Türkei hält 17-jährigen Deutschen gefangen
01.07.2007 um 00:09
In Deutschland wäre die Strafe für Marco härter
Teenagerromanze oderKindesmissbrauch? Der Fall des Schülers Marcus W. hat zum politischen Schlagabtausch undzu diplomatischen Verstimmungen mit der Türkei geführt. Vielen dient er als weitererBeleg für die Rückständigkeit des Landes. Dabei hätte sich Marco W. auch nach deutschemRecht strafbar gemacht.
Von Stefanie Schneider
Es war nur eine Urlaubs-Romanzezweier Schüler, sagen die einen, ein Flirt zweier Teenager wie er tausendfach vorkommt.Es war sexueller Missbrauch von Minderjährigen, sagen die anderen. Elf Wochen, nachdemder Uelzener Schüler Marco W. im Türkei-Urlaub einer 13-jährigen Britin körperlich nähergekommen ist, besteht nun Hoffnung. Der 17-jährige könnte bald aus der Haft entlassenwerden. Damit rechnet der Türkei-Experte und Leiter des Essener Türkeizentrums, FarukSen. "Der Junge kann vermutlich nach seinem Prozess am 6. Juli nach Deutschlandzurückkehren", sagte er "Focus", Marco habe die meiste Zeit der zu erwartenden Strafeschon abgesessen.
Auch aus diplomatischen Kreisen wird eine Annäherung zwischentürkischen und deutschen Behörden kolportiert, nachdem der Fall des Uelzener Schülerszunächst heftige politische Auseinandersetzungen provoziert hatte.
Die Schülerromanze,die zum diplomatischen Streitfall avancierte, könnte also bald ein halbwegs gutes Endenehmen. Ein Beispiel dafür, wie schnell Politiker und Medien bereit sind, mit Vorurteilengegenüber der Türkei zu zündeln, wird er aber bleiben.
Am Freitag reihte sich derVizepräsident der EU-Kommission, Günter Verheugen, in die lange Reihe derer, die dieTürkei für ihr Verhalten im Fall Marco W. scharf angingen. Es sei wohl nichtgerechtfertigt, den jungen Mann derzeit in Haft zu halten, sagte der Mann, der in Brüsselsonst zu den Verfechtern eines umsichtigen Umgangs mit den Türken zählte. Zuvor hatteUnions-Fraktionschef Volker Kauder Marco W. als Faustpfand im Verhandlungspoker übereinen EU-Beitritt der Türkei benutzt. Jenseits aller diplomatischen Gepflogenheitenforderte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) lautstark die Freilassung. AuchKanzlerin Angela Merkel (CDU) drängte auf Marcos baldige Rückkehr. Immerhin wollte sieaber "mit Ruhe und Behutsamkeit" vorgehen.
Türkische Offizielle reagieren auf diepolitischen Forderungen Deutschlands genauso konsterniert wie auf das Medienaufgebot, dassich vor Marcos Gefängnis in Antalya versammelt hatte. Der zuständige OberstaatsanwaltOsman Vuraloglu nannte die Berichterstattung "taktlos" und verbat sich jede Einmischungvon Medien oder Politik. Das Gericht in Antalya verfügte eine Nachrichtensperre. Bis zuMarcos erstem Gerichtstermin am 6. Juli will nun auch seine Familie zu dem Fallschweigen.
Sie tun gut daran. Stellt man einmal die Frage, wie es umgekehrt wäre -wenn in Deutschland also ein 17-jähriger Türke mit einer 13-jährigen schliefe - liegt dieAntwort auf der Hand. "Auch in Deutschland ist Kindesmissbrauch strafbar", sagt derBerliner Strafverteidiger Christian Wowra, ein Spezialist für deutsch-türkischeFälle.
Die türkische Rechtsordnung ist hier keineswegs viel rigider als dieanderer Länder. Das Strafrecht geht auf Frankreich und Italien zurück - und auf die EU.Ausgerechnet der nun so umstrittene Artikel 103, der Sexualkontakte zwischen Kindernunter Strafe stellt, wurde noch im Jahre 2005 im Rahmen der Beitrittverhandlungen zur EUerneuert, um das türkische Strafrecht westlichen Maßstäben anzupassen. Jetzt wird dasGesetz zum Sinnbild islamischer Rückständigkeit. Dabei wird die Tat in der Türkei mitacht Jahren Höchststrafe noch milde bestraft - in Deutschland drohen bis zu 10 JahrenHaft.
So häufig derartige Teenie-Romanzen auch vorkommen, sie bleiben ein juristischesVabanquespiel, das auch in Deutschland hart bestraft werden kann. Selbst 14-Jährige sindin Deutschland schon wegen Kindesmissbrauchs zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Undeine 13-jährige ist eben hier wie dort noch ein Kind.
Kritiker sollten alsovorsichtig sein, auch was die Anordnung der Untersuchungshaft durch die Türken angeht.Auch "bei uns hätte kein Staatsanwalt dem Verdächtigen gesagt: Fahre doch zurück in deinLand und komme zur Verhandlung wieder", sagt Rechtsanwalt Wowra. Warum also solle sichdie Türkei also anders verhalten?
Entscheidend für den Ausgang des Prozesses istdie Frage, ob Marco W. das Mädchen für älter halten durfte als es war. Sofern Charlottein Auftreten und körperlicher Reife tatsächlich einer jungen Frau weit näher kam alseinem Kind, könnte Marco von einem sogenannten Tatbestandsirrtum profitieren, derVerdächtige sowohl in Deutschland als auch, zumindest grundsätzlich, in der Türkeientlasten kann. Wer nicht weiß, was er tut, (und es nicht wissen musste), wird nichtwegen einer Vorsatztat bestraft. Ein 17-Jähriger, der mit einer angeblich 15-Jährigenflirtet, muss also kein Kinderschänder sein, wenn er das richtige Alter nicht wissenkonnte.
Ein juristischer Drahtseilakt ist diese Irrtumsregelung - und womöglichMarcos große Chance. Wäre Charlotte auch nur ein Jahr älter gewesen - also 14 Jahre -wäre sie in Deutschland juristisch kein Kind mehr. Moralisch mag man darüber denken, wasman will, juristisch ist der Fall klar: Wenn Charlotte heute Geburtstag hätte, könntenMarco und sie in Deutschland dort weitermachen, wo sie in Antalya aufgehört haben. Vorhertrifft ihn die volle Härte des Gesetzes.
Durfte Marco W. seine Charlotte also fürälter halten als ihre 13 Jahre? Zur Beantwortung dieser Frage könnte ein deutschesGericht Charlotte in Augenschein nehmen. Bringen würde dies aber nicht viel, denn eskommt auf Charlottes Aussehen zum Tatzeitpunkt an. Und Mädchen in ihrem Alter entwickelnsich schnell. Das Gericht würde sich also auf Aussagen von Urlaubern stützten. Danachwirkte Charlotte wohl schon recht erwachsen. Eine britische Urlauberin jedenfalls, dieCharlotte kennen gelernt hatte, bescheinigt ihr heftigen Alkoholkonsum. Das Mädchen sei"immer gut dabei" gewesen, habe viel getrunken. Zudem sei sie im Hotel mit einem grünenKunststoff-Bändchen am Handgelenk unterwegs gewesen. Grüne Bändchen bedeuteten, dass derTräger Alkohol bestellen konnte - in der Türkei darf man das erst ab 18 Jahren. Werjünger war, trug ein rosa Band.
Diplomaten bemühen sich eifrig, die verfahreneCausa vom Tisch zu bringen. Hauptanforderung an jede Lösung: sie muss den Türkenerlauben, ihr Gesicht zu wahren.
Als möglicher Ausweg ist denkbar, dass türkischeBehörden Deutschland bitten, den Fall im Wege der Amtshilfe zu übernehmen. Dann würde ernach Anklage nach Deutschland abgegeben. Marco W. könnte gegen Kaution auf freien Fußkommen, die richterliche Auflage, dass er das Land nicht verlassen darf, könnte"vergessen" werden. Schließlich würde der Prozess in Deutschland fortgesetzt.
EinProzess in Deutschland hätte für Marco W. noch einen anderen entscheidenden Vorteil.Hierzulande gelten 14jährige nicht mehr als Kinder, in der Türkei liegt die Grenzedagegen bei 15 Jahren. Indem Marco W. in jugendlicher Einfalt hinplauderte, er habeCharlotte für eine 15-jährige gehalten, hat er sich, zumindest nach türkischem Rechtnicht entlastet. Im Grunde hat er fast ein Geständnis abgelegt, sich also erst so richtigverstrickt.
Am 6. Juli beginnt jetzt der Prozess. Ausgang offen.
Stand:Samstag, 30. Juni 2007, 22:33 Uhr
Quelle:http://www.morgenpost.de/desk/987637.html