SOLI INVICTO
Opfer der Legenden: Wie der römische Kaiser Nero zum Sündenbock der Geschichte wurde .
Wer an Nero denkt, hat das Bild eines Monsters vor sich. Schuld sind Jahrhunderte christlicher Historiographie und ein Hollywoodfilm mit Peter Ustinov. Dabei war Nero nicht skrupelloser als seine Gegner. Etwa einige frühe Christen, eine Art al-Qaida der Antike, die Motive hatten, Rom anzuzünden, sagt Richard Herzinger
Das Feuer brach in einem Gebiet unweit des Circus Maximus aus. Angefacht von starkem Wind, breitete es sich rasend schnell aus. Als der Brand nach sechs Tagen endlich erloschen schien, loderte er an anderer Stelle erneut auf. Nachdem er drei weitere Tage gewütet hatte, waren von den vierzehn Stadtteilen der Millionenstadt drei vollständig zerstört, sieben mehr oder weniger stark beschädigt und nur drei unversehrt.
Diese verheerende Katastrophe, die in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 64 n. Chr. über Rom hereinbrach, ist im kollektiven Gedächtnis der Menschheit mit einem Namen verbunden: Nero.
Bis heute steht der am schlechtesten beleumundete aller römischen Kaiser als Synonym für die Grausamkeit und den Irrsinn einer mörderischen, willkürlichen Macht. Lucius Domitius Ahenobarbus, so sein Geburtsname, nennt man in einem Atemzug mit den furchtbarsten Verbrechern der Weltgeschichte. Hitlers Anweisung, die Infrastruktur des eigenen Landes zu zerstören, damit sie den vorrückenden Alliierten nicht in die Hände fällt, wird bis heute als "Nero-Befehl" bezeichnet. Denn Nero, glaubt jedes Schulkind zu wissen, habe Rom anzünden lassen, um Platz zu schaffen für eine Metropole nach seinen größenwahnsinnigen Plänen.
Über den Dächern der brennenden Stadt soll er dazu verzückt selbstgedichtete Lieder über den Untergang Trojas gesungen haben.
Danach habe er, um von seiner Schuld abzulenken, die unschuldigen, gewaltlosen Christen grausam verfolgen lassen. Viele der Unglücklichen, die man nicht den wilden Tieren in der Arena vorwarf, so liest man es schon beim römischen Geschichtsschreiber Tacitus (55 - ca.116 n. Chr.), hätten als lebende Fackeln dienen müssen, um die nächtlichen ausschweifenden Feste des sadistischen Herrschers zu beleuchten.
Für die moderne Ausformung des Schreckensbilds vom vermeintlich verdorbensten aller römischen Kaiser ist vor allem der Roman "Quo vadis" verantwortlich, für den der polnische Autor Henryk Sienkiewicz 1905 den Literaturnobelpreis erhielt und der 1954 von Hollywood monumental verfilmt wurde. Die Darstellung Neros als dekadenten Psychopathen durch den genialen Komödianten Peter Ustinov hat sich ins Gedächtnis von Generationen eingebrannt. Nero, die Verkörperung des Staatsverbrechers, des amoralischen Ästheten, der das Leid anderer als Stimulanzmittel für seine perversen Gelüste brauchte - kein grausiges Detail fehlt in diesem populären Horrorporträt eines vollendeten Scheusals.
Das Problem ist nur: Es stimmt so gut wie nichts daran.
Nero, der 54 n. Chr. im Alter von nur 17 Jahren den Kaiserthron bestiegen hatte, vierzehn Jahre später durch eine Patrizierverschwörung gestürzt wurde und seiner Hinrichtung durch Selbstmord zuvorkam, ist posthum das Objekt einer in der Weltgeschichte einzigartigen und beispiellos erfolgreichen Verleumdungskampagne geworden. Heute gehen die Meinungen der Historiker auseinander, ob der größte Brand in der Geschichte Roms durch Fahrlässigkeit entstand oder mit Absicht gelegt wurde. Sicher aber scheint: Nero hatte nichts damit zu tun.
Die krassesten Anschuldigungen, die über Jahrhunderte hinweg kolportiert wurden, hat der italienische Journalist Massimo Fini bereits 1994 in seinem Buch "Nero - 2000 Jahre Verleumdung" widerlegt. Fini nennt Nero gar einen "bedeutenden Staatsmann". Und einiges berechtigt zu dieser Wertung: Während seiner Herrschaft hatte das Römische Reich die größte Ausdehnung seiner Geschichte erreicht und erlebte eine Periode äußeren Friedens, kultureller Blüte und wirtschaftlichen Aufschwungs, wie es ihn weder vorher noch nachher gegeben hat. Zweifellos, Nero besaß paranoide und exhibitionistische Züge, war psychisch labil. Doch er war auch ein ungewöhnlich vielseitig begabter und interessierter Kaiser. Er brachte es zu ansehnlichen Fertigkeiten beim Spielen des Saiteninstruments Kithara sowie als Sänger, Dichter, Schauspieler und Wagenlenker. Er war an naturwissenschaftlichen und technischen Neuerungen interessiert, suchte das Gespräch mit Künstlern, Philosophen, Erfindern.
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http://www.wams.de/data/2006/01/15/831604.html (Archiv-Version vom 14.02.2006)SOLI INVICTO