Der IRAN bombardiert die PKK in den Kandil-Bergen
30.10.2007 um 12:06
"Löcherig wie ein Schweizer Käse"
Grüner Özdemir warnt vor PKK-Aktivitäten in Europa
Moderation: Christiane Kaess
Vor dem Hintergrund des schwelenden türkisch-kurdischen Konflikts hat der Grünen-Europa-Abgeordnete Cem Özdemir die Unwirksamkeit des PKK-Verbots in Europa beklagt. Die Nachfolgeorganisationen würden als Kulturzentren verharmlost. Europa sei der Rückzugsraum der PKK, hier würden Soldaten rekrutiert und Gelder eingesammelt, warnte Özdemir.
Christiane Kaess: Herr Özdemir, die türkische Armee hat ein massives Aufgebot an Soldaten an der Grenze zusammengezogen. Es hat bereits militärische Operationen auf irakischem Gebiet gegen die PKK gegeben. Ist eine breite militärische Offensive nur eine Frage der Zeit?
Cem Özdemir: Ich hoffe nicht. Das hängt jetzt auch sehr stark davon ab, was die Amerikaner machen, die ja im Nordirak nach wie vor sind, die den größten Einfluss haben, insbesondere auf die Führung im Irak und im Nordirak. Das liegt an der Regierung in Bagdad, aber ganz vor allem liegt es an Herrn Barzani, dem kurdisch-irakischen Führer im Norden, ob sie tatsächlich begreifen, dass es für kein Land der Welt akzeptabel ist, dass eine terroristische Gruppe wie die PKK sich dort einnistet, und von dort aus Angriffe auf das Nachbarland, in dem Fall die Türkei, unternimmt. Man stelle sich mal Vergleichbares in Deutschland vor. Aus Polen oder aus Frankreich oder aus Dänemark würde eine terroristische Gruppe regelmäßig Anschläge auf Deutschland verüben und sich dann wieder in die Sicherheit des Nachbarlandes zurückziehen.
Kaess: Der irakische Kurdenführer Masud Barzani, den Sie ansprechen, hat aber der türkischen Regierung direkte Verhandlung angeboten. Warum lehnt Ankara diese Gespräche nach wie vor ab?
Özdemir: Das ist sicherlich falsch von Ankara, dass sie das Gespräch nicht früher gesucht haben. Herr Özal war da pragmatischer in den 80er-Jahren. Das liegt natürlich auch ein bisschen daran, dass der Spielraum in der Politik kleiner geworden ist, auch dank dessen, dass in der kurdischen Frage wieder die Zeichen auf Verhärtung stehen. Die Regierung wollte diese Gespräche, insbesondere mit Herrn Talabani, dem Präsidenten vom Irak. Allerdings muss man auch sagen, Herr Barzani und Herr Talabani haben ihrerseits auch nicht gerade dazu beigetragen, dass deeskaliert wurde. Herr Barzani hat zu keinem Zeitpunkt klargemacht, dass er ernsthaft bereit ist, die PKK beispielsweise zu entwaffnen, was schon mal ein erster Schritt sein könnte.
Kaess: Ankara gibt die Schuld auch den USA. Die wiederum vertreten die Haltung, sie werden nicht gegen die PKK-Rebellen vorgehen. Eine richtige Haltung?
Özdemir: Na, ja. Da könnte man natürlich fragen, wie ist es eigentlich mit Solidarität, wenn Solidarität nicht nur eine Einbahnstraße ist. Die Amerikaner haben zu Recht nach dem 11. September Solidarität eingefordert. Die gleiche Solidarität verweigern die USA ihren Bündnispartnern, wenn es um andere Terroristen geht. Das spricht nicht gerade für die Bündnissolidarität der USA. Und was den Irak angeht: Die USA hat auf Grundlage erlogener Gründe den Irak interveniert. Der Türkei, dem Nachbarland, das tatsächlich angegriffen wird, wird dieses Recht verweigert. Noch mal: Ich bin gegen die Intervention der Türkei. Aber logisch ist das nicht, die Position der USA, und fair schon gar nicht.
Kaess: Welche Schuld trifft denn die europäischen Staaten? Der türkische Ministerpräsident Erdogan wirft ihnen ja vor, sie würden die Türkei beim Kampf gegen die kurdischen Rebellen ebenfalls im Stich lassen.
Özdemir: Zweierlei: Zum einen das Signal aus Europa, dass eine europäische Türkei, die sich reformiert, beispielsweise auch die kurdische Frage demokratisch löst, denn es braucht ja dringend demokratische Reformen in der kurdischen Frage, eine solche Türkei wird aus Europa nicht gerade besonders stark unterstützt. Das Zweite und mindestens genauso Dramatische ist, es gibt offiziell ein PKK-Verbot in Deutschland und auch in Europa. De facto ist dieses PKK-Verbot löcherig wie ein Schweizer Käse. Die Nachfolgeorganisationen dürfen quasi tun und lassen, was sie wollen und werden als Kulturzentren verharmlost. Hier wird gesendet, wird der Tod von türkischen Soldaten gefeiert in Fernsehsendern, die ja in Europa sitzen. Das heißt, hier wird massiv gehetzt und agitiert. Europa ist der Ruheraum, der Rückzugsraum, wo Soldaten rekrutiert werden und Gelder eingesammelt werden.
Kaess: Das heißt, Sie stimmen dem Vorwurf von Erdogan zu, der kritisiert hat, dass die EU-Länder zum Beispiel Führungsmitglieder der PKK nicht ausliefern, und die PKK in der EU Unterschlupf finde und auch dort Geldquellen habe?
Özdemir: Nein, das ist nicht dasselbe. Man muss sie ja nicht ausliefern. Da muss die Türkei noch eine Menge tun, um den Zustand ihrer Gefängnisse zu verbessern. Allerdings könnte man die Leute ja hier festnehmen. Ich finde, das ist kein Kavaliersdelikt, wenn Abweichler von der Organisation zusammengeschlagen oder bedroht werden. Es ist kein Kavaliersdelikt, wenn in Deutschland Schutzgelder erpresst werden. Und es ist eben auch kein Kavaliersdelikt, wenn Jugendliche ihren Eltern weggenommen für den bewaffneten Kampf im Nordirak, in der Türkei oder im Iran. All das geschieht. Wenn ich das weiß, gehe ich mal davon aus, wissen es auch die Innenminister und die Sicherheitsbehörden, dass nichts dagegen geschieht, spricht auch.
Kaess: Herr Özdemir, nach Angaben des Berliner Verfassungsschutzes leben in der Hauptstadt etwa 1000 Personen, die der verbotenen kurdischen PKK zugerechnet werden können. Mit welchen Auseinandersetzungen dieses Konfliktes innerhalb von Deutschland müssen wir denn rechnen?
Özdemir: Na, ja. Wir haben es ja nicht nur mit den PKK-Problemen zu tun. Wir haben auf der einen Seite die PKK, auf der anderen Seite haben wir die türkischen Ultranationalisten, die der PKK in nichts nachstehen, wie wir in den vergangenen Tagen gesehen haben. Die Grauen Wölfe, man konnte sie erkennen an den Fahnen mit den drei Halbmonden. Beiden Seiten muss unmissverständlich klargemacht werden, Deutschland ist auch nicht als Ruheraum akzeptabel.
Kaess: Wie sollte das geschehen?
Özdemir: Indem man eine Null-Toleranz-Politik macht gegen jede Art von Rechtsverletzung. Das ist bislang meines Wissens nicht geschehen.
Kaess: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, rechnen Sie genauso wie der Verfassungsschutz mit weiteren Ausschreitungen?
Özdemir: Wir können nicht kontrollieren, was in der Türkei geschieht, was im Nordirak geschieht. Über die Medien wird all dieses in unsere Wohnstuben hineingetragen, und es gibt viele, die auch bewusst agitieren. Ich will nur ein kleines Beispiel erzählen. In Köln sind SMS kursiert mit einem Aufruf zur Demonstration der türkischen Vereine. Es stellte sich heraus, genau dieselben SMS gingen auch an kurdische Aktivisten. Es konnte nur durch Zufall, in dem Fall durch eine türkische Zeitung, verhindert werden, dass es zur Eskalation kam. Da gibt es offensichtlich auch welche, die kochen ihr Süppchen.
Kaess: Herr Özdemir, der Konflikt zwischen Türken und Kurden ist ja nicht neu. Aber in den letzten Jahren war das Verhältnis eigentlich besser geworden. Hat die PKK Sorge bekommen, sie könne in Vergessenheit geraten, oder warum eskaliert dieser Konflikt gerade jetzt so?
Özdemir: Ich würde übrigens nicht von einem Konflikt zwischen Türken und Kurden sprechen, sondern es ist, Gott sei Dank, bislang ein Konflikt zwischen der PKK einerseits, die innerhalb der kurdischen Seite versucht den Alleinvertretungsanspruch durchzusetzen, auf der anderen Seite türkische Nationalisten, die versuchen alle anderen Türken auf Linie zu bringen, auch die, die damit nichts am Hut haben. Damit es aber nicht zum türkisch-kurdischen Konflikt wird, weder in der Türkei noch hier, muss die Politik wieder das Primat haben. Genau das wollen aber die Extremisten der beiden Seiten nicht. Ich glaube, Sie haben recht mit Ihrer Vermutung, dass die PKK ganz ernsthaft kein Interesse an einer politischen Lösung der kurdischen Frage hat. Man kann es konkret festmachen daran, dass Öcalan sich zum Verhandlungspartner bomben möchte. Es wird allerdings nicht der Fall sein, denn keine türkische Regierung wird sich erlauben können, mit Öcalan zu verhandeln. Insofern schadet er der kurdischen Sache. Und jeder, der es gut meint mit den Kurden, jeder, der ein ernsthafter Freund der Kurden ist, muss klarmachen, es wird keine PKK-Lösung geben, sondern es kann nur eine demokratische Lösung geben. Dazu gehört allerdings auch, dass Terrorismus von keinem Land der Welt hingenommen werden kann, und dann muss die türkische Regierung entschieden weitermachen mit Reformen. Es ist beispielsweise nicht akzeptabel, dass die kurdische Sprache nicht auch in der Schule unterrichtet werden soll. Die Militarisierung des Südostens muss zurückgefahren werden. Es gibt eine Menge, die zu reformieren sind. Alles das liegt jetzt auf Eis, weil wieder geschossen wird.
Kaess: Cem Özdemir war das für die Grünen, Mitglied im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments. Vielen Dank!
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/687968/