Der Mythos Mao Zedong
15.10.2005 um 17:17
Maos wahrer Erbe
Chinas Staatschef Hu Jintao gibt angesichts extremer
Einkommensunterschiede den Sozialrevolutionär. Das Pathos soll seine Macht
sichern
von Kirstin Wenk
Wenn morgen in der Volksrepublik China mit Paraden, Feiern und langen Reden
der Staatsgründung vor 56 Jahren gedacht wird, dann steht eine Person im
Mittelpunkt: Mao Tse-tung. Er errang den Sieg über Nationalisten und Japaner,
er befreite die chinesischen Bauern von ihren Ausbeutern, er ließ das neue
China auferstehen. Sicher, Mao hatte seine Fehler. Aber nur 30 Prozent an ihm
waren schlecht, 70 Prozent hingegen gut. Diese Formel gab Deng Xiaoping nach
Maos Tod 1976 aus, bis heute wird nicht daran gerüttelt.
Auch Staats- und Parteichef Hu Jintao, nach Mao, Deng und Jiang Zemin Führer
der "vierten Generation", denkt nicht daran, den Mao-Mythos aufzubrechen. Im
Gegenteil: Während weltweit eine neue Mao-Biographie Furore macht, in der
Jung Chang und der Historiker Jon Halliday den Großen Vorsitzenden als
Monster darstellen, ist das Buch in China verboten. Die Autoren machen Mao für
den Tod von 70 Millionen Menschen verantwortlich. Hu Jintao erinnert lieber an
Maos vermeintliche Verdienste, insbesondere die für die Bauern und andere
Benachteiligte. Doch nicht nur in seiner Sozialpolitik, auch mit seinem Stolz,
Chinese zu sein, und dem absoluten Vorrang, den der Machterhalt der
Kommunistischen Partei für ihn genießt, zeigt der 62jährige Führer, daß er der
wahre Erbe Mao Tse-tung ist. Nicht Deng und Jiang, die sich mit ihrer Reform-
und Öffnungspolitik am Ausland orientierten, traten in die Fußstapfen des
charismatischen Revolutionärs, sondern der unscheinbare Hu mit dem korrekten
Seitenscheitel.
Wie der Große Steuermann hatte auch Hu kaum internationale Erfahrungen, als
er die Weltbühne betrat. Deng studierte in Paris, Jiang war in Moskau und
Rumänien. Hu studierte Wasserbau an der Eliteuniversität Qinghua in Peking.
Sein Verständnis von der Nation kommt ohne Orientierung am Ausland aus.
"Für Chinas Entwicklung gibt es keine Vorbilder", sagt er und betont den
"friedlichen Aufstieg" seines Landes. Konflikte mit den USA spielt Hu herunter.
Bei Kritik aus Washington, etwa daß China heimlich aufrüste, lautet die
Standardantwort, der Präsident wolle eine "konstruktive und kooperative
Partnerschaft mit den USA". Hu weiß, daß China die USA als
Wirtschaftspartner braucht. Deren liberales Wirtschaftsmodell lehnt er jedoch
ab, er verachtet es als unsozial.
Bis zu Hus Machtantritt 2002/2003 war nur wenig über ihn bekannt. Selbst über
seinen Geburtsort gab es widersprüchliche Angaben. Heute heißt es, sein
Geburtshaus stehe in Taizhou in der südostchinesischen Provinz Jiangsu. Hu,
Vater eines Sohnes und einer Tochter, kommt aus einer traditionsreichen,
gebildeten Teehändlerfamilie. Die "falsche", nichtproletarische Klassenherkunft
versuchte er durch hervorragende Leistungen auszugleichen. In der Schule, an
der Uni - Hu war immer der Jüngste und Beste. Der Kommunistischen
Jugendliga trat er mit 14 Jahren bei, mit 39 war er ihr Vorsitzender. Bis heute ist
der Jugendverband seine Machtbasis. Bei der Postenvergabe werden Bekannte
von früher bevorzugt. 21 Jahre verbrachte Hu in den ärmsten Regionen des
Landes, in Gansu, in Guizhou und Tibet. Anfang 1989, kurz vor dem Massaker
in Peking, ließ er in Lhasa einen Aufstand niederschlagen und verhängte den
Notstand. Kritiker im Ausland werfen Hu dies bis heute vor, in China begann
danach sein Aufstieg in der Zentrale. Seit September 2004 ist Hus Macht
weitgehend unangefochten. Nach der Übernahme des Vorsitzes der Zentralen
Militärkommission ist er nun Chef von Partei, Staat und Armee. Hu und Premier
Wen Jiabao haben den langen Machtkampf mit Jiangs "Shanghai-Clique"
gewonnen. Betont harmonisch regiert die Führung im Kollektiv, wahrscheinlich
noch viele Jahre.
Gleich nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden im November 2002 zeigte Hu,
was er anders machen wolle: Er reiste aufs arme Land, nach Xibaibo in Henan,
wo Mao 1949 eine Rede über "einfaches Leben und harten Kampf" gehalten
hatte. Auch Hu betonte die maoistischen Werte. Auf dem Volkskongreß im
März 2003 läuteten Hu und Wen offiziell die neue soziale Politik ein. Das Modell
Wachstum um jeden Preis hat seitdem ausgedient, die neuen Schlagworte
heißen "gesellschaftliche Harmonie", "ausgeglichene Entwicklung", "der
Mensch steht im Mittelpunkt". Gebracht hat das den Bauern und
Wanderarbeitern Steuererleichterungen, Subventionen und die Streichung von
Schulgeldern für ihre Kinder.
In letzter Minute stellte Hu damit die Weichen um für einen Zug, der gegen die
Wand zu donnern drohte. In den letzten 25 Jahren hat sich China von einer sehr
egalitären Gesellschaft zu derjenigen mit den weltweit größten
Einkommensunterschieden entwickelt. Die Verlierer zeigten 2004 ihre Wut in 74
000 lokalen Aufständen. Ihr Held ist Mao, schließlich hatte dieser vor der
Rückkehr des Kapitalismus gewarnt. Maos Bild hängt wieder in Wohnzimmern
und Bauernstuben.
Hu Jintao macht sich die Mao-Begeisterung zunutze, um der Kommunistischen
Partei zu neuer Legitimation und Popularität zu verhelfen. In Zeitungsartikeln,
Reden und Programmen erinnert er jedoch nur an die durch Mao symbolisierten
Werte: Einfachheit, Gleichheit, "dem Volk dienen". Er enthält sich öffentlicher
Huldigungen für Mao selbst, damit würde er liberaler Gesinnte in der Partei
verprellen. Hu sucht den Ausgleich zwischen den Gruppierungen. Um den
Reformorientierten einen Gefallen zu tun, soll Hu am 20. November eine Rede zu
Ehren des früheren Parteichefs Hu Yaobang halten, der dann 90 Jahre alt
geworden wäre. Hu Yaobang, der für politische Reformen eintrat, wurde 1987
entlassen. Sein Tod hatte 1989 die Studentenproteste ausgelöst.
Hu Jintao will Harmonie in der Partei. Personenkulte, hohle Zeremonien und
Rituale sind ihm zuwider. Das zumindest unterscheidet ihn von Mao. Die Presse
forderte er auf, weniger über Parteikongresse zu berichten und mehr über das,
"was die Leute wirklich interessiert". Hu will mehr Effizienz in der Politik. Also
verpflichtete er die Mitglieder des Politbüros, regelmäßig Studienkurse über
Geschichte, Kultur und Wirtschaft zu besuchen. Unter dem Motto "Die
innerparteiliche Demokratie ausbauen, um die Regierungsfähigkeit der Partei zu
erhöhen" werden immer mehr Parteisekretäre und Kongreßdelegierte direkt
gewählt, auf lokaler Ebene. "Demokratie" ist in China kein Tabuwort, bedeutet
aber etwas ganz anderes als ein Mehrparteiensystem. Hu will mit mehr
Transparenz und Partizipation die Partei von Übeln wie der Korruption befreien.
Dafür ist er in der Bevölkerung geachtet, wenn auch nicht gerade beliebt.
Wegen seiner jungen Jahre und seiner Bevorzugung qualifizierter Mitarbeiter
gegenüber Ideologen sahen viele Intellektuelle - und das Ausland - in Hu anfangs
Chinas kommenden Gorbatschow. Nun wird er eher mit Putin verglichen. Unter
Hu dürfen die Medien zwar über Themen berichten, die früher verboten waren,
wie Armut, Aids und Homosexualität. Dennoch häufen sich Fälle von Zensur,
Verhaftungen und Entlassungen von Journalisten. Gerade ist wieder einmal die
Internet-Kontrolle verschärft worden. Auf internen Parteitreffen soll Hu besonders
harte Töne anschlagen, gegen "westliche feindliche Kräfte" und "bürgerliche
Liberalisierung" wettern. Seine Vorbilder für den Machterhalt der Partei seien
Kuba und Nordkorea - und Mao Tse-tung.
Artikel erschienen am Fr, 30. September 2005
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Gruß
Die Reihenfolge ist:
Regnerisch kühl, Schaufensterbummel, Hundekot....Oo.NWIO-WBIN.oO