"Denn das ist der Wille Gottes"
Von Marc Pitzke, New York
Mit aufpeitschenden Zitaten aus der Bibel garnierte Bushs Verteidigungsminister Rumsfeld Lageberichte im Irak-Krieg. Die Memos, die jetzt von einem Reporter enthüllt wurden, offenbaren den religiösen Eifer des Ex-Präsidenten.
Die ersten Apriltage 2003 waren düster fürs Weiße Haus. An der Irak-Front mehrten sich die Hinweise, dass die Invasion keineswegs zum erhofften "Shock-and-Awe"-Sprint werden würde. Die Zahl der gefallenen Soldaten näherte sich dreistelliger Höhe. Als US-Truppen am 1. April ihre Kameradin Jessica Lynch befreiten, verklärte und verfälschte das Pentagon die mysteriöse Episode flugs zur Heldenpropaganda, um die Moral zu stützen.
Selbst Präsident George W. Bush brauchte wohl moralischen Zuspruch. Das jedenfalls scheint sich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gedacht zu haben, der Bush jeden Vormittag mit Kurz-Memos über den Fortgang des Krieges informieren ließ. Rumsfeld scheute dabei offenbar keine Mühe, diese "Worldwide Intelligence Updates" so positiv-aufmunternd wie möglich zu gestalten - mit wahrhaft göttlicher Eingebung, wie jetzt herauskam.
Zum Beispiel am 3. April 2003 - zwei Tage nach dem Lynch-Drama, einen Tag, nachdem General a.D. Joseph Hoar, der frühere US-Oberkommandeur im Nahen Osten, in einem Essay für die "New York Times" als erster Militär die Kriegsführung offen kritisiert hatte: "Warum sind nicht genug Soldaten im Irak?"
Um gegenzusteuern, ließ Rumsfeld das Memo jenes Tages mit triumphalen Farbfotos von US-Truppen und Kriegsmaschinerie schmücken. Darüber prangte ein Mutspruch für schwere Zeiten: "Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und freudig seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst."
Das Zitat mag einem bekannt vorkommen. Es entstammt der Bibel: Altes Testament, Josua Kapitel 1, Vers 9. Rumsfeld ließ die Quelle sogar hinzufügen.
Ein trefflicher Auszug: In der Heiligen Schrift galten diese Worte Josua, dem Erben Mose, der die Israeliten beim Marsch nach Kanaan anführte. Rumsfelds neuzeitliche Analogie ist augenfällig: Auch Bush führte sein Volk nun ins gelobte Land, auf Geheiß Gottes - der Krieg als Kreuzzug. Bush hatte das Unterfangen ja persönlich so genannt, drei Tage nach den Anschlägen des 11. September 2001: "Dieser Kreuzzug, dieser Krieg gegen den Terror."
Es war beileibe nicht das einzige, biblisch gespickte Irak-Kriegsmemo jener Tage. Das US-Monatsmagazin "GQ" veröffentlichte jetzt, sechs Jahre später, elf solcher "cover sheets" von März und April 2003, alle mit frommen Zitaten aufgemotzt. Diese Akten zirkulierten nur im kleinsten Pentagon-Kreis, und Rumsfeld habe sie Bush manchmal persönlich überreicht.
Pentagon-Sprecher Bryan Whitman bestätigte am Montag, dass die "Worldwide Intelligence Updates" unter Rumsfeld eine zeitlang mit Bibelzitaten angereichert wurden. Er wisse allerdings nicht, wie lange diese Praxis angehalten habe, fügte Whitman hinzu - und betonte, dass sie längst eingestellt worden sei.
"Wen soll ich senden? Wer soll unser Bote sein?"
Ein alter Gewährsmann Rumsfelds versuchte dagegen prompt, die Geschichte kleinzureden: Sollten die Memos authentisch sein, sagte der frühere Pentagon-Sprecher Larry Di Rita der "Financial Times", hätte Rumsfeld sie Bush sicher nicht gezeigt: "Das ist nur eine alberne Anekdote von Leuten mit Hintergedanken."
Die Idee zur Verfrömmelung der Lageberichte, schreibt "GQ", habe Generalmajor Glen Shaffer gehabt, der damalige Geheimdienstchef des Pentagons - gegen den internen Widerstand von Kollegen, die das als Bestätigung des Verdachts gesehen hätten, der Irak-Feldzug sei ein verkappter Religionskrieg gegen Moslems.
Rumsfeld - der selbst kaum als flammender Christ gilt - habe die Bibelsprüche persönlich abgesegnet, berichtet "GQ": Er habe wohl gehofft, dass der strenggläubige Bush darauf anspringe. Obwohl Pentagon-Analysten sogar gewarnt hätten, die Memos könnten, so sie öffentlich würden, einen weltweiten Skandal "schlimmer als Abu Ghureib" auslösen.
Alles kommt natürlich irgendwann zutage. Doch das Pentagon konnte diese Memos zumindest bis nach dem Machtwechsel geheimhalten. Erst jetzt wurden sie an Robert Draper lanciert, einen "GQ"-Korrespondenten.
Draper ist in Regierungskreisen kein Unbekannter: Seine Bush-Biografie "Dead Certain" von 2007 hatte das Wohlwollen des Präsidenten, der Draper sieben Interviews gab. Nun arbeitet der Autor an einer Fortsetzung - und dabei stieß er auf die Bibel-Memos.
"Um deswillen ergreifet den Harnisch Gottes"
Etwa das vom 17. März 2003, drei Tage vor Kriegsbeginn. Titelblatt der Mappe: zwei US-Soldaten, am Boden hockend, die Köpfe wie zum Gebet gesenkt. Darüber das Zitat: "Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?" (Jesaja 6,8.) Was der kurze Ausschnitt verschwieg: Die eigentliche Botschaft des Propheten Jesaja war Friede und Gerechtigkeit.
Die Bezüge zwischen den Fotos, den Bibelsprüchen und der Aktualität des Krieges waren oft krude und nach Belieben hingebogen. Ein Memo zeigte einen Flugzeugträger nebst einem Zitat des Psalms 139: "Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten." Flügel, Meer - es ist, als habe jemand die Bibel gegoogelt.
2. Teil: Grabenkämpfe um die Deutung der Bush-Jahre
Ähnlich am Stichtag der Invasion, dem 20. März 2003. Ein Foto von drei US-Soldaten wurde abermals von einem Jesaja-Spruch begleitet, flott kriegerisch umgedeutet: "Ihre Pfeile sind scharf und alle ihre Bogen gespannt. Ihrer Rosse Hufe sind wie Felsen geachtet und ihre Wagenräder wie ein Sturmwind."
Der Brief des Paulus an die Epheser musste herhalten, um einen Panzer durch die Wüste zu begleiten: "Um deswillen ergreifet den Harnisch Gottes, auf dass ihr an dem bösen Tage Widerstand tun und alles wohl ausrichten und das Feld behalten möget." Die Sprüche Salomons flankierten die Soldaten auf dem Weg nach Bagdad: "Befiehl dem HERRN deine Werke, so werden deine Anschläge fortgehen."
Das erste Buch Petrus wurde zum Spott auf Saddam Hussein, abgebildet bei einer seiner TV-Durchhaltereden: "Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr mit Wohltun verstopft die Unwissenheit der törichten Menschen." Und für den Einzug der Truppen durch die "Schwerter von Kadesia", den berühmten Triumphbogen in Bagdad, bot sich abermals der Prophet Jesaja an: "Tut die Tore auf, dass hereingehe das gerechte Volk, das den Glauben bewahrt!"
Die bisher unbekannten Memo-Deckblätter sind ein weiterer "blast from the past" - ein grelles Aufflackern der Bush-Vergangenheit, die die Amerikaner nicht loslässt. Im Gegenteil: In letzter Zeit wird US-Präsident Barack Obama vom Erbe seines Vorgängers geradezu verfolgt.
Die endlose Folter-Debatte, der Unmut über die Fortsetzung der Guantanamo-Tribunale, die Dauer-Tiraden von Ex-Vizepräsident Dick Cheney: Immer öfters stolpert Obama über das Vermächtnis der Bush-Clique, verfängt sich seine Agenda in alten Fallstricken, muss er abrücken von seinem Wahlversprechen eines Bruchs mit jenen Jahren. Längst verflogen das Motto seines Amtsantritts: "Wir müssen nach vorne schauen, statt nach hinten zu schauen."
"Einem Könige hilft nicht seine große Macht"
Doch die alten Kämpfer lassen nicht locker: Sie haben begonnen, ihr historisches Erbe für die Nachwelt zu definieren. Dass die Bibel-Memos ausgerechnet jetzt auftauchen, ist kein Zufall: Sie sind ein erster Salvo des Bush-Lagers gegen das Rumsfeld-Lager, derweil deren Protagonisten an ihren Autobiografien sitzen.
"GQ" garniert die Fotos mit einer gnadenlosen Generalabrechnung mit Rumsfeld - bei der Bush auffallend gut wegkommt. Roter Faden seiner Gespräche mit "mehr als einem Dutzend Bush-Loyalisten", schreibt Draper, sei ein gemeinsames Gefühl gewesen: "Intensive Feindseligkeit gegenüber Donald Rumsfeld."
Die Grabenkämpfe um die Deutung der Bush-Jahre durchziehen auch die meisten anderen Vergangenheitsdebatten, die Obama plötzlich am Hals hat. Was wusste Cheney? Wer war für die Folterungen verantwortlich? Waren auch die Demokraten darüber informiert? Letztere Frage hat jetzt sogar Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, in die Klemme gebracht: Sie verstrickte sich in Widersprüche, als sie die CIA beschuldigte, den Kongress 2003 darüber belogen zu haben.
Das aufwendigste Memo-Deckblatt, das "GQ" zeigt, fabrizierten die Pentagon-Bastler am 10. April 2003, dem Tag nach dem Umsturz der Saddam-Statue in Bagdad. Das Foto landete auf dem Cover, samt Bildern jubelnder Mengen und eines irakischen Kindes, das einen GI küsst. "Einem Könige hilft nicht seine große Macht", steht darüber, "ein Riese wird nicht errettet durch seine große Kraft." Buch der Psalmen, 33.
Auch Donald Rumsfeld könnte sich das nun zu Herzen nehmen.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,625640,00.html