"In Deutschland ist alles gut"
30.04.2006 um 14:51Das menschenverachtende Geschäft der Schleuser im Nordirak
ZAHKO Jederhat ein Blatt Papier in der Tasche mit Adressen und Telefonnummern in Deutschland. Siesind auf Kurdisch geschrieben. Unten auf dem Blatt steht ebenfalls in kurdischer Schrift,aber in Deutsch: "Ich beantrage Asyl". Das haben alle auswendig gelernt. Der Satz öffnetihnen die Tür in Germany. Das haben ihnen Freunde und Verwandte am Telefon gesagt, dieschon in Deutschland sind.
Die acht Männer mit den Zetteln in der Tasche sitzenin einem kleinen Hotel in der nordirakischen Stadt Zahko. Sie haben sich mit einemMenschenhändler verabredet. Er hat ihnen beim ersten Treffen nicht gesagt, wann er wiederkommen wird, nur seinen Preis. Der Schleuser hat Konjunktur. Seine "Kunden", die illegalnach Europa wollen, stehen Schlange. Jeder der acht Kurden bezahlt nur für den Transportdurch die Türkei fünftausend Dollar im Voraus.
Sie sitzen mitNike-Jogging-anzügen made in China am Frühstückstisch in der Absteige. Es wird gelachtund einige fragen, ob es stimmt, dass man in Deutschland Geld bekommt, auch wenn mannicht arbeitet. Aber sie wollen arbeiten, um sich ein großes Auto kaufen zu können. Nein,politisch verfolgt werden sie nicht. Sie wehren sich auch gegen den Begriff Flüchtling.Was sind sie dann? "Wir wollen einfach ein besseres Leben, sonst nichts."
DasReisegepäck trägt jeder in einer Umhängetasche. Nur das Nötigste, so sagte es derSchleuser. Eine warme Jacke und Unterwäsche. Das Geld für den Schleuser, der sie bis zueinem Boot nach Griechenland bringt, ist im Gürtel. Rahman weiß, wie gefährlich die Reiseist, denn er hat sie schon einmal gemacht. Seinen ersten Versuch musste er fast mit demLeben bezahlen. "Wir fahren zuerst einmal in die Berge östlich von hier. Dann müssen wirbezahlen. Der Führer bringt uns in vier Nachtmärschen über die türkische Grenze", erzählter. Am Tag würden sie schnell von den türkischen Soldaten, die an der irakischen Grenzescharf kontrollieren, entdeckt. Das Risiko ist aber in der Nacht um einiges höher. DieSoldaten schießen sofort auf alles, was aus dem Irak kommt. Weil nachts auch die Männerder türkisch-kurdischen Terrororganisation PKK vom Irak in die Türkei kommen, um dortAnschläge zu verüben, kennen die Soldaten kein Pardon. Zu groß ist deren Angst, dass sieangegriffen werden.
Wenn die irakischen Kurden in der Türkei sind, ist dieGefahr noch lange nicht vorbei. Falls sie vom Militär aufgegriffen werden, kommen sie fürmehrere Jahre ins Gefängnis. In erster Linie, weil sie Kurden sind, sagen die Iraker. DerMenschenhändler hat den Transport seiner Kunden gut organisiert. Er lernt bei jederSchleusung dazu. Die Reise durch die Türkei verliefe bei ihm ohne Probleme, versprach er.
Warum verlassen die acht jungen Männer das relativ sichere irakische Kurdistanund nehmen so ein großes Risiko auf sich? Verfolgt wird niemand in dem de facto autonomenStaatsgebiet. "Ich habe einen Onkel in Mannheim, der mir erzählt hat, wie einfach dasLeben in Deutschland ist. Er bekommt vom Staat Geld und arbeitet noch nebenher. Bis vordrei Jahren hat er Geld in den Irak geschickt. Jetzt verdient meine Familie genug. SeineWohnung ist auch umsonst", schwärmt Farhaq. Er kann kaum lesen und schreiben und sprichtnur Kurdisch. Wie er sich seine Zukunft in Deutschland vorstellt? Er lacht. "Bei euch istalles gut", sagt er nur.
Um das Geld für die Schleusung zusammen zu bekommen,hat die ganze Familie zusammengelegt. Es war nicht schwer, weil im kurdischen Teil desIraks ein gewisser Wohlstand herrscht. Die Kurden bekommen 20 Prozent aus dem irakischenÖlverkauf. Die Wirtschaft boomt. Alles ist anders als im Rest des Iraks.
Derfünfundzwanzigjährige Rahman erzählt von seinem ersten Versuch, aus Kurdistan zu fliehen.Es ging nachts über die Berge in die Türkei. "Wir wurden in einem Lkw versteckt, der Holztransportierte. Es dauerte drei Tage, bis wir in der Nähe von Izmir ankamen. Wir wurdenauf ein Boot gebracht, das man nur noch als Seelenverkäufer bezeichnen konnte. Es solltenur noch diese eine Fahrt halten. Dreiundzwanzig Kurden sollten zu einer dreißigKilometer entfernten Insel gebracht werden. Von dort war das Weiterkommen kein Problemmehr, weil Griechenland ein so genanntes Schengenland ist.
Als alle Flüchtlingean Bord waren, sagte der Schleuser plötzlich, er komme nicht wie vereinbart mit, übergabeinen Kompass und zeigte nach Westen. "Immer da lang, dann kommt ihr nach Griechenland",so seine letzen Worte, bevor er im Dunkeln verschwand. Keiner der Flüchtlinge saß je ineinem Boot oder kannte einen Kompass. Als der Motor streikte und dann noch das Boot vollWasser lief, gab es keine Rettung. Nur fünf Flüchtlinge überlebten. Sie wurden von einemZigarettenschmuggler aufgelesen.
Das Geschäft der Schleuser an der irakischenGrenze läuft immer besser. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen schätzt, dassmit Hilfe der Menschenhändler jeden Monat mehr als zweitausend Personen vom Nordirak nachEuropa geschleust werden. Das dabei verdiente Geld kommt den Einnahmen aus demDrogenhandel ziemlich nahe.
1,3 Millionen Illegale
In Deutschland lebennach Einschätzung des Verfassungsschutzes etwa 500 000 Kurden, davon mehrere zehntausendillegal. Insgesamt betrifft der illegale Aufenthalt 1,3 Millionen Menschen in derBundesrepublik. Die meisten von ihnen halten sich in Ballungsräumen auf, vor allem inBerlin, gefolgt von München und der Region Frankfurt. In der Stadt am Main leben nachSchätzungen von Migrationsexperten des Diakonischen Werkes bis zu 40 000 Menschen ohneAufenthaltsrecht, zehn Prozent davon Kinder. Die Statuslosen würden ausgebeutet undexistenziell bedroht, heißt es. Deutschland bleibt innerhalb der EU Hauptziel fürEinwanderer. Nach Einschätzung des Bundesentwicklungsministeriums hat sichMenschenhandel- und schmuggel zu einem lukrativen Zweig organisierter Kriminalitätentwickelt. 35 Milliarden würden hier jährlich weltweit verdient. MAZ