11.10. Demo in Berlin gegen Überwachung
20.10.2008 um 15:45
Ich spare mir Zeit ein, wenn ich meine Gedanken gesondert, dafür gegliedert, statt sie in einem Text miteinander verwoben, zum Ausdruck bringe. Wundert euch nicht über die Zahlen.
1. Mit solch markigen Parolen wie "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn" wird an die jederzeit mobilisierbare Staatsparanoia appelliert, die von der Ambivalenz aus Ersehntem und Gefürchtetem gespeist wird. Ersehnt wird der Staat als guter Vater, der seine Untertanen vor Globalisierung und anderer Unbill zu beschützen hat, gefürchtet und abgelehnt der Staat in seiner Eigenschaft als Souverän über Leben und Tod seiner Untertanen. Sobald diese gern verdrängte Eigenschaft herausgekehrt wird und die Staatsgewalt gewaltförmig exekutiert wird, ist das Geschrei groß: der Souverän, eben noch vertraut, als wäre er ein Teil des eigenen Ich, wird zum Fremden, zum Okkupanten. Dabei gibt es den guten nicht ohne den bösen Vater; ein Souverän, der seine Souveränität aufgibt, kann seine Untertanen nicht mehr beschützen, wie diese es von ihm verlangen.
2. Da dieses Jahr mit der Linkspartei und der FDP wieder eine Combo gemeinsam zum demonstrieren aufgerufen hat, die sonst viel wert darauf legt nicht gemeinsam erwischt zu werden, ist es von Nöten, sich ein grundlegendes Verständnis von linker und liberaler Staatskritik zu schaffen. Beide Lager halten sich bekanntlich gern ihr kritisches Verhältnis gegenüber dem Staat zugute; der Unterschied zwischen beiden besteht aber darin, das der Liberale Staat und Gesellschaft in einem ewigen Kampf sieht und so ein durchaus flexibles Staatsverständnis entwickelt hat, in dem die Exekutive unangefochten ist. Er möchte dem staatlichen Zugriff Grenzen setzen, tut dies aber im Bewusstsein, dass er in Notzeiten auf den Souverän angewiesen sein könnte. Der gute Linke hat ein taktisches Verhältnis zur Freiheit, ihre staatliche Einschränkung stört ihn etwa in Cuba oder Venezuela wenig bis gar nicht - "solange die da unten was zu Fressen haben" raunt es dann immer kumpelhaft. Auch im eigenen Land ist seine Positionsbestimmung alles andere als eindeutig. So beklagt man sich regelmäßig über Repression und Kriminalisierung, als würde man vom Staat, den man ja zu bekämpfen vorgibt, verlangen, einen in Ruhe Revolution machen zu lassen. Statt sich darüber zu freuen, das die lächerlichen Relikte der Militanz wenigstens noch die "Bullenschweine" ernster nehmen als diese es überhaupt verdienen, und zuzugestehen, das nur die Aufmerksamkeit des Staates einem ein authentisches Gefühl von Gegnerschaft verleiht, beschuldigt man den Staat echt gemein zu sein und beim nächsten Einsatz gegen irgendeine "revolutionäre" Demo die Knüppel mit Schaumstoffgummi zu überziehen. Wer weinerliche Demoberichte lesen mag: de.indymedia.org
Wenden wir uns aber wieder dem Thema zu: Linke wie Liberale haben aber einen gemeinsamen blinden Fleck: Indem sie den Staat zum Widerpart der Gesellschaft erklären und seinem Handeln zumeist eine böswillige Intention unterstellen, erscheint die Gesellschaft als Objekt staatlicher Ein- und Übergriffe, die als negatives Hemmnis ihrer natürlichen Entfaltung imaginiert werden. So muss die Gesellschaft vor dem Staat geschützt werden, auch dies ist Teil der hierzulande weit verbreiteten antifaschistischen Legende, wonach man aus zwölf Jahren NS gelernt hat den Staat immer misstrauisch zu beäugen und totalitären Anwandlungen und den Anfängen zu wehren. Verkennen tut man nur eins: das die deutsche Gesellschaft keineswegs vor dem Staat geschützt werden musste, sie machte dem Verfassungsstaat selbst ein Ende und kreierte ein aus Staat, Gesellschaft und Bewegung verschmolzenes Monster, das man treffend als Behemoth bezeichnen kann. Man traut sich einfach nicht die Wahrheit auszusprechen: die Staatsgegenerschaft der Deutschen meint den von den Alliierten aufgezwungenen demokratischen Staat, jenen Staat also, den sie nur widerwillig als den ihren anzuerkennen bereit waren und sind. Auch der Vorstellung, was denn eine Gesellschaft sei, wohnen noch immer viele Elemente der Verklärung der Volksgemeinschaft inne, und die Freiheit, die sie meinen, ist immer nur vom Staat bedroht, weil der sie daran hindert, den nächsten Pogrom gegen irgendwelche imaginierten Volksfeinde anzuzetteln, und er es ist, der der schrankenlosen (euphemistisch: partizipativen) Demokratie und mit ihr der personalen und unmittelbaren Herschaft der Rackets im Wege steht.
3. Anstatt sich mit der Realität zu befassen und zu konsternieren das der islamische Terror eine reele Gefahr ist, der man nicht mit der primitiven pazifistischen Behauptung, es sei erst der War on Terror der dessen Akteure zum Handeln veranlasse, beikommt (schließlich zeigt die Herrschaftspraxis der islamischen Regime und Bewegungen seit 1979 das blanke Gegenteil: nur weil man solange in Frieden gelassen wurde und teils von den politischen Blöcken unterstützt wurde, konnte dieses Übel zu einer weltweiten Gefahr werden) sondern mit Gegenmaßnahmen, wird die Lauterkeit der Motive stattlichen Handelns bezweifelt. Das mag in vielen Fällen eine objektive Berechtigung haben, ist aber gleichzeitig Ausdruck von Paranoia. Es wird ja überhaupt nicht, wie es eine rationale Kritik der Überwachung tun müsste, nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel gefragt. Liest man den letzt- und diesjährigen Aufruftext zur Demo in Berlin erkennt man sofort das jede weitere Diskussion ausgeschlossen ist. Es wird nicht gefragt, ob der Preis, den "wir" für die Sicherheit zahlen, angemessen ist, wie es der kritische Staatsbürger täte, der erwachsen genug ist, sein Verhältnis zum Staat als ein Vertragsverhältnis im Sinne Hobbes' zu begreifen. Um in dieser Weise abzuwägen, muss man jedoch bereit sein, zum Staat ein kühles, rationales Verhältnis zu pflegen. Die infantilen Staatssubjekte von heute, die sich nach warmer, inniger Symbiose sehnen, wollen jedoch alles von ihrem Staat, nur nicht jene nüchterne Abgeklärtheit, die in Schäubles Überlegungen zur Notwendigkeit staatlicher Terrorbekämpfung, zum Vorschein kommt. Stattdessen dämonisieren sie ihn, als einen durchgeknallten Irren, der das Grundgesetz abschaffen wolle um seinen Gewaltphantasien freien Lauf zu lassen, wie etwa der drittklassige Kabarettist Mathias Richling. Man kann Schäuble dafür kritisieren, dass seine konkreten Vorschläge der Verteidigung der Freiehit nichts nützten, ja sogar kontraproduktiv seien. Ihn als Feind und Bedrohung der Freiheit darzustellen verrät aber mehr über denjenigen der das ausspricht als über Schäuble und seine Ziele.