Welche prophetischen Aussagen stehen uns bevor?
04.12.2007 um 23:02
Als Belege für das Expansive und die Größenvorstellungen kommen bei Markus folgende Stellen in Betracht (Neues Testament, Übersetzung von Weizsäcker, Ausg. A, 10. Aufl., Mohr, Tübingen 1922 - Novum Testamentum graece et germanice. E. Nestle, 11. Aufl., Stuttgart 1921). 1, 10-12 (Berufung). 1, 22 (das Expansiv-Hochfahrende, mit "Vollmacht"). 2, 5-12 (Sündenvergebung - Anmaßung göttlicher Rechte als Sohn des Menschen; ähnlich Matthäus 9, 2, auch Lukas 5, 20-24, 7, 48-49). 2, 28 (Sohn des Menschen, Herr Über Sabbat). 3, 21 (von Sinnen; Beelzebub). 8, 29-38 (Christus, Sohn des Menschen). 9, 12 (Sohn des Menschen). 9, 31 (Sohn des Menschen). 9, 37 (mich gesandt hat). 10, 29 (um meinetwillen). 10, 33 (Sohn des Menschen). 11, 15-18 (Austreibung aus dem Tempel; Erstaunen im Volk 12, 6 ("einzigen geliebten Sohn"). 13, 1-2 (Tempelabbrechen; ist nur Weltuntergang gemeint ? Oder aktive Größenidee ? aus Ressentiment ?). 14, 21 (Menschensohn). 14, 61-65 (bin Messias). 14, 60 und 15, 4 (auch Matthäus 26, 62 und 27, 14): antwortet dem Hohenpriester und Pilatus nicht. Hochmut ? Göttlichkeitsbewußtsein ? 15, 23 (schlug Betäubung aus, wollte Reich Gottes erleben).
Für Größenbewußtsein spricht bei Matthäus: 4,16-17 (Berufung). 7,29 (Vollmacht). 8, 20 (Menschensohn). 8, 22 (Vater begraben ? folge mir). 8 26 (schilt Wind und Wellen). 9, 15 ("Bräutigam", d. h. Hauptperson). 9, 34 (Pharisäer: oberster der Dämonen). 10, 25 und 12, 40 und 13, 37 und 17, 9 (Sohn des Menschen). 12, 8 (Sohn des Menschen, Herr über Sabbat). 16, 16 (bin Christus; sagt es aber niemand). 16, 28 (Sohn des Menschen). 19, 28 (Weltrichter). 21, 4 (Beziehungsideen - Füllen). 21, 12 (Austreibung aus dem Tempel). 21, 19 (Fluch über Feigenbaum). 22, 13 (Ausstoßen, weil ohne Hochzeitskleid). 24, 2 (Tempel soll abgebrochen werden). 24, 27-44 (Sohn des Menschen, auf Wolken des Himmels). 25, 31 (Sohn des Menschen). 26, 24 (Sohn des Menschen, wie von ihm geschrieben steht). 26, 53 (Zwölf Legionen Engel). 26, 64 (bin der Messias). 27, 11 (König der Juden).
Als Belege für die Unheimlichkeitsstimmung (teils Verfolgungsideen, teils unbestimmtes Ahnen von Unheil, teils Gefühl, leiden oder sterben zu müssen) können folgende Stellen bei Markus dienen: 1, 35 (heimliches Entweichen bei Nacht, ohne zurück zu wollen). 1, 45 (einsame Orte). 3, 12 (will geheim bleiben, nicht Sohn Gottes genannt werden). 7, 24 (will verborgen bleiben). 9, 30 und 10, 33 (Menschensohn wird getötet werden). 10, 45 und 14, 24 (Leben zum Lösegeld für viele). 11, 19 (abends immer aus Jerusalem heraus). 14, 25 (nicht wieder Wein trinken - Weltende naht). 14, 33 (Zittern und Zagen in Getliseinane). Bei Matthäus: 10, 21-22 (Weltuntergangsstimmung). 16,21 (man muß leiden als Christus). 17, 22 (Sohn des Menschen wird getötet werden). 20, 18-19 (Sohn des Menschen wird verurteilt und gekreuzigt werden) [spätere Einschiebungen ?]. 20, 28 (Leben geben als Lösegeld). 26, 2 (Sohn des Menschen ausgeliefert zur Kreuzigung). 26, 27 (Gethsemane). Mit Vorsicht heranzuziehen ist auch Johannes 7, 20 (wollte mich töten, haßt den Dämon). Ferner bedeutsam die Angst vor dem Dämonischen: 1, 24-25 und 3, 11-12 und 5, 19.
Eng verflochten mit dieser Unheimlichkeitsstimmung, teilweise aus ihr gewachsen, ist seine Geheimnistuerei. Einige Belege noch aus Markus: 4, 10-1.2 und 4, 34 (Geheimnis des Reiches Gottes; Gleichnisse sollen verhüllen). 5, 43 (niemand soll von Jairi Töchterlein und ihrer Heilung erfahren). 8, 30 f. (Messias und Leiden soll geheim bleiben). 9, 10 und 10, 32 (unverständlich für die Jünger: überwältigt 11, 33 (will Vollmacht nicht nennen). Beleg aus Matthäus: 16, 16 (Christus; niemand soll es wissen).
Ungemein wichtig ist der Umstand, daß mit Jesus eine Veränderung gegen früher vor sich gegangen war, als er begann, öffentlich aufzutreten. Dies bezeugt Markus 6, 1--6 und Matthäus 13, 54-58. Man nimmt Anstoß an ihm in seiner Vaterstadt und glaubt nicht an ihn (bei Lukas bis zum Steinigen-Wollen transformiert und gesteigert; auch Markus 3, 21-30). Jesus ist keineswegs ruhig und selbstsicher, sondern sehr gereizt bis zum Verfluchen, wenn man ihm unreinen Geist vorwirft.
Die Persönlichkeit während der Psychose (wir kennen sie nur in ihr) wird überhaupt durch hochfahrende Reizbarkeit und durch Ichsucht besonders gekennzeichnet. Ichsucht nicht als Egoismus (für sich etwas haben zu wollen), sondern als Egozentrizität. Autismus (sich als Mittelpunkt fühlen, nur die eigene Welt kennen).
Für seine Reizbarkeit und sein übersteigertes Selbstgefühl (wir meinen hier also nicht die ausgesprochenen psychotischen Größenideen) sprechen die Stellen bei Markus: 1, 43 (fuhr ihn an). 5, 5 (Zorn). 5, 39 (schilt den Wind). 7, 27 (Fremde sind Hunde). 9, 42 (wer Gläubige ärgert: Mühlstein). 11, 12 (Verfluchung des Feigenbaums). 11, 15 (Tempelaustreibung). Bei Matthäus die Stellen: 9, 30 (fuhr sie an). 11, 30 (Fluch über ungläubige Städte). 12, 34 (Otternbrut). 16, 27 (Heiden sind Hunde). 23 (Zorn gegen Pharisäer). 25, 30 (wer nicht mit Talent wuchert, in die Hölle). Was nicht mit ihm ist, wird verflucht. Er liebt alles, was unter ihm steht, was sein Ich nicht demütigt: die einfachen Jünger, die Kindlein, die Schwachen, die Armen, die Kranken, die Zöllner und Sünder, die Mörder und Dirnen. Dagegen droht er allem, was anerkannt, mächtig, reich ist - deutliche Ressentiment-Stimmung. Dabei aber alles kindlich-autistisch, naiv, traumhaft. Für diesen weltfremden Autismus sprechen die Stellen: Markus 3, 33 und Matthäus 12, 48 (wer ist meine 'Mutter), Matthäus 8, 22 (Vater nicht begraben) und viele Stellen aus der Bergpredigt ,Matthäus 5-7.
Zum Grundstock der Persönlichkeit gehört nun noch ein Zug, der ganz deutlich herausfühlbar ist: Jesus war auch geschlechtlich ein abnormer Mensch. Dafür sprechen, außer seinem ganzen Lebenslauf, die Stellen Matthäus 19, 12 (das Eunuchen-Ideal), Markus 12,25 und Matthäus 22,30 (im Himmel wird nicht gefreit; Asexualität als Wunschtraum), sodann Markus 9, 43 und Matthäus 5, 29 sowie Matthäus 18, 8 (das Abhauen des Gliedes, das einen ärgert -gemeint sind gewiß nicht Hand und Fuß und Auge). Hier kann demnach sexuelle Triebschwäche vorgelegen haben wie fast bei allen Paranoischen (BLEULER). Oder abnorme Triebstärke bei inneren Hemmungen, jedenfalls Triebunsicherheit (vgl. KRFTSCHMER). Manches könnte auch als homosexuelle Ader gedeutet werden, rein psychisch verstanden, unbewußt.
Damit sind wir schon bei Zügen der ursprünglichen Persönlichkeit angelangt. Diese kennen wir der Kunde nach nicht, sondern müssen sie erschließen. Man geht gewiß nicht fehl, wenn man sich Jesus in seiner angeborenen Konstitution als einen extrem schizoiden Psychopathen vorstellt: überempfindlich, reizbar, ausfallend, zwischen autistischem Traumdenken und Rühr-mich-nicht-an einerseits und pathetischem Welt-Ich-Gegensatz hin und her pendelnd.
Mangel an Wirklichkeitsfreude, tiefer Ernst, Humorlosigkeit, Überwiegen des Depressiven, Verstimmten, Gespannten; kühl gegen andere, sofern sie seinem Ich nicht schmeicheln, kühl gegen die Mutter und Familie. Unausgeglichenheit: bald weich und ängstlich, bald gewaltsame Zornexplosionen, affektive Maßlosigkeit.
Grübler über Büchern, ohne Arbeitsfreude, voll innerer Unruhe. Die fanatische Unduldsamkeit des Schizoiden* gegen die Andersgläubigen. Dabei war er, nach antiken und modernen Begriffen, wissenschaftlich oder philosophisch fast ganz ungebildet, wie Binet-Sang ausführlich nachweist; er verfügte jedoch über ein gutes Gedächtnis und war ein visueller Typus, wie aus seinen Gleichnissen hervorgeht. Binet-Sangli betont den Mangel an Schöpferischem. Aber eine gewisse Phantasiebegabung, Beredsamkeit, Fähigkeit zu bildhaft-symbolischem Denken und Ausdruck wird man immerhin annehmen müssen.
Alles in allem: ein zwiespältiger, neurotisch gespannter Charakter, innerlich zerrissen und disharmonisch. Wie bei allen paranoischen Anlagen erhebt sich auch hier die Frage: Welcher Zug war konstitutionell der primäre? Das gesteigerte Selbstgefühl? Oder das Gefühl von Ohnmacht und Schwäche? Wir glauben, daß das Expansive primär war; daraus dann Konflikte mit sich selbst und mit der Umgebung, die beide das gesteigerte Ichgefühl herabgesetzt haben könnten. Also Selbstvorwürfe und Demütigungen. Und daraufhin dann wieder Überkompensation, Übersteigerung des Ich-Bewußtseins, der Ich-Darstellung vor sich selbst.
Nach Masturbation und Selbstniederlagen, die dem expansiven Stolz widerstritten, dann das Ideal der Geschlechtslosigkeit. Auch Selbstkastration zu Beginn der Psychose anzunehmen, wäre durchaus keine unbegründete oder gewagte Hypothese; nämlich gerade auf altjüdisch-apokalyptischen Vorstellungen fußend.
Was von den Halluzinationen im einzelnen zu halten ist, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Auch nicht, ob dem Mythus von der Taufe im Jordan und der Wüsten-Versuchung vielleicht doch Visionen, Erleuchtungs- oder Begnadungserlebnisse zugrunde liegen. Einzug in Jerusalem zweifellos das Ergebnis gesteigerter Erregung; Jesus steht psychotisch in Flammen. Auch für Laien und sogar Theologen hat dieser Einzug etwas Peinliches, Unsinniges. BINETSANC zitiert MICHON, I: "Un catholique, l'abbie Michon, s'est efforce de montrer que cette tentative de coup d'etat ne pouvait Atre que d'un fou ou l'oeuvre d'un Dieu." HIRSCH nennt die Szene auf dem Esel "absurd und lächerlich"; auch SCHWEITZER findet sie peinlich. Nur um die Messiasweissagung aus Sacharja IX, 9 zu erfüllen, und auch nur insgeheim für sich selbst und die jünger. Nirgends zeigt sich das Planlose, Ziellose des Psychotischen deutlicher als in Jerusalem; es fehlt in seinem Handeln jegliche Logik.
Was will Jesus eigentlich ? Es zerrt ihn bald dahin, bald dorthin. Weltliche Macht ? ja und nein. Messiasanspruch ? ja und nein. Herausforderung und Sterbenwollen ? Nein und ja.
Ein weiteres Problem: Warum antwortet Jesus weder dem Hohenpriester noch dem Pilatus? Hochmut und Größenidee? Todessehnsucht und Herausforderung des Leidens? Ungeduldige Erwartung des Reiches? Oder feindselige Stimmung und Trotz? Auch Affektstupor aus Ängstlichkeit kommt bei dem Kranken sehr in Frage, der aus seinen Träumen heraus plötzlich mit dem Staats- und Gruppenwillen hart zusammenprallt und aufschreckt.
In Jesus kämpfen ganz deutlich zwei Tendenzen: die biologische Todessehnsucht und die biologische Todesangst (Gethsemane), das Gefühl, "mein Ich muß sterben", und die Angst, nur nicht leiden. Ich-Untergangsgefühl, hinausprojiziert als Weltuntergangsgefühl, Opferidee, Größenwunsch und Messiastraum verschmelzen in eigenartiger Weise zu dem Schicksalsgefühl: du mußt dich opfern. Es zwingt ihn, ihm selber unheimlich, nach Jerusalem.
Die Diagnose paranoische Psychose - das muß uns genügen.
Vielleicht echte Paranoia, vielleicht auch Schizophrenie, noch ohne Zerfall, in der Form einer Paraphrenie*. Beginnende Schizophrenie wäre ebenfalls stark zu erwägen. Der Zug der Größenidee ins Metaphysische, Unirdische könnte dafür sprechen (EYRICH), ebenso die Stärke der Weltuntergangsgefühle, vielleicht auch noch das starke Befremden der Jünger, das Nicht-Einfühlbare an Jesus, das öfters auftaucht; doch könnte dies ebenso für das Psychotische allgemein gelten. Wenn man Schizophrenie annähme, so hätte eine zyklothyme* Konstitutionskomponente (erkennbar im Hypomanischen) vor raschem Zerfall bewahrt.