@Hanika @Badbrain @Gwyddion @Bauli @alasdair @25h.nox @andreasko @guyusmajor Heftig, was gerade in Spanien abläuft, abseits von Streiks und Demos, wie in Madrid und Athen, bzw. Italien.
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Spaniens Krisenopfer
"Sie ließen nur die Gerippe zurück"
Die Wirtschaftskrise erreicht Spaniens Bauern. Marodierende Banden plündern Felder, schlachten Tiere, klauen alles vom Stromgenerator bis zum Schraubenzieher. Unter den Dieben finden sich immer öfter auch Rentner und Arbeitslose.
Pablo Masedo liebt die Ruhe, und Ruhe hatte er bislang reichlich. Der Takt seines Tagwerks geriet höchstens aus dem Rhythmus, wenn mal ein ungebetener Saufbold in seinem Stall übernachtete. Jetzt aber dringt die Wirtschaftskrise in sein Leben ein.
Masedo lehnt am lädierten Eingangstor seines Bauernhofs. Vor kurzem haben Diebe ein Seil an die Eisenstäbe gebunden, sie haben das andere Ende an einem Auto befestigt, Gas gegeben und das Tor mit Gewalt aufgerissen. Dann haben sie Masedos Hof geplündert. Schon das zweite Mal in einem Monat.
Beim ersten Mal rief Masedo noch die Polizei. Beim zweiten Mal kaufte er kein neues Torschloss mehr. "Das bringt ja nichts", sagt er. "Wer weiß schon, wann die nächsten Diebe kommen. Viel zu holen ist sowieso nicht mehr."
Pablo Masedo hat immer seine Hypothekenraten bezahlt. Er hat sich nie windige Wertpapiere andrehen lassen. Dennoch gehört nun auch er zu den großen Verlierern der spanischen Finanzkrise. Durch die hohe Arbeitslosigkeit und die sinkenden Löhne hat die Kriminalität auf dem Land enorm zugenommen. Allein im vergangenen Jahr wurden 20.000 Diebstähle auf Höfen und Feldern verzeichnet.
Die Zahl der Diebesbanden sei gewachsen, berichten der Landwirtschaftsverband Asaja und die Polizei. Auch Rentner und Arbeitslose würden nun klauen. So erreicht die spanische Wirtschftskrise auch Maredos Bauernhof am Fuße der Sierra Guadarrama.
Die Versicherung zahlt fast nichts
Masedo hat sein Hemd bis tief über die Brust aufgeknöpft, es spannt sich über seinen runden Bauch. Er blickt hinüber zu den grünen Weiden. Amseln und Sperlinge zwitschern in den Wipfeln der Steineichen, die Luft ist warm und duftet nach Heu. Seit seiner Geburt lebt er in Lozoya del Valle, nur wenige Kilometer von seinem Hof entfernt. "50 Jahre bin ich nun Farmer", sagt Massedo. "Ich habe Stürme und Dürren überstanden. Doch diese Einbrüche bringen mich an den Rand des Ruins."
Als Masedo nach dem ersten Überfall den Stall betrat, war der Boden mit Blut bespritzt. Die Diebe hatten seinen Lämmern vor Ort die Kehle durchgeschnitten, um sie besser wegtragen zu können. In den Tank seines Traktors hatten sie ein Loch gebohrt, um das Benzin abzusaugen. Auch die Batterie seiner Solar-Anlage hatten sie mitgehen lassen, dazu einen Stromgenerator, einen Wagenheber, diverse Zangen, Spitzhacken, Schraubenzieher und alles sonst, was aus Metall ist und sich beim Schrotthändler verkaufen lässt. Schrotthändler müssen über die Ware, die sie kaufen, nicht Buch führen und sind in Spanien bekannt dafür, nicht allzu genau nachzufragen.
Masedo ließ einen neuen Tank in den Traktor einbauen, er kaufte die nötigsten Werkzeuge und einen neuen Generator. Dazu eine Batterie für die Solar-Anlage, die er in einem Heuballen versteckte. Die Versicherung übernahm fast nichts davon, denn Masedo fehlten die Belege für die gestohlenen Dinge. Er musste sich 50 Jahre nicht um Diebe scheren. Warum hätte er Quittungen aufheben sollen?
In ganz Spanien wächst die Wut auf die Diebe. In Murcia im Osten Spaniens plünderten sie gerade die Felder. "Einmal haben sie auf einen Schlag fünf Tonnen Orangen geklaut", sagt Vincente Carrion, ein Bauer aus der Region. "Sie pflücken sie unter dem dichten Laub der Plantage weg, packen sie in Kisten, und wenn die Luft rein ist, rufen sie ihren Komplizen im Lkw per Handy, laden ein und sind auf und davon." Auf einem anderen Hof töteten sie die Kälber und zerlegten sie noch vor Ort, berichtet Carrion. "Sie ließen nur die Gerippe zurück."
Es sind archaische Formen der Kriminalität, die da zurückkehren. Denn natürlich wird keiner wirklich reich mit dem Klau von Lebensmitteln. Und so zeugt die neue Welle von Diebstählen und Einbrüchen auf dem Land vor allem davon, welches Ausmaß die Not vieler Spanier erreicht hat.
Die Diebe agieren wie Börsenhändler
Was nichts daran ändert, dass viele Diebe ziemlich dreist und rücksichtslos vorgehen - manche planen gar professionell wie Börsenhändler. "Sie schlagen immer zu, wenn die Preise für eine Obst- oder Gemüsesorte steigen", sagt Carrion. Ihre Beute verkauften die Diebe oft an Straßenständen, nicht weit von den Bauern entfernt, die sie beklaut haben. "Jeder weiß das, nur kann man es ihnen nicht nachweisen", sagt Carrion. "Und da sie das Diebesgut unter dem Marktpreis verkaufen, gibt es immer Leute, die es ihnen abnehmen."
Die Bauern haben kaum Chancen, sich zu wehren. Pablo Masedo sagt, dass er mit dem Geld gerade so hinkommt. Einen Nachwächter könne er sich nicht leisten. Eine Alarmanlage zwar schon, doch die erschrecke die Tiere. Selbst aufpassen kann er nicht, denn er wohnt, wie fast alle spanischen Bauern, im nächsten Dorf. Auch die Polizei kann kaum helfen. Sie hat in vielen Regionen die Patrouillen verstärkt, doch die Höfe liegen zu weit auseinander, als dass man sie ausreichend bewachen kann. Fast nie wird ein Dieb gefasst.
Manche Bauern gehen nun selbst auf Patrouille. Auch Pablo Masedo hat darüber nachgedacht, aber nur kurz. "Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn ich mit einem geladenen Gewehr einem Dieb gegenüberstehe", sagt er. "Für einen von uns geht das sicher schlecht aus."
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/spaniens-wirtschaftskrise-treibt-diebe-auf-bauernhoefe-und-felder-a-841183.html