Kommt jetzt der Crash? Wohin geht die Reise?
06.09.2011 um 17:01
Hier hat sich schon mal Jemand ganz ausführliche Gedanken gemacht, wie es weiter gehen könnte:
Das Titanic-Szenario
Der Euro steuert auf den Eisberg zu
HANDELSBLATT - 04.09.2011, 09:57 Uhr
Was passiert mit unserem Geld, wenn die Turbulenzen an den Märkten eine
Kettenreaktion auslösen und die Euro-Zone zerfällt? Beraten von Prof.
Clemens Fuest aus Oxford hat Handelsblatt ein „Worst-Case-Szenario“
entworfen.
22. Februar 2012: Südeuropa versinkt in der Rezession. In Griechenland
stürzt die Regierung.
Der globale Abschwung seit Mitte 2011 vermischt sich mit der Schuldenkrise
in Europa zu einem giftigen Cocktail. Die griechische Wirtschaft droht nach
2010 und 2011 ein drittes Jahr um rund fünf Prozent zu schrumpfen. Auch
Portugal gleitet tiefer in die Krise, Spanien und Italien stecken ebenfalls
in der Rezession.
Die Wirklichkeit hat somit alle Sparpläne außer Kraft gesetzt. Griechenlands
Haushaltsdefizit droht 2012 die Marke von zehn Prozent des
Bruttoinlandsprodukts zu übersteigen, statt wie versprochen auf fünf Prozent
zu sinken. Die Inspektoren des Internationalen Währungsfonds, die regelmäßig
Athens Sparfortschritte kontrollieren, drohen, die nächsten Hilfskredite zu
blockieren. Die Zinsen zehnjähriger Griechen-Anleihen sind gegenüber Mitte
2011 um sieben Prozentpunkte auf 25 Prozent gestiegen.
Nun ist der Punkt erreicht, vor dem Europas Politiker seit längerem schon
Angst hatten: Die Appelle an die Südländer, mehr zu sparen, haben sich
abgenutzt. Der Reformwille der Griechen ist am Ende, der Druck der Straße
wird zu groß. Zumal es kaum noch einen Ökonomen gibt, der ein Festhalten am
Sparkurs empfiehlt. Schon als die ersten Pakete aufgelegt wurden, hatte
Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn gewarnt: „Mit unseren Garantien belohnen wir
die Schuldensünder und ermuntern sie, ihr Tun fortzusetzen. Das bläht die
europäische Schuldenblase weiter auf und lässt sie eines Tages mit einem
noch größeren Knall platzen.“
Nach einer Welle von Massendemonstrationen und einem dreitägigen
Generalstreik stellt Regierungschef Giorgos Papandreou im Parlament die
Vertrauensfrage – und verliert sie. Es geht um mehr als einen
Regierungswechsel. Griechenland steht am Scheideweg.
2. April 2012: Griechenland erklärt den Austritt aus der Währungsunion und
führt die New Drachma ein.
Die Woche beginnt mit einem historischen Auftritt: Zeitgleich um neun Uhr
treten in Frankfurt der neue EZB-Chef Mario Draghi und in Athen der neue
Premier Antonis Samaras an die Öffentlichkeit.
Draghi begnügt sich im überfüllten Konferenzsaal der EZB mit einem kurzen
Statement: „Griechenland hat im Einvernehmen mit der EZB beschlossen, ab
sofort die New Drachma einzuführen, zunächst im Verhältnis 1:1 zum Euro.
Alle inländischen Bankeinlagen werden auf die neue Währung umgestellt. Die
Regierung in Athen erklärt sich für zahlungsunfähig in Euro und bietet den
Umtausch der Staatspapiere in Drachma-Anleihen mit 80 Prozent des
ursprünglichen Nennwerts an.“
Der Europäische Rettungsfonds (EFSF), die Europäische Zentralbank und der
Internationale Währungsfonds würden diesen Tausch vollziehen. „Bis Mittwoch
gelten in Griechenland Bankfeiertage. Der EFSF garantiert danach die
Funktionsfähigkeit der griechischen Banken und ihre Euro-Verbindlichkeiten“,
sagt Draghi.
In Athen hat Samaras eine Sondersitzung des Parlaments einberufen. „Heute
ist ein Schicksalstag für unsere Nation“, hebt er an, „aber ich sage: Es ist
kein Tag der Niederlage, sondern ein Tag der Befreiung. Wir schütteln die
Fesseln der Bevormundung ab und nehmen unser Schicksal selbst in die Hand.“
Er kündigt Devisenkontrollen an und verbietet die Ausfuhr von Euro.
In Berlin tritt Bundeskanzlerin Angela Merkel vor die Kameras. Sie erklärt,
es gebe keinen Grund zur Sorge: „Es ist ein schwieriger Tag für Europa. Aber
die Euro-Zone ist in ihrem Kern gesund, und sie wird dadurch, dass
Griechenland seinen eigenen Weg geht, nur noch stärker.“
Die deutschen Banken versichern, dass ihr Griechenland-Engagement mit keinen
existenzbedrohenden Risiken verbunden sei. Ende 2010 hatten sie griechische
Staatsanleihen im Wert von 8,8 Milliarden Euro in den Büchern.
An den Finanzmärkten schnellen die Risikoaufschläge für Anleihen aus
Portugal, Spanien und Italien auf neue Rekorde. Bank-Aktien – betroffen sind
vor allem Institute in Paris und Frankfurt – fallen ins Bodenlose. Das
zypriotische Bankensystem kollabiert.
5. April 2012: Eine Bankenkrise erfasst Europa. Der Rettungsschirm wird
verdoppelt.
Drei Tage nach dem Euro-Austritt Griechenlands öffnen die Banken des Landes
für eine Stunde vormittags die Schalter. Das neue Geld besteht aus
Euro-Scheinen, auf die „New Drachma“ gestempelt wurde. Am Geldautomaten gibt
es nur einen 50er-Schein je Tag und Konto. Der Geldverkehr spielt sich
hauptsächlich in bar ab, außerdem schreiben kleine Geschäfte für Kunden an.
Ein offizieller Devisenhandel findet bis auf weiteres nicht statt. Die
Polizei schützt mit einem Großaufgebot die Banken und die Regierungsgebäude.
Nach den Portugiesen beginnen auch Spanier und Iren, die Bankschalter zu
belagern. Die Banken verkürzen ihre Öffnungszeiten und sperren die
Geldautomaten. Im Süden Europas ereignet sich das, was die Experten einen
„Bank Run“ nennen. Zuletzt hatte das während der Finanzkrise 2007
Großbritannien erlebt, als die Kunden Schlange standen, um ihr Geld bei der
Pleitebank Northern Rock abzuheben.
In Berlin treten Merkel und Sarkozy vor die Presse. Sie wollen alles tun, um
die Euro-Zone zusammenzuhalten. „Der französische Präsident und ich haben
beschlossen, täglich zu telefonieren und weitere Schritte zur Stabilisierung
der Situation einzuleiten“, kündigt Merkel an. Sarkozy ergänzt, er gehe
davon aus, dass bald Euro-Bonds ausgegeben würden, die Details dazu seien
aber noch nicht festgelegt. Merkel geht auf diese Bemerkung nicht weiter
ein. Sie hatte die Diskussion schon im Frühjahr 2011 für beendet erklärt,
weil der Widerstand in der eigenen Koalition zu groß war.
Am folgenden Wochenende treffen sich die Euro-Regierungschefs zum
Krisengipfel in Amsterdam. Wie schon vor früheren Gipfeltreffen haben Merkel
und Sarkozy mit ihren Beratern vorgearbeitet. Doch erst nach einer langen
Verhandlungsnacht steht der Kompromiss: Der Europäische Rettungsfonds EFSF,
der erst im Juli 2011 von 440 auf 780 Milliarden Euro aufgestockt wurde,
wird auf 1,5 Billionen Euro verdoppelt – dagegen hatte sich die
Bundesregierung immer gewehrt. Der Rettungsfonds übernimmt von der
Europäischen Zentralbank Staatsanleihen im Wert von 212 Milliarden Euro. Die
EZB hatte diese noch aus verschiedenen Stützungskäufen in den Büchern, die
Summe hatte sich seit Mitte 2011 verdoppelt.
Italien und Spanien verpflichten sich im Gegenzug für das deutsche
Entgegenkommen bei der Ausweitung des Rettungsfonds ESFS zu verstärkten
Sparanstrengungen.
„Griechenland ist ein Sonderfall“, versichert Kommissionspräsident José
Manuel Barroso. „Wir sind uns einig, dass wir keines der verbliebenen Länder
fallen lassen werden. Der Euro ist und bleibt eine stabile Währung.“
Zum Abschluss geben Merkel und Sarkozy vor den Fernsehkameras noch eine
Zusatzerklärung ab. „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern Europas, dass
ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür stehen die Regierungen Deutschlands
und Frankreichs ein“, sagt Merkel. Sarkozy nickt. Damit verwendet Merkel den
gleichen Wortlaut wie im Oktober 2008, als sie zusammen mit dem damaligen
Finanzminister Peer Steinbrück die Spareinlagen der Deutschen garantierte.
Am Montag nach dem Gipfel steigen die Börsen weltweit, die Anleihezinsen der
Euro-Zone geben nach, und der Euro erholt sich auf 1,10 Dollar. Er war zuvor
von 1,43 Dollar Anfang September 2011 auf bis zu 98 US-Cent gefallen. Doch
als am Dienstag neue Gerüchte um die Insolvenz einer französischen Großbank
kursieren, fallen die Kurse erneut.
Eine Woche später verstaatlicht die Regierung in Lissabon eine Großbank, die
mit dem Versuch einer Kapitalerhöhung gescheitert war. Ministerpräsident
Pedro Passos Coelho fordert die Bürger in einer Fernsehansprache auf, kein
Geld mehr von den Konten abzuheben. Schweizer Banken berichten von
steigenden Zuflüssen aus allen Euro-Staaten.
20. Juni 2012: Auch Portugal scheidet freiwillig aus der Währungsunion aus.
Die Bankenkrise verschärft sich.
Der nächste Dominostein kippt: Portugal. Wochenlang hatten die Menschen mit
Massendemonstrationen und Streiks gegen die Sparpolitik der Regierung Coelho
protestiert. Die Wirtschaftsleistung, die schon 2011 um 1,2 Prozent
geschrumpft war, ist im ersten Halbjahr um drei Prozent gesunken; die
Arbeitslosenquote stieg auf 18 Prozent.
Coelho hat es der griechischen Regierung nachgemacht – und den Ausstieg aus
der Euro-Zone gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank vorbereitet. Das
Land führt den „Escudo Novo“ im Verhältnis 1:1 zum Euro ein. Der
Internationale Währungsfonds und der europäische Rettungsschirm EFSF
tauschen portugiesische Euro-Anleihen mit einem Abschlag von 20 Prozent in
die neue Währung. Die Banken bleiben für eine Woche geschlossen, die
Kapitalverkehrskontrollen werden verschärft.
In Spanien, Italien, Zypern und sogar Frankreich bestürmen nun die Kunden
die Banken, um ihre Konten zu leeren.
Wenige Tage später kündigt die Regierung in Madrid die Fusion von elf
Sparkassen zu zwei neuen Instituten an, die mit einer milliardenschweren
Kapitalspritze der EFSF unterstützt werden. Eine französische Bank, die vor
der Pleite steht, erhält drei Milliarden Euro vom Rettungsfonds, eine
deutsche Bank sogar fünf Milliarden. Außerdem gibt die EFSF bekannt, dass
sie seit dem 1. Mai für 125 Milliarden Euro Staatsanleihen aufgekauft habe.
In ihrem Besitz befinden sich mittlerweile Anleihen für 700 Milliarden Euro,
etwa ein Zehntel der gesamten Staatsschulden der Euro-Zone.
In Spanien und Frankreich gehen Zehntausende zu Protestkundgebungen gegen
die „neoliberale Zwangsjacke Europa“ auf die Straße. Sie fordern ein „Ende
des Spardiktats“ und staatliche Konjunkturhilfen.
7. Juli 2012: Auf Drängen Obamas beschließen die Europäer Euro-Bonds und
einen Marshallplan für Südeuropa.
Wieder ist Wochenende, und wieder steht ein Euro-Krisengipfel an. Schauplatz
ist diesmal der Petersberg bei Bonn, und der internationale Druck ist
stärker denn je.
Zwei Tage zuvor hat US-Präsident Barack Obama die Europäer aufgerufen, den
Zerfall der Euro-Zone zu stoppen. „Es geht schon lange nicht mehr nur um
Europa, es geht darum, eine neue Weltwirtschaftskrise und den Aufstieg von
Extremisten zu verhindern“, sagte Obama in einer kurzfristig anberaumten
Pressekonferenz im Rose Garden des Weißen Hauses.
Das Gipfeltreffen beginnt am Freitagmorgen im Zeichen neuer Rekordhochs der
Anleihezinsen Spaniens und Italiens und neuer Rekordtiefs europäischer
Bank-Aktien. Als durchsickert, die Einführung von Euro-Bonds werde
beschlossen, beginnt eine Erleichterungs-Rally an den Märkten.
Tatsächlich einigen sich die Regierungschefs darauf, einen Vorschlag der
Brüsseler Denkfabrik Bruegel aus dem Mai 2010 umzusetzen und für einen
Großteil der Staatsschulden der Einzelstaaten gemeinschaftlich
geradezustehen.
Außerdem beschließt der Gipfel die Schaffung einer europäischen
Haushaltsbehörde, die künftig das letzte Wort über alle Staatshaushalte in
der Währungsunion haben soll. Zusätzlich legen Deutschland und Frankreich
einen 100-Milliarden-Euro-Fonds für Spanien und Italien auf, der das
Wachstum beleben soll. „Das ist eine historische Entscheidung, die eines
beweist: Wenn Deutschland und Frankreich zusammenstehen, dann wird Europa
nicht untergehen“, sagt Merkel.
Zwei Tage später kündigen drei FDP-Abgeordnete und drei Unions-
Parlamentarier aus Protest den Austritt aus ihren Bundestagsfraktionen an –
die Mehrheit der Regierungskoalition schrumpft.
23. Juli 2012: Der Bundestag lehnt Euro-Bonds und Marshallplan ab.
Der Bundestag berät über das eilig formulierte Gesetz zur Einführung von
Euro-Bonds. Auch über eine stärkere Wirtschaftsförderung für Italien und
Spanien soll diskutiert werden. Am Vorabend der Beratungen haben FDP- und
Unionsfraktion Zählappelle durchgeführt. „Die Mehrheit steht“, sagten danach
die Fraktionsvorsitzenden. Trotz der sechs Austritte hat die Koalition noch
eine Mehrheit von 14 Sitzen. Auf Stimmen aus der Opposition will sich Merkel
nicht stützen – sie verbindet die Abstimmung mit der Vertrauensfrage.
Die Debatte im Bundestag verläuft hitzig. SPD-Finanzexperte Peer Steinbrück
wirft der Kanzlerin vor, mit ihrem ständigen Zögern vor jedem Schritt die
Euro-Rettung immer teurer gemacht zu haben. Schon im Juli 2011 hatte er der
Kanzlerin vorgehalten: „Die Horrorvision einer Transferunion halte ich für
absurd, weil wir es längst mit einer Transferunion zu tun haben.“ Damals
hatte sich die SPD für Euro-Bonds ausgesprochen. Inzwischen rücken aber auch
immer mehr SPD-Politiker angesichts der wachsenden Wut der Bürger davon ab.
Aus den eigenen Reihen spürt die Kanzlerin Widerstand. CSU-Chef Horst
Seehofer greift sie an: „Es ist dem deutschen Steuerzahler nicht mehr
zuzumuten, auch nur einen weiteren Euro für Südeuropa zu zahlen“, poltert
er. Das ist nicht originell, aber Seehofer trifft Volkes Stimmung.
Als Merkel ans Rednerpult tritt, spricht sie ungewohnt emotional: „Es geht
hier um die Zukunft Europas, und, ja, es geht womöglich auch um Krieg und
Frieden“, ruft sie ins Plenum. „Wir alle müssen jetzt über unseren Schatten
springen, um die europäische Idee zu retten.“
Als das Abstimmungsergebnis bekanntgegeben wird, wird sie bleich. Weil sich
der größte Teil der Opposition enthält, scheitert das Gesetz. Die FDP
erklärt ihren Austritt aus der Koalition.
Gespräche über eine Große Koalition scheitern – Union und SPD einigen sich
auf Neuwahlen in sechs Monaten. Bis dahin will Merken mit einer
Minderheitsregierung, die von der SPD toleriert wird, weiterregieren.
Meinungsumfragen sehen die obskure, erst vor kurzem gegründete
„Deutschlandpartei“ bei über 15 Prozent.
In den folgenden Tagen spielen die Finanzmärkte verrückt. Anleger flüchten
aus dem Euro und auch aus Staatsanleihen der europäischen Staaten, bis auf
Deutschland. Die Börsen brechen um zehn Prozent ein, der Dax fällt unter die
Marke von 2 500 Punkten.
In Paris, Rom und Madrid formieren sich Demonstrationszüge gegen
Deutschland.
5. August 2012: Auf einem Geheimtreffen in Deauville beschließen Merkel und
Sarkozy den Nord-Euro.
Die Lenker der beiden größten Länder der Europäischen Union, Merkel und
Sarkozy, kommen an diesem Sonntag in einem Privathaus im französischen
Seebad Deauville unter größter Geheimhaltung zusammen. Die beiden Kernländer
der Euro-Zone wollen retten, was zu retten ist – und beschließen, aus der
abgebröckelten Währungsunion einen Nord-Euro zu schaffen. Der neue Euro soll
zu einem Anker der Stabilität werden und von Anfang an den richtigen
institutionellen Rahmen erhalten.
Bereits im Sommer 2011 hatten Berlin und Paris im Élysée-Palast die Pläne
für eine europäische Wirtschaftsregierung diskutiert. Damals waren sie auf
große Skepsis gestoßen. Nun wollen sie Ernst machen.
Hinter verschlossenen Türen handeln die deutsche und die französische
Regierung ein Grundgerüst für die Zeit nach dem Euro aus: Die neue
Währungsunion soll nur finanziell solide und politisch stabile Länder
aufnehmen und von Anfang an auch eine gemeinsame Finanzpolitik umfassen. Das
bedeutet, dass die Teilnehmer ein gutes Stück nationaler Souveränität
aufgeben müssen. Das Budgetrecht wird europäisiert.
Als Kandidaten für die Teilnahme identifizieren Merkel und Sarkozy die
Niederlande, Belgien und Luxemburg, Finnland und Estland, Österreich und
Slowenien. Alle anderen EU-Länder sollen später dazustoßen dürfen.
Das Treffen bleibt nicht lange geheim. Französische Journalisten bekommen
Wind davon, Spekulationen machen die Runde. Die Journalisten erinnern sich
an das missglückte Geheimtreffen im Sommer 2011: Damals hatte
Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker seinen Sprecher bestreiten lassen,
dass es überhaupt irgendein Euro-Treffen gebe, „egal in welcher Besetzung
und zu welchem Thema“.
Nun ist das Stichwort „Nord-Euro“ in der Welt, und Merkel und Sarkozy sehen
sich gezwungen, die Berichte zwei Tage später im Kern zu bestätigen. An den
Märkten beginnen Spekulationen darüber, welches Land dabei ist und welches
nicht. Anleihezinsen und Aktienkurse fahren Achterbahn. In hochverschuldeten
Ländern beginnen fieberhafte Vorbereitungen für die Rückkehr zu einer
eigenen Währung. Der Euro profitiert jedoch: Er steigt bis auf 1,25 Dollar.
12. August 2012: Auf einem Gipfeltreffen in Eltville besiegeln die
verbliebenen Euro-Länder formal den Nord-Euro.
In Eltville am Rhein – hier hält die Bundesbank traditionell ihre
Ausbildungsseminare ab – beschließen die Regierungschefs der neuen
Kern-Euro-Gruppe nun formal den Nord-Euro. Die Währung soll weiter Euro
heißen. Auch die Münzen und Scheine bleiben, wie sie waren – um weiteren
organisatorischen Aufwand – und vor allem Kosten – zu sparen.
Aus dem Zentralbankrat und dem Direktorium der Europäischen Zentralbank
(EZB) scheiden die Mitglieder aus, deren Heimatländer nicht mehr zum Euro
gehören. Die Frankfurter Institution bleibt ansonsten nahezu unverändert.
Als Merkel und Sarkozy vor die Kameras treten, ist die Stimmung angespannt.
„Wir haben die notwendigen Weichen gestellt“, sagt Sarkozy. Merkel ergänzt:
„Wir gehen fest davon aus, dass die Märkte dieses Signal der Stabilität
würdigen.“ Sie fliegt nach Berlin.
Dort erreicht sie noch am gleichen Tag die Zustimmung des Bundestags für den
Nord-Euro und einer gemeinsamen europäischen Haushaltspolitik, inklusive
Finanzausgleich. Ein Schritt zum europäischen Bundesstaat ist getan – doch
es nimmt nur noch ein Drittel der EU-Mitglieder daran teil.
Spanien, Italien und die anderen faktisch aus der Euro-Zone ausgestoßenen
Staaten diskutieren kurz und ergebnislos die Gründung einer eigenen
Währungsunion und führen dann notgedrungen neue, eigene Währungen ein.
Die Mitglieder des Nord-Euros übernehmen die Verpflichtungen des
europäischen Rettungsschirms EFSF und akzeptieren, dass die Südeuropäer ihre
Verbindlichkeiten in den neuen Landeswährungen abtragen. Schuldenschnitte
gewähren sie ihnen aber nicht. Die Verluste in Milliardenhöhe aufgrund der
Abwertung ihrer Währungen werden unter den Nord-Euro-Mitgliedern aufgeteilt.
Die Realwirtschaft leidet unter der Bankenkrise. In Deutschland sinkt das
Bruttoinlandsprodukt.
30. Januar 2013: Die Realwirtschaft leidet, die EZB ist machtlos.
Das EZB-Direktorium ist von fünf auf drei Mitglieder geschrumpft. Ihr Ziel,
mit der neuen Währung einen Stabilitätsanker zu schaffen, erfüllt sich
nicht. Der Nord-Euro wertet gegenüber den Währungen der ausgestoßenen Länder
auf – um bis zu 40 Prozent. Gegenüber dem Dollar steigt er binnen weniger
Wochen von 1,25 auf 1,50 Dollar je Euro.
Die deutsche Exportwirtschaft erlebt das, wovor sie sich immer gefürchtet
hat. Der Preisvorteil durch den Euro ist dahin. Selbst Maschinen und
Fahrzeuge, für die es feste Liefertermine gibt, bekommen deutsche Firmen
ohne große Preiszugeständnisse nicht mehr los. Die Kunden in den Südländern
verweigern die Annahme zu den ausgehandelten Euro-Preisen. Sie sind in
dieser Währung kaum noch zahlungsfähig.
BDI-Chef Hans-Peter Keitel fordert die Bundesregierung auf, den betroffenen
Unternehmen mit Subventionen zu helfen – nach dem Vorbild der Schweiz, die
im August 2011 ein Hilfsprogramm über zwei Milliarden Euro aufgelegt hatte.
Dafür hatte sich Swatch-Chef Nick Hayek starkgemacht. Die Franken-Stärke
habe die Wirtschaft in eine extrem schwierige Situation gebracht, hatte er
im Sommer 2011 gewarnt: „Wir werden das alle noch massiv spüren.“ Wie die
Schweizer Notenbank ein Jahr zuvor versucht die EZB nun, mit Interventionen
an den Devisenmärkten den Höhenflug zu bremsen – aber die Eingriffe
verpuffen.
Das Chaos verschafft Europakritikern überall Aufwind. Referenden über den
EU-Austritt werden vorbereitet, Bestimmungen des Binnenmarktes und die
Reisefreiheit werden teilweise außer Kraft gesetzt. Die Euro-Skeptiker
beherrschen die Debatte.
Mit einem feurigen Leitartikel hält Helmut Schmidt dagegen. Schon vor Jahren
hatte er in einem seiner Bücher gewarnt, wenn wir die EU verkümmern oder gar
scheitern ließen, „dann bliebe der noble Anfang nicht viel mehr als ein
interessantes Thema für spätere Historiker“.
Schmidt erinnert daran, dass er bereits Ende August 2011 die deutsche
Politik gewarnt hatte, die Risiken zu unterschätzen: „Man muss sich auf die
Deutschen verlassen können. Und das ist gegenwärtig weder in Paris noch in
London, noch in anderen Hauptstädten in Europa der Fall.“
Dieses Szenario entstand unter wissenschaftlicher Beratung von Clemens
Fuest. Er lehrt als Professor in Oxford und ist Mitglied des
Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums. Fuest ist einer der
zehn forschungsstärksten jüngeren deutschen Volkswirte und ein Experte für
Wirtschafts- und Finanzpolitik.