@GyatsoJigme GyatsoJigme schrieb:Buddhas Erklärungen decken sich übrigens mit den Erkenntnissen der Relativitätstheorie und Quantentheorie, nach denen die Eigenschaften der Materie abhängig vom Beobachter ist.
Das stimmt so nicht. In der Quantenmechanik erfolgt der Kollaps der Wellenfunktion im Zuge des Messaktes. Ein Messakt kann auch die Wechselwirkung mit einem Atom sein, das sich zufällig in der Nähe eines quantenverschränkten Zustands eines Teilchenpaares befindet und ist nicht zwingend von der Anwesenheit eines bewusst wahrnehmenden Beobachters abhängig. Im Übrigen erscheint es mir verfehlt, den Lehrsatz des bedingten Entstehens mit moderner Physik in Analogie zu bringen.
Buddhas "Wenn es dieses gibt, dann entsteht jenes" beschreibt lediglich Kausalität, aber nicht kollabierende Wellenfunktionen und hat darüber hinaus nichts mit Relativitätstheorie zu tun, wo es um Bezugssysteme geht. Vielleicht könnte man solche irreführenden Analogien besser unterlassen, wenn man philosophische Aspekte des Buddhismus' referiert. Ich hatte dazu schon einmal an anderer Stelle hingewiesen. Nicht, dass da ein falscher Eindruck enststeht ...
GyatsoJigme schrieb:Obwohl die Dinge sich ständig verändern, halten wir an unserer Vorstellung fest, dass sie wirklich, beständig und von uns getrennt sind.
Nein, das wäre wirklich eine sehr naive Sicht auf die Wirklichkeit. Dass die Dinge wirklich sind, ergibt sich aus dem offensichtlichen Umstand, dass sie Teil der Wirklichkeit sind, dass sie also - weil "Wirk"lichkeit auf unsere Sinne ein"wirkt" - wahrgenommen werden können und daher als "wahr" (an)genommen werden. So weit ist da nichts falsch oder irreführend.
Dass die Dinge unbeständig sind, lässt sich anhand beliebiger Gegenstände unserer Umwelt erkennen. Spätestens nachdem das erste Geschirrteil auf dem Boden zerbrochen ist, kann man ableiten, dass auch andere Gegenstände der Abnutzung und dem Zerfall unterworfen sind. Und ein Blick in die Landschaft mit verwitternden Steinen, die sich zu Sand und Flugstaub zerstreuen sowie zu alternden und sterbenden Pflanzen und Tieren, lässt die Annahme von Beständigkeit gar nicht erst aufkommen.
Was die Trennung betrifft, ist sie räumlich gegeben. Dass kausal und prozessual ein Stoffstrom auf der Erde stattfindet, der über hinreichend lange Zeiträume hinweg auch zu Vermischungen einst getrennter Atome führt, lässt sich aus einem Mindestmaß an Einsicht in Geologie und Biologie erkennen, wo es diverse Kreisläufe gibt (Wasserkreislauf, Kohlenstoffkreislauf, Stickstoffkreislauf usw.). Auch das ist also kein Punkt, der irgendwie der Allgemeinheit verborgen geblieben wäre.
GyatsoJigme schrieb:Sucht man nach etwas Zeitlosem und Beständigem, so findet man nichts.
Elementarteilchen kommen diesem Ideal schon sehr nahe. Und wenn man lange genug in die Zukunft schaut, löst sich unser Universum in eine Photonen-Leptonen-Wüste auf. Also diese Teilchen können schon für sich beanspruchen, ewig und unwandelbar zu sein, wenn der Big Freeze Realität geworden ist.
Alle Objekte sind leer von Eigenexistenz.
Hierzu müsste man klären, was mit "eigen" im Begriff "Eigenexistenz" gemeint ist. Buddha meinte damit, dass die Dinge leer von "An-sich-sein" sind, dass sie also nicht unabhängig von ihrem Kontext existieren, sondern in den Prozess des Werdens eingebunden sind, ja diesen als intrinsischen Bestandteil mit konstituieren.
GyatsoJigme schrieb:Doch was ist das "Ich"? Sucht man danach, so lässt sich nichts festmachen, was man als Ich bezeichnen kann. Das Ich ist leer von Eigenexistenz. Es ist weder beständig noch fest, so wie alles, was uns umgibt.
Das besagt lediglich, dass es keinen beständigen Kern gibt, den man als "Ich" bezeichnen könnte. Es lässt aber die Option offen, dass das "Ich" etwas Prozessuales ist, welches im Zuge des Wahrnehmungsprozesses die Funktion des Wahrnehmungssubjektes einnimmt. Und damit hätten wir die Frage, was das "Ich" denn sei, beantwortet: Es ist das Konstrukt des Wahrnehmungssubjekts im Kontext des Wahrnehmungsprozesses. Und dieses Konstrukt entsteht immer dann, wenn sich Wahrnehmung ereignet, ist also notwendigerweise etwas Prozessuales.
GyatsoJigme schrieb:Der fälschliche Gedanke es wäre anders, lässt uns leiden.
Nein, nicht der Gedanke, das "Ich" wäre etwas Beständiges oder Dauerhaftes lässt uns leiden, sondern das Bestreben, etwas Dauerhaftes zu finden, anhand dessen wir uns ebenso dauerhaft glücklich fühlen könnten. Mit dem "Ich" hat das weniger etwas zu tun als mit der Projektion der Glückserwartung auf Dinge, die "Nicht-Ich" sind. Menschen, die ihren Halt nicht in sich selber finden können, können nur aufs Neue enttäuscht werden. Was nötig ist, ist daher nicht die Einsicht in die Wandelbarkeit des Ich-Konstruktes, sondern die Wertschätzung desselben als Ausgangspunkt und Endpunkt jeglichen Glücksempfindens.
GyatsoJigme schrieb:Der ewige Teufelskreis der Industriegesellschaft.
... setzt sich fort, weil die Außenfixierung des Glückserwartens über diverse Werbestrategien ständig neu befeuert wird. Die Therapie muss also darin bestehen, diese Außenfixierung aufzuweichen, so dass diverse Modetrends nicht mehr verfangen, weil die inneren Werte als wertvoller betrachtet werden als zur Schau gestellte Äußerlichkeiten. Und das geht auch mit einem starken Ich-Konzept, statt mit einem Nicht-Ich-Konzept, wie es im Buddhismus praktiziert wird.
GyatsoJigme schrieb:In diesem Zustand lösen sich unsere begrenzten Vorstellungen und Begriffswelten auf. Wir denken nicht mehr in Entweder-oder-Kategorien, sondern sind mit allem verbunden und verweilen bewusst im Hier und Jetzt.
Und wenn die Einheitsschau vorbei ist, geht das Leben trotzdem weiter. Lesenswert dazu "Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen" von Jack Kornfield. Nach dem "Hier und Jetzt" geht es mit dem "Danach und dann danach" weiter. Was man aus der Einheitsschau mitnehmen kann, ist eine andere Sicht auf die Dinge des Lebens, eine andere Wertschätzung für das, was uns selbstverständlich erscheint usw., aber kein anderes Leben, denn Alltag ist trotzdem immer noch überall und immer wieder ...
GyatsoJigme schrieb:Man lebt mit dem Gedanken daran, das man im Anbetracht des Universums unbedeutend ist und es nichts materielles gibt, was einen dauerhaft zum Glück verhilft.
Das bekommt man auch ohne Erleuchtung hin. Frustrierende Erfahrungen, die das Leben so mit sich bringt, sind da ganz erhellend ...
:D