Stimmen im Kopf zu hören ist normal
06.06.2011 um 20:15
Das Grab des Kriegers
Jahrelang schon ging ich regelmässig in einen Wald ganz in meiner Nähe spazieren. Es war ein Ritual, der Griff zur Jacke, denn auch wenn es noch so heiss zu sein schien, so gab es in diesem Wald eine Stelle, die kühl genug war um auch im Sommer nach einer Jacke zu verlangen. Dort, wo man den Wald betrat, konnte man erst einmal die verschiedenartigsten Laubbäume sehen. Doch je tiefer man hineinging, umso mehr sah man Tannenbäume, bis auch der letzte Laubbaum ihnen Platz gemacht hatte und der Wald dunkel und kalt schien. Nur hin und wieder schaffte es die Sonne, einen feinen Lichtstrahl durchzulassen, der den Staub beleuchtete, so dass man erkennen konnte, wie er sich einen Weg bis auf den Boden bahnte. Der Waldboden selbst war weich, ein Kissen aus herabgefallenen Nadeln, und der Geruch der Tannen begleitete mich jedesmal, wenn ich in diesen Teil eintrat und, so fühlte ich es zumindest, auch wenn ich den Wald wieder verliess.
Inmitten diesem dunklen Teil des Waldes stiess ich eines Tages auf einen Stein. Noch nie war er mir aufgefallen, doch an jenem Tag schien ein kleiner Lichtstrahl genau auf diesen Stein, und ich war erstaunt, dass ich ihn vorher noch nie gesehen hatte. Efeu umrankte den unteren Teil davon, was mich verwunderte, denn wie konnte diese Pflanze hier in dieser Dunkelheit so wuchern, und der obere Teil des Steines war frei davon, so als hätte jemand ihn gesäubert. Ich ging näher heran, mit kleinen federnden Schritten die leicht im Waldboden einsanken, darauf bedacht, nicht über eine Wurzel zu stolpern. Es schien mir, als könnte ich eine Inschrift erkennen... und ja, da standen die Worte: „Hier ruht Kalim, der Krieger des Lichts...“ weiter konnte ich nichts erkennen, und gerade als ich den Rest des Steines vom Efeu befreien wollte um die Inschrift ganz zu lesen, hörte ich Gebell und Geschrei und Erwachsene sprechen. Eine Familie hatte sich diese Stelle für ihren Sonntagsspaziergang auserkoren, ohne Achtung auf die Stille, die diesen Wald so unberührt erschienen liess, und meine eigene Ruhe war dahin. Ich trat auf den kleinen Pfad hinaus und machte mich auf den Heimweg. Mein Nicken als Antwort auf die laute Begrüssung der Familie, als diese mir begegnete, war alles andere als begeistert, wollte doch wenigstens ich der Stille meinen Respekt zeigen.
Einige Tage vergingen, bevor mich die Lust überkam, meinen Spaziergang in den Wald wieder aufzunehmen. Erst als ich diesen schon betreten und mir die Jacke über die Schultern gezogen hatte, erinnerte ich mich wieder an den Stein, an den Grabstein um genau zu sein, und sah mich um, damit ich dieses Mal nicht achtlos daran vorbeilaufen würde, wie ich es so lange Zeit getan hatte. Glücklicherweise schien auch dieses Mal die Sonne und ein Lichtstreifen erleuchtete den oberen Teil des Steines, so dass ich ihn gleich erkennen konnte. Ich wollte gerade den Pfad verlassen als ich feststellte, dass ich nicht alleine war. Eine alte Frau hockte neben dem Stein und war damit beschäftigt, diesen vom Efeu zu befreien, so dass der ganze Schriftzug zu lesen war. Sie hörte meine Schritte, drehte sich um und begrüsste mich mit einem Lächeln, das ich trotz der Dunkelheit erkennen konnte. „Kommen Sie auch, um seiner zu gedenken,“ fragte sie mich freundlich, und nickte zum Grabstein hinüber. Ich schüttelte den Kopf. „Ich kenne ihn ja nicht einmal,“ meinte ich bloss, „ich habe ja erst vor kurzem festgestellt, dass hier ein Grabstein steht.“ Ich näherte mich der Frau und dem Grabstein, enttäuscht darüber, dass noch nicht mehr vom Stein befreit worden war um meine Neugier zu stillen. „Wer ist hier überhaupt begraben,“ fragte ich, „und warum ist er gerade hier begraben.“
Sie stand auf, steckte das Messer in eine Scheide und strich ihren Rock glatt. So wie sie mich betrachtete, nahm ich mir die Zeit auch sie genauer anzusehen, ihre grauen Haare, ihr Gesicht von Falten übersät, in denen man die Sorgen aber auch die guten Momente vergangener Zeiten ablesen konnte. „Haben Sie etwas Zeit,“ erkundigte sie sich und zeigte auf einen Baumsstumpf, „dann könnten wir uns setzen und ich erzähle ihnen, was es mit dem Krieger des Lichtes auf sich hat.“
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Vor langer Zeit schon war die Stadt eine grosse Stadt, nur fängt die Geschichte nicht hier an, sondern etwas weiter entfernt, in einem kleinen Dorf, in welchem Kalim geboren wurde. Er wuchs als einziger Sohn mit drei Schwestern auf, und während diese dazu erzogen wurden, später gute Ehefrauen zu sein, so wurde er von seinem Vater darin geschult, ein grosser Krieger zu werden. Er lernte den Schwertkampf ebenso sehr wie sich mit blossen Fäusten zu verteidigen, und als er etwas grösser war, schickte ihn sein Vater zum Dorfmagier, damit er auch die Zauberkraft beherrschen könne.
Kalim war ein eifriger Schüler und ein guter und schneller Kämpfer. Und auch wenn ihm die Arbeit mit der Zauberkraft viel Spass zu machen schien, so gab es doch einen Spruch, der ihm am meisten am Herzen lag. Und wenn er abends im Bett lag und eigentlich schlafen sollte, zog er sich die Decke über den Kopf und flüsterte:
Je tiefer der Schatten
Umso heller das Licht
Bis dieser Schatten
Im Schein der Sonne erlicht
In seiner Handfläche erschien dann eine kleine leuchtende Kugel, nicht grösser als eine Kirsche, die das kleine Zelt, das sich Kalim mit der Decke gebaut hatte, völlig erleuchtete. Stundenlang konnte der Junge dieses Licht betrachten, so als hätte er in den Himmel gegriffen und einen Stern davon heruntergeholt, und noch ahnte er nicht, wie wahr dieser Gedanke war.
Kalim wuchs zu einem stattlichen Burschen heran. Und während in dem Dorf viele der Kinder spielten, wandte er sich von ihnen ab, und übte sich im Kampf, um noch schneller, noch stärker und noch unbesiegbarer zu werden. Er konnte die Spiele der anderen nicht verstehen, tat sie als Kindereien ab, schüttelte den Kopf über sie, erst in Unverständnis, und dann in Verachtung.
Als Kalim alt genug war, nahm ihn sein Vater beiseite und erzählte ihm von der Stadt, in welcher junge Männer zu Kriegern ausgebildet würden. Dann stattete er ihn mit dem notwendigen Proviant für die Reise zu jenem Ort aus und gab ihm das wenige Geld, das er zusammengespart hatte, so dass sich Kalim späterhin ein Schwert kaufen könne, das ihm und seiner Kampfkunst gerecht werden würde. Kalim verabschiedete sich bei seiner Familie und als er seine jüngste Schwester ein letztes Mal in den Arm nahm, flüsterte diese in sein Ohr, „bist du sicher, dass du ein Krieger werden möchtest? Wäre es nicht schöner, hier zu bleiben, die junge Frau am anderen Ende des Dorfes zur deiner Geliebten zu machen und mit uns zusammen hier alt zu werden?“ Kalim löste sich aus der Umarmung und sah seine Schwester voll Trauer an. „Armes Kind,“ meinte er dann kopfschüttelnd, „wenn es keine Krieger gibt, wer würde dann Leute wie dich beschützen?“ Und somit verliess er sie, erleichtert darüber, das Dorf zu verlassen, seine Familie und auch die naiven Gedanken seiner kleinen Schwester hinter sich zu lassen.
Der Weg zur Stadt war nicht so weit wie er mühsam war. Zwischen dem Dorf und der Stadt lag eine kleine Bergkette, die es zu überwinden galt, dahinter dann kam ein Wald den man durchqueren musste, ein Wald in dem es eine Stelle gab, von der man die seltsamsten Geschichten hörte. Es hiess, sofern man dem ängstlichen Flüstern Vertrauen schenken konnte, dort wäre es so dunkel, dass nur Schatten dort hausen würden, die Schatten jener, die nie zurückblickten und dem Weg ins Licht gefolgt wären. Und Kalim lächelte über diese Geschichten, tat sie als Ammenmärchen ab, die man Kindern erzählte, um sie zu ängstigen, des Nachts die Hütte zu verlassen. Doch wenn er abends eine Rast von seinem Marsch einlegte, dann flüsterte er:
Je dunkler der Schatten
Umso heller das Licht
Bis jener Schatten
Im Schein der Sonne erlicht
Und wieder erschien ein kleiner heller Stern, nicht grösser als eine Kirsche, auf seinem Handteller und beleuchtete die Umgebung, so dass er um sich sehen und Gefahren gleich erkennen konnte. Doch nichts griff ihn auf seinem Weg über die Bergkette an.
Am Fusse der Berge konnte man die ersten Bäume erkennen, die dann zu einem immer dichteren Wald zusammenwuchsen. Kalim wollte gerade bei diesen ersten Bäumen eine Rast einlegen, als ihm eine kleine Truppe von Männern entgegenkam. Sie grüssten ihn freundlich und luden ihn ein, mit ihnen zusammen zu Abend zu essen. „Wohin führt dich dein Weg,“ fragte ihn späterhin einer der Männer. „Ich reise zur Stadt, weil dort wahre Krieger ausgebildet werden, und ich habe lange Jahre geübt um ein solcher Krieger zu sein,“ erwiderte Kalim nicht ohne Stolz. Korad, so wie sich der jüngste von der Truppe vorgestellt hatte, nickte gedankenvoll. „Du sprichst von den Kriegern des Lichts,“ meinte er nachdenklich, „ja, das sind grosse Krieger und es dauert lange, bis die Lehre beendet ist.“ Kalim betrachtete jeden der Männer und wurde sich bewusst, dass jeder einzelne von ihnen einen Krieger hätte sein können. Waren sie etwa zu einem Kampf unterwegs, bedacht darauf, nicht erkannt zu werden? Sein Blick verharrte auf dem Grössten von ihnen, Jörde genannt. „Und ihr,“ fragte er, „seid ihr etwa solche Krieger?“ Jörde lächelte ihn an und schüttelte den Kopf. „Nein,“ meinte er dann schliesslich, „wir sind zwar Krieger, aber nicht jene Krieger des Lichts, die dort ausgebildet werden.“ – „Für mich wäre das nichts,“ meinte ein anderer der Männer, hager im Aussehen doch sehnig und somit bestimmt ausdauernd, „ich halte es für unsinnig, die Schatten bekämpfen zu wollen.“
Noch lange redete Kalim mit den Männern, fragte sie dieses und jenes und erzählte ihnen auch von seinen eigenen Erfahrungen und Kenntnissen. Und als letztes streckte er seine Hand aus und sprach, etwas lauter als das Flüstern, welches er unter seiner Decke geäussert hatte:
Je tiefer der Schatten
Umso heller das Licht
Bis jener Schatten
Im Schein der Sonne erlicht
Die Kugel, die auf seiner Handfläche erschien, war nun etwa so gross wie eine Pflaume, und leuchtete hell bis in den Wald hinein. Und während die Männer sich zum Schlafen hinlegten, betrachtete Kalim das Licht der Kugel, bis seine Augen die Dunkelheit um ihn herum nicht mehr wahrnehmen konnten. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er zuckte erschrocken zusammen. Der Hagere der Männer stand hinter im und schüttelte den Kopf. „Lösche das Licht,“ meinte er leise, „und wenn ich du wäre, würde ich es nicht mehr rufen.“ Kalim sah ihn erstaund an. „Warum,“ fragte er, „es ist doch schön und macht sogar diese Nacht zum Tage.“ Lorian, der Hagere, schloss seine Augen. „Je mehr du in das Licht schaust, umso weniger wird dir bleiben, um dich im Dunkeln zurechtzufinden,“ meinte er sanft. Dann legte er die Hand, die noch zuvor auf Kalims Schulter geruht hatte, über die Lichtkugel und murmelte:
Zerstörst du den Schatten
So wird er dich zerstören
Doch ehrst du ihn und bekämpfst ihn nicht
So wirst du einst dir selbst gehören
Kalim spürte, wie das Licht immer kleiner wurde bis es schliesslich gänzlich erlosch. Nichts blieb von der Helligkeit und Lorian liess den jungen Mann in der Nacht zurück, wo dieser den Blick hob und zu den Sternen hochblickte, die da am Firmament funkelten wie die Kugel Augenblicke zuvor in seiner Hand.
Als Kalim am nächsten Morgen erwachte, war er allein. Die Männer hatten den Rastplatz schon verlassen, doch hatten sie ihm ein grosses Stück Brot und einen Krug Bier hingestellt, so dass er sich vor dem Antritt seiner Reise durch den Wald doch stärken konnte. Er ass das Brot, doch trank er von dem Wasser, das er mitgenommen hatte und wunderte sich darüber, dass solche Männer, die sich als Krieger darstellten, dem Alkohol fröhnten. Das Bier liess er zurück, als er den Wald betrat.
Die Reise durch den Wald verlief ohne Zwischenfälle. Obwohl die Vögel Kalim auf seinem Weg begleiteten und in ihren zwitschernden Lauten miteinander zu diskutieren schienen, war der junge Mann darauf bedacht, seinen Weg nicht aus den Augen zu verlieren um so schnell wie möglich zur Stadt zu gelangen. Kalim wusste, dass ihn nur noch diesen Wald davon trennte, durch die Stadtmauern einzutreten und seine Lehre zum Lichtkrieger anzunehmen. Seine Gedanken wurden plötzlich von dem Gefühl unterbrochen, dass es auf einmal kälter war und als Kalim den Blick hob, wurde ihm erst bewusst wie dunkel es um ihn herum war. Der Laubwald war einem Nadelwald gewichen, der kaum das Licht der Sonne durchliess, nur hin und wieder schaffte es ein Lichtstrahl bis auf den Boden, seinen Weg durch den Staub als kleine leuchtende graue Strasse gezeichnet. Und auch dieses Licht schwand und Kalim musste wohl oder übel eine Rast einlegen um so bei neuem Tageslicht seine Reise fortsetzen und somit beenden zu können.
Er legte sich auf dem weichen Waldboden nieder, sog den würzigen Tannenduft ein und beobachtete, wie auch die letzten Lichtstrahlen ihren Kampf durch die Bäume verloren und es gänzlich dunkel wurde. Dann streckte er seine Hand aus und sprach, wieder um ein klein wenig lauter als er es bei den Männern getan hatte:
Je dunkler der Schatten
Umso heller das Licht
Bis jener Schatten
Im Schein der Sonne erlicht
Und nun war die Lichtkugel in seiner Hand so gross wie ein Apfel und leuchtete hell in den Tannenwald hinein. Und doch wurde Kalim bewusst, dass irgendwo das Licht endete und die Dunkelheit darauf wartete, dass die Kugel in seiner Hand erlosch.
Als Kalim erwachte, war es immer noch recht dunkel um ihn. Die kleinen Lichtstrahlen, die die Bäume durchliessen, zeigten ihm jedoch, dass der Tag angebrochen war und so machte er sich wieder auf den Weg zur Stadt, teils auch froh, diesen unheimlichen Wald hinter sich zu lassen. Dabei schüttelte er den Kopf über sich selbst, weil er sich doch von den Ängsten jener, die diese Ammenmärchen über den Wald erzählten, hatte anstecken lassen. Als er aus dem Wald trat nahm er sich vor, die Gedanken um die Geschichten ebenso hinter sich zu lassen, wie den Wald selbst.
Schlussendlich stand er vor den Stadtmauern, und ging auf das grosse, geöffnete Tor zu. Zwei Wachposten standen je rechts und links daneben und während der eine ihm nur zunickte, trat der andere vor ihn und fragte ihn nach seinem Begehr. „Ich bin hier, um Krieger des Lichtes zu werden,“ erklärte Kalim, „wo finde ich die Gebäude der Krieger, so dass ich mit meiner Lehre beginnen kann?“ Die Wache gab ihm freundlich Auskunft und liess Kalim durch. Endlich trat er in die Stadt ein.
Viele Menschen waren auf den Strassen zu sehen, teils beschäftigt, ihre Waren dem Vorbeigehenden anzubieten oder etwas Gekauftes nach Hause zu bringen. In den offenen Räumen verschiedener Läden oder Schmieden konnte man den Menschen bei der Arbeit zusehen. Kalim sah sich um, die Gilde der Lichtkrieger suchend, von der die Wache gesprochen hatte.
„Kann ich helfen,“ hörte Kalim plötzlich eine Stimme. Er drehte sich um und sah eine junge Frau, mit langen dunklen Haaren und blauen Augen, deren Funkeln Kalim an die kirschgrossen Kugeln erinnerten, die er als Kind unter seiner Decke gezaubert hatte. Sie lächelte und stellte sich vor, „ich bin Sonara, und ich bin hier aufgewachsen.“ Sie sah ihn eindringlich an, ohne dass ihr Lächeln je von ihren Lippen oder ihren Augen verschwand. „Du aber scheinst hier neu zu sein,“ fuhr sie fort, „wenn ich dir also helfen kann, dann sag mir bescheid.“ Kalim schloss seine Augen für einen Augenblick, und, nachdem er festgestellt hatte, dass ihm sein Unterkiefer auf die Brust gesunken war, schloss er auch den Mund. Er schluckte und öffnete wieder seine Augen. Die junge Frau stand immer noch vor ihm und in seinem Kopf krochen die Worte hervor, die seine Schwester ihm ins Ohr geflüstert hatte... ‚Geliebte... zusammen alt werden.‘ Er schüttelte den Kopf um seiner Gedanken wieder Herr zu werden. „Ja, wahrlich,“ sprach er schliesslich, „du kannst mir helfen. Ich suche die Gilde der Lichtkrieger, denn ich...“ Sonaras Lächeln erstarb und Kalims Worte blieben unausgesprochen. „Ach, die,“ meinte sie plötzlich kalt, „da musst du nur um die Ecke gehen, dann wirst du sie erkennen... in all ihrer Pracht.“ Die junge Frau drehte sich abrupt um und liess Kalim alleine zurück. Er hob seine Hand doch liess sie schnell wieder sinken. Alles was nun zählte war die Gilde und sein Wunsch ein Lichtkrieger zu werden.
Gleich um die Ecke fand Kalim das Gebäude der Gilde. Das Gebäude an sich war nicht wirklich aufsehenerregend, nur prangte über dem Tor eine goldene Sonne, die den Schein der Sonne am Himmel geradezu ungefiltert zurückwarf und jeden blendete, der darauf zuging. Kalim schloss seine Augen zu einem schmalen Spalt um den Eingang zu erreichen und dabei kam ihm der Gedanke in den Sinn, eine Lichtkugel zu erschaffen, die genau so hell leuchtete, wie dieses zurückgeworfene Licht. Immerhin konnte er mit seiner Kugel etwas, das die Sonne nicht konnte, nämlich die Nacht erleuchten. Er erreichte das Tor und verwarf schnell den Gedanken wieder. Diese Zauberei war nicht gedacht, um damit zu prahlen. Und während er durch den Eingang schritt, liess er den spielerischen Gedanken zurück.
Kalim wurde erst geprüft, seine Kampfkunst war beachtlich, doch wusste auch er, dass er noch viel zu lernen hatte. Ihm wurde ein Schwert gegeben und so musste er das Geld nicht für ein solches ausgeben. In seinem kleinen Zimmer versteckte er es unter der Matraze seiner Schlafstatt, um es für magere Zeiten aufzuheben. Während er hier in der Gilde zur einem stattlichen Mann weiter heranwuchs und weiter in Kampf unterrichtet wurde, blieb ihm kaum Zeit an etwas anderes als sein Ziel zu denken: die Gilde als Krieger des Lichtes zu verlassen.
Doch kam der Winter und ausser einigen Übungsstunden in einem eigens dafür angefertigten Saal gab es nun viele Stunden der Musse, da es schnell zu dunkel wurde und es ausserdem zu kalt war, um ausserhalb der Mauern zu kämpfen. So sprach Kalim eines Tages einen seiner Lehrer an, ob er hier auch weiter an seiner Zauberkraft arbeiten könne. Coldrán, sein Schwertmeister, sah ihn erstaunt an. „Ah, zaubern kannst du auch,“ meinte er interessiert, „dann werde ich doch unserem alten Meister Kundar bescheid sagen, dass er einen neuen Schüler hat.“
Und so nutzte Kalim die dunklen Stunden des Winters, um sich weiter in die Zauberei einweisen zu lassen und erfreute Kundar mit seinem Interesse und seinem Geschick. Und doch, wenn der angehende Krieger sich abends in sein Gemach zurückzog, überkam es ihn hin und wieder, sich unter die Decke zu verkriechen und zu flüstern:
Je tiefer der Schatten
Umso heller das Licht
Bis jener Schatten
Im Schein der Sonne erlicht
Und da war sie wieder, die kleine Kugel, nicht grösser als eine Kirsche, die den Raum unter der Decke erhellte bis sich Karim in ihrem Leuchten verlor und entschlief.
Eines Tages kam einer der anderen Schüler zu ihm und lud ihn ein, den Abend mit seinen Freunden zu verbringen. Tari war ein lustiger Kerl, immer zum Scherzen aufgelegt, der schon desöfteren wegen seiner Scherze und Spässe von den Meistern bestraft worden war. Doch immer kehrte er gut gelaunt von diesen Strafen zurück, ob er nun eingesperrt worden oder zum Latrinewaschen verdonnert worden war. Es schien ihm nichts auszumachen, die Konsequenzen seiner Taten auszubaden und er erklärte dies immer augenzwinkernd mit den Worten, „die wahre Strafe wäre es doch, dass man ein Mittel finden würde, dass ich keine Spässe mehr treiben könnte.“ Nun stand Tari vor der Tür des kleinen Raumes in welchem Kalim schlief oder des nachts das Leuchten seiner kleinen erschaffenen Kugel betrachtete und bat ihn, Tari und seine Freunde zu einem Mitternachtstrunk zu begleiten. Doch Kalim lehnte ab. „Morgen gibt es wieder viel zu tun, und ich will ausgeschlafen sein, damit ich meinen Aufgaben gerecht werden kann,“ meinte er etwas missmutig, doch Tari liess sich nicht abwimmeln. „Ach komm,“ meinte er lachend und legte ihm die Hand auf seine Schulter, „was willst du denn im Winter hier viel tun? Ich wette auch du bist gelangweilt und wärest doch froh, mal aus diesen Wänden hier herauszukommen und etwas Spass zu haben, bei Bier oder Met oder bei den vielen jungen Fräuleins, die sich ebenso langweilen. Wer weiss, vielleicht ist ja die richtige für dich dabei, die dich von deiner Verbohrtheit, ein Lichtkrieger zu werden, ein wenig ablenkt. Und es wäre ja nicht so, als würde es dir an Geld mangeln,“ Tari schaute an Kalim vorbei auf das Bett, unter dessen Matraze das Geld versteckt war. Kalim riss sich wütend los. „Ich habe besseres zu tun,“ schrie er Tari an, der etwas erschrocken zurückwich, „lass mich bloss in Ruhe, und betritt nie mehr meinen Raum.“ Er machte einen Schritt zurück, so dass er die Tür mit einem lauten Knall zuschlagen konnte, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen.
Tage vergingen, Wochen vergingen und so verging auch der Winter und machte einem wunderbar milden Frühling Platz. Man hatte das Gefühl, ein Aufatmen bei jedem zu hören, der wieder einen Schritt vor die Tür wagte, um die ersten Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht zu spüren. Auch Kalim freute es, wieder nach draussen gehen zu können, bedeutete dies doch, dass die Kampfübungen wieder regelmässiger stattfinden konnten. Als er eines Tages auf dem Übungsplatz stand, konnte er Taris Worte hören, wie jener zu seinen Freunden sprach. „Es tut gut, wieder Licht zu sehen, mir schien, der Winter war dieses Jahr dunkler als sonst,“ meinte er nachdenklich, und seine Freunde nickten. „Ja,“ meinte ein kleiner dicker Junge, bei dem sich Kalim wunderte, wie er überhaupt ein Schwert halten konnte, „es war, als wären weniger Sterne am Himmel zu sehen gewesen. Ob es damit zu tun hat, dass es mehr Schatten gibt als früher.“ Kalim machte einen Schritt auf die Schüler zu, nicht sicher, ob er sich nach der Auseinandersetzung mit Tari überhaupt einmischen sollte. „Das mit den Schatten, die sich vermehren, ist doch Quatsch,“ meinte er dann doch mit einem Blick auf Tari, „es gibt doch soviele Lichtkrieger, die diese Schatten bekämpfen. Warum sollten es also mehr geben?“ Die Blicke aller richteten sich auf Tari, als hätte er eine Antwort auf diese Frage. Doch dieser schüttelte nur den Kopf. „Vielleicht kann uns der Krieger helfen, der gestern in der Stadt angekommen ist. Man hört, er habe seltsame Erfahrungen gemacht und wird bestimmt in einer Absteige hier zu finden sein. Wer will, kann heute abend ja mitkommen, wenn ich ihn suche,“ und mit einem Augenzwinkern wandte er sich an Kalim, „und vielleicht hat unser neuer Freund hier ja dieses Mal weniger Hemmungen, sein Geld mit uns zu teilen.“
Nach dem Abendessen zog sich Kalim erst einmal in seinen kleinen Raum zurück. Er griff unter die Matraze, fand den Geldbeutel und setzte sich aufs Bett. Dabei wog er den Beutel in seiner Hand, so als würde er den Preis abwägen, dem ihm die Nachrichten dieses Kriegers wert wären. Abgesehen vom Gewicht des Schwertes war ihm noch nie wirklich das Gewicht von etwas in der Hand besonders aufgefallen. Die Lichtkugeln wogen nichts, da sie genaugesehen direkt über seiner Handfläche schwebten. Und nun fragte er sich, ob es nicht das Gewicht des Geldes sei, das dieses Mal Licht in etwas dunkles bringen konnte. Immerhin hegte Tari scheinbar keinen sonderlichen Groll gegen ihn und das trotz seines damaligen Ausbruchs. Kalim öffnete den Beutel, nahm einige Münzen heraus, um sicherzugehen, nicht alles zu verprassen, steckte den Beutel in die Tasche und die Münzen wieder unter die Matraze. Dann griff er nach seinem Umhang, weil es ja dennoch frisch zu dieser Jahreszeit war, und er verliess sein Zimmer.
Unten in der Halle wartete Tari schon mit seinen Freunden auf Kalim. Mit einem entschuldigenden Schulterzucken und einem scheuen Lächeln griff Kalim in seine Tasche und zog den Geldbeutel hervor. Tari lachte und wandte sich zur Tür. Als sie das Gebäude verliessen, schubste er Kalim an und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Dein Geldbeutel sieht mir aber leichter aus als er war, als ich ihn zuletzt gesehen habe,“ meinte er mit einer Kinnbewegung auf Kalims Hand. Dieser steckte den Geldbeutel, den er immer noch in der Hand hielt, schnell in seine Hosentasche. „Nun ja,“ meinte er schulterzuckend, „muss denn alles zum Spass draufgehen?“ Tari klopfte ihn freundschaftlich auf die Schulter. „Wer weiss, wann du noch einmal die Möglichkeit haben wirst, guten Freunden ein Bier zu bezahlen,“ meinte er, und nun sah sein Lächeln irgendwie traurig aus.
Auf dem Weg zur Pinte wurde den Freunden bewusst, dass der Frühling doch immer noch ein Stückchen Winter in sich trägt, ebenso sehr in der Kälte wie in der Dunkelheit, die doch schnell hereinbrach. Kalim hielt den Umhang fest an sich, um weniger kalte Luft heranzulassen und zog auch die Kapuze hoch, um seine Ohren etwas zu wärmen. So trat er hinter den anderen Schülern schlussendlich in die Kneipe. Er sah, wie Tari sich umsah, um nach dem Krieger zu suchen, von dem die ganze Stadt sprach, doch es war Kalim der ihn als erster sah und auch erkannte. Er sah die hagere Gestalt des Kriegers, der damals bei der Truppe von Männern war, die ihm vor dem Wald begegnet war: Lorian. Zischend sog Kalim die Luft zwischen den Zähnen ein, und er entschied sich, die Kapuze nicht herunterzuziehen um nicht von dem Krieger erkannt zu werden. Während Tari Lorian begrüsste, setzten sich die Freunde um den Tisch und Kalim entschied sich für einen Stuhl, der etwas weiter weg im Schatten stand, wenn auch immer noch nah genug, um dem Gespräch folgen zu können.
„Wir haben gehört, dass es beunruhigende Nachrichten gibt,“ sprach Tari den Krieger an und Lorian nickte. „Anfangs merkte es kaum jemand,“ meinte Lorian, „doch inzwischen ist es klar, dass es sich nicht um Geschichten betrunkener Männer handelt.“ Der dicke Schüler schob dem Krieger einen Bierkrug hin. „Wie denn,“ fragte er etwas ängstlich, „was passiert denn? Sind die Schatten mehr geworden? Müssen wir in den Krieg gegen sie ziehen? Wir sind doch noch gar nicht fertig mit der Lehre, wir sind doch noch keine Lichtkrieger, ich bin noch nicht bereit,“ sein Gesicht zeigte klar seine Angst und seine Stimme verlor sich in Höhen, die sich nicht für einen angehenden Krieger ziemten, wie Kalim fand.
„Worum geht es denn,“ fragte Tari schlussendlich und erlöste Kalim somit von seiner Ungeduld, „was ist denn passiert?“ Lorian holte tief Luft. „Die ersten Anzeichen waren jene, dass Reisende sich immer öfter verirrten. Dies ist ungewöhnlich, denn wer sich hier auf eine Reise begibt kennt sich mit Sternen bestens aus und weiss so, auch im Dunkeln seinen Weg zu finden. Wenn man sie nun ihrer Unkenntnis wegen belächelte, verteidigten sie sich, indem sie sagten, die Sterne wären verschwunden, man könne die Sternbilder nicht mehr erkennen. Ihr könnt euch vorstellen, dass sie damit nur Lacher ernteten.“ Lorian griff zum Bierkrug und nahm einen Schluck. Jeder wartete darauf, dass er mit seiner Geschichte fortfuhr. „Aber dann gab es auch sehr ernsthafte Reisende und Krieger, die dasselbe berichteten. Man erkannte die Sternbilder nicht mehr, weil hier und da ein Stern fehlte. Und irgendwann waren ganze Sternbilder verschwunden.“ Tari sah ihn nachdenklich an. „Und was bedeutet das für uns? Was passiert, wenn keine Sternbilder mehr da sind,“ fragte er schliesslich. Der Krieger zuckte die Schultern. „Was weiss ich,“ meinte er mutlos, „ich bin nur ein einfacher Krieger. Ich weiss nur, dass dann die Nächte uns keinerlei Möglichkeiten geben, sich zurechtzufinden und dies wird es sein, das die Schatten, die es zu bekämpfen gilt, stärker machen wird. Aber was es sonst für die Menschen bedeuten wird, wenn Licht knapp wird, kann ich nicht sagen, dazu müsstet ihr wohl einen Magier befragen.“ Als Lorian aufstand, um den Bierkrug nachfüllen zu lassen, wandte sich Tari an Kalim. „Glaubst du, man könnte etwas gegen die Dunkelheit tun, meinst du es gäbe eine Möglichkeit, sie und die Schatten zu bekämpfen,“ fragte er ernsthaft und Kalim dachte an seine Leuchtkugeln, die vielleicht helfen könnten, die Dunkelheit zu vertreiben, gar ein für alle Mal. „Was wäre, wenn es immer Tag sein könnte,“ flüsterte er Tari zu und blickte ihn hoffnunsvoll an. Ein Wort würde reichen und Kalim würde seinen Spruch in die Welt hinausschreien um dieser Dunkelheit und der Angst davor ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Doch ehe Tari etwas erwidern konnte, kam Lorian zurück und setzte sich an seinen Platz. „Es heisst, es ginge vom Wald aus,“ meinte er nachdenklich, „von jener Stelle, die schon immer dunkler war als der restliche Wald. Dort ist es noch schwärzer seitdem geworden und die Geschichten um die Schatten die dort hausen, werden immer angsteinflössender. Dorthin wird sich wohl ein Krieger des Lichts begeben müssen, um die Dunkelheit zu besiegen,“ schloss er dann und sein Blick richtete sich in diesem Augenblick auf Kalim, der sich mit gesenktem Kopf unter seiner Kapuze und im Schatten verbarg. Lorian stand auf, doch sein Blick blieb auf Kalim gerichtet. Dieser spürte den Blick, und nie hatte er sich mehr gewünscht, dass ein Schatten dunkel genug sein solle, um ihn komplett zu verstecken. „Gibt es denn einen solchen Lichtkrieger,“ hörte er jemanden fragen, dessen Stimme er nicht zuordnen konnte. „Es gibt jemanden, der glaubt er könne die Dunkelheit besiegen,“ antwortete Lorian, „doch er merkt nicht, dass er es ist, der sie heraufbeschworen hat.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der Krieger und liess die Freunde am Tisch zurück.
Die Freunde feierten und tranken noch lange und auch wenn Kalim nur Wasser trank, so bezahlte auch er die eine oder andere Runde. Die Kapuze hatte er nun heruntergezogen, dennoch blieb er im Schatten sitzen und war sehr still, während die anderen Schüler mit Witzen und lautem Lachen das Thema zu vergessen versuchten. Nur Tari blickte hin und wieder zu Kalim, doch liess er ihn einfach in Ruhe, so als wolle er ihn nicht in seinen Gedanken stören. Als sie alle mehr oder minder trunken zurück zur Gilde torkelten, hängte sich Tari bei Kalim ein, so als benötigte er Hilfe, um beim Gehen nicht umzukippen. Dann nutzte er die Gelegenheit, seinem neugewonnenen Freund ins Ohr zu flüstern, „du weisst, wovon der Krieger sprach, nicht wahr?“
Als Kalim in dieser Nacht auf seinem Bett sass und seine Hand ausstreckte um das Licht aufzurufen, kam er nicht umhin, an Lorians Worte zu denken. Er blickte durch das kleine Fenster nach draussen, doch in dem kleinen Ausschnitt des Himmels war kein Stern zu erblicken. Er schloss seine Hand, verkroch sich unter seine Decke und schlief im Dunkeln ein.
Die Nachrichten der verirrten Wanderer und Krieger häuften sich, ebenso wie die Geschichten über den dunklen Wald, der immer schwärzer wurde und dessen Dunkelheit nun auch auf die lichteren Teile des Laubwaldes übergriff. Auch Magier, die sich nach den Sternen richteten, waren zunehmends besorgt, dass diese auch ohne Wolken immer weniger sichtbar waren. Sie fragten sich, welch absurde Krankheit den Weltall ergriffen hatte, das dieses Sternensterben mit sich zog. Als Kalim eines Tages Kundar auf die Sterne ansprach, sah dieser ihn besorgt an. „Das schlimmste ist nicht, worüber gesprochen wird,“ meinte er sorgenvoll, „das schlimmste ist, was verschwiegen wird.“ Er blickte umher, als wolle er sichergehen, dass niemand ihn hörte. Dann beugte sich der Magier zu Kalim herüber und sagte leise, „die Sonne ist auch ein Stern. Und wenn alle Sterne verschwinden, dann wird hier eines Tages vollkommene Dunkelheit herrschen.“
Je mehr Kalim über diese Worte nachdachte, umso sicherer wurde er, dass nur er mit seinem Zauberspruch helfen konnte. Und je sicherer er sich dessen wurde, umso mehr liess er Lorians Worte hinter sich. Nur er konnte diese Welt retten, er war der geborene Lichtkrieger und er würde die Dunkelheit bekämpfen und besiegen. Er sprach seinen Schwertmeister Coldrán an, er solle ihn zum Lichtkrieger ernennen, doch dieser schüttelte nur den Kopf. „Du bist noch nicht soweit,“ meinte er, „du kämpfst noch zu sehr mit der Hand und handelst nicht mit Kopf und Herz zugleich. Du glaubst alles zu wissen, doch kennst du nur eine Seite von dir,“ und mit einem Blick erahnte er Kalims Gedanken und fuhr fort, „und denke nicht einmal dran, Kundar danach zu fragen, denn er wird dir ähnliches sagen.“ Kalim jedoch wollte nicht locker lassen, er wusste dass er kämpfte wie niemand anderes, er war schneller und gewandter als die anderen Schüler, hatte sein Schwert besser im Griff und hatte mehr über Zauberkraft gelernt als die anderen alle zusammen. So dauerte es kaum einen Tag, bis er vor Kundars Tür stand und anklopfte. „Was willst du,“ fragte der Magier aber seinem Blick konnte man entnehmen, dass er die Antwort darauf schon kannte. „Ich will die Dunkelheit bekämpfen, ich habe die Lösung dazu, ich will endlich als Lichtkrieger anerkannt werden,“ meinte Kalim und trat ungefragt ein.
Kundar seufzte. „Setz dich,“ meinte er mit einer Handbewegung, „ich hoffe, du hast zumindest soviel Zeit, mir zuzuhören.“ Kalim zog ungeduldig einen Stuhl heran und liess sich nieder. „Was hast du mir denn noch zu sagen, was so unendlich wichtig zu sein scheint,“ fragte er leicht genervt, „ich hoffe es hilft mir zumindest, die Dunkelheit zu besiegen.“ Kundar sah den Schüler an. „Ich hoffe es hilft dir, die richtige Entscheidung zu treffen,“ meinte er traurig, „denn sonst wird es die letzte Tat sein, die du begehen wirst, Lichtkrieger oder nicht.“ Auch er zog einen Stuhl heran und setzte sich Kalim gegenüber. „Du hast bisher im Licht gekämpft,“ sprach er schliesslich, „doch weisst nicht, wie man Dunkelheit und Schatten bekämpft. Es ist noch ein weiter Weg bis dorthin. Du wurdest in deiner Technik geschult aber noch nicht in deinen Gedanken. Erst wenn du genau weisst, wie du ein Schwert einsetzen kannst, wird man dich lehren zu erkennen, wann du es einsetzen sollst. Und genau dieses Wissen, diese Weisheit fehlt dir noch. Darum zieh noch nicht in den Kampf gegen die Dunkelheit, denn du bist ihr nicht gewachsen, und das nicht nur weil du noch nicht geschult bist, sondern weil du sie nie wirklich betrachtet hast. Wenn du nun in den Wald gehst um diesen Schatten zu bekämpfen, wirst du die Lehre von vielen Jahren in einem Schlag lernen, aber du wirst den höchsten Preis bezahlen, den man dafür bezahlen kann.“ Der Zaubermeister schwieg und auch Kalim wusste nicht, was es noch zu sagen gab. Schliesslich stand er auf und ging zur Tür. Er öffnete sie und drehte sich noch einmal zu Kundar um. „Danke,“ meinte er dann schlicht, „aber ich weiss, was ich tun muss.“
Er ging ein letztes Mal zu seinem Zimmer, holte den Umhang und sein Schwert. Er war sich absolut sicher, dass er es war, der sich diesem Schatten stellen musste, doch wusste er nicht, wie nah dieser Gedanke der Wahrheit war. Nichts und niemand anderes schien es zu betreffen, er würde alleine zu dem Wald gehen. Und als er die Tür seines Gemaches ein letztes Mal hinter sich schloss, liess er eine Handvoll Münzen unter der Matraze zurück.
Es war hellichter Tag als er die Gilde verliess und schlussendlich durch das Stadttor trat. Die Wachposten grüssten ihn freundlich und er nickte gedankenverloren zurück. Es war ein weiter Weg bis zum Wald doch er kam gut voran und als er schlussendlich den Wald erreichte, stand die Sonne noch hoch am Himmel. Er trat ein, und sofort umgab ihn eine eisige Kälte. Es war, als hätte sie ihn erwartet, als wäre der Schatten, der hinter dieser Kälte lag, nun bereit ihn zu empfangen. Auch wenn er nicht dazu ernannt worden war, auch wenn er nicht eingeweiht worden war und seine Lehre, laut Coldrán und Kundar, nicht abgeschlossen war, er wusste voller Stolz, dass er ein Krieger des Lichtes war.
Je tiefer er in den Wald eindrang, umso dunkler wurde es um ihn, bis er in der Mitte des Tannenwaldes stand, der auch damals schon kaum Licht durchgelassen hatte, als er ihn zum ersten Mal durchquert hatte. Nur dieses Mal schien auch der kleinste Lichtstrahl von den Ästen und Zweigen verschlungen worden sein und Kalim konnte sich nur noch seinem Gespür nach orientieren. Dabei umgab ihn immer noch den angenehm würzigen Geruch der Tannen und er trat auf weichem Boden, der durch die Nadeln gepolstert war. Kalim spürte, dass sich etwas um ihn herum bewegte. „Wer ist da,“ rief er in den Wald hinein und ein Flüstern drang als Antwort an sein Ohr, „wir sind die Schatten, die zurückgeblieben sind, wir sind das Vergessene, das Verlorene, das was niemand will und jeder verachtet.“ Ohne es zu bemerken hatte Kalim das Schwert aus seiner Scheide gezogen. Er steckte es wieder zurück und dachte mit Genugtuung an Kundars letzte Worte. Er wusste nun, dass er die Schatten nicht mit einem Schwert bekämpfen konnte, er hatte auch Kundars letzte Lehre verstanden, er benötigte keine Meister mehr, denn er war nun Meister.
Er streckte die Hand aus, die offene Handfläche nach oben gerichtet. „Zeigt euch,“ rief er wieder in den Wald hinein. „Willst du uns denn sehen,“ fragte die flüsternde Stimme nah an seinem Ohr, „willst du sehen, was auch du die gesamte Zeit nicht im Lichte betrachten wolltest?“ Für einen Augenblick schloss Kalim seine Augen. Die Schatten wollten ihn nur verunsichern, er hatte aber keine Angst, nein, diese hatte er zurückgelassen, wie alles, was zwischen ihm und seinem Wunsch, Lichtkrieger zu werden, im Wege gestanden hatte.
Er holte tief Luft und öffnete seine Augen, mit denen er nur Dunkelheit wahrnehmen konnte. Und dann schrie er ein letztes Mal, so laut er konnte:
Je tiefer der Schatten
Umso heller das Licht
Bis jener Schatten
Im Schein der Sonne erlischt
Die Welt fiel in Dunkelheit!
Und nur der Wald leuchtete hell auf, so hell, dass jeder hätte erblinden können, der ihn erblickte. Und inmitten diese Waldes, inmitten dieser Helligkeit stand Kalim und sah zum ersten Mal:
Die Kinder die spielten, während er kämpfen lernte
Seine jüngste Schwester, die ihm ins Ohr flüsterte
Den Bierkrug am Waldesrand
Sich selbst als er zum ersten Mal den Wald verliess
Sonara, die sich umdrehte und die er seitdem nie wieder gesehen hatte
Die Sonnenscheibe über der Tür der Gilde
Tari, als er ihm die Tür vor der Nase zuschlug
Lorian
Coldrán
Die Münzen
Kundar
Er sah all jenes, das er zurückgelassen hat, weil er es als unwichtig für seinen Weg empfand, obwohl es mit jedem Schritt zu seinem Weg gehörte.
Und er sah sich: alleine in all dieser Helligkeit, geblendet und blind
Sein Körper fiel leblos zu Boden als die Sonne wieder zu scheinen begann und der Wald wieder wie vorher war, licht aussen herum mit einer dunklen Mitte, in welcher sich hin und wieder ein paar Sonnenstrahlen den Weg bis auf den Waldboden bahnten.
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Lange Zeit sassen wir still nebeneinander. Dann stand die Frau auf, und überreichte mir das Messer. „Ich denke, es ist nun an der Zeit, dass du das Säubern übernimmst, so dass man den gefallenen Krieger ehren kann,“ meinte sie lächelnd, „ich habe es lange genug getan, und nun ist geschehen, was geschehen sollte. Die Geschichte kann nun weiter erzählt werden.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging fort, winkte mir ohne zurückzuschauen noch einmal zu und verschwand im dunklen Wald.
Ich aber stand auf und ging zum Grabstein hin. Ich zog das Messer aus der Scheide und fing an, die Ranken des Efeus damit zu schneiden, so dass ich langsam, Schnitt für Schnitt den Rest der Inschrift freilegen konnte. Als ich fertig war, betrachtete ich zufrieden meine Arbeit und dann nahm ich mir Zeit, zu lesen:
Zerstörst du den Schatten
So wird er dich zerstören
Doch ehrst du ihn und bekämpfst ihn nicht
So wirst du einst dir selbst gehören
Ich gehe immer noch in den Wald spazieren. Es ist ein Ritual, den Griff nach der Jacke denn auch wenn es noch so heiss zu sein scheint, so gibt es in diesem Wald eine Stelle, die kühl genug ist um auch im Sommer nach einer Jacke zu verlangen. Nur heute nehme ich auch das Messer mit, das mir die Frau damals gegeben hat, und von Zeit zu Zeit befreie ich damit den Grabstein von den Efeuranken, so dass man den Stein sieht und dem Krieger Ehre erweisen kann.
Und wer weiss, vielleicht kommst eines Tages du vorbei, wir setzen uns auf einen Baumstamm und ich erzähle dir die Geschichte vom Kriegers des Lichtes.