Burka in Bonn
17.05.2006 um 20:38
Europa lässt sich nicht verschleiern?
Wie machen es dieeuropäischen Nachbarn?
Der Fall Shabina Begum
Ein Dschilbabals rotes Tuch
In Großbritannien hat eine Schülerin geklagt, anstattder Schuluniform den islamischen Dschilbab tragen zu dürfen, bei dem nur Gesicht undHände sichtbar bleiben. Jetzt wurde die Klage von höchster Instanz abgewiesen. JuliaGrosse berichtet
Scheiterte mit ihrer Klage vor Gericht, im Unterricht inkompletter Körperbedeckung des Dschilbabs erscheinen zu dürfen: Shabina Begum
Bitterenttäuscht über das Urteil ist Tahir Alen, Erziehungssprecher beim britischen MuslimCouncil nicht. Es hätte nur alles gar nicht so weit kommen dürfen: Die muslimischeSchülerin Shabina Begum aus dem englischen Luton in Bedfordshire hatte sich im September2002 geweigert, die Uniform ihrer Schule zu tragen, worauf die Schule sie vom Unterrichtausschloss.
Seitdem hatte Begum bis zum vergangenen März alle Rechtsmittelausgeschöpft, um sich gemäß orthodoxer islamischer Vorschriften zu kleiden und in derkompletten Körperbedeckung des Dschilbabs zu erscheinen, bei der also nur Gesicht undHände sichtbar bleiben.
Dschilbab-Verbot im Schulunterricht
In ersterInstanz verlor sie, das Berufungsgericht dagegen gab ihr im März vergangenen JahresRecht. Doch dagegen klagte wiederum die Schule vor den Lordrichtern des Oberhauses,Großbritanniens höchstrichterlicher Instanz, und bekam nun Recht. Schülerinnen dürfen denDschilbab auch in Zukunft nicht zum Unterricht tragen.
Für Tahir Alen vom MuslimCouncil hat der ganze Wirbel um den Fall allerdings etwas Entscheidendes in denHintergrund gedrängt. "Es geht an einer Schule immer noch um die Ausbildung. Will maneinem muslimischen Mädchen die verweigern, nur, weil sie zwanzig Zentimeter zuviel Stoffträgt?"
Dennoch wirft Alen der Schule kein pauschales Versagen oder garbewusste Diskriminierung vor. Wie ein Großteil der britischen Schulen sei auch diesesogar durchaus aufgeschlossen und fortschrittlich was die Integration verschiedenerGlaubensrichtungen und ihrer jeweiligen Bekleidung in den Schulalltag betrifft.
So ist es an der Denbigh High School, die zu 79 Prozent von muslimischen Schülernbesucht wird, sogar erlaubt, den traditionellen "Schalwar Kameez" zu tragen, eineKombination aus Hose und Tunika und dazu ein Kopftuch. Da die Tunika meistens ärmellosist, tragen die Mädchen darunter ein weiteres Oberteil mit langem Arm.
"DieTunika geht meistens bis zum Knie und darunter trägt man dann die Hose. Der Dschilbabdagegen ist ja ein einziges, weites Kleidungsstück, das bis an die Knöchel geht und nurGesicht und Hände freilässt", erklärt Tahir Alen.
"Doch es ist wichtig zubetonen, dass es sich hier nicht grundsätzlich um eine Diskriminierung der Betroffenenund ihrer religiösen Überzeugung gehandelt hat", räumt der Erziehungssprecher beim MuslimCouncil ein.
"Einer der Gründe für das Verbot von Seiten der Schule sollangeblich gewesen sein, dass das Tragen des Dschilbabs wiederum die anderen muslimischenMädchen in ihrer 'normalen', erlaubten Tunika mit Hose verunsichern könnte – nach demMotto: Ihr tragt keinen Dschilbab wie Shabina Begum, also seid ihr folglich nicht frommgenug. Eine sehr merkwürdige Begründung..."
Das Urteil von Luton alsPräzedenzfall?
Die konservative britische Presse reagierte auf das Urteil ehergelassen, der "Independent" titelte allerdings triumphierend "Unsere Schulen sind keineOrte für den Dschilbab" und wertete die Entscheidung des Gerichtes als starke Ansagegegen "religiösen Extremismus". Und tatsächlich kann man nicht ausschließen, dass einigeSchulen den Rechtsspruch in Luton zum Anlass nehmen, um ähnliche Verbote auszusprechen.
"Bisher entscheidet das noch jede Schule selbst, es ist nicht gesetzlichfestgelegt", sagt Tahir Alen. "Es wäre natürlich sehr enttäuschend, wenn plötzlich vieleSchulen ähnlich verfahren würden."
Doch Befürchtungen vor weiter reichendenKonsequenzen – etwa, dass es demnächst ähnliche Gesetzeslagen wie in Frankreich gebenkönnte, hat er nicht parat. "Das ist ein ganz anderes Thema", findet Tahir Alen. "Mankann diese beiden Länder und ihre Regierungs- und Gesetzesformen nicht vergleichen."
Doch längst nicht alle muslimischen Organisationen reagieren so diplomatisch auf dasUrteil im Fall Shabina Begum, wie der Muslim Council. So beobachtet die britische HumanRights Commission in einem Fall wie diesem vor allem ein offensichtliches Gefällezwischen den religiösen Gruppen. So würden britische Sikhs oder Briten jüdischen Glaubensgegen Diskriminierung religiöser Art gesetzlich besser geschützt.
"Muslime undihre religiöse Identität sind vom Schutz der Anti-Diskriminierungs-Gesetzgebung eherausgenommen. Es kommt immer wieder zu Schmähungen im Bereich der Ausbildung und Schuleoder am Arbeitsplatz", sagt Beena Faridi von der Islamic Human Rights Commission.
Verschleierung als Reizthema
Für eine Spezifizierung der Gesetze kämpfenOrganisationen wie die Human Rights Commission oder der Muslim Council schon seit langem,und nicht wenige britische Muslime fühlen sich seit den Terroranschläge vom Juli 2005noch angreifbarer als vorher.
"Wir hoffen wirklich sehr, dass vor allem derDschilbab in Zukunft nicht zu einem absoluten Reizthema wird, weshalb muslimische Frauen,die den Dschilbab tragen, plötzlich mehr bedrängt werden", sagt Beena Faridi. "Zwar hatShabina Begum durch ihre Stimme Frauen auf gewisse Weise ja auch Mut gemacht, doch dasResultat könnte sich eher negativ auf sie auswirken."
Eine theoretischeKonsequenz könnte sein, dass vor allem Mädchen künftig stärker muslimische Schulenbesuchen. Praktisch ist das allerdings gar nicht so einfach, immerhin gibt es in ganzEngland nur knapp zehn staatliche islamische Schulen. Das sind bei fast 400.000muslimischen Kindern im schulpflichtigen Alter von 5 bis 16 nicht besonders viele.
"Einerseits will das Land Integration und Vielfalt an ihren öffentlichen Schulen,aber dann wird einem Mädchen wegen ihrer Kleidung die Ausbildung erschwert", sagt Faridivon der Islamic Human Rights Commission.
Der Dschilbab als Ausnahmeerscheinung
Doch bleibt die Frage, wie viele britisch-muslimische Mädchen überhaupt vollverschleiert sind. Zurzeit wird über einen ähnlichen Fall in London gestritten, bei demeine Berufsschule zwei angehenden Krankenschwestern untersagen will, mit kompletterKörperbedeckung, wie Shabina Begum, ihr Praktikum zu absolvieren.
"Dabei sindMädchen, die einen langen Dschilbab tragen, eher die Ausnahme", sagt Yasmin,muslimisch-britische Schülerin aus London. "Im Endeffekt kombinieren die meisten jungenMusliminnen ihre Verschleierung mit dem modischen Rest ihrer Kleidung."
Bereits jetzt gibt es erste Ankündigungen britischer Kleidungsfabrikanten, wieetwa die Firma "Price and Buckland", die den Dschilbab in Zukunft als Schuluniformmodisch in mehreren Farben produzieren zu lassen, um damit die Integration verschiedenerReligionen in das traditionelle britische Regelwerk der Schuluniform endgültig zuinstitutionalisieren.
Natürlich sind das bisher erst Ideen, die vonkonservativen britischen Blättern nur müde als PR-Gag belächelten werden.
DochGroßunternehmen wie Ikea haben beispielsweise für ihre Mitarbeiter schon einenfirmeneigenen, schulterlangen Dschilbab entwerfen lassen, den man zu Tunika und Hosetragen kann – in dunkelblauer Farbe, mit einem dezenten, gelben Ikea-Logo auf derRückseite. (LOL)
Shabina Begum besucht inzwischen das College und trägtnach wie vor den Dschilbab. Dort hat die Leitung offenbar keine Probleme damit.
Julia Grosse © Qantara.de 2006
Gruß