Zitat ira_hayes
ira_hayes schrieb:Ich empfehle das Buch "Das Weltreich der Türken. VomSteppenvolk zur modernen Nation" von ulrich Klever.
Da wird viele Vorurteile überdie türken widerlegt.
Ich hätte da auch eine Buchempfehlung für Dich undalle Anderen:
Henryk M. Broder "
Hurra, wir kapitulieren"
KurzeLeseprobe:
Um ein Haar wäre auch ich ein Terrorist geworden. AlleVoraussetzungen waren gegeben. Meine Eltern hatten beide unter abenteuerlichen Umständenden Krieg überlebt, fielen sich nach der Befreiung in die Arme und setzten mich in dieWelt. Sie waren in höchstem Maße traumatisiert und ich diente ihnen als Beweis, dass esein Leben nach dem Überleben geben konnte. Entsprechend waren ihre Erwartungen, die ichnicht erfüllen konnte. Wollte ich keinen Spinat essen, bekam ich zu hören: »Was hättenwir dafür gegeben, wenn es im Lager Gemüse gegeben hätte!« Weigerte ich mich, mir dieHaare schneiden zu lassen, erzählten sie, wie wichtig die Hygiene im Lager war und dasseine einzige Kopflaus den Tod bedeuten konnte. Kam ich nach Mitternacht nach Hause, wareine Geschichte über die Sperrstunde im Ghetto fällig. Ging ich mit den falschen Bräutenaus – richtige gab es nicht, weil alle deutschen Väter in der SS gedient hatten –,schrien sie mich an: »Und dafür haben wir überlebt?«
Aber auch nachdem meineEltern mich einigermaßen in Ruhe ließen, hörten die Demütigungen und Erniedrigungen nichtauf. Beim Völkerball blieb immer ich übrig; die Mannschaft, die mich abbekam, konntegleich einpacken. Bei den »Bundesjugendspielen« bekam ich nicht einmal einen Trostpreisfürs Mitmachen, und die ersten Erfahrungen mit den Mädels waren so verheerend, dass siesogar den Liegesitzen in meinem Opel Kadett peinlich waren.
Ich lief durch dieGegend, und das Gefühl, das mich antrieb, war Wut: auf meine hysterischen Eltern, dieblöden Pauker und auf meine Freunde, die sich meine Armstrong-Platten ausliehen und danndie Mädchen nach Hause brachten, mit denen ich zur Party gekommen war. Ich ärgerte michdermaßen, das ich eine Gastritis bekam, die mich erst verließ, als sich ersatzweiseAsthma einstellte. Während andere noch den Umgang mit Kondomen lernten, wusste ich schonüber psychosomatische Krankheiten Bescheid. Warum ich trotz alledem nicht auf die Ideegekommen bin, Terrorist zu werden, kann ich mir rückblickend schwer erklären. Ich las»Die Verdammten dieser Erde« von Frantz Fanon und »Die Massenpsychologie des Faschismus«von Wilhelm Reich, die Schriften von Horst Eberhard Richter und Margarete Mitscherlichkannte ich zum Glück nicht.
Ich wäre der idealtypische Amokläufer gewesen: Kindeiner dysfunktionalen Familie, einsam, verzweifelt, frustriert und geladen wie ein Fassmit Dynamit auf der Bounty. Jeder Sozialarbeiter hätte seine Freude an mir gehabt, jederTherapeut wäre glücklich gewesen, mich behandeln zu dürfen. Das »M« in meinem Namen standnicht für »Modest«, sondern für »mildernde Umstände«. Was mir freilich fehlte, war derDrang, mich an der Welt zu rächen. Es gab noch kein Internet und keine Videokameras, undich wäre nicht in der Lage gewesen, jemandem den Kopf abzuschlagen, weil mir schon imBiologieunterricht beim Sezieren eines Regenwurms schlecht wurde.
Da ich nichtTerrorist werden konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als Journalist zu werden. Dasist kein sehr angesehener Beruf, er rangiert sogar noch unter dem des Terroristen. EinTerrorist kann mit Verständnis der Gesellschaft rechnen, damit, dass ihm bei einerFestnahme nicht nur seine Rechte vorgelesen, sondern auch umgehend Mutmaßungen über seineMotive angestellt werden: Warum er gar nicht anders handeln konnte und warum nicht er,sondern die Gesellschaft für seine Taten verantwortlich ist.
Ich gebe zu, ich binein wenig neidisch auf die Terroristen. Nicht nur wegen der Aufmerksamkeit, die sieerfahren, sondern wegen der idealistischen Motive, die ihnen unterstellt beziehungsweisezugesprochen werden. Wer ein Auto klaut und damit einen Menschen an einer Kreuzungtotfährt, der ist ein Verbrecher. Wer sich mit einer Bombe im Rucksack in einem Bus indie Luft sprengt und andere Passagiere mitnimmt, der ist ein Märtyrer, ein gedemütigter,erniedrigter, verzweifelter Mensch, der sich nicht anders zu helfen wusste. Worum ich dieTerroristen am meisten beneide, ist der Respekt, der ihnen gezollt wird. Haben sie einmalbewiesen, wozu sie imstande sind, betreten Experten den Tatort und erklären, man dürfesie nicht noch mehr provozieren, man müsse mit ihnen reden, verhandeln, sich aufKompromisse einlassen und ihnen helfen, das Gesicht zu wahren. Nur so känne man sie zurVernunft bringen und Schlimmeres verhüten.
Dieses Verhalten nennt manAppeasement. Davon handelt dieses Buch.