Atommacht Türkei?
04.02.2007 um 16:13
Wenn die Türkei Atomwaffen besitzt, wird es zum zweiten Nordkorea, liest das hier:
Der "nordkoreanische" Geist der Türkei
DerFall Orhan Pamuk zeigt die Zerrissenheit seines Landes und erinnert an das, was dieEuropäer hinter sich zu haben glauben: Denn neben jungen dynamischen Managern und denkritischen Intellektuellen, leben dort auch Menschen, die sich von inneren und äußerenFeinden umgeben fühlen - und voller Hass gegen alles Fremde sind.
Von ZaferSenocak
Ist die Türkei das Nordkorea Europas? Der Vergleich mag nichtangemessen, ja absurd klingen, für den, der die ökonomische Dynamik und den inzwischenrelativ hohen Globalisierungsstand der Türkei kennt und ihre Ambitionen, Vollmitglied derEuropäischen Union zu werden ernst nimmt.
Doch es gibt eben nicht nur eineTürkei und nicht nur eine Richtung, in die das Land am Bosporus strebt. Es gibt nicht nurdie Metropolen des Landes, allen voran Istanbul, mit ihrer interessanten Mischkultur,nicht nur die jungen und dynamischen Manager, die die Märkte Asiens und Osteuropaserobern, nicht nur die kritischen Intellektuellen und Meinungsmacher, die prosperierendenVerlage, die bunte Medienlandschaft.
Es gibt auch eine junge Bevölkerung,die in einer Art "nordkoreanischem" Geist erzogen worden ist und in den Schulen weiterhinmit Schulbüchern unterrichtet wird, die von Säuberung sprechen, wenn es um Massenmordgeht, indoktriniert von einer Staatsideologie, die auch nach achtzig Jahren die"Befreiung" Anatoliens von seinen "Besatzern" mit militärischen Paraden feiert, dieVernichtung des armenischen Volkes auf anatolischem Boden rechtfertigt, den StaatsgründerMustafa Kemal Atatürk mythisch verehrt und jegliche Kritik an der offiziellen,ideologischen Wahrnehmung der Wirklichkeit und der Geschichte als Verrat am Vaterlandbetrachtet. So werden keine kritischen Bürger, sondern Untertanen erzogen.
Dieser Teil der Bevölkerung fühlt sich umgeben von inneren und äußeren Feinden, istvoller Hass gegen alles Fremde, er trägt seinen chauvinistischen Nationalismus inzwischenoffen zur Schau. Das ist der beste Nährboden für eine totalitäre Gesellschaft, auchNährboden für Mord und Totschlag gegenüber jedem Andersdenkenden. Eine solche Welterinnert jeden Europäer an das, was er überwunden zu haben glaubt.
Kann es danoch verwundern, dass sich inzwischen türkische Intellektuelle und Querdenker im eigenenLand bedroht fühlen, eingeschüchtert werden und von freier Meinungsäußerung nicht dieSpur übrig bleibt?
Die Einschüchterung hat Methode. Die Türkei hat sich schonseit den Achtzigerjahren viel zu sehr nach außen geöffnet, als dass man den neuen Ideenund dem Druck der Globalisierung und ihren Normen mit Argumenten entgegen treten könnte.Es bleiben die Mittel der Desperados und eine Sprache, die auf Brutalität setzt.Begünstigt werden die aggressiven Nationalisten dabei von einem undurchsichtigenStaatsapparat und einer Regierung, die immer noch nicht begriffen hat, in welchegefährliche Lage sich das tief zerrissene Land hineinmanövriert hat.
Mitwelchen Hoffnungen und hohen Ansprüchen war diese Regierung vor fast fünf Jahrenangetreten! Die Türkei sollte gänzlich demokratisiert werden, zu einem Rechtstaat reifen,als erste offene Gesellschaft in der muslimischen Welt, auch Vorbild für diekrisengeschüttelte Region Nahost sein. Eine Vision, die auch in Europa viele, wenn auchnicht jeden begeisterte. Doch die zahlreichen Reformen, die die türkische Regierungmittlerweile auf den Weg gebracht hat, sind ein gewaltiger Papiertiger geblieben. Dieserdroht nun sich selbst zu verschlingen.
An die Stelle des alles überwachendenStaatsapparates und seiner Sicherheitsorgane ist nun eine feindselige, mürrischeAtmosphäre getreten. Es wird Stimmung gemacht gegen die unter Reformdruck stehendeRegierung und gegen unabhängige Geister, die zaghafte Versuche machen, sich infreigeistiger und kritischer Rede zu üben. Mit einem Gummiparagrafen, dessen Abschaffungbis heute aussteht, werden Intellektuelle vor Gerichte gezerrt, zur Schau gestellt,öffentlich als Feinde des türkischen Staates und des türkischen Volkes diffamiert.
Entscheidend bei dieser Fehlentwicklung ist nicht nur die Unbeholfenheit derRegierung in Ankara, sondern auch die gleichgültige Haltung breiter Bevölkerungskreise.Ein kruder Nationalismus lässt sich scheinbar viel leichter mobilisieren, als eineMassenbewegung für Demokratie und Meinungsfreiheit.
Sicherlich spielt auch dieunentschlossene Haltung Europas gegenüber der Türkei bei der gegenwärtigen Krise dertürkischen Gesellschaft eine Rolle. Der Streit darüber, ob das Land überhaupt zur Europagehört, hat die Reformkraft der Regierung geschwächt und den demokratischen Kräften nurSteine in den Weg gelegt. Doch die Türkei kann sich in dieser Situation nur selbsthelfen. Im Lande selber muss endlich begriffen werden, dass die gegenwärtige Lage dieZukunft der Türkei verdüstert. Sollte diese Situation anhalten oder gar sich weiterzuspitzen, wird es weder ein Vollmitglied Türkei in der Europäischen Union geben, nocheinen privilegierten Partner Europas. Eher ist ein zweites Russland an den GrenzenEuropas zu erwarten, mit einer Prise Nordkorea in den Köpfen. Diese Aussicht sollte auchdie Europäer nachdenklich machen.
Quelle: http://www.welt.de/data/2007/02/02/1197065.htmltarget=blank