Das Schengener Abkommen bröckelt
13.05.2011 um 13:40Europa im Sog der Populisten
Dänemark will wieder Grenzen kontrollieren. Das ist ein Symbol für die gefährlichen Fliehkräfte, die an der EU zerren, kommentiert K. Polke-Majewski.
Wie wichtig ist eigentlich Dänemark für die Europäische Union? Ein Land weit im Norden des Kontinents, bewohnt von gerade 5,4 Millionen Menschen, die sich auf 72 Inseln (und Jütland) verteilen, mit einer einzigen Grenze, 67 Kilometer lang, dahinter Schleswig-Holstein.
Naja: Wer nach Schweden will, muss dort durch. Und es gibt eine Menge Ferienhäuser. Noch etwas? Ja! Die Regierung in Kopenhagen hat sich gerade daran gemacht, einen Grundwert der europäischen Einigung abzuräumen, die Reisefreiheit.Das ist keine Nebensächlichkeit.
Nein, Schlagbäume will niemand errichten, das verstieße gegen europäisches Recht. Aber neue Zöllnerhäuschen bauen, Auto-Kennzeichen per Video überwachen, verdächtige Personen hinter der Grenze oder in Zügen kontrollieren – das ist alles möglich, soll also gemacht werden und kann jedermann treffen. Um deutsche Urlauber gehe es aber natürlich nicht, ist zu hören, sondern um Einreisende aus Osteuropa und um die angeblich "zunehmende grenzüberschreitende Kriminalität". Wenn man der Süddeutschen Zeitung Glauben schenken will, ist die Aktion nur ein Geschäft der Regierung in Kopenhagen mit der rechtspopulistischen Volkspartei: Grenzkontrollen gegen Zustimmung zur geplanten Rentenreform.
Der Deal von Kopenhagen untergräbt das europäische Selbstverständnis. Denn er macht aus der schwer erkämpften Freizügigkeit billige Verhandlungsmasse. Das passt ins Bild. Europa, das ist für viele Politiker offenbar kein Wert mehr, den es hochzuhalten gilt. Vergessen scheint, dass die europäische Integration uns sechzig Jahre lang Frieden beschert hat; dass der europäische Wirtschaftsraum zu einem der wohlhabendsten und größten der Welt herangewachsen ist; dass hier so viel Menschen in Freiheit leben können wie noch nie zuvor.
Europa, das ist den populistischen Kleingeistern vor allem Bürokratie, Bevormundung und Ineffizienz. Ohne die EU müssten wir nicht für Griechenland zahlen oder für Portugal. Ohne Brüssel könnte uns Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi nicht nerven mit seinen 25.000 tunesischen und libyschen Flüchtlingen.
Helmut Schmidt hat in der vergangenen Woche in der ZEIT einen langen Aufsatz darüber geschrieben, dass wir keine Euro-Krise, sondern eine Krise der Europäischen Union erleben. Dänemark bestätigt seine Diagnose.
Schon vor Kopenhagen hatten Berlusconi und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Einschränkung des Schengen-Abkommens gefordert. Doch statt sich nun geschlossen gegen solche Ideen zu wenden, plädierten an diesem Donnerstag immerhin 15 von 27 Innenministern der Mitgliedstaaten grundsätzlich dafür, dass die Regeln geändert werden sollen, nach denen zeitweilige Grenzkontrollen wiedereingeführt werden können.
Europa wird deshalb nicht gleich auseinander brechen. Aber allein dass wieder über die Einschränkung der Reisefreiheit diskutiert wird, zeigt, wie stark die politischen Fliehkräfte geworden sind, die an der Union zerren. Schon formieren sich anderenorts die Skeptiker und protestieren gegen die Rettungsaktivitäten für hoch verschuldete Euro-Länder.
In Schmidts Artikel steht auch, was Europa droht, wenn wir diese Krise nicht überwinden: der Rückfall in gefährliche nationale Egoismen und – angesichts der demografischen Entwicklung überall auf dem Kontinent – die Marginalisierung der einzelnen europäischen Staaten. Die Integration Europas war einst ein Projekt, das den Kontinent von seinem Hang zur Selbstzerfleischung befreien und seinen Bürgern Recht, Sicherheit und Freiheit verschaffen sollte. Man muss Europa nicht lieben, um dieses Ansinnen richtig zu finden. Kalte Vernunft genügt.
Quelle
25.000 flüchtlinge, die sich in europa sowieso verteilen, sind für manche elemente eben schon zu viel
Dänemark will wieder Grenzen kontrollieren. Das ist ein Symbol für die gefährlichen Fliehkräfte, die an der EU zerren, kommentiert K. Polke-Majewski.
Wie wichtig ist eigentlich Dänemark für die Europäische Union? Ein Land weit im Norden des Kontinents, bewohnt von gerade 5,4 Millionen Menschen, die sich auf 72 Inseln (und Jütland) verteilen, mit einer einzigen Grenze, 67 Kilometer lang, dahinter Schleswig-Holstein.
Naja: Wer nach Schweden will, muss dort durch. Und es gibt eine Menge Ferienhäuser. Noch etwas? Ja! Die Regierung in Kopenhagen hat sich gerade daran gemacht, einen Grundwert der europäischen Einigung abzuräumen, die Reisefreiheit.Das ist keine Nebensächlichkeit.
Nein, Schlagbäume will niemand errichten, das verstieße gegen europäisches Recht. Aber neue Zöllnerhäuschen bauen, Auto-Kennzeichen per Video überwachen, verdächtige Personen hinter der Grenze oder in Zügen kontrollieren – das ist alles möglich, soll also gemacht werden und kann jedermann treffen. Um deutsche Urlauber gehe es aber natürlich nicht, ist zu hören, sondern um Einreisende aus Osteuropa und um die angeblich "zunehmende grenzüberschreitende Kriminalität". Wenn man der Süddeutschen Zeitung Glauben schenken will, ist die Aktion nur ein Geschäft der Regierung in Kopenhagen mit der rechtspopulistischen Volkspartei: Grenzkontrollen gegen Zustimmung zur geplanten Rentenreform.
Der Deal von Kopenhagen untergräbt das europäische Selbstverständnis. Denn er macht aus der schwer erkämpften Freizügigkeit billige Verhandlungsmasse. Das passt ins Bild. Europa, das ist für viele Politiker offenbar kein Wert mehr, den es hochzuhalten gilt. Vergessen scheint, dass die europäische Integration uns sechzig Jahre lang Frieden beschert hat; dass der europäische Wirtschaftsraum zu einem der wohlhabendsten und größten der Welt herangewachsen ist; dass hier so viel Menschen in Freiheit leben können wie noch nie zuvor.
Europa, das ist den populistischen Kleingeistern vor allem Bürokratie, Bevormundung und Ineffizienz. Ohne die EU müssten wir nicht für Griechenland zahlen oder für Portugal. Ohne Brüssel könnte uns Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi nicht nerven mit seinen 25.000 tunesischen und libyschen Flüchtlingen.
Helmut Schmidt hat in der vergangenen Woche in der ZEIT einen langen Aufsatz darüber geschrieben, dass wir keine Euro-Krise, sondern eine Krise der Europäischen Union erleben. Dänemark bestätigt seine Diagnose.
Schon vor Kopenhagen hatten Berlusconi und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Einschränkung des Schengen-Abkommens gefordert. Doch statt sich nun geschlossen gegen solche Ideen zu wenden, plädierten an diesem Donnerstag immerhin 15 von 27 Innenministern der Mitgliedstaaten grundsätzlich dafür, dass die Regeln geändert werden sollen, nach denen zeitweilige Grenzkontrollen wiedereingeführt werden können.
Europa wird deshalb nicht gleich auseinander brechen. Aber allein dass wieder über die Einschränkung der Reisefreiheit diskutiert wird, zeigt, wie stark die politischen Fliehkräfte geworden sind, die an der Union zerren. Schon formieren sich anderenorts die Skeptiker und protestieren gegen die Rettungsaktivitäten für hoch verschuldete Euro-Länder.
In Schmidts Artikel steht auch, was Europa droht, wenn wir diese Krise nicht überwinden: der Rückfall in gefährliche nationale Egoismen und – angesichts der demografischen Entwicklung überall auf dem Kontinent – die Marginalisierung der einzelnen europäischen Staaten. Die Integration Europas war einst ein Projekt, das den Kontinent von seinem Hang zur Selbstzerfleischung befreien und seinen Bürgern Recht, Sicherheit und Freiheit verschaffen sollte. Man muss Europa nicht lieben, um dieses Ansinnen richtig zu finden. Kalte Vernunft genügt.
Quelle
25.000 flüchtlinge, die sich in europa sowieso verteilen, sind für manche elemente eben schon zu viel