Israel und Iran - Der Point of no Return rückt näher
05.05.2006 um 19:24
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Kriege gegen Iran? "Das wäre das nächste US-Desasters"
Der israelischeMilitärhistoriker Martin van Creveld über die Dummheiten der Regierung Bush und einnukleares Abschreckungssystem im Nahen Osten.
Die Presse: Kurz vor demIrak-Krieg 2003 haben Sie in einer Zeitungskolumne argumentiert, dass die USA Irakniemals angreifen werden. Was hat der Militärhistoriker damals falsch kalkuliert?
Martin van Creveld: Alles. Für mich war immer klar, dass die USA einen Krieg im Iraknur verlieren konnten. Ich hielt es einfach nicht für möglich, dass jemand so dumm seinwürde, im Irak einen Krieg anzufangen.
Warum war eine Niederlage der USA für soklar?
Van Creveld: Es hat seit 1941, seit dem deutschen Überfall aufJugoslawien, ungefähr 100 Kriege dieser Art gegeben. Von diesen 100 haben die sogenannten„forces of order“, also Ordnungskräfte, über 90 verloren. Es ist sehr schwer, überhaupteinen solchen Krieg zu finden, der nicht in einer Niederlage geendet hat. Der Blick aufdie Geschichte sagt mir: Den Irak-Krieg können die USA nicht gewinnen. Und solange sieihn nicht gewinnen, verlieren sie ihn. Da die Amerikaner Vietnam erlebt haben und da ichauch einige der beteiligten Spitzenpolitiker persönlich kenne – nicht Präsident George W.Bush, aber den früheren Außenminister Colin Powell oder Verteidigungsminister Rumsfeld –hielt ich es einfach für undenkbar, dass sie so eine Dummheit begehen und den Irakangreifen könnten. Sie haben es getan – jetzt sind sie mit den Konsequenzen konfrontiert.
Wie sehen Sie die jetzige Situation im Irak? Was für eine Art Konflikt ist das?
Van Creveld: Man versucht, mit einem Schwert, das Meer zu schlagen. Wir haben esmit einem klassischen Aufstand und klassischer Aufstandsbekämpfung zu tun. Und wie vielehistorische Beispiele zeigen, ist Aufstandsbekämpfung letztlich sinnlos.
Ineinem jüngst veröffentlichten Aufsatz kritisieren Sie die Amerikaner, weil sieAggressivität mit Ungeduld kombinierten und sich militärisch zu sehr auf Technologiestützten. Sehen sie diese negativen Eigenschaften auch im Irak?
Van Creveld: Ichhabe jahrelang mit dem Pentagon zusammengearbeitet. Ich war natürlich kein Insider, habeaber doch mitbekommen, wie dieser Apparat funktioniert. Dem Pentagon geht es gar nichtdarum, Krieg zu führen. Es geht ihm darum, Geld vom Kongress loszueisen. Und das gelingtdadurch, dass man immer neue und immer fantastischere Rüstungsprojekte präsentiert.
Und wie werden sie realisiert?
Van Creveld: Das Pentagon bildet Allianzenmit den Kongressvertretern jener Staaten, in denen die Waffensysteme gebaut werden – vorallem Kalifornien, Texas, Georgia, Massachusetts, New York. Ob die Waffensysteme jebenützt und ob sie ausreichend ausgereift sind, ist weniger wichtig. Hauptsache, diegroßen Rüstungskonzerne sind wieder ein paar Jahre lang mit Milliarden gefüttert worden.Es geht also ums Geld, nicht um Krieg. Kriegführen ist nur Nebensache. Beim Loseisen vonGeld aber ist das Pentagon weltmeisterlich. Es gibt keine andere Organisation weltweit,die
annähernd so viel Geld zur Verfügung gestellt bekommt wie das amerikanischeVerteidigungsministerium. Im Moment sind es ungefähr 450 Milliarden Dollar im Jahr.
Haben die Amerikaner die letzten drei Jahre irgendwelche Lektionen aus dem Irak-Krieggelernt?
Van Creveld: Die Amerikaner tun sich immer sehr schwer, überhauptirgendwelche Lektionen zu lernen. Denn sie sind die größten, die mächtigsten, diestärksten. Alle anderen sind im Vergleich klein und winzig. So sagen Sie sich: Wie sollenwir ausgerechnet von arabischen Kameltreibern etwas lernen? Im Vergleich zu denAmerikanern sind wir in Israel fast genial. Wir machen zwar auch nicht alles richtig undhaben letzten Endes auch verloren: Wir haben uns aus dem Südlibanon zurückgezogen, ausdem Gaza-Streifen und ziehen uns hoffentlich auch aus dem Westjordanland
zurück. Aberzumindest kennen wir das Land, wir kennen die Araber, wir leben neben ihnen, wirverkehren mit ihnen, eine Vielzahl von Israelis spricht Arabisch und wir schauen nichtauf sie herab. Das hat wohl damit zu tun, dass wir selbst klein und winzig sind. Was abergibt es zu lernen, wenn man mit 100 Milliarden Dollar von Washington nach Bagdadloszieht?
Wenn Sie sich anschauen, was sich rund um den Iran zusammenbraut:Sehen Sie sie da
Ähnlichkeiten zum Irak-Konflikt?
Van Creveld: Ein Krieggegen den Iran würde etwas ganz anderes werden. Ich habe gerade einen früherenUS-Luftwaffengeneral im Fernsehen gehört, der von nicht weniger als 1500 Angriffszielenim Iran sprach: Kommando- und Kontrollzentren, Luftabwehrstellungen und die eigentlichennuklearen Einrichtungen. 1500 Ziele – wenn man so etwas vorhat, dann wird das keine kurzeGeschichte, dann wird sich das Woche um Woche hinziehen – und Gott allein weiß, wann esendet. Denn wie viele davon sind echte Ziele, wie viele aber sind nur Attrappen? Wenn dieAmerikaner
das wirklich machen wollen – dann wird das wieder ein Desaster.
Aber was sagen Sie dann zu Berichten, dass der Iran möglicherweise schon kurz davorsteht, eigene
Atombomben zu bauen?
Van Creveld: Bereits seit 15 Jahrenwarnen uns die diversen Geheimdienste, dass Iran in drei bis fünf Jahren eine Atombombebauen kann. 15 Jahre – und immer die gleiche Schätzung. Warum immer drei bis fünf Jahre?Diese Ziffern haben mit Iran überhaupt nichts zu tun, sondern mit amerikanischerInnenpolitik. Die Amtszeit eines US-Präsidenten dauert vier Jahre. Wenn also von dreiJahren die Rede ist, bedeutet das das Minimum für einen Präsidenten, um reagieren zukönnen. Fünf Jahre – das kommt nach einer Amtsperiode, interessiert also keinen mehr.Wenn Geheimdienste etwas öffentlich machen, tun sie das meist mit Hintergedanken. Ichkann also nur raten, solchen Informationen mit großer Skepsis zu begegnen.
Hatim jetzigen Atompoker der Iran alle guten Karten in der Hand?
Van Creveld:Meiner Ansicht nach ist der jetzige US-Präsident zu gar allem bereit. Bush schreckt nichteinmal vor einem Atomwaffeneinsatz zurück, nicht umsonst werden von dieser US-Regierung„Mini nukes“, kleine Kernwaffen also, forciert. Was aber nützen gute Karten, wenn man ineiner radioaktiv verseuchten Wüste leben muss?
Könnte denn Ihre Heimat, Israel,jemals akzeptieren, dass Iran eigene Atomwaffen hat?
Van Creveld: Grundsätzlichhat Israel bereits seit mindestens 20 Jahren eigene Mittel, um Teheran mit einem Schlagauszulöschen. Das wissen die Iraner. Israel sollte vor Iran also keine Angst haben, auchnicht vor einem nuklear bewaffneten Iran. Die andere Sache ist, dass wir Bedrohungen vonaußen schon immer gekonnt für unsere Sicherheit ausgenutzt haben. Nach außen hin und auchfür die eigene Bevölkerung warnt die israelische Regierung laut vor iranischenAtomwaffen, so wie sie früher vor Bedrohungen aus der arabischen Welt gewarnt hatte. Sohat Israel dann in den sechziger Jahren Waffen von Deutschland bekommen, in denSiebzigern und Achtzigern Waffen aus den USA, in den Neunzigern wieder Waffen ausDeutschland. Also jedes Mal, wenn der iranische Staatschef Ahmadinejad wieder von derAusradierung Israels redet, hilft er uns nur, von irgendwo her neue Waffensysteme zubekommen. Das funktioniert sehr gut.
Wenn Iran einmal eine Atomwaffe hat: Wirddas nicht einen Rüstungswettlauf im ganzen Nahen
Osten auslösen?
VanCreveld: Ja, wenn Iran in sagen wir fünf Jahren eine Atomwaffe hat, dann will wohl auchdie Türkei in zehn bis 15 Jahren die Bombe, vielleicht auch Ägypten.
. . . undSaudiarabien.
Van Creveld: Den Saudis fehlen weitestgehend die technischenVoraussetzungen für den Bau einer Nuklearwaffe.
Aber sie könnten doch einfacheine Atombombe kaufen?
Van Creveld: Bis heute ist es noch niemanden gelungen,eine Nuklearwaffe einfach zu kaufen, wie viel Geld auch immer jemand zu zahlen bereitwar. Die Technologie könnten sie natürlich kaufen. Aber die Herstellung ist dann wiederalles andere als einfach. In Zusammenhang mit dem jetzigen iranischen Atomprogramm etwaist von 60.000 Zentrifugen die Rede.
Grundsätzlich aber: Könnte ein System dernuklearen Abschreckung, wie es während des Kalten Krieges zwischen Ost und Westfunktioniert hat, auch im Nahen Osten funktionieren?
Van Creveld: Meiner Meinungnach funktioniert es bereits seit 30 Jahren. Ich bin jetzt 60 Jahre alt. In meiner Jugendhabe ich innerhalb von 25 Jahren fünf Kriege zwischen Israel und seinen Nachbarländernerlebt: 1948, 1956, 1967, 1970 und 1973. Seit 33 Jahren hatten wir nur noch den vonIsrael selbst angezettelten Libanon-Krieg. Also die Abschreckung funktioniertoffensichtlich.
Und wenn Ägypten eines Tages die Atomwaffe haben sollte?
Van Creveld: Dann funktioniert die Abschreckung vielleicht noch besser. ÜberlegenSie: Wenn Ägypten ohne Atomwaffen gegen Israel zu kämpft, ist es verrückt. Aber wennÄgypten mit Atomwaffen gegen Israel kämpft, ist es total verrückt. Eine 7000 Jahre alteZivilisation könnte mit einer einzigen, gut gezielten Atombombe auf den Assuan-Staudammweggeschwemmt werden. Die Ägypter wissen das. Ich glaube, dass sie deshalb bis heutekeine Kernwaffen haben.
Was bedroht den Ihrer Meinung nach den Weltfrieden mehr:die Verbreitung von Atomwaffen oder der internationale Terrorismus?
Van Creveld:Beide Gefahren werden übertrieben. Trotz allem bedeutet der Terrorismus doch nicht mehrals Nadelstiche. Ich komme doch aus einem Land, dass seit Jahren mit dem Terrorismuskonfrontiert ist. In den letzten fünfeinhalb Jahren der zweiten Intifada hat es nur eineneinzigen Monat geben, wo mehr Menschen durch Terroranschläge getötet wurden als durchVerkehrsunfälle. In dieser Zeit sind rund 1000 Israelis dem Terror zum Opfer gefallen,aber rund 2500 sind durch Verkehrsunfälle getötet worden. Selbst Terroranschläge mitchemischen oder biologische Waffen blieben letztlich nur Nadelstiche. Die Gefahr wirdmeiner Meinung nach enorm überschätzt. Nur Kernwaffen in den Händen von
Terroristenkönnten eine wirklich große Gefahr darstellen.
Und machen Atomwaffen in mehrStaaten die Welt nicht unsicherer?
Van Creveld: Nein, sie machen sie sogarstabiler. Seit 1945 hat keiner der großen, mächtigen Staaten gegen einen anderenwichtigen und starken Staat Krieg geführt. Die Verbreitung von Atomwaffen ist also eherein Vor- als ein Nachteil. „More may be better“, hat Kenneth Waltz schon vor 30 Jahrengeschrieben. Er wurde nicht widerlegt.
Was ist dann in Ihrer Analyse die größteBedrohung für die westlichen Gesellschaften?
Van Creveld: Das ist die massiveEinwanderung von Menschen aus anderen Kulturkreisen. Kein europäisches Land weißwirklich, wie es mit diesem Problem fertig werden soll. Und in den letzten zehn Jahrenist bei der Bewältigung dieser Frage vieles schief gelaufen. Mittlerweile gibt esMillionen-starke Einwanderergemeinden in vielen europäischen Ländern, die für großeUnruhe sorgen können – siehe Frankreich im vergangenen Herbst.