Man kann bei Günther Grass davon ausgehen, dass er nicht einfach nur so etwas hingeschmiert, sondern sich bei seinen Worten etwas gedacht hat.
Es handelt sich hier um einen Literaturnobelpreisträger und keinen Hobbydichter von Stammtischniveau.
Die gleiche, reflexartige Abwehr, wie man sie auch bei ,,Deutschland schafft sich ab" von politischen und gesellschaftlichen Meinungsführern/Meinungsmachern bemerkte, sowie von den Freunden der allgemeinen political correctness.
Bevor man sagt:,,Alles Scheiße, was der Grass da schreibt", sollte man sich vielleicht erstmal genau Gedanken drüber machen, was der eigentlich mit seinem Text aussagen wollte!
Zunächst einmal lese ich aus dem Text von Grass die große Furcht vor einem Krieg, insbesondere vor einem Atomkrieg im Gebiet des Nahen Ostens heraus, aus dem sich gar ein Weltkrieg entwickeln könnte.
Es ist für mich offensichtlich nicht bloßer Antisemitismus, der ihn das schreiben lässt. Diese Interpretation lese ich aus diesem Abschnitt hier:
Jantoschzacke schrieb:„Warum schweige ich, verschweige zu lange, was offensichtlich ist und in Planspielen geübt wurde, an deren Ende als Überlebende wir allenfalls Fußnoten sind.
Was schreibt er weiter?
Jantoschzacke schrieb:Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag, der das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk auslöschen könnte, weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet wird.
Doch warum untersage ich mir, jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren – wenn auch geheimgehalten – ein wachsend nukleares Potential verfügbar aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist?
In diesem Abschnitt spricht er die kritische Situation an, dass Israel sich jederzeit einen Erstschlag vorbehält, auch wenn nicht hundertprozentig sicher ist, dass Atomwaffen in Iran vorhanden sind.
Vermutlich hat er da auch eine Beziehung zu der Geschichte USA-Irak im Kopf, wo es ebenfalls hies, man sei absolut sicher, im Irak gäbe es fertige Atomwaffen, was sich dann als falsch herausstellte.
Jantoschzacke schrieb:Doch warum untersage ich mir, jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren – wenn auch geheimgehalten – ein wachsend nukleares Potential verfügbar aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist?
Ein Hinweis auf die irgendwo schwer zu verstehende und delikate Situation, dass Israel KEINEN Atomwaffensperrvertrag unterschrieben hat (und wohl auch nicht daran denkt), sich KEINER Kontrolle unterzieht (dies aber von Iran fordert) und selbst höchstwahrscheinlich über nukleare Bewaffnung verfügt, es gleichzeitig aber anderen Staaten untersagen will.
Eine unangenehme Frage, warum diese Situation bei Israel scheinbar niemanden im so genannten Westen stört.
Ja, warum eigentlich, warum kein Embargo und keine Kritik an einem Staat, der im Geheimen Atomwaffen besitzt und wohl auch weiter produziert, aber Embargo, Kritik und Drohung an einem Staat, der sich möglicherweise Atomwaffen beschaffen will, mehr oder minder im Geheimen (die ganze Welt sieht nun zu, so geheim kann das im Iran gar nicht mehr laufen).
Jantoschzacke schrieb:Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes, dem sich mein Schweigen untergeordnet hat, empfinde ich als belastende Lüge und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt, sobald er mißachtet wird; das Verdikt „Antisemitismus“ ist geläufig.
Günter Grass schreibt hier über seine Beobachtung, dass sehr schnell selbst bei vorsichtiger Kritik gegen Israel der Vorwurf ,,Antisemitismus" laut wird in Deutschland. Womit Herr Grass rein objektiv recht hat. Der Aufruf, keine Erzeugnisse aus Gebieten in Palästina zu kaufen, die von den arabischstämmigen Menschen enteigneten Feldern stammen - Antisemitismus.
Die Mahnung, dass der dauernde Siedlungsbau israelischer Siedler in Israel und die Verdrängung arabischstämmiger Menschen nicht förderlich für den Frieden ist und Israel das vielleicht eher einstellen sollte - auch hier findet man den Antisemitismusvorwurf.
Ein deutscher Abgeordneter trägt ein Shemag (auch als ,,Palästinensertuch" bekannt) - und wieder kommen Stimmen auf, die dies antisemitisch nennen.
Grass kritisiert, dass mit diesem Begriff inflationär umgegangen und er viel zu schnell als Totschlagargument genutzt wird, um die politisch korrekte Meinung auszudrücken.
Jantoschzacke schrieb:Jetzt aber, weil aus meinem Land, das von ureigenen Verbrechen, die ohne Vergleich sind, Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird, wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert, ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden soll, dessen Spezialität darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist, doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will, sage ich, was gesagt werden muß.
Hört man die häufigen Wiederholungen der ,,besonderen Verantwortung", die Deutschland für Israel habe (z.B. laut Angela Merkel), die ,,dezenten" Hinweise auf die Verbrechen Deutschlands in der Vergangenheit, weshalb es den Deutschen nicht zusteht, Kritik zu üben (jüngst und aktuell im Falle der Pleitestaaten Griechenland, Italien und Spanien, wo wir uns über Sprüche wie ,,die Deutschen schulden uns immer noch Wiedergutmachung" und ,,Nazideutschland ist zurück" freuen dürfen), so muss man sagen: Herr Grass hat recht.
Es kommen immer wieder Vorwürfe und auch Selbstgeisselung der Deutschen in meinen Augen auf, die berechtigte Kritik an Israel ersticken sollen. Wer Kritik an Israel äußert, der muss sich schnell den Vorwurf des Antisemitismus und die Hinweise auf die NS-Zeit anhören.
Folge: Um zu beweisen, wie ,,Anti-Nazistisch" Deutschland eingestellt ist, werden U-Boote mehr oder minder verschenkt bzw. zum Freundschaftspreis verscherbelt, die möglicherweise dann mit Atomwaffen bestückt in einem Angriff auf den Iran eingesetzt werden.
Grass weisst darauf hin, dass sich durch dieses Verhalten Deutschland mindestens indirekt an einem Krieg gegen Iran beteiligt, selbst wenn es öffentlich den Krieg ablehnt.
Diese Widersinnigkeit deckt Grass auf und stellt die unangenehme Frage, inwiefern dieses Verhalten ehrlich und korrekt ist?
Und noch einmal unterstreicht er die Gefahr, einen Erstschlag nur aufgrund von Vermutungen durchzuführen und am Ende wieder so dazustehen, wie die USA in Irak.
Nun weiter:
Jantoschzacke schrieb:Warum aber schwieg ich bislang? Weil ich meinte, meine Herkunft, die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist, verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel, dem ich verbunden bin und bleiben will, zuzumuten.
Der Autor macht keinen Hehl daraus, dass er einst bei der SS war und dementsprechend wahrlich nicht in der Position ist, von einem hohen Ross herunter zu reden.
Das will er aber auch nicht.
diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel, dem ich verbunden bin und bleiben will, zuzumuten.Dies sagt für mich aus, dass Grass vielmehr die Position eines ,,echten Freundes" einnehmen will!
Eines Freundes, der nicht immer nur sagt:,,Hey, yo, du bist Klasse, du machst immer alles richtig!", sondern der auch sieht, wenn sein Bekannter in Gefahr gerät oder für sich und andere Schaden anrichten könnte und der ihm deshalb auf die Schulter klopft und sagt:
,,Junge überleg dir das ganz genau! Denk ganz genau nach, ob du hier nicht vielleicht dabei bist, einen schweren Fehler zu begehen."
Jantoschzacke schrieb:Warum sage ich jetzt erst, gealtert und mit letzter Tinte: Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden? Weil gesagt werden muß, was schon morgen zu spät sein könnte; auch weil wir – als Deutsche belastet genug – Zulieferer eines Verbrechens werden könnten, das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld durch keine der üblichen Ausreden zu tilgen wäre.
Noch einmal: Es ist ja verständlich, dass Israel keinen Atomschlag erhalten will. Und nicht ständig unter der Bedrohung leben will, dass ein Nachbar in der Region das Land angreift und zerstört.
Doch geht andersherum auch durch das Verhalten Israels, unbedingt die einzige Atommacht, überhaupt die einzige, maßgebliche militärische Macht im Nahen Osten zu sein und diese Position notfalls mit ,,allen Optionen" zu verteidigen tatsächlich eine nicht unerhebliche Gefahr aus für den Weltfrieden.
Wenn man den Gedanken von Grass folgt, sieht man die Gefahr von Kettenreaktionen:
Israel greift Iran an, USA werden sicherlich auch eingreifen, es wird dort eine schwere Kriegssituation geben. Daraufhin könnte es in Pakistan kippen, wo die muslimischen Extremisten ohnehin stark sind, Afghanistan und Irak sind ebenfalls nicht befriedet, in Syrien herrscht Bürgerkrieg, Ägypten ist in der Hand der Israel nicht grade wohl gesinnten Muslimbrüder, im Gaza-Streifen warten die Hamas-Krieger, Saudi-Arabien, China, Russland werden angefressen sein, wenn die Region in Brand gerät...
Es ist durchaus verständlich, wenn Grass ausdrückt, dass das Verhalten Israels, um jeden Preis den Iran an der Erlangung von Atomwaffen, auch ganz klar mit militärischen Erstschlägen, eine Gefahr für den Weltfrieden ist.
Damit hat der Mann objektiv recht.
Und er hat ebenso damit recht, dass Deutschland sich insofern an diesem Krieg und seinen Folgen beteiligen würde, als das in Deutschland produzierte Waffensysteme eingesetzt würden - obwohl eigentlich gerade die Deutschen aufgrund der häufig angesprochenen Erfahrungen des
2. Weltkrieges die Schrecken des Krieges mehr als genug in Erinnerung haben sollten.
Jantoschzacke schrieb:Und zugegeben: ich schweige nicht mehr, weil ich der Heuchelei des Westens überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen, es mögen sich viele vom Schweigen befreien, den Verursacher der erkennbaren Gefahr zum Verzicht auf Gewalt auffordern und gleichfalls darauf bestehen, daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potentials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.
Oder anders und kurz formuliert, Grass fordert nach meinem Verständnis:,,Gleiches Recht für alle!"
Wenn der Iran keine Atomwaffen haben und sich unter die Aufsicht von internationalen Inspekteuren in dieser Angelegenheit stellen soll, dann soll das auch für Israel gelten.
Kein Bonus, kein ,,bei Israel ist das schon okay, wenn die Atomwaffen haben...".
Das ,,Verursacher der erkennbaren Gefahr" bezieht Herr Grass vermutlich auf Israel. Was ihm dabei wahrscheinlich für Gedanken durch den Kopf gehen, habe ich oben schon dargestellt.
Günther Grass vertritt die Meinung, dass die ,,wir dürfen alles und immer, andere müssen machen, was wir wollen"-Position der israelischen Regierung kein gutes Verhandlungsverhalten und nicht förderlich für Frieden ist.
Wenn man in Verhandlungen geht und gleich von vorn herein sagt:,,Wenn du nicht machst, was ich will, trete ich dir in den Arsch", dann sorgt das nicht grad für aufgeschlossene und konstruktive Verhandlungsathmosphäre.
Betont Israel ein ums andere Mal, dass sie auch einen Erstschlag durchführen und es auf Krieg ankommen lassen werden, ob nun direkt oder indirekt ausgesagt, dann engt das den Erfolgsspielraum einer friedlichen Lösung dieses Konfliktes enorm ein.
Gerade WEIL die iranische Führung nämlich kein großer Freund Israels ist, nehmen sie das als Provokation und denken sich:,,Jetzt erst Recht, wenn die uns hier drohen!"
Iran und Israel - zwei Länder, die regiert werden von einer starrköpfigen Führung, welche ihren jeweiligen Zug immer weiter auf dem selben Gleiss aufeinander zusteuern.
Grass legt den anderen Ländern, die sich verbal in den Konflikt einschalten, nahe, möglichst für einen Gewaltverzicht zu sprechen, es gar nicht erst zum Krieg und zu einer unkontrollierbaren Kettenreaktion kommen zu lassen.
Jantoschzacke schrieb:Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern, mehr noch, allen Menschen, die in dieser vom Wahn okkupierten Region dicht bei dicht verfeindet leben und letztlich auch uns zu helfen.“
In diesem Schlusswort fasst er seine Meinung zusammen, die er vorher ausgeführt hat (und die ich übrigens auch vertrete):
Fundamentalpositionen und Aggressivität, von den muslimisch dominierten Staaten der Region ebenso wie von Israel, werden nicht zu Frieden führen.
Stattdessen müssen sich ALLE Staaten in dieser Region in gewisser Weise verändern und bewegen. Niemand soll sich in die Position setzen wollen, anderen seinen Willen zu diktieren, da dies immer nur zu Missgunst und gegenseitigen Anfeindungen führt.
Mit einem voreiligen Militärschlag, nach Meinung Grass überhaupt mit einem Militärschlag, würde Israel vor allem den Islamisten eine vereinigende Steilvorlage liefern, die sie ausschlachten könnten, um ihre Anhänger zu stärken und vielleicht gar ganze Staaten unter ihre komplette Kontrolle zu bekommen.
Und DANN wird Israel WIRKLICH Probleme bekommen, wenn es eingekesselt ist zwischen verärgerten Nachbarn. Da wird auch der Schutz der USA und die besondere Verantwortung Deutschlands nichts helfen.
Günther Grass drückt seine Meinung aus, dass Frieden in der Nahost-Region nur erreicht werden und der Weltfrieden nur erhalten werden kann, wenn man nach Möglichkeit auf Verhandlung setzt, statt auf Aggressivität und militärische Erstschläge.