Ein Recht auf Faulheit
08.09.2008 um 21:38
Gibt es Faulheit überhaupt?
Haben wir kein Recht darauf, mal nur geistig tätig zu sein, zu träumen, zu denken, ohne, daß ein anderer davon direkten Nutzen hat?
Sind wir nicht auch für uns selbst da? Um uns wohl zu fühlen, einfach mal nur zu SEIN?
Und manchmal ist etwas, das wie Faulheit aussieht, ja doch wirklich Arbeit...:
"Frederick" von Leo Lionni
Bilderbuch, 32 Seiten, fadengeheftet
Beltz & Gelberg, Weinheim 2004
ISBN 3-407-76007-8
€ 5,50
Rund um die Wiese herum, wo Kühe und Pferde grasten, stand eine alte, alte Steinmauer.
In dieser Mauer - nahe bei Scheuer und Kornspeicher - wohnte eine Familie schwatzhafter Feldmäuse.
Aber die Bauern waren weggezogen, Scheuer und Kornspeicher standen leer. Und weil es bald Winter wurde, begannen die kleinen Feldmäuse Körner, Nüsse, Weizen und Stroh zu sammeln. Alle Mäuse arbeiteten Tag und Nacht. Alle - bis auf Frederick.
"Frederick, warum arbeitest Du nicht?" fragten sie. "Ich arbeite doch" sagte Frederick, "ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten, dunklen Wintertage."
Und als sie Frederick so dasitzen sahen, wie er auf die Wiese starrte, sagten sie: "Und nun, Frederick, was machst du jetzt?" "Ich sammle Farben", sagte er nur, "denn der Winter ist grau."
Und einmal sah es so aus, als sei Frederick halb eingeschlafen. "Träumst du, Frederick?" fragten sie vorwurfsvoll. "Aber nein, "sagte er, "ich sammle Wörter. Es gibt viele lange Wintertage - und dann wissen wir nicht mehr, worüber wir sprechen sollen."
Als nun der Winter kam und der erste Schnee fiel, zogen sich die fünf kleinen Feldmäuse in ihr Versteck zwischen den Steinen zurück.
In der ersten Zeit gab es noch viel zu essen, und die Mäuse erzählten sich Geschichten über singende Füchse und tanzende Katzen. Da war die Mäusefamilie ganz glücklich!
Aber nach und nach waren fast alle Nüsse und Beeren aufgeknabbert, das Stroh war alle, und an Körner konnten sie sich kaum noch erinnern. Es war auf einmal sehr kalt zwischen den Steinen der alten Mauer, und keiner wollte mehr sprechen.
Da fiel ihnen plötzlich ein, wie Frederick von Sonnenstrahlen, Farben und Wörtern gesprochen hatte. "Frederick!" riefen sie, "was machen deine Vorräte?"
"Macht die Augen zu" sagte Frederick und kletterte auf einen großen Stein. "Jetzt schicke ich euch die Sonnenstrahlen. Fühlt ihr schon, wie warm sie sind? Warm, schön und golden?" Und während Frederick so von der Sonne erzählte, wurde den vier kleinen Mäusen schon viel wärmer.
Ob das Fredericks Stimme gemacht hatte? Oder war es ein Zauber?
"Und was ist mit den Farben, Frederick?" fragten sie aufgeregt. "Macht wieder eure Augen zu", sagte Frederick. Und als er von blauen Kornblumen und roten Mohnblumen im gelben Kornfeld und von grünen Blättern am Beerenbusch erzählte, da sahen sie die Farben so klar und deutlich vor sich, als wären sie aufgemalt in ihren kleinen Mäuseköpfen.
"Und die Wörter Frederick?" Frederick räusperte sich, wartete einen Augenblick, und dann sprach er wie von einer Bühne herab:
"Wer streut die Schneeflocken? Wer schmilzt das Eis?
Wer macht lautes Wetter? Wer macht es leis?
Wer bringt den Glücksklee im Juni heran?
Wer verdunkelt den Tag? Wer zündet die Mondlampe an?
Vier kleine Feldmäuse wie du und ich
wohnen im Himmel und denken an dich.
Die erste ist die Frühlingsmaus, die läßt den Regen lachen.
Als Maler hat die Sommermaus die Blumen bunt zu machen.
Die Herbstmaus schickt mit Nuß und Weizen schöne Grüße.
Pantoffeln braucht die Wintermaus für ihre kalten Füße.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind vier Jahreszeiten.
Keine weniger und keine mehr. Vier verschiedene Fröhlichkeiten."
Als Frederick aufgehört hatte, klatschten alle und riefen: "Frederick, du bist ja ein Dichter!"
Frederick wurde rot, verbeugte sich und sagte bescheiden: "Ich weiß es - ihr lieben Mäusegesichter!"