Murat Kurnaz
16.02.2007 um 20:13Falsche Vorwürfe, peinliche Verwechslungen
Deutsche Behörden waren seit 2002selbst
überzeugt davon, dass der Türke aus Bremen ein harmloser Pechvogel war.
VonHans
Leyendecker, John Goetz und Nicolas Richter
Murat Kurnaz
vergrößernMurat
Kurnaz
Foto: AP
In Guantanamo herrschten imSeptember 2002
"ideale Arbeitsbedingungen", wie die deutschen Geheimdienstler fanden.Zwei Tage lang
saßen sie Murat Kurnaz aus Bremen gegenüber, im klimatisiertenVernehmungscontainer.
Kurnaz sagte, er habe lange auf die Deutschen gewartet undsignalisierte
"uneingeschränkte Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft".
DieDeutschen waren
sich schnell einig, dass Kurnaz nie ein afghanisches Terrorlagerbesucht habe, sie
erwarteten seine baldige Freilassung und überlegten, ob er alsSpitzel in der
Islamisten-Szene tauge, was die Amerikaner gefordert hatten. AberKurnaz schien ihnen
dann selbst dafür zu harmlos.
"Weiterhin hat Kurnaz nachübereinstimmender
Einschätzung keinen Zugang zum Mudschahedin-Milieu, was ja auch dieBegründung seiner
Freilassung wäre", heißt es in einem Vermerk des Bundesamtes fürVerfassungsschutz im
Oktober 2002. Der Mann hatte offenkundig schlicht nichts mitTerror zu tun.
Das
seinerzeit von Frank-Walter Steinmeier geführte Kanzleramtaber behandelte Kurnaz
jahrelang wie einen Staatsfeind. Am 29. Oktober 2002 beschließtdie "Präsidentenrunde" im
Kanzleramt, Kurnaz die Rückkehr nach Deutschland zuverweigern. Am nächsten Tag legt das
Innenministerium einen Plan vor, dieAufenthaltserlaubnis von Kurnaz für erloschen zu
erklären und das Dokument in seinemPass zu vernichten. Die Bemühungen, Kurnaz
fernzuhalten, enden erst, als Angela MerkelKanzlerin wird und Steinmeier das Kanzleramt
verlässt.
Unterlagen zufolgehoffen die Sicherheitsbehörden noch im Oktober
2005, aus den USA "weitereInformationen gegen Kurnaz zu bekommen, die den Verdacht der
Unterstützung desinternationalen Terrorismus erhärten". Am 27. Oktober besprechen zwei
Staatssekretäredes Innen- und Außenministeriums den Fall. Sie erwarten, dass Kurnaz
einen neuenVisumantrag stellt. Sie wollen prüfen, ob sie "gerichtsverwertbares Material"
gegenKurnaz finden, damit der Antrag abgelehnt werden kann.
Konstruierte
Freundschaft zu Selbstmordattentäter
Mehr als ein halbesJahr vorher, im Januar
2005, hatte die US-Bundesrichterin Joyce Hens Green alleUS-Vorwürfe gegen Kurnaz
verworfen. Die US-Regierung, kritisierte Green, halte Kurnaz"möglicherweise lebenslang
fest, und dies ausschließlich wegen seiner Kontakte zuPersonen und Organisationen mit
Verbindung zum Terrorismus, und nicht wegenirgendwelcher terroristischer Aktivitäten,
die der Gefangene unterstützt, gefördertoder selbst unternommen hätte".
Das
US-Militär hatte die Anschuldigungengegen Kurnaz im Wesentlichen mit dem Vorwurf
konstruiert, der junge Türke seiVertrauter eines Selbstmordattentäters gewesen. "Ich bin
hier, weil Selcuk Bilginjemanden mit einer Bombe getötet hat?", fragte Kurnaz ungläubig,
als er im September2004 vor einem Militärtribunal in Guantanamo mit der Anklage
konfrontiert wurde. "DerGefangene", hieß es laut Protokoll, "war ein enger Vertrauter
eines Mannes, der spätereinen Selbstmordanschlag beging. Sie planten eine Reise nach
Pakistan. Bilgin ist wohlein Selbstmordattentäter".
Kurnaz und Bilgin waren in
Bremen Freunde gewesen,aber mit dem Selbstmordverdacht lagen die Amerikaner falsch. Sie
hatten einen Mann,der mitverantwortlich war für eine Anschlagswelle Ende 2003 in der
Türkei, mit Bilginverwechselt. Das Bundeskriminalamt wusste das und wies die Amerikaner
Ende 2004 gleichzweimal darauf hin. Auch das Kanzleramt wusste, dass die US-Behörden
sich geirrthatten. Aus deutscher Sicht waren also sämtliche Vorwürfe gegen Kurnaz
haltlos. Mitden Anschlägen in der Türkei hatte sein Freund nichts zu tun, und in
Afghanistan warer nach Überzeugung der deutschen Geheimdienste nie gewesen.
ZiellosesUmherreisen
Blieben nur Kurnaz' Verbindungen zur
Islamisten-OrganisationJamaa at-Tabligh, die er aus Bremen kannte und von der er sich in
PakistanUnterstützung erhofft hatte in seinem Bestreben, den Koran zu studieren. Aber
diePakistan-Reise erwies sich anfangs zwar als exotischer Abenteuer-Trip, nicht aberals
Extremisten-Seminar.
Nach Überzeugung der deutschen Geheimdienste reisteer dort
Ende 2001 ziellos umher, die Tabligh-Anhänger in Pakistan beäugten ihn mitMisstrauen,
weil er die Sprache nicht verstand und mit seinen rötlichen Haarenauffällig war. So
auffällig, dass ihn die pakistanische Polizei festnahm und denAmerikanern übergab.
Der Besuch der deutschen Geheimdienstler in Guantanamo2002, die Interventionen des
BKA im Jahr 2004, um die Bilgin-Verwechslung aufzuklären,belegen, dass die deutschen
Beamten stets im Bilde waren, dass Kurnaz ein harmloserPechvogel war. Im Kanzleramt aber
wurde dieses so eindeutige Ergebnis für unzulässigbefunden: Wenn einer schon in den
Medien "Bremer Taliban" genannt wurde, durfte erkeinesfalls zurückkehren.
http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/959/98861/ (Archiv-Version vom 21.03.2007)
Deutsche Behörden waren seit 2002selbst
überzeugt davon, dass der Türke aus Bremen ein harmloser Pechvogel war.
VonHans
Leyendecker, John Goetz und Nicolas Richter
Murat Kurnaz
vergrößernMurat
Kurnaz
Foto: AP
In Guantanamo herrschten imSeptember 2002
"ideale Arbeitsbedingungen", wie die deutschen Geheimdienstler fanden.Zwei Tage lang
saßen sie Murat Kurnaz aus Bremen gegenüber, im klimatisiertenVernehmungscontainer.
Kurnaz sagte, er habe lange auf die Deutschen gewartet undsignalisierte
"uneingeschränkte Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft".
DieDeutschen waren
sich schnell einig, dass Kurnaz nie ein afghanisches Terrorlagerbesucht habe, sie
erwarteten seine baldige Freilassung und überlegten, ob er alsSpitzel in der
Islamisten-Szene tauge, was die Amerikaner gefordert hatten. AberKurnaz schien ihnen
dann selbst dafür zu harmlos.
"Weiterhin hat Kurnaz nachübereinstimmender
Einschätzung keinen Zugang zum Mudschahedin-Milieu, was ja auch dieBegründung seiner
Freilassung wäre", heißt es in einem Vermerk des Bundesamtes fürVerfassungsschutz im
Oktober 2002. Der Mann hatte offenkundig schlicht nichts mitTerror zu tun.
Das
seinerzeit von Frank-Walter Steinmeier geführte Kanzleramtaber behandelte Kurnaz
jahrelang wie einen Staatsfeind. Am 29. Oktober 2002 beschließtdie "Präsidentenrunde" im
Kanzleramt, Kurnaz die Rückkehr nach Deutschland zuverweigern. Am nächsten Tag legt das
Innenministerium einen Plan vor, dieAufenthaltserlaubnis von Kurnaz für erloschen zu
erklären und das Dokument in seinemPass zu vernichten. Die Bemühungen, Kurnaz
fernzuhalten, enden erst, als Angela MerkelKanzlerin wird und Steinmeier das Kanzleramt
verlässt.
Unterlagen zufolgehoffen die Sicherheitsbehörden noch im Oktober
2005, aus den USA "weitereInformationen gegen Kurnaz zu bekommen, die den Verdacht der
Unterstützung desinternationalen Terrorismus erhärten". Am 27. Oktober besprechen zwei
Staatssekretäredes Innen- und Außenministeriums den Fall. Sie erwarten, dass Kurnaz
einen neuenVisumantrag stellt. Sie wollen prüfen, ob sie "gerichtsverwertbares Material"
gegenKurnaz finden, damit der Antrag abgelehnt werden kann.
Konstruierte
Freundschaft zu Selbstmordattentäter
Mehr als ein halbesJahr vorher, im Januar
2005, hatte die US-Bundesrichterin Joyce Hens Green alleUS-Vorwürfe gegen Kurnaz
verworfen. Die US-Regierung, kritisierte Green, halte Kurnaz"möglicherweise lebenslang
fest, und dies ausschließlich wegen seiner Kontakte zuPersonen und Organisationen mit
Verbindung zum Terrorismus, und nicht wegenirgendwelcher terroristischer Aktivitäten,
die der Gefangene unterstützt, gefördertoder selbst unternommen hätte".
Das
US-Militär hatte die Anschuldigungengegen Kurnaz im Wesentlichen mit dem Vorwurf
konstruiert, der junge Türke seiVertrauter eines Selbstmordattentäters gewesen. "Ich bin
hier, weil Selcuk Bilginjemanden mit einer Bombe getötet hat?", fragte Kurnaz ungläubig,
als er im September2004 vor einem Militärtribunal in Guantanamo mit der Anklage
konfrontiert wurde. "DerGefangene", hieß es laut Protokoll, "war ein enger Vertrauter
eines Mannes, der spätereinen Selbstmordanschlag beging. Sie planten eine Reise nach
Pakistan. Bilgin ist wohlein Selbstmordattentäter".
Kurnaz und Bilgin waren in
Bremen Freunde gewesen,aber mit dem Selbstmordverdacht lagen die Amerikaner falsch. Sie
hatten einen Mann,der mitverantwortlich war für eine Anschlagswelle Ende 2003 in der
Türkei, mit Bilginverwechselt. Das Bundeskriminalamt wusste das und wies die Amerikaner
Ende 2004 gleichzweimal darauf hin. Auch das Kanzleramt wusste, dass die US-Behörden
sich geirrthatten. Aus deutscher Sicht waren also sämtliche Vorwürfe gegen Kurnaz
haltlos. Mitden Anschlägen in der Türkei hatte sein Freund nichts zu tun, und in
Afghanistan warer nach Überzeugung der deutschen Geheimdienste nie gewesen.
ZiellosesUmherreisen
Blieben nur Kurnaz' Verbindungen zur
Islamisten-OrganisationJamaa at-Tabligh, die er aus Bremen kannte und von der er sich in
PakistanUnterstützung erhofft hatte in seinem Bestreben, den Koran zu studieren. Aber
diePakistan-Reise erwies sich anfangs zwar als exotischer Abenteuer-Trip, nicht aberals
Extremisten-Seminar.
Nach Überzeugung der deutschen Geheimdienste reisteer dort
Ende 2001 ziellos umher, die Tabligh-Anhänger in Pakistan beäugten ihn mitMisstrauen,
weil er die Sprache nicht verstand und mit seinen rötlichen Haarenauffällig war. So
auffällig, dass ihn die pakistanische Polizei festnahm und denAmerikanern übergab.
Der Besuch der deutschen Geheimdienstler in Guantanamo2002, die Interventionen des
BKA im Jahr 2004, um die Bilgin-Verwechslung aufzuklären,belegen, dass die deutschen
Beamten stets im Bilde waren, dass Kurnaz ein harmloserPechvogel war. Im Kanzleramt aber
wurde dieses so eindeutige Ergebnis für unzulässigbefunden: Wenn einer schon in den
Medien "Bremer Taliban" genannt wurde, durfte erkeinesfalls zurückkehren.
http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/959/98861/ (Archiv-Version vom 21.03.2007)