Ich denke, dass sich Wanderungsbewegungen von Menschen nie und durch nichts aufhalten lassen. Denke an die Zäune der USA an der Südgrenze, an die militärische Überwachung der EU-Aussengrenzen. Wer nichts zu verlieren hat, kann alles riskieren. Wie heisst es bei den Bremer Stadtmusikanten: Etwas besseres als den Tod finden wir überall.
Ich habe mich in Paris, wo die Firma meiner Frau Projekte für Flüchtlingskinder, die dort illegal leben, unterstützt, mit Kindern unterhalten, die für den Weg in die goldene Festung Europa alles riskiert haben: Ihre Familie, ihre Gesundheit - und nicht wenige ihrer Wegbegleiter ihr Leben.
Wie verzweifelt muss ein Kind sein, dass sich im Fahrwerksschacht eines Frachtflugzeuges versteckt, um seine Heimat zu verlassen?
Der Körperabdruck des Jungen
Der Junge der vom Himmel fiel
Ein Film von Ulrike Westermann
Der Film beginnt mit dem letzten Kapitel aus Solomons Geschichte.
Der Junge der vom Himmel fiel, wird in dem kleinen Ort Lauchringen post mortem adoptiert. Er wird feierlich bestattet und erhält einen Grabstein aus Granit, in den Afrika eingraviert und Kamerun gekennzeichnet ist. Immer wieder liegen Blumen auf seinem Grab, der Pfarrer sagt, man habe ihm ein Stück Heimat gegeben. Er denkt aber auch, dass nicht jeder im Ort begeistert gewesen wäre, wäre Solomon lebend zu ihnen gekommen.
In Frankreich treffen wir zwei Menschen, die Solomon kennen lernten, als er vier Monate vor seinem Tod auf dem Rollfeld des Pariser Flughafen Charles de Gaulle aufgegriffen wurde. Solomon erzählte die unglaubliche Geschichte, er sei im Fahrgestellschacht eines Flugzeuges gereist. Solomons Pflegemutter lobt ihn als einen braven Jungen, der nicht so raubeinig war wie die anderen und der Sozialfürsorger bedauert, dass Solomon eines Tages beschloss, wieder nach Kamerun zurückzukehren.
Solomons Familie ist glücklich, den verlorenen Sohn zurück zu haben, doch die Freude wärt nur kurz. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr versucht Solomon erneut, als blinder Passagier nach Europa zu gelangen, diesmal mit tödlichem Ausgang. Die Menschen, die mit ihm lebten, erzählen mit großer Offenheit seine Geschichte, aber auch ihre Erwartungen, Bewertungen und ihre Moral. Sie entwerfen ein widersprüchliches Bild des Jungen und wir erhalten sehr persönliche Innenansichten einer afrikanischen Familie. Diese lassen ahnen, welcher Druck auf der jungen afrikanischen Generation lastet, die einerseits die soziale Hoffnung und Perspektive der Familien ist und andererseits von einem Leben als freies Individuum nach westlichem Vorbild träumt.
Jugendliche, fast noch Kinder, die ihr Leben riskieren, um der Perspektivlosigkeit in ihren Heimatländern zu entkommen, schimpft man bei uns "Wirtschaftsflüchtling". Der Film verleiht diesem Wort ein Gesicht und eine Geschichte und rückt den Menschen wieder in den Vordergrund.
Erstausstrahlung: 26. Juli 2005 | Arte
Solomon Fusi, 15 Jahre alt.
Wer wird diese Verzweifelten aufhalten können? NIEMAND!
Es geht darum, in den Herkunftsländern Lebensbedingungen zu schaffen, die zum "Dableiben" motivieren. Das wird eine der Aufgaben der gesamten Menschheit für die künftigen Generationen sein.