Sklaverei im Islam
08.07.2009 um 14:31@jamesbondla
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Im Zuge meiner weiteren Recherchen im Internet, bin ich auf eine sehr sachliche Kommentierung und Analyse gestoĂen, die ich euch nicht vorenthalten möchte.
Ich stelle mal den ganzen Artikel ein, bevor ich dann âschĂ€tzungsweise- morgen oder ĂŒbermorgen ergĂ€nzendes dazu posten kann.
Theorie und Praxis der Sklavenhaltung sind eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der islamischen Welt, und bis heute bestehen sklavereiĂ€hnliche VerhĂ€ltnisse fort. Das Thema ist stark tabuisiert, doch eine neue Generation von Forschern, Medienschaffenden und engagierten BĂŒrgerinnen nimmt sich seiner nun an, allen voran der Anthropologe Malek Chebel.
Von Beat Stauffer
Wo befand sich der Sklavenmarkt in der Altstadt von Marrakesch? Wann wurden hier die letzten Sklaven gehandelt? Welche Familien und Dynastien waren die NutznieĂer dieses Menschenhandels? Und gibt es vielleicht heute noch sklavereiĂ€hnliche VerhĂ€ltnisse in der âPerle des SĂŒdensâ? Solche Fragen mĂŒssten sich Reisende in arabischen LĂ€ndern eigentlich stellen; nicht nur in Marrakesch, sondern auch in GhadamĂšs, Kairo und anderen ehemaligen Zentren des Sklavenhandels. Doch Touristen, die diese LĂ€nder heutzutage bereisen, werden, falls ĂŒberhaupt, nur beilĂ€ufig und anekdotenhaft mit dem Faktum der Sklaverei konfrontiert; und der Umstand, dass ein Teil der Sklavinnen und Sklaven im Harem landeten, scheint das Ganze nicht nur faszinierender, sondern auch ertrĂ€glicher zu machen. GedenkstĂ€tten in Erinnerung an den weit ĂŒber tausend Jahre dauernden Handel, der Millionen von Menschen versklavt, erniedrigt und auf das Niveau von Nutztieren reduziert hat, sucht man selbst in den einstigen Zentren des arabischen Sklavenhandels vergeblich, und auch in den Lehrmitteln der Schulen in der islamischen Welt finden sich kaum Hinweise auf dieses dĂŒstere Kapitel.
Bis vor kurzem galt im Westen als ausgemacht, dass das PhĂ€nomen der Sklaverei in erster Linie die europĂ€ischen LĂ€nder sowie die Vereinigten Staaten betreffe. In jĂŒngster Zeit wird diese Sichtweise allerdings zunehmend in Frage gestellt. Schon in den 1980er Jahren hatte der verstorbene ZĂŒrcher Historiker Albert Wirz darauf hingewiesen, dass der Sklavenhandel bereits vor der Ankunft der EuropĂ€er in Afrika von arabisch-muslimischen HĂ€ndlern betrieben wurde und dass diese bei der Beschaffung von Sklaven fĂŒr die BedĂŒrfnisse der EuropĂ€er eine zentrale Rolle gespielt hatten. Zu Ă€hnlichen SchlĂŒssen kamen auch andere Autoren. Die meisten ihrer Publikationen sind jedoch nie von einem breiteren Publikum zur Kenntnis genommen worden.
In letzter Zeit beginnt sich aber in dieser Hinsicht langsam eine andere Sichtweise durchzusetzen. Zum einen sind Formen von sklavereiÀhnlichen ZustÀnden in mehreren islamischen LÀndern mittlerweile derart solide dokumentiert, dass sich das Problem nicht
mehr mit dem Hinweis auf eine zu vage Quellenlage von der Hand weisen lĂ€sst. Zum andern sind in jĂŒngster Zeit verschiedene Publikationen zum Thema erschienen. Allen voran ist hier das Werk des algerisch-französischen Anthropologen und Psychoanalytikers Malek Chebel zu erwĂ€hnen, das unter dem Titel âL'esclavage en terre d'Islamâ Ende 2007 veröffentlicht worden ist. Es handelt sich um die erste Studie, die auf umfassende Weise die Sklaverei im islamischen Raum durchleuchtet. Chebel, der mit zahlreichen Werken international Anerkennung gefunden hat, bekennt sich klar als Humanist, und als solchem ist ihm die Sklaverei ein GrĂ€uel. Dennoch hat sich der Autor einen nĂŒchternen Blick auf dieses schwierige Thema bewahrt und hat der Versuchung widerstanden, ein Pamphlet gegen die Sklaverei zu publizieren.
Dass Chebel aus dem Maghreb stammt und selbst Muslim ist, dĂŒrfte in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle spielen; denn indem er hartnĂ€ckig auf der Basis der islamischen Schriften gegen die Praxis der Sklaverei argumentiert, entzieht er dem (im Raum stehenden) Vorwurf der Islamfeindlichkeit von Anfang an den Boden. âGott hat nichts geschaffen, was er mehr liebt als die Befreiung von Sklaven, und er hasst nichts mehr als die VerstoĂungâ, lautet einer der Hadithe, der ĂŒberlieferten Aussagen des Propheten, auf den sich Chebel abstĂŒtzt.
In der Tat ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Teil der Autoren, die zu diesem Thema publiziert haben, aus ihrer prinzipiell islamkritischen Haltung kein Hehl machen. Dasselbe gilt von einer Reihe von Hilfswerken, die sich um den âFreikaufâ von Sklaven bemĂŒhen; in ihrer Mehrheit sind sie einem evangelikal-christlichen Umfeld zuzuordnen.
Die Recherche zum Thema Sklaverei, in die Chebel nach eigenen Worten eher zufĂ€llig hineingeraten war, erwies sich schon bald als «schwierigste Aufgabe» seines Lebens. In der arabischen Welt sei das Thema âSklavereiâ stark tabuisiert, und es gebe zurzeit weder ein Bewusstsein fĂŒr die Bedeutung dieses PhĂ€nomens noch seriöse wissenschaftliche Studien. Umso heftiger, so berichtet Chebel, waren die Ermahnungen und Drohungen aller Art, mit denen er im Lauf seiner mehrere Monate dauernden Recherche konfrontiert wurde. Doch insbesondere die Warnung, eine solche Studie wĂŒrde nur den Feinden des Islam Munition liefern, schlug Chebel dabei in den Wind und setzte sich schlicht zum Ziel, âdie ganze Wahrheit ĂŒber die Sklavereiâ festzuhalten, ungeachtet möglicher Folgen. Dies ist ihm in beachtlichem AusmaĂ gelungen.
Chebel betrieb dabei eine doppelte Recherche. Zum einen durchsuchte er schriftliche Quellen aus der gesamten islamischen Tradition und Geschichte auf den Aspekt der Sklaverei. Dabei gelang es ihm, praktische Anleitungen fĂŒr die Sklavenhaltung und andere Dokumente ausfindig zu machen, die in erschreckender Weise belegen, wie alltĂ€glich, ja ânormalâ die Versklavung von Menschen in der islamischen Welt wĂ€hrend Jahrhunderten gewesen war. Der VollstĂ€ndigkeit halber muss erwĂ€hnt werden, dass der Autor auch ein paar âLichtblickeâ zutage förderte, so etwa ein Pamphlet eines marokkanischen Abolitionisten. Zum andern unternahm Chebel eine umfassende Recherche ĂŒber die heutige Praxis der Sklavenhaltung, die ihn in fast alle islamischen LĂ€nder fĂŒhrte. In Interviews mit Betroffenen, in GesprĂ€chen mit Juristen, Theologen, Politikern und Menschenrechtsaktivisten versuchte der Autor, möglichst viel aus erster Hand ĂŒber dieses PhĂ€nomen zu erfahren. Das Resultat ist eine beeindruckende Gesamtschau der Theorie und Praxis der Sklaverei in der islamischen Welt. Dabei wirken die âLĂ€nderberichteâ, die Chebel erstellt hat, trotz der offen bekundeten Parteinahme fĂŒr die Entrechteten und seinem tiefen humanistischen Engagement vorsichtig, nĂŒchtern und keineswegs dramatisierend; kurz: in hohem MaĂ glaubwĂŒrdig. Allein schon der Umstand, dass der Autor bis anhin von keinem einzigen
islamischen Staat gerichtlich belangt worden ist, spricht fĂŒr die Ernsthaftigkeit seiner Analyse.
Wie aber steht denn der Islam zur Versklavung von Menschen? Hatte der Prophet wirklich die Absicht, die zu seiner Zeit weit verbreitete Praxis der Sklaverei schrittweise auszurotten, oder ging es ihm vielmehr darum, die stoĂendsten und entwĂŒrdigendsten Formen zu mildern? Chebel hĂ€lt ausdrĂŒcklich fest, dass die koranischen Textstellen, in der von Sklaverei die Rede ist, der Tendenz nach erstaunlich âsklavenfreundlichâ sind. So wird etwa die Freilassung von Sklaven als âgottgefĂ€lliges Werkâ ausdrĂŒcklich empfohlen, die Versklavung von Muslimen â und im Prinzip auch von Angehörigen der anderen Buchreligionen â hingegen klar untersagt.
Dennoch weist die Haltung des Propheten zum PhĂ€nomen der Sklaverei nach Auffassung von Chebel eine betrĂ€chtliche Ambivalenz auf. Denn da sind auch Textstellen, welche eindeutig auf eine gottgegebene Hierarchie zwischen âHerrâ und âKnechtâ hinweisen, und die Versklavung von Nichtmuslimen gilt im Rahmen von Kriegen und Razzien ausdrĂŒcklich als legitim. Schwer wiegt aber vor allem der Umstand, dass sich die eher âsklavenfreundlicheâ Position des Propheten in den darauffolgenden Jahrhunderten nie wirklich durchsetzen konnte. Die GrĂŒnde sieht Chebel in erster Linie darin, dass die Befreiung von Sklaven âkein starkes Leitmotivâ des Korans und auch keine Verpflichtung fĂŒr die GlĂ€ubigen darstellte. Vielmehr blieb es allein der persönlichen Initiative und dem guten Willen eines Sklavenhalters ĂŒberlassen, ein âgottgefĂ€lliges Werkâ zu unternehmen.
Die islamische Rechtsprechung sei bezĂŒglich der Haltung von Sklaven stets âunklar, mehrdeutig und teilweise widersprĂŒchlichâ gewesen, schreibt Chebel, und sie habe in der Praxis âabsolutistische Potentaten, reiche HĂ€ndler und Feudalherren aller Kategorienâ nie davon abgehalten, sich mit so viel Sklaven zu umgeben, wie sie es wĂŒnschten. âAuf solche Weise ist die Sklaverei von Dynastie zu Dynastie zu einem muslimischen Faktum gewordenâ, hĂ€lt Chebel fest. Zwar hĂ€tten die religiösen AutoritĂ€ten in der Geschichte des Islam ab und zu gewisse Vorbehalte gegenĂŒber der gĂ€ngigen Praxis der Sklaverei geĂ€uĂert, doch seien sie damit auf taube Ohren gestoĂen.
Das Fazit ist klar: Die in den AnfĂ€ngen des Islam durchaus spĂŒrbare emanzipatorische Tendenz hat sich in den folgenden Jahrhunderten nie durchsetzen können, sondern einer weitgehenden Akzeptanz der Sklaverei Platz gemacht. Es sei eines der âernĂŒchterndsten und traurigsten Resultateâ seiner Recherche gewesen, dass selbst herausragende islamische Gelehrte sich dazu hergegeben hĂ€tten, die Sklaverei zu kodifizieren. âDas bedeutet, dass die gegenĂŒber diesem Ăbel nicht neutral warâ, schreibt Chebel. âStatt die Wurzeln der Sklaverei anzugehen, nĂ€mlich die Gier der SklavenhĂ€ndler und die kriminelle LĂ€ssigkeit der EigentĂŒmer, hat sie ihnen die juristischen Mittel beschafft, um einen Handel zu praktizieren, der dadurch beinahe gewöhnlich, banal und unverfĂ€nglich wurde. â
Die uralte Tradition der Sklavenhaltung habe sich in den vergangenen Jahrhunderten gewissermaĂen auf den Islam âaufgepfropftâ und auf solche Weise seine ursprĂŒngliche, emanzipatorische Botschaft ĂŒberdeckt. Ja, der Islam sei in einem gewissen Sinn âOpfer der SklavenhaltermentalitĂ€tâ geworden, gibt Chebel in einem Interview zu Protokoll. Damit nimmt er offensichtlich den Islam aus der Schusslinie und lĂ€sst die Möglichkeit einer âprogressivenâ Lesart der heiligen Schriften offen. Nur andeutungsweise wirft er die Frage auf, ob die âUnterwerfungâ unter den göttlichen Willen â dies eine der möglichen Ăbersetzungen des Wortes Islam â nicht auch als âVorspielâ zu einer ganz und gar weltlichen Unterwerfung und Unterordnung verstanden werden könnte, auf die sich die Sklavenhalter nur allzu gerne abgestĂŒtzt haben.
Genau so sehen es konservative islamische Theologen bis heute; das GefĂ€lle zwischen Herr und Sklave ist fĂŒr sie Teil einer göttlichen Ordnung. Ein prominenter saudischer Islamgelehrter namens Scheich Saleh al-Fazwan habe sich noch vor wenigen Jahren öffentlich gegen die Abschaffung der Sklaverei ausgesprochen, berichtet etwa der amerikanische Journalist und Islamkritiker Daniel Pipes. Sklaverei sei âTeil des Islam wie auch des Jihadâ und werde es auch bleiben, solange der Islam existiere, soll der Gelehrte, welcher dem höchsten religiösen Gremium Saudi-Arabiens angehört, verkĂŒndet haben. Auch andere â selbst ernannte oder stattlich anerkannte â religiöse AutoritĂ€ten haben sich in diesem Sinn geĂ€uĂert.
Dass die Debatte zum Thema Sklaverei keineswegs akademischer Natur ist, zeigt sich in aller SchĂ€rfe in Mauretanien. Auf dem Papier war die Sklaverei in diesem westafrikanischen Land im 20. Jahrhundert dreimal abgeschafft worden, ohne dass sich in der Praxis viel verĂ€ndert hĂ€tte: 1905 per französisches Kolonialdekret, 1960 mit der Erlangung der UnabhĂ€ngigkeit und schlieĂlich zum dritten Mal im Jahr 1980. 23 Jahre spĂ€ter, im Jahr 2003, wurde ein Gesetz erlassen, das den Menschenhandel in aller Form unter Strafe stellte, das Wort Sklaverei aber tunlichst vermied. Doch damit nicht genug: Vor wenig mehr als einem Jahr, im September 2007, verabschiedete das mauretanische Parlament schlieĂlich ein weiteres Gesetz zur Ăchtung der Sklaverei und beschloss parallel dazu eine Reihe begleitender MaĂnahmen.
Hinter diesem Gesetzeserlass steht in erster Linie eine Nichtregierungsorganisation namens âSOS Esclaveâ, die seit Jahren fĂŒr die Abschaffung der Sklaverei kĂ€mpft und versucht, international Druck zu erzeugen. Die 1995 von Nachkommen ehemaliger Sklaven gegrĂŒndete Organisation wurde schon drei Jahre spĂ€ter per Gerichtsentscheid verboten, und gleichzeitig wurden ihre fĂŒhrenden Köpfe zu hohen Bussen und GefĂ€ngnisstrafen verurteilt. Erst 2005 erhielt âSOS Esclaveâ eine legale Existenz, welche sie sogleich dazu nutzte, eine Reihe von Musterprozessen gegen faktische Sklavenhalter zu fĂŒhren.
FĂŒr Boubacar Messaoud, den MitbegrĂŒnder und PrĂ€sidenten von âSOS Esclaveâ, steht die Daseinsberechtigung seiner Organisation auĂer Frage. âIn Mauretanien existiert die Sklaverei weiterhin, sogar in den traditionellen, ja archaischen Formen, in der eine Person direkt von ihrem Herrn abhĂ€ngtâ, erklĂ€rt Messaoud gegenĂŒber der NZZ. Konkret bedeute dies, dass ein Mensch wie ein Gut vererbt werde, ohne Einwilligung seines Herrn nicht heiraten und de facto auch kein Sorgerecht ĂŒber seine eigenen Kinder ausĂŒben könne. Daneben konstatiert der Menschenrechtsaktivist das Fortbestehen zahlreicher gravierender AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnisse, die sich nur unwesentlich von Sklaverei im engeren Wortsinn unterschieden.
Das neue Gesetz aus dem Jahr 2007 hat nach Auffassung von Messaoud tatsĂ€chlich zu einer rechtlichen Besserstellung der Sklaven und «Freigelassenen» gefĂŒhrt. Die praktische Umsetzung finde aber nur sehr halbherzig statt, und die geplante Sensibilisierungskampagne sei auf die groĂen StĂ€dte beschrĂ€nkt geblieben. Damit habe sie die Betroffenen, die vor allem auf dem Land lebten, ĂŒberhaupt nicht erreicht, moniert Messaoud. Gleichzeitig stehe seine Organisation unter erheblichem Druck, da ihr von staatlicher Seite vorgeworfen werde, ihre AktivitĂ€ten schadeten dem Image des Landes. Fazit: Das Thema Sklaverei hat â zumindest im Fall Mauretaniens â nichts von seiner Brisanz verloren. Kaum besser dĂŒrfte die Lage in einer Reihe anderer islamischer LĂ€nder sein, so etwa im Sudan.
GemÀà den Recherchen von Chebel und weiteren Studien existieren auch in vielen anderen LĂ€ndern der islamischen Welt sowohl traditionelle Formen von Sklaverei wie auch moderne Formen von Leibeigenschaft und brutaler Ausbeutung â etwa von HausmĂ€dchen oder Bauarbeitern. Sklaverei ist deshalb ohne Zweifel ein soziales Problem mit groĂer Sprengkraft, das dringend einer Lösung bedarf. Doch sowohl Malek Chebel wie auch verschiedene Menschenrechtsorganisationen fordern mit Nachdruck dazu auf, das heikle Thema keinesfalls ideologisch anzugehen und die âorientalischeâ Sklaverei gegen die einst von westlichen Staaten betriebene oder gegen heutige Formen von âSklavereiâ in IndustrielĂ€ndern aufzurechnen. Entscheidend sei vielmehr, alle Formen von Zwangsarbeit, sexueller Ausbeutung und Menschenhandel radikal zu bekĂ€mpfen, wo auch immer sie stattfĂ€nden.
Kaum zu bestreiten ist allerdings der Umstand, dass sich der Impuls zur Abschaffung der Sklaverei aus der europĂ€ischen Kultur heraus entwickelt hat und keineswegs aus dem islamischen Raum; manche islamkritische Autoren heben denn auch das Verbot der Sklavenhaltung als eine der gröĂten Leistungen der westlichen Kultur hervor. Jenseits der heutigen Kulturkonflikte zwischen muslimischer und westlicher Welt scheint indes klar, dass einzig eine universalistische Haltung, welche den grundlegenden Menschenrechten eine uneingeschrĂ€nkte Geltung beimisst, ermöglicht, die Versklavung von Menschen als Verbrechen zu Ă€chten; als Verbrechen an der ganzen Menschheit.
NZZ - Geduldet, verdrÀngt und beschönigt (Archiv-Version vom 29.12.2009)
jamesbondla schrieb:Das Ende der Sklaverei kommt mit den Niedergang der DemokratieDein Kommentar zeugt von einer derartig geistigen GröĂe, dass es sich nicht lohnt, weiter darauf einzugehen.
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Im Zuge meiner weiteren Recherchen im Internet, bin ich auf eine sehr sachliche Kommentierung und Analyse gestoĂen, die ich euch nicht vorenthalten möchte.
Ich stelle mal den ganzen Artikel ein, bevor ich dann âschĂ€tzungsweise- morgen oder ĂŒbermorgen ergĂ€nzendes dazu posten kann.
Theorie und Praxis der Sklavenhaltung sind eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der islamischen Welt, und bis heute bestehen sklavereiĂ€hnliche VerhĂ€ltnisse fort. Das Thema ist stark tabuisiert, doch eine neue Generation von Forschern, Medienschaffenden und engagierten BĂŒrgerinnen nimmt sich seiner nun an, allen voran der Anthropologe Malek Chebel.
Von Beat Stauffer
Wo befand sich der Sklavenmarkt in der Altstadt von Marrakesch? Wann wurden hier die letzten Sklaven gehandelt? Welche Familien und Dynastien waren die NutznieĂer dieses Menschenhandels? Und gibt es vielleicht heute noch sklavereiĂ€hnliche VerhĂ€ltnisse in der âPerle des SĂŒdensâ? Solche Fragen mĂŒssten sich Reisende in arabischen LĂ€ndern eigentlich stellen; nicht nur in Marrakesch, sondern auch in GhadamĂšs, Kairo und anderen ehemaligen Zentren des Sklavenhandels. Doch Touristen, die diese LĂ€nder heutzutage bereisen, werden, falls ĂŒberhaupt, nur beilĂ€ufig und anekdotenhaft mit dem Faktum der Sklaverei konfrontiert; und der Umstand, dass ein Teil der Sklavinnen und Sklaven im Harem landeten, scheint das Ganze nicht nur faszinierender, sondern auch ertrĂ€glicher zu machen. GedenkstĂ€tten in Erinnerung an den weit ĂŒber tausend Jahre dauernden Handel, der Millionen von Menschen versklavt, erniedrigt und auf das Niveau von Nutztieren reduziert hat, sucht man selbst in den einstigen Zentren des arabischen Sklavenhandels vergeblich, und auch in den Lehrmitteln der Schulen in der islamischen Welt finden sich kaum Hinweise auf dieses dĂŒstere Kapitel.
Bis vor kurzem galt im Westen als ausgemacht, dass das PhĂ€nomen der Sklaverei in erster Linie die europĂ€ischen LĂ€nder sowie die Vereinigten Staaten betreffe. In jĂŒngster Zeit wird diese Sichtweise allerdings zunehmend in Frage gestellt. Schon in den 1980er Jahren hatte der verstorbene ZĂŒrcher Historiker Albert Wirz darauf hingewiesen, dass der Sklavenhandel bereits vor der Ankunft der EuropĂ€er in Afrika von arabisch-muslimischen HĂ€ndlern betrieben wurde und dass diese bei der Beschaffung von Sklaven fĂŒr die BedĂŒrfnisse der EuropĂ€er eine zentrale Rolle gespielt hatten. Zu Ă€hnlichen SchlĂŒssen kamen auch andere Autoren. Die meisten ihrer Publikationen sind jedoch nie von einem breiteren Publikum zur Kenntnis genommen worden.
In letzter Zeit beginnt sich aber in dieser Hinsicht langsam eine andere Sichtweise durchzusetzen. Zum einen sind Formen von sklavereiÀhnlichen ZustÀnden in mehreren islamischen LÀndern mittlerweile derart solide dokumentiert, dass sich das Problem nicht
mehr mit dem Hinweis auf eine zu vage Quellenlage von der Hand weisen lĂ€sst. Zum andern sind in jĂŒngster Zeit verschiedene Publikationen zum Thema erschienen. Allen voran ist hier das Werk des algerisch-französischen Anthropologen und Psychoanalytikers Malek Chebel zu erwĂ€hnen, das unter dem Titel âL'esclavage en terre d'Islamâ Ende 2007 veröffentlicht worden ist. Es handelt sich um die erste Studie, die auf umfassende Weise die Sklaverei im islamischen Raum durchleuchtet. Chebel, der mit zahlreichen Werken international Anerkennung gefunden hat, bekennt sich klar als Humanist, und als solchem ist ihm die Sklaverei ein GrĂ€uel. Dennoch hat sich der Autor einen nĂŒchternen Blick auf dieses schwierige Thema bewahrt und hat der Versuchung widerstanden, ein Pamphlet gegen die Sklaverei zu publizieren.
Dass Chebel aus dem Maghreb stammt und selbst Muslim ist, dĂŒrfte in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle spielen; denn indem er hartnĂ€ckig auf der Basis der islamischen Schriften gegen die Praxis der Sklaverei argumentiert, entzieht er dem (im Raum stehenden) Vorwurf der Islamfeindlichkeit von Anfang an den Boden. âGott hat nichts geschaffen, was er mehr liebt als die Befreiung von Sklaven, und er hasst nichts mehr als die VerstoĂungâ, lautet einer der Hadithe, der ĂŒberlieferten Aussagen des Propheten, auf den sich Chebel abstĂŒtzt.
In der Tat ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Teil der Autoren, die zu diesem Thema publiziert haben, aus ihrer prinzipiell islamkritischen Haltung kein Hehl machen. Dasselbe gilt von einer Reihe von Hilfswerken, die sich um den âFreikaufâ von Sklaven bemĂŒhen; in ihrer Mehrheit sind sie einem evangelikal-christlichen Umfeld zuzuordnen.
Die Recherche zum Thema Sklaverei, in die Chebel nach eigenen Worten eher zufĂ€llig hineingeraten war, erwies sich schon bald als «schwierigste Aufgabe» seines Lebens. In der arabischen Welt sei das Thema âSklavereiâ stark tabuisiert, und es gebe zurzeit weder ein Bewusstsein fĂŒr die Bedeutung dieses PhĂ€nomens noch seriöse wissenschaftliche Studien. Umso heftiger, so berichtet Chebel, waren die Ermahnungen und Drohungen aller Art, mit denen er im Lauf seiner mehrere Monate dauernden Recherche konfrontiert wurde. Doch insbesondere die Warnung, eine solche Studie wĂŒrde nur den Feinden des Islam Munition liefern, schlug Chebel dabei in den Wind und setzte sich schlicht zum Ziel, âdie ganze Wahrheit ĂŒber die Sklavereiâ festzuhalten, ungeachtet möglicher Folgen. Dies ist ihm in beachtlichem AusmaĂ gelungen.
Chebel betrieb dabei eine doppelte Recherche. Zum einen durchsuchte er schriftliche Quellen aus der gesamten islamischen Tradition und Geschichte auf den Aspekt der Sklaverei. Dabei gelang es ihm, praktische Anleitungen fĂŒr die Sklavenhaltung und andere Dokumente ausfindig zu machen, die in erschreckender Weise belegen, wie alltĂ€glich, ja ânormalâ die Versklavung von Menschen in der islamischen Welt wĂ€hrend Jahrhunderten gewesen war. Der VollstĂ€ndigkeit halber muss erwĂ€hnt werden, dass der Autor auch ein paar âLichtblickeâ zutage förderte, so etwa ein Pamphlet eines marokkanischen Abolitionisten. Zum andern unternahm Chebel eine umfassende Recherche ĂŒber die heutige Praxis der Sklavenhaltung, die ihn in fast alle islamischen LĂ€nder fĂŒhrte. In Interviews mit Betroffenen, in GesprĂ€chen mit Juristen, Theologen, Politikern und Menschenrechtsaktivisten versuchte der Autor, möglichst viel aus erster Hand ĂŒber dieses PhĂ€nomen zu erfahren. Das Resultat ist eine beeindruckende Gesamtschau der Theorie und Praxis der Sklaverei in der islamischen Welt. Dabei wirken die âLĂ€nderberichteâ, die Chebel erstellt hat, trotz der offen bekundeten Parteinahme fĂŒr die Entrechteten und seinem tiefen humanistischen Engagement vorsichtig, nĂŒchtern und keineswegs dramatisierend; kurz: in hohem MaĂ glaubwĂŒrdig. Allein schon der Umstand, dass der Autor bis anhin von keinem einzigen
islamischen Staat gerichtlich belangt worden ist, spricht fĂŒr die Ernsthaftigkeit seiner Analyse.
Wie aber steht denn der Islam zur Versklavung von Menschen? Hatte der Prophet wirklich die Absicht, die zu seiner Zeit weit verbreitete Praxis der Sklaverei schrittweise auszurotten, oder ging es ihm vielmehr darum, die stoĂendsten und entwĂŒrdigendsten Formen zu mildern? Chebel hĂ€lt ausdrĂŒcklich fest, dass die koranischen Textstellen, in der von Sklaverei die Rede ist, der Tendenz nach erstaunlich âsklavenfreundlichâ sind. So wird etwa die Freilassung von Sklaven als âgottgefĂ€lliges Werkâ ausdrĂŒcklich empfohlen, die Versklavung von Muslimen â und im Prinzip auch von Angehörigen der anderen Buchreligionen â hingegen klar untersagt.
Dennoch weist die Haltung des Propheten zum PhĂ€nomen der Sklaverei nach Auffassung von Chebel eine betrĂ€chtliche Ambivalenz auf. Denn da sind auch Textstellen, welche eindeutig auf eine gottgegebene Hierarchie zwischen âHerrâ und âKnechtâ hinweisen, und die Versklavung von Nichtmuslimen gilt im Rahmen von Kriegen und Razzien ausdrĂŒcklich als legitim. Schwer wiegt aber vor allem der Umstand, dass sich die eher âsklavenfreundlicheâ Position des Propheten in den darauffolgenden Jahrhunderten nie wirklich durchsetzen konnte. Die GrĂŒnde sieht Chebel in erster Linie darin, dass die Befreiung von Sklaven âkein starkes Leitmotivâ des Korans und auch keine Verpflichtung fĂŒr die GlĂ€ubigen darstellte. Vielmehr blieb es allein der persönlichen Initiative und dem guten Willen eines Sklavenhalters ĂŒberlassen, ein âgottgefĂ€lliges Werkâ zu unternehmen.
Die islamische Rechtsprechung sei bezĂŒglich der Haltung von Sklaven stets âunklar, mehrdeutig und teilweise widersprĂŒchlichâ gewesen, schreibt Chebel, und sie habe in der Praxis âabsolutistische Potentaten, reiche HĂ€ndler und Feudalherren aller Kategorienâ nie davon abgehalten, sich mit so viel Sklaven zu umgeben, wie sie es wĂŒnschten. âAuf solche Weise ist die Sklaverei von Dynastie zu Dynastie zu einem muslimischen Faktum gewordenâ, hĂ€lt Chebel fest. Zwar hĂ€tten die religiösen AutoritĂ€ten in der Geschichte des Islam ab und zu gewisse Vorbehalte gegenĂŒber der gĂ€ngigen Praxis der Sklaverei geĂ€uĂert, doch seien sie damit auf taube Ohren gestoĂen.
Das Fazit ist klar: Die in den AnfĂ€ngen des Islam durchaus spĂŒrbare emanzipatorische Tendenz hat sich in den folgenden Jahrhunderten nie durchsetzen können, sondern einer weitgehenden Akzeptanz der Sklaverei Platz gemacht. Es sei eines der âernĂŒchterndsten und traurigsten Resultateâ seiner Recherche gewesen, dass selbst herausragende islamische Gelehrte sich dazu hergegeben hĂ€tten, die Sklaverei zu kodifizieren. âDas bedeutet, dass die gegenĂŒber diesem Ăbel nicht neutral warâ, schreibt Chebel. âStatt die Wurzeln der Sklaverei anzugehen, nĂ€mlich die Gier der SklavenhĂ€ndler und die kriminelle LĂ€ssigkeit der EigentĂŒmer, hat sie ihnen die juristischen Mittel beschafft, um einen Handel zu praktizieren, der dadurch beinahe gewöhnlich, banal und unverfĂ€nglich wurde. â
Die uralte Tradition der Sklavenhaltung habe sich in den vergangenen Jahrhunderten gewissermaĂen auf den Islam âaufgepfropftâ und auf solche Weise seine ursprĂŒngliche, emanzipatorische Botschaft ĂŒberdeckt. Ja, der Islam sei in einem gewissen Sinn âOpfer der SklavenhaltermentalitĂ€tâ geworden, gibt Chebel in einem Interview zu Protokoll. Damit nimmt er offensichtlich den Islam aus der Schusslinie und lĂ€sst die Möglichkeit einer âprogressivenâ Lesart der heiligen Schriften offen. Nur andeutungsweise wirft er die Frage auf, ob die âUnterwerfungâ unter den göttlichen Willen â dies eine der möglichen Ăbersetzungen des Wortes Islam â nicht auch als âVorspielâ zu einer ganz und gar weltlichen Unterwerfung und Unterordnung verstanden werden könnte, auf die sich die Sklavenhalter nur allzu gerne abgestĂŒtzt haben.
Genau so sehen es konservative islamische Theologen bis heute; das GefĂ€lle zwischen Herr und Sklave ist fĂŒr sie Teil einer göttlichen Ordnung. Ein prominenter saudischer Islamgelehrter namens Scheich Saleh al-Fazwan habe sich noch vor wenigen Jahren öffentlich gegen die Abschaffung der Sklaverei ausgesprochen, berichtet etwa der amerikanische Journalist und Islamkritiker Daniel Pipes. Sklaverei sei âTeil des Islam wie auch des Jihadâ und werde es auch bleiben, solange der Islam existiere, soll der Gelehrte, welcher dem höchsten religiösen Gremium Saudi-Arabiens angehört, verkĂŒndet haben. Auch andere â selbst ernannte oder stattlich anerkannte â religiöse AutoritĂ€ten haben sich in diesem Sinn geĂ€uĂert.
Dass die Debatte zum Thema Sklaverei keineswegs akademischer Natur ist, zeigt sich in aller SchĂ€rfe in Mauretanien. Auf dem Papier war die Sklaverei in diesem westafrikanischen Land im 20. Jahrhundert dreimal abgeschafft worden, ohne dass sich in der Praxis viel verĂ€ndert hĂ€tte: 1905 per französisches Kolonialdekret, 1960 mit der Erlangung der UnabhĂ€ngigkeit und schlieĂlich zum dritten Mal im Jahr 1980. 23 Jahre spĂ€ter, im Jahr 2003, wurde ein Gesetz erlassen, das den Menschenhandel in aller Form unter Strafe stellte, das Wort Sklaverei aber tunlichst vermied. Doch damit nicht genug: Vor wenig mehr als einem Jahr, im September 2007, verabschiedete das mauretanische Parlament schlieĂlich ein weiteres Gesetz zur Ăchtung der Sklaverei und beschloss parallel dazu eine Reihe begleitender MaĂnahmen.
Hinter diesem Gesetzeserlass steht in erster Linie eine Nichtregierungsorganisation namens âSOS Esclaveâ, die seit Jahren fĂŒr die Abschaffung der Sklaverei kĂ€mpft und versucht, international Druck zu erzeugen. Die 1995 von Nachkommen ehemaliger Sklaven gegrĂŒndete Organisation wurde schon drei Jahre spĂ€ter per Gerichtsentscheid verboten, und gleichzeitig wurden ihre fĂŒhrenden Köpfe zu hohen Bussen und GefĂ€ngnisstrafen verurteilt. Erst 2005 erhielt âSOS Esclaveâ eine legale Existenz, welche sie sogleich dazu nutzte, eine Reihe von Musterprozessen gegen faktische Sklavenhalter zu fĂŒhren.
FĂŒr Boubacar Messaoud, den MitbegrĂŒnder und PrĂ€sidenten von âSOS Esclaveâ, steht die Daseinsberechtigung seiner Organisation auĂer Frage. âIn Mauretanien existiert die Sklaverei weiterhin, sogar in den traditionellen, ja archaischen Formen, in der eine Person direkt von ihrem Herrn abhĂ€ngtâ, erklĂ€rt Messaoud gegenĂŒber der NZZ. Konkret bedeute dies, dass ein Mensch wie ein Gut vererbt werde, ohne Einwilligung seines Herrn nicht heiraten und de facto auch kein Sorgerecht ĂŒber seine eigenen Kinder ausĂŒben könne. Daneben konstatiert der Menschenrechtsaktivist das Fortbestehen zahlreicher gravierender AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnisse, die sich nur unwesentlich von Sklaverei im engeren Wortsinn unterschieden.
Das neue Gesetz aus dem Jahr 2007 hat nach Auffassung von Messaoud tatsĂ€chlich zu einer rechtlichen Besserstellung der Sklaven und «Freigelassenen» gefĂŒhrt. Die praktische Umsetzung finde aber nur sehr halbherzig statt, und die geplante Sensibilisierungskampagne sei auf die groĂen StĂ€dte beschrĂ€nkt geblieben. Damit habe sie die Betroffenen, die vor allem auf dem Land lebten, ĂŒberhaupt nicht erreicht, moniert Messaoud. Gleichzeitig stehe seine Organisation unter erheblichem Druck, da ihr von staatlicher Seite vorgeworfen werde, ihre AktivitĂ€ten schadeten dem Image des Landes. Fazit: Das Thema Sklaverei hat â zumindest im Fall Mauretaniens â nichts von seiner Brisanz verloren. Kaum besser dĂŒrfte die Lage in einer Reihe anderer islamischer LĂ€nder sein, so etwa im Sudan.
GemÀà den Recherchen von Chebel und weiteren Studien existieren auch in vielen anderen LĂ€ndern der islamischen Welt sowohl traditionelle Formen von Sklaverei wie auch moderne Formen von Leibeigenschaft und brutaler Ausbeutung â etwa von HausmĂ€dchen oder Bauarbeitern. Sklaverei ist deshalb ohne Zweifel ein soziales Problem mit groĂer Sprengkraft, das dringend einer Lösung bedarf. Doch sowohl Malek Chebel wie auch verschiedene Menschenrechtsorganisationen fordern mit Nachdruck dazu auf, das heikle Thema keinesfalls ideologisch anzugehen und die âorientalischeâ Sklaverei gegen die einst von westlichen Staaten betriebene oder gegen heutige Formen von âSklavereiâ in IndustrielĂ€ndern aufzurechnen. Entscheidend sei vielmehr, alle Formen von Zwangsarbeit, sexueller Ausbeutung und Menschenhandel radikal zu bekĂ€mpfen, wo auch immer sie stattfĂ€nden.
Kaum zu bestreiten ist allerdings der Umstand, dass sich der Impuls zur Abschaffung der Sklaverei aus der europĂ€ischen Kultur heraus entwickelt hat und keineswegs aus dem islamischen Raum; manche islamkritische Autoren heben denn auch das Verbot der Sklavenhaltung als eine der gröĂten Leistungen der westlichen Kultur hervor. Jenseits der heutigen Kulturkonflikte zwischen muslimischer und westlicher Welt scheint indes klar, dass einzig eine universalistische Haltung, welche den grundlegenden Menschenrechten eine uneingeschrĂ€nkte Geltung beimisst, ermöglicht, die Versklavung von Menschen als Verbrechen zu Ă€chten; als Verbrechen an der ganzen Menschheit.
NZZ - Geduldet, verdrÀngt und beschönigt (Archiv-Version vom 29.12.2009)