Angela Merkel als eiserne Lady
28.06.2005 um 00:14
Merkel - was drauf steht, ist auch drin - da kann auch mal eine Flut kommen...;-)
Angela Merkel
Die einsame Vorsitzende
04. Dezember 2004 Wenn „die Vorsitzende” auftritt, hält sie sich meist die Hände frei. Keine Handtasche, auch keine Aktenbündel oder Unterlagen. Beim Gehen schwingen die Arme links und rechts, fast so, als durchschritte sie halbhohes Wasser. Das wirkt schon distanzgebietend. Wenn sie auf dem Parteitagspodium sitzt, deutlich kleiner in der Statur als die sie umgebenden Männer der Parteiführung, dann scheint es, als vereinzele die Gruppe rings um sie eher, als sie zu beschirmen.
Angela Merkel ist Vorsitzende einer Partei mit 600.000 Mitgliedern. Sie steht vor einer Wiederwahl, bei der sie so um 90 Prozent Zustimmung von 1.000 CDU-Delegierten erwarten darf. Sie wird als Kanzlerkandidatin 2006 die Unterstützung ihrer Partei beanspruchen müssen. Warum wirkt Angela Merkel trotzdem so allein? Strahlt sie die Einsamkeit aus, oder wird sie ihr zugemutet?
Ehrfurchtgebietender Ehrgeiz
Merkel: Das Kalkül "Ehrlichkeit" zu illustrieren
Angela Merkel hat das Alleinsein früh gelernt. Sie hat daraus einen ehrfurchtgebietenden Ehrgeiz zur Selbständigkeit entwickelt. So kann sie die Einsamkeit hinnehmen, die sich aus den Umständen ergibt. Aus den Zwängen einer Spitzenposition ohnehin, in ihrem Falle aber auch aus der individuellen Konstellation einer Frau unter Männern und, immer noch, einer Ostdeutschen unter Westdeutschen.
Das „Ostdeutsche” ist als Merkmal nach 15 Jahren Teilungsende allerdings matt geworden. Die Jugend in der Uckermark, gewiß, Schule und FDJ, aber als Geburtsort Hamburg im Ausweis und als Zuhause eine evangelische Pfarrerswohnung. Das ergibt kein typisches Milieu, sondern widersprüchliche Einzelheiten. Sie erzählt, daß sie nach ihrem Abitur mit Rucksack auf Abenteuertour ging, quer durch „die SU”, die Sowjetunion, und daß es nicht übermäßig schwer gewesen sei zurechtzukommen, der Gastfreundlichkeit vieler Menschen wegen. Man kann es trotzdem als erste Probe für eigenen Wagemut nehmen.
Ein einziger langer Balanceakt
Viel später, 1999, nach dem ersten Jahr als CDU-Generalsekretärin, ist von ihr der Satz notiert worden, „es ist mir vergönnt gewesen, an meine eigenen Grenzen zu stoßen”. Erst wenn man seine Grenzen kenne, „kann man Selbstbewußtsein entwickeln”.
In der Rückschau erscheint die Merkelsche Laufbahn als ein einziger langer Balanceakt auf dieser Grenzschnur, allenfalls abgesehen von jener jungen Erwachsenenzeit, die sie als Physikerin an einem Berliner Akademie-Institut verbrachte, wo sie auch ihren jetzigen Mann, den Chemiker Joachim Sauer, kennenlernte. Dann begannen die ersten, gleich überstürzten stolpernden Schritte auf dem Seil; binnen eines Jahres wurde sie erst Aktivistin einer der vielen politischen Gruppierungen, die sich im Zusammenfall der DDR bildeten, dann stellvertretende Regierungssprecherin in der Sechsmonatsära des Kabinetts de Maizière, dann Bundestagsabgeordnete und schließlich Bundesministerin für Frauen und Jugend.
Mit Eifer eine außergewöhnliche Karriere
Der Takt der Schritte hat sich seither etwas verlangsamt, aber das Seil ist dünn geblieben: 1991 stellvertretende CDU-Vorsitzende, 1993 CDU-Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, 1994 Bundesumweltministerin, 1998 CDU-Generalsekretärin, 2000 CDU-Vorsitzende, 2002 auch Unionsfraktionsvorsitzende, Ende 2005 wird sie voraussichtlich Kanzlerkandidatin sein.
Sicher wurde diese außergewöhnliche Karriere von den Umständen begünstigt. Durchzuhalten aber war ein solches Tempo nur mit dem Eifer, sich ständig neuen Zumutungen auszusetzen. Es scheint, als treibe Angela Merkel das Verlangen, fortwährend ein eigenes Unvermögen zu besiegen, sich immer wieder zu nötigen, sich Qualen aufzuerlegen, um dann die Erleichterung nach überwundenem Hindernis zu genießen.
„Französische Lehrstunde”
Vor zwei Jahren reiste die CDU-Vorsitzende eigens für einen halben Sonntag nach Paris; es war ihr wichtig, sich auf dem Gründungsparteitag der UMP, der neuen französischen konservativen Partei Präsident Chiracs, zu zeigen. Das allein reichte ihr aber nicht. Sie entschloß sich, ihr langes Grußwort vollständig auf französisch zu halten, obwohl sie in dieser Sprache hörbar ungeübt war.
Eine Probierstunde mit dem CDU-Auslandsreferenten während des Fluges, das mußte reichen für ihren Auftritt. Sie sprach auf einer riesigen Bühne vor zehntausend Parteitagsgästen. So lange, daß es reichte, um die Überraschung des Publikums in Mitgefühl und schließlich in Anerkennung übergehen zu lassen. Am Ende gab es starken Applaus.
Unruhig und angespannt
Liegt es an diesem Herausforderungsdruck, daß die CDU-Vorsitzende als öffentliche Figur fast immer angespannt wirkt? Daß sie bei ihren Bundestagsreden auf dem Weg zum Pult noch immer Unruhe aussendet? Daß sie lange „neu” erscheint in ihren immer exponierteren Ämtern in der Partei? Sie erzählt, ihr Mann verfolge ihre öffentlichen Auftritte gelegentlich als Verhaltenstrainer im Fernsehen und gebe dann Ratschläge wie „Du hast deinen Zeigefinger wieder ständig erhoben”. Frau Merkel sagt, sie kämpfe gegen solche Eigenarten an, aber es dauere lange, sie „zu unterdrücken”.
Die Anstrengung fällt auf, um so mehr, als Angela Merkel eigentlich darauf Wert legen will, als öffentliche Person sie selbst zu sein, statt bestimmte Rollen spielen oder Anmutungen bieten zu müssen. Wenn die deutsche Nation keine wichtigeren Probleme habe als ihren Haarschnitt, dann müsse es ja gut stehen um das Land, hat sie einmal bemerkt, als sich die Erörterung ihrer Frisur zu einem beliebten Medienthema entwickelte.
Das Kalkül „Ehrlichkeit” zu illustrieren
Andererseits weiß sie eben doch, daß sich bestimmte Erwartungen an ihr Auftreten nicht ignorieren lassen, und folgt ihnen zögernd. So kann es sein, daß sie auf dem Weg von ihrem Sommerhaus zu einem Wochenendtermin den Fahrer erst an der Autobahnraststätte halten lassen muß, um rasch Wimperntusche einzukaufen.
Der Unwillen, von sich in der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild zu produzieren, wird auch von Kalkül bestärkt. Die Oppositionsführerin scheint sich sicher, damit ein Unterscheidungszeichen setzen und „Ehrlichkeit” illustrieren zu können. Das gilt zuerst im Vergleich zum Bundeskanzler, dessen Äußeres ja auch schon wegen der Vermutung eines „Zuviel” statt eines „Zuwenig” an Styling das Interesse der Medien fand. Es gilt aber auch im Abgleich mit anderen ihrer Mitstreiter und Konkurrenten.
Verzicht auf männliche Gebärden und Metaphern
uch ihnen gegenüber ist sie wieder die Fremde, die auf sich gestellte Frau. Viele Gesten und Methoden, mit denen Männer ihre öffentliche Wirkung verstärken und bestimmte Botschaften oder Ansprüche aussenden, stehen Frau Merkel von vornherein nicht zur Verfügung. Weder die lässig in die Hosentasche geschobene Hand noch die freundschaftliche Boxgeste, noch etwa das Ergreifen der eigenen Sakkorevers mit beiden Händen, all diese Selbstbehauptungs- und Drohgebärden verbieten sich.
Gleiches gilt für männliche Geselligkeitsrituale, aber auch beispielsweise die jüngst unter Politikern üblich gewordene - herausragende Anwender sind Müntefering und Stoiber - Benutzung von Metaphern aus der Fußballwelt: Selbst wenn sie Ahnung davon hätte, wirkte sie als Frau nicht glaubwürdig.
Anfangs war sie „Kohls Mädchen”
Angela Merkel hat aber von einigen dieser Männer gelernt, um sie anschließend zu überwinden: Krause und Kohl, de Maizière, Rühe, Schäuble, Stoiber. Auch von Schröder hat sie gelernt.
Sie ist seit eineinhalb Jahrzehnten nicht unabhängig von diesen Männern wahrgenommen worden. In den Klischeebildern galt sie anfangs als „Kohls Mädchen”, später, auch jüngst nach dem Abrücken von Merz und Seehofer, wurde sie als männermordende Gottesanbeterin gezeichnet.
Richtig an diesen Zerrbildern ist, daß sie ihr Handwerk, ihre politische Taktik und ihr Verhandlungsgeschick von Männern hat lernen müssen und daß sie dabei erfolgreich gewesen ist. Man kann das auf den schieren Selbsterhaltungstrieb zurückführen: Angela Merkel hat bislang einen großen Teil ihrer Kraft darauf verwendet, Konflikte beizulegen und Attacken abzuwehren, die ihren Ursprung auch, manchmal überwiegend, in der Konstellation hatten „Männer müssen einer Frau folgen”.
In der Politik als Physikerin
Das letzte Beispiel in dieser Schlachtreihe lieferte die Auseinandersetzung über die Gesundheitsreform zwischen CDU und CSU. In solchen Situationen hilft ihr das Handwerkszeug der Naturwissenschaftlerin. Sie sei in der Politik als Physikerin gut, urteilen manche, die sie beim Verhandeln und Knotenlösen begleiten. Schwieriger falle es ihr, offene Entscheidungen zu treffen, sich in einer freien Alternative mit beiderseitigen Vor- und Nachteilen auf eine Seite festzulegen. „Bedingte Führung” lautet die Formel, die einer ihrer Mitstreiter dafür gefunden hat.
Das Lernpensum Angela Merkels begann mit Niederlagen und Erfolgen, die mittlerweile aus dem Blick geraten sind. Ihr erstes Scheitern bestand aus dem Versuch, 1991 als Nachfolgerin de Maizières in Brandenburg CDU-Landesvorsitzende zu werden. Ihre Bewerbung zerschellte an der Gegenkandidatur des westdeutschen Sozialpolitikers Fink, der damals die Mehrheit im Saal gewann mit dem Hinweis, er sei nicht der Liebling des Parteivorsitzenden Kohl.
Zwei Jahre darauf wußte die junge Ministerin Merkel, worauf sie zu achten hatte, als sich die Gelegenheit bot, eine eigene Machtbasis als Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern zu erobern - gegen den hinhaltenden Widerstand ihres gescheiterten Aufstiegskameraden Günther Krause. In einer quälenden, viele Stunden währenden Sitzung des Schweriner CDU-Landesvorstands löste sie Krauses Finger quasi einzeln von der Lehne seines Vorstandsstuhles. Man sah ihr hinterher die Übelkeit an, sich einer solchen Prozedur bedient haben zu müssen, aber auch die Erleichterung, dabei erfolgreich gewesen zu sein.
Prophetischer Satz
Fünf Jahre später, nach dem Ende der Koalitionsregierung von Union und FDP, äußerte sie über ihren Ziehvater Kohl den prophetischen Satz: „Jetzt müssen wir, die wir durch ihn politisch etwas geworden sind, zeigen, was wir können.” Und bewies es nach eineinhalb Jahren selber ausgerechnet damit, daß sie in der Spendenaffäre die Partei von Kohl abnabelte.
Das hat ihr im Establishment der CDU eine dauernde, mit Fröstelgefühlen vermischte Achtung verschafft und war für den Gewinn des Parteivorsitzes im Frühjahr 2000 wohl letztlich wichtiger als die Bewerbungs-Basisoffensive der „Vorsitzenden der Herzen”. Am meisten gelernt hat die Parteichefin anschließend zweifelsohne aus dem vergeblichen Wettstreit mit Edmund Stoiber um die Kanzlerkandidatur; daraus ist sie zu erfahren und klug hervorgegangen, um ein weiteres Mal zuzulassen, daß die eigene Partei ihre Unterstützung einem anderen zuwendet.
Eindruck der Einsamkeit
Der aktuelle Eindruck der einsamen Vorsitzenden, zumal nach dem Verlust Merz' und Seehofers, mag entgegengesetzt wirken, er mag am nächsten Montag sogar verstärkt werden durch das eine oder andere magere Wiederwahlergebnis für ihre Vertrauten unter den stellvertretenden Parteivorsitzenden.
Doch der stille Personalaustausch in Fraktion und Partei, den die Chefin lenkt und befördert, wird ihr längerfristig helfen. Die Generation der Nachfolger in der Fraktion bleibt einstweilen schon aus Dankbarkeit loyal. In der Partei sucht sie nach politischen Talenten aus den Landesverbänden - in der Gesundheitsfrage rückten unlängst die Ministerinnen Lautenschläger aus Hessen und von der Leyen aus Niedersachsen ins Bild. So lassen sich - auch einer Riege von aufmüpfigen und Schabernack gegen die Vorsitzende treibenden Ministerpräsidenten gegenüber - Zeichen setzen, daß die Bundesvorsitzende über die Köpfe selbstbewußter Landesfürsten hinweg einen Zugriff auf Personalressourcen der CDU nehmen kann.
Führt also der Eindruck der Einsamkeit, der sich manchmal bis zur Verlorenheit steigert, in die Irre, wenn die Erfolgsaussichten einer Parteivorsitzenden zu beurteilen sind, die erst Kanzlerkandidatin werden und dann das Land regieren will?
In ihrer Umgebung ist bemerkt worden, daß jedenfalls die öffentliche Person Angela Merkel durch eine private Note ergänzt werden muß und daß, wenn schon das Einverständnis der Chefin zu ihrer öffentlichen Stilisierung begrenzt ist, wenigstens erlaubt werden muß, private Seiten an ihr zu entdecken. Ein Interview in der „Bild”-Zeitung hat den Anfang gemacht. Da ging es um Vorlieben für herzhafte Küche und darum, welches Selbstbild die Vorsitzende von sich hat. Auf die Frage „Sind Sie zäh?” gab sie zur Antwort: „Ich würde eher sagen: ausdauernd.”
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.12.2004, Nr. 284 / Seite 3
Gruß
Die Reihenfolge ist:
Regnerisch kühl, Schaufensterbummel, Hundekot....Oo.NWIO-WBIN.oO