Puschelhasi schrieb:Ich habe hier eine sehr umfassende Einlassung gefunden, die alke eure Fragen und Anwürfe klaert:
Das tut diese Einlassung leider auch nicht. Ich sehe das Thema durchaus zwiespältig, da ich es nicht für sinnvoll halte, Eltern die ihre Kinder aus religiösen Gründen beschneiden lassen, zu kriminalisieren.
Aber es bleiben doch immer wieder dieselben Argumente gegen Beschneidungen unwiederlegt:
Puschelhasi schrieb:Die Grundlage für Juden, ihre Söhne zu beschneiden, liegt in der Bibel
Man sollte nicht unbedingt Gebote der Bibel als wörtlich zu verstehen und bindend darstellen. Andere Gebote und Gesetze werden aus gutem Grund nicht mehr befolgt, nichtmal von den Orthodoxen.
Puschelhasi schrieb:Sie ist von essentieller Bedeutung und konstitutiv für das Judesein.
Davor steht aber noch, dass die Zugehörigkeit zur Religion durch die Abstammung von der jüdischen Mutter definiert ist. Und selbst das wird von reformierten Juden durch die Ermöglichung des Übertrittes zum Judentum aufgeweicht. Es gibt also durchaus Abweichungen von der Regel, die hier als allgemein bindend dargestellt wird.
Puschelhasi schrieb:Auch während des Nationalsozialismus, als die Beschneidung als Hinweis zur Zugehörigkeit zum Judentum das Todesurteil bedeuten konnte, wurden jüdische Jungen beschnitten; sie wurde sogar in NS-Arbeitslagern durchgeführt. Die Abschaffung der Beschneidung ist im Judentum unter keinen Umständen denkbar.
Dazu habe ich diesen sehr lesenwerten Artikel gefunden:
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-unsere-seltsame-tradition-11827726.htmlSoweit ich weiss, ist diese Debatte auch schon vor dem Naziregime von Juden in Deutschland geführt worden.
Puschelhasi schrieb:Die Beschneidung ist einer der am häufigsten durchgeführten chirurgischen Eingriffe weltweit.
Von Laien durchgeführt, muss man hier ergänzen.
Soll uns dieser Satz suggerieren, dass nicht falsch sein kann, was
häufig geschieht?
Puschelhasi schrieb:Wird der Säugling vor der Beschneidung betäubt?
Es spricht nichts gegen eine (lokale) Betäubung des Kindes. Eine Narkose des Säuglings wird in der Regel nicht durchgeführt und nicht empfohlen, da die Narkose dem kindlichen Körper Schaden zufügen könnte und weniger leicht für den Säugling zu bewältigen ist.
Interessanterweise beantwortet die Antwort nicht die Frage. Die Antwort wäre nämlich:
"Nein, in der Regel nicht."
Puschelhasi schrieb:Führt die Beschneidung zu gesundheitlichen Nachteilen? Hat die Beschneidung auch Vorteile?
Nein, die Beschneidung führt nicht zu gesundheitlichen Nachteilen – ganz im Gegenteil!
Wie jeder chirurgische Eingriff birgt aber auch dieser Risiken.
Und es gibt durchaus auch sehr viele Berichte von Nachteilen, gesundheitlichen und sexuellen.
Auch wenn diese nicht die Mehrheit der Fälle betreffen, sollte man sie doch nicht einfach als nicht existent erklären.
Puschelhasi schrieb:Die Weltgesundheitsorganisation hat daher im Jahre 2007 die Beschneidung als vorbeugende Maßnahme gegen die HIV-Ansteckung grundsätzlich empfohlen.
Dies gilt aber nur für Gegenden, in denen der Gebrauch von Kondomen aus religiösen Gründen abgelehnt wird und das Risiko, sich mit HIV anzustecken, um ein Vielfaches höher ist, als in Deutschland oder den USA.
Die Beschneidung ersetzt auch laut WHO nicht das Kondom, das nahezu 100% Schutz bietet.
Puschelhasi schrieb:Auch das Risiko, sich mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten wie Genitalherpes (HSV) und den Humanen Papillomaviren, die wiederum Gebärmutterhalskrebs bei Frauen auslösen können, zu infizieren, wird durch die Beschneidung verringert.
Auch hier ist der Schutz durch Kondome um ein Vielfaches besser.
Puschelhasi schrieb:Zudem wird die Gefahr, an Harnwegsinfektionen, Phimose und Peniskrebs sowie an Entzündungen der Vorhaut und der Eichel zu erkranken, verringert.
Wie in dem von mir verlinkten Artikel: man entfernt Säuglingen auch nicht prophylaktisch die Mandeln.
Aus medizinischen Gründen sollte man nur das medizinisch Notwendige tun.
Puschelhasi schrieb:Auch konnte nachgewiesen werden, dass die Beschneidung keine negative Auswirkung auf die sexuelle Funktionsfähigkeit eines Mannes oder die Befriedigung der Sexualpartner hat (vgl. WHO, Manual for early infant male circumcision under local anaesthesia, 2010, S. 6).
Kitzelige Frage.
Männer, die als Säuglinge beschnitten wurden, haben natürlich keine Vergleichsmöglichkeit und werden ihre Sexualität entsprechend den Gegebenheiten entwickeln. Daraus allerdings zu schliessen, die Beschneidung habe
keine Auswirkung, ist falsch. Viele als Erwachsene beschnittene Männer berichten davon, dass sie zwar länger können, aber andererseits berichten auch viele, dass sie länger brauchen.
Ist die männliche Beschneidung mit der weiblichen Genitalbeschneidung vergleichbar?
Nein. (...)Es sollte nicht übersehen werden, dass die Beschneidung einer Frau nicht auf religiösen Gründen basiert, sondern auf kulturellen Traditionen und Mythen.
Das kommt darauf an, wie weitreichend die Beschneidung durchgeführt wird.
In beiden Fällen handelt es sich aber um ein Ritual, das die Zugehörigkeit zu einer Gruppe festigen soll.
Die medizinische Argumentation ist sehr viel jünger und hatte zu Beginn tatsächlich ähnliche Aspekte wie die der weiblichen Beschneidung: Triebe seien zu bekämpfen, die jugendliche Lust zu unterdrücken.
Puschelhasi schrieb:Ist die Beschneidung Genitalverstümmelung?
Nein. Das Genital ist weiterhin voll funktionsfähig und führt zu keinerlei Beeinträchtigung.
Siehe oben.
Puschelhasi schrieb:Warum können Schönheitsoperationen erlaubt sein, die Beschneidung aber nicht?
Bei derartigen Operationen wird häufig eine medizinische Indikation angeführt – nämlich eine psychische. Das Kind könnte gehänselt und im schlimmsten Fall gemobbt werden, so dass psychische Gründe für eine Schönheitsoperation sprächen. Ähnliches kann für die Beschneidung angeführt werden – unbeschnittene Kinder können darunter leiden und in ihrem Umfeld stigmatisiert werden.
In einer Gesellschaft, in der die meisten Kinder unbeschnitten sind, ist das wohl kaum ein Argument. Im Gegenteil müsste man doch eher befürchten, dass die Beschnittenen von der Mehrheit gehänselt werden.
Schönheitsopertaionen werden in der Regel an Kindern in Deutschland auch nur durchgeführt, wenn es sich um eine deutliche Entstellung handelt. Eine Vorhaut stellt keine Entstellung dar.
Puschelhasi schrieb:Kann man die Beschneidung nicht auf den Zeitpunkt verschieben, wenn ein Mensch mündig wird?
Nein. Im Judentum ist explizit vorgeschrieben, einen männlichen Säugling am achten Tag nach der Geburt zu beschneiden, es sei denn, gesundheitliche Gründe sprächen dagegen.
Nun könnte man z.B. die Gefahr, dass bei einem Säugling leicht zu viel der Vorhaut entfernt werden kann (was nicht selten geschieht), als solchen gesundheitlichen Grund anführen. Problem gelöst.
Puschelhasi schrieb:Der Jurist Holm Putzke, der die Diskussion um ein Beschneidungsverbot maßgeblich in Gang gebracht hat, sagt, es gäbe auch Israelis, die „trotz religiöser Zugehörigkeit zum Judentum von einer Säuglingsbeschneidung Abstand genommen haben und abwarten wollen, bis ihr Kind in der Lage ist, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden. Wenn immer so getan wird, etwa vom Zentralrat der Juden, dass die religiöse Beschneidung im Judentum unverzichtbar und unumstritten sei, dann handelt es sich dabei nur um die halbe Wahrheit."
Das Judentum ist keine dogmatische Religion, natürlich gibt es Menschen, die manches anders sehen und machen, das liegt in deren Freiheit. Religionsfreiheit ist auch Freiheit von der Religion. Die Beschneidung ist jedoch ein unumstößliches Gebot im Judentum; eine Einzelmeinung ändert daran nichts. Es gibt auch antisemitische Juden, nichtsdestotrotz ist der Antisemitismus unumstritten eine Bedrohung für Juden.
Hups, die Antwort lautet also: "Doch. Und wer anderer Meinung ist, ist eine Bedrohung für die Juden."
Das ist natürlich Unsinn, wenn man eben noch festgestellt hat, dass das Judentum nicht dogmatisch ist. Gerade im Judentum wurde und wird sehr viel über Glaubenssätze diskutiert, nicht zuletzt rühren ja daher die expliziten Regeln und Gebote. Und wie gesagt wurde auch einige über Bord geworfen, oder in symbolische Handlungen umgewandelt. Was spräche z.B. gegen eine symbolische Beschneidung?
Puschelhasi schrieb:Muss eine moderne Gesellschaft die religiös motivierte Beschneidung tolerieren?
Die Antwort lautet: Ja, sonst seid ihr keine moderne Gesellschaft.
Bleibt die Frage, was das "modern" ausmacht, und wohin sich die Gesellschaft entwickeln soll.
Puschelhasi schrieb:Man sollte nicht vergessen, dass in der Geschichte der Kampf gegen die Beschneidung eine Vorgehensweise war, um Juden und jüdische Bräuche zu unterdrücken, denn mit der Beschneidung wird ein grundlegendes Gebot des Judentums angegriffen, deren Verbot die Existenz des Judentums gefährdet und in Frage stellt.
Nun wurde auch dann zu Zeiten und an Orten das Judentum bekämpft, zu denen Beschneidung kein Thema war. In der modernen Welt des Nahen Ostens ist z.B. nicht das Beschnittensein Frage der Feindbilder. Man sollte also vorsichtig sein, an dieser Diskussion eine Frage der Diskriminierung oder gar Existenzgefährdung festzumachen.
Die Frage nach dem Bestimmungsrecht der Eltern und dem Recht auf Unversehrtheit ist eine juristische. Die sollte unabhängig von historischen und religiösen Aspekten stattfinden.
Bleibt die Frage nach der Notwendigkeit der Toleranz gegenüber von Religionen und deren Gebräuchen.
Und ausschliesslich auf diese Fragen sollte der ZdJ die Diskussion in Deutschland einschränken.