam zu machen, ihn zu erinnern: Du bewegst dich nach meiner Ansicht nicht mehr im Islam - Das denke ich mal, ist legitim. Aber wenn ein anderer Mensch sagt: Ich weiß, aber lass mich - Dann muss man ihn lassen. Denn hier ist nicht die Rede davon, ihn durch Zwangsmaßnahmen von etwas abzuhalten. Die Frage der Mitverantwortung ist eigentlich eine sehr fortschrittliche und soziale Angelegenheit und steht dem Egotripp des modernen Menschen, in seinem Selbstverwirklichungstrieb vielleicht etwas entgegen. Aber an sich finde ich es eine gute Sache, sich auch für andere mitverantwortlich zu fühlen. Die Frage stellt sich nur: Wie weit darf das gehen? Darf ich eine Heirat einer Tochter mit einem Andersgläubigen verhindern? Darf ich sie töten, wenn sie einen anderen Weg einschlägt, als den, den der Islam gebietet? Ich meine, genau das ist der springende Punkt: Keiner darf hier eigenmächtig den Richter spielen, dafür gibt es die Justiz und die staatlichen Rechtsorgane. Aber hinweisen, jemanden darauf aufmerksam machen, dass er/sie sich vom eigentlichen Glaubesweg innerhalb des Islam entferne, denke ich, kann man durchaus akzeptieren. Das gibt es schließlich in anderen Religionen auch, wie im Christentum oder auch Judentum.
Gott gilt in diesem Rechtssystem als der oberste Gesetzgeber; sein Gesetz ist ein Teil der göttlichen Offenbarung im Koran. Unbestritten gilt im sunnitischen Islam der Koran als die primäre Quelle des Rechts. Es ist ein von Gott gewolltes, von ihm verordnetes Recht - offenbart nach islamischer Auffassung durch seinen Gesandten Mohammed. Der Koran enthält jedoch nur einzelne Anweisungen, die lediglich als Grundlage einer allgemeinen, umfassenden Gesetzgebung gelten können und von der Gelehrsamkeit stets als solche verstanden worden sind. Schon früh in der islamischen Geschichte trat daher neben den Koran als Quelle des Rechtes die Sunna - das vorbildliche Handeln und Reden des Propheten Mohammed - in den Vordergrund und war Mittelpunkt des Interesses der Rechtsgelehrsamkeit, außerkoranische Fragen des Rechts durch zunächst mündlich überlieferte Aussagen des Propheten interpretierend zu beantworten. Die Berichte über Verhalten und Worte Mohammeds wurden in den sogenannten Hadithen gesammelt. Später filterten islamische Theologen aus der unüberschaubaren Fülle dieser Hadithe nach bestimmten Regeln die als echt anzuerkennenden Überlieferungen heraus. Es entstanden die weitgehend noch heute anerkannten Hadith-Sammlungen.
Da die Sharia sich eben nicht nur und ausschließlich an dem Koran orientiert, sondern eben auch nach den überlieferten Hadithen, wird sie umfassender als die eher als nicht ganz so konkret gehaltenen Anweisungen des Korans. Der Koran zB. gebietet fünf mal am Tage zu beten. Aber nicht genau wann und wie....
Sollte man das, was der Koran nicht genau vorgibt, nicht besser so stehen lassen wie es offenbart wurde, anstatt es durch (unsichere) Überlieferungen schräfer, strenger und damit auch schwerer zu machen? Schließlich will es uns Gott doch leicht machen?
Die Schari'a unterteilt die Menschen und Völker je nach ihrem Glauben und ihrem Verhältnis zum islamischen Staat in verschiedene rechtliche Kategorien, die den Rechtsstatus einer Person festlegen:
Bürger des islamischen Staates:
Muslime - sie haben alle Rechte und Pflichten.
Dhimmis - Schutzbefohlene („Buchbesitzer“, Monotheisten), die eingeschränkte Rechte haben, Sondersteuern zahlen müssen, aber staatlicherseits geschützt sind und keinen Kriegsdienst leisten müssen.
Bürger fremder, nicht-islamischer Staaten:
Harbis - Nicht-Muslime, die sich im Kriegszustand mit den Muslimen befinden. Die Scharia gebietet es, diese Menschen zu töten. Frauen, Kinder und nicht am Kampf beteiligte Männer wie z.B. Mönche, sind jedoch gesondert geschützt. Rechte wie das Recht auf Eigentum haben Harbis nicht, so darf beispielsweise ihr Eigentum als Kriegsbeute genommen werden.
Sowohl Bürger des islamischen Staates als auch fremder Staaten werden als Mu'ahids bezeichnet, wenn sie nicht Muslime sind, sie aber den islamischen Staat anerkennen und einen Friedensvertrag mit ihnen geschlossen haben. Sie zu töten ist eine schwere Sünde, ihre Rechte müssen geachtet werden.
Über diese allgemeine Einteilung hinaus gibt es auch Unterschiede innerhalb der genannten Gruppe; so haben Frauen im islamischen Erb- bzw. Familienrecht nicht die gleichen Rechte wie Männer. Speziell im Erbrecht sind sie benachteiligt, haben auf der anderen Seite jedoch - anders als Männer - auch keine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Familienmitgliedern. Das islamische Völkerrecht (siyar) regelt die Rechtsstellung der nichtmuslimischen Frauen indes z. T. günstiger als die der nichtmuslimischen Männer.
Abweichungen je nach Land
Die Schari'a setzt sich aus den oben genannten verschiedenen Quellen zusammen. Dies führt dazu, dass leicht abweichende Schari'a-Versionen, je nach Region bzw. Land, im Gebrauch sind. Die genauen Regeln ergeben sich erst aus der Interpretation dieser Quellen. Lokale Traditionen, die in der Scharia integriert sind, gehen aber meist nicht so weit, dass sie im offenen Widerspruch zu den anerkannten Regeln der Scharia stehen. So kommt es, dass in Afghanistan unter den Taliban traditionelles paschtunisches Stammesrecht die Scharia beeinflusst hat, was beispielsweise nicht in Saudi-Arabien, dem Iran oder Jordanien der Fall ist.
Die fünf Kategorien
Die Schari'a als die Summe der islamischen Pflichtenlehre teilt die menschlichen Handlungen in fünf Kategorien ein, die wie angegeben bewertet werden:
pflichtmäßige Handlungen: (فرض fard oder واجب wādschib) – diese Handlung wird belohnt, ihr Unterlassen bestraft. Unterschieden wird zwischen persönlichen Pflichten (فرض العين fard al-ayn), denen jeder Muslim nachkommen muss, und gemeinschaftlichen Pflichten (فرض الكفاية fard al-kifāya „Pflicht des Genügeleistens“), bei denen es ausreicht, wenn eine ausreichende Anzahl der Muslime daran teilnimmt. In die erste Kategorie fällt z.B. das fünfmalige tägliche Gebet (صلاة, koranisch صلوة salat), in die zweite der Dschihad.
empfehlenswerte Handlungen: (مندوب mandūb oder مستحب mustahabb oder سنة sunna) – diese Handlung wird belohnt, ihr Unterlassen nicht bestraft.
erlaubte, indifferente Handlungen: (مباح mubāh oder halal) – das Individuum selbst kann über die Unterlassung bzw. Ausführung einer Tat bestimmen. Das Gesetz sieht in diesem Fall weder Belohnung noch Bestrafung vor.
verwerfliche, missbilligte Handlung: (مكروه makrūh) – es sind Handlungen, die das Gesetz zwar nicht bestraft, deren Unterlassung jedoch gelobt wird.
verbotene Handlung: (حرام harām) – der Täter wird bestraft, der Unterlasser solcher Handlungen gelobt.
Verbotene Handlungen werden durch die im Koran vorgesehenen Strafen (hudud) im Diesseits geahndet: Alkoholgenuss, Unzucht, die falsche Bezichtigung der Unzucht, Diebstahl, Geschlechtsverkehr zwischen Männern und die Apostasie; letztere wird vor allem durch die Sunna des Propheten Mohammed und nicht durch koranische Strafbestimmungen geahndet.
Zur Ausführung einer Handlung nach islamischem Recht gehören verschiedene Elemente, zu denen unter anderem die „Grundpfeiler“ (اركان arkān) gehören, ohne die die ganze Handlung hinfällig wird. Einer dieser Grundpfeiler ist die „Absicht“ (نية nīya): eine Handlung, der die Absicht fehlt, ist nichtig. Ebenso werden allgemein Handlungen stets nach der damit verbundenen Absicht beurteilt; dabei sollten Menschen es unterlassen, über andere Menschen zu urteilen, da aus islamischer Sicht nur Gott dazu in der Lage ist.
Am Vorhandensein der Elemente der Handlung erkennt der Jurist, ob sie rechtskräftig (صحيح sahīh) oder nichtig (باطل bātil) ist.
Geltungsbereich
Für viele Muslime und Islamgelehrte hat die Scharia einen universellen Geltungsanspruch. In einigen islamischen Ländern ist sie Grundlage der Gesetzgebung. Die verhältnismäßig wenigen kultischen Vorschriften gelten nur für Muslime; Angehörige anderer Religionen (siehe Dhimmi und Harbi) sind davon nicht betroffen, allerdings gelten in einigen Ländern in denen die Schari'a ganz oder teilweise Grundlage der Gesetzgebung ist, für sie spezielle, die Religionsfreiheit einschränkende Regelungen.
Geht es nicht um Verbote, sondern um den seltenen Spezialfall, dass bestimmte Handlungen verpflichtend sind (مكلف mukallaf), wird dies jeweils vermerkt. Meist muss man im Vollbesitz der geistigen Kräfte (عاقل `āqil) und volljährig (بالغ bāligh) sein.
In der Türkei wurde die Schari'a im übrigen mit der Verfassung vom 20. April 1924 unter Mustafa Kemal Atatürk abgeschafft. Andererseits ist es „unlogisch, widersprüchlich und unsinnig, wenn ein Mensch behauptet, er sei zwar Muslim, aber gegen die Scharia. Die Scharia ist ein heiliger Begriff. Islam und Scharia sind gleichbedeutend.“
In europäischen oder amerikanischen Ländern sowie in sonstigen nicht islamisch geprägten Ländern der Welt hat die Schari'a keine Rechtswirkung. Rechtliche Gültigkeit haben in den jeweiligen Ländern allein die jeweiligen Rechtsnormen der Staaten.
Mystische Bedeutung
Im Sufismus (islamische Mystik) hat die Schari'a einen Stellenwert als Basis für den Weg des Gottessuchenden. Weitere Stationen sind in der Reihenfolge: Tariqa (der mystische Weg), Haqiqa (Wahrheit) und Ma'rifa (Erkenntnis). Der bekannte Mystiker Ibn Arabi (1165-1240) beschreibt diese vier Stationen folgendermaßen: Auf dem Niveau von Schari'a gibt es „dein und mein“. Das heißt, dass das religiöse Gesetz individuelle Rechte und ethische Beziehungen zwischen den Menschen regelt. Auf dem Niveau von Tariqa „ist meins deins und deins ist meins“. Von den Sufis wird erwartet, dass sie sich gegenseitig als Brüder und Schwestern behandeln, den jeweils anderen an seinen Freuden, seiner Liebe und seinem Eigentum teilhaben lassen. Auf dem Niveau der Wahrheit (Haqiqa) gibt es „weder meins noch deins“. Fortgeschrittene Sufis erkennen, dass alle Dinge von Gott kommen, dass sie selbst nur die Verwalter sind und in Wirklichkeit nichts besitzen. Diejenigen, die die Wahrheit erkennen, interessieren sich nicht für Besitz und Äußerlichkeiten im Allgemeinen, Bekanntheit und gesellschaftlichen Stand inbegriffen. Auf dem Niveau der Erkenntnis (Ma'rifa) gibt es „kein ich und kein du“. Der einzelne erkennt, dass nichts und niemand von Gott getrennt ist.
Mein Resüme: Die Sharia hat gute Grundgedanken in sich, aber was ihre Anwendung und Art und Weise angeht, was daraus entstanden ist, macht den Islam als Glaubensform meiner Ansicht nach um einiges wesentlich komplizierter als er es von seinen Grundzügen nach dem Koran eigentlich sein sollte. Ich denke, ich habe hier aber mal eine ganze Menge an Informationen geliefert, über die es sich zu diskutieren lohnt !
Ursprünglich hatte ich selbst mal vorgehabt, einen Thread über Gedanken über die Sharia aufzumachen, aber es ist einerseits ein heißes Eisen und zum anderen hat mir inzwischen "pescado" diese Arbeit abgenommen... Aber wie gesagt, ich finde, dass das Thema lohnenswert ist, mal zur Diskussion zu stellen.