Ein Bericht von
Uri AvneryVon den Absichten und Folgen des israelischen Abzugs....
Wie man sich erinnern wird, forderten die Amerikaner von ihm, irgendeine Friedensinitiative zu präsentieren. Präsident Bush benötigte dies dringend, um der Welt zu zeigen, daß er Frieden und Demokratie im Mittleren Osten fördern will. Für Sharon ist die Verbindung zu den Amerikanern schon allgemein, die Verbindung zu Bush aber eine zentrale Stütze für Israels Sicherheit. Der einseitige Abzugsplan sieht irgendwie wie ein Friedensplan aus und so hat er Wort gehalten. Gestern wiederholte Sharon bei einem Presse-Interview: "Ich ziehe es vor, ein Abkommen mit den Amerikanern als ein Abkommen mit den Arabern zu erreichen."
Er wollte auch anderen herumgeisternden Friedensplänen zuvorkommen . Die "Genfer Initiative" war gerade dabei, überall in der Welt Anerkennung zu finden, ausländische Würdenträger unterstützten sie. Sharons Abzugsplan wischte sie vom Tisch. Später machte er dasselbe mit dem Friedensfahrplan, der von Sharon forderte, den Siedlungsbau einzufrieren und die "Außenposten" zu entfernen. Als der Abzug sich auf den Weg machte, wurde der Fahrplan eine Worthülse. Die Amerikaner unterstützten ihn bisher nur mit Lippenbekenntnissen. (Das mag sich nach dem Abzug ändern, wie Präsident Bush in dieser Woche in einem Spezialinterview im israelischen Fernsehen andeutete).
Natürlich hat Sharon nicht im entferntesten mit einen Kampf auf Leben und Tod mit den Siedlern, seinen Schützlingen und privaten Hausgästen, gerechnet. Er war sich sicher, daß er in der Lage sein würde, sie zu überzeugen, daß dies eine weise und voraussehende Maßnahme sei.
Dann kamen die Mörsergranaten und Qassam-Raketen, die eine bedeutende Rolle spielten. Die israelische Armee hatte keine bereitstehende Antwort auf diese Waffen, und der Preis, den Gaza-Streifen zu halten, wurde eine zu große Belastung für die Ressourcen der Armee.
Die Feinde des Abzugs schreien es (buchstäblich) von den Dächern, Sharons wirkliches Motiv sei, die Aufmerksamkeit von der Korruptionsaffäre, in die er und seine beiden Söhne verwickelt waren, abzulenken. Das ist sicherlich eine wilde Übertreibung. Wenn dies der einzige Grund gewesen wäre, hätte eine andere Initiative begonnen werden können, wie ein kleiner Krieg. Aber es mag ein zusätzlicher Grund gewesen sein.
Aber hinter all diesen Motiven steht etwas Wesentlicheres: die Persönlichkeit und Weltanschauung von Sharon selbst.
Mehr als einmal wurde über ihn gesagt, daß er größenwahnsinnig sei, ein Mann der rohen Gewalt, ein Mann, der alle anderen verachtet, ein Mann, der jeden Widerstand wie eine Dampfwalze überrollt. All das ist wahr, aber es ist nicht alles.
Schon vor Dutzenden von Jahren kam er zu dem Schluß, daß er die einzige Person sei, die den Staat führen kann. Daß Das Schicksal ihn dafür auserkoren habe, das Volk von Israel zu retten und die Weichen für die nächsten Generationen zu stellen. Daß alle anderen Leute um ihn, Politiker und Generäle, Zwerge seien, deren An-die-Macht-kommen nur unsägliches Unheil über Israel brächte. Die Schlußfolgerung: jeder, der seinen Weg blockiert, begeht ein Verbrechen gegen den Staat und das Volk. Das trifft natürlich auch auf jeden zut, der den Abzug verhindert, der - für ihn - der erste Schritt in seinem "Großen Plan" ist.
Sharons Weltsicht ist einfach, um nicht primitiv zu sagen. Die Vision von Vladimir Jabotinsky, dem ideologischen Poeten aus Odessa (und geistigem Vater des gegenwärtigen Likud) ist dem Jungen, der in dem Gemeinschaftsdorf Kfar Malal geboren wurde, ziemlich fremd. Menachem Begin mit seinen polnischen Ideen der Ehre, war ihm auch fremd, und in seinem Herzen verachtete er ihn. Sein wirklicher Mentor war David Ben-Gurion.
Seine ist eine klassisch zionistische Ideologie, konsequent und pragmatisch: die Grenzen des jüdischen Staates in einem andauernden Prozeß so weit wie möglich auszudehnen, ohne eine nicht-jüdische Bevölkerung einzuschließen. Überall, wo möglich, zu siedeln und dabei jeden möglichen Trick zu verwenden. Viel zu handeln und wenig darüber reden. Erklärungen abzugeben, daß man Frieden erreichen wolle, aber keinen Frieden zu machen, der die Ausdehnung und Siedlung behindern würde.
Moshe Dayan, ein anderer Schüler Ben Gurions, predigte in einer seiner enthüllenderen Reden vor der Jugend des Landes, daß dies ein fortdauerndes Vorhaben sei. "Ihr habt es nicht angefangen und ihr werdet es nicht beenden!", sagte er. In einer andere wichtigen Rede sagte Dayan, daß die Araber zuschauen, wie wir das Land ihrer Vorfahren in unser Land verwandeln und sie werden sich niemals damit abfinden. Der Konflikt wird eine permanente Situation sein.
Das ist auch Sharons Anschauung. Er will Israels Grenzen so weit wie möglich ausdehnen und die Anzahl der Araber innerhalb dieser Grenzen minimieren. Deshalb erscheint es ihm sinnvoll, den winzigen Gaza-Streifen mit den anderthalb Millionen dort lebenden Palästinensern und auch die Zentren der palästinensischen Bevölkerung in der West Bank aufzugeben. Er will die Siedlungsblöcke und die dünn besiedelten Gebiete annektieren, wo neue Siedlungsblöcke gebaut werden können. Das Problem der palästinensischen Enklaven will er zukünftigen Generationen überlassen.
Ben Gurion hat ein grundsätzliches Prinzip festgelegt: der Staat Israel hat keine Grenzen. Grenzen frieren die bestehende Situation ein und das kann Israel nicht anerkennen. Deshalb waren alle seine Nachfolger, einschließlich Yitzhak Rabin, bereit, Übergangs-Abkommen abzuschließen, aber niemals ein endgültiges Abkommen, das die Grenzen festlegen würde. Deshalb besteht Sharon darauf, daß alle seine Schritte einseitig sind und daß nach dem Abzug ein neues Übergangs-Abkommen erreicht werden könnte - aber unter keinen Umständen ein endgültiges Friedensabkommen.
Diese Vorgehensweise könnte das Auflösen von weiteren Siedlungen in der West Bank nötig machen - von kleinen, isolierten Siedlungen in Gebieten, in denen keine neuen Siedlungsblöcke wegen dichter palästinensischer Bevölkerung errichtet werden können. Dieser Gedanke macht es praktisch sicher, daß es weitere Zusammenstöße mit den Siedlern geben wird, deren harter Kern nicht nach den Lehren eines Ben Gurion aufgewachsen ist, sondern nach der Vision messianischer Rabbis, die über die Grenzen des Von Gott Verheißenen Landes reden. Sharons Pragmatismus beeindruckt sie nicht.
Um den Staat fest auf diese Schiene zu setzen, und um sicher zu gehen, daß er sich auch in den kommenden Jahrzehnten auf ihnen fortbewegt, benötigt Sharon eine weitere Amtsperiode. Binyamin Netanyahu, den Sharon für einen kleinen Politiker mit einem großen Mundwerk hält, gefährdet diesen Plan. Für ihn ist dies ein Verbrechen gegenüber Israel.
....
ganzer
Bericht_________________
wer braucht schon eine...