Cachalot schrieb: Bin ich gewillt irgendeinen Ausbildungsberuf zu ergreifen? Wenn ja findet man immer was.
Will ich einen bestimmten Ausbildungsberuf spielt die Region eine Rolle. Ich wohne ländlich. Die Schulabgänger die studieren wollen wissen schon immer - Umzug nach der Schule steht an. Die meisten haben ausreichend Zeit sich damit zu arrangieren das Freund oder Freundin dann Geschichte ist, Clique sich auflöst und die Familie weniger zu sehen ist. Bis halt in der neuen Umgebung das alles wieder neu dazu kommt.
Das große Problem bei uns an der Schule ist auch der "Realitätscheck". Viele unserer problematischen Schüler fehlen z.B. sehr häufig im Unterricht. Sie sind es oft gar nicht gewohnt, strukturiert und dann noch acht Stunden am Tag zu arbeiten. Sie wissen selbst, dass sie Potential haben, das sie nicht nutzen, verlassen sich aber darauf, dass es irgendwann klappt "In der 10. Klasse, da lege ich dann los". Die ersten drei-vier Wochen klappen gut. Dann kommen die alten Muster und damit bleibt die Leistung schlecht. Wenn ihnen dann klar wird, dass sie z.B. für den Rest ihres Lebens Fliesen verlegen sollen, bewerben sie sich erst gar nicht, machen die Leute runter, die es tun "du Opfa" und lassen sich vom Arbeitsamt durch ein paar schulische Maßnahmen schleusen, immer in der Illusion, dass sie doch noch Abi machen (was einige hinbekommen würden, aber eben nicht mit der Arbeitshaltung).
Cachalot schrieb:MissMary schrieb:
Ein Teil unserer Schüler bekommt das aber nicht hin - kommt nicht pünktlich, hat sehr unrealistische Berufsvorstellungen, was ihr Bildungslevel angeht, hat keine Lust oder bricht das Praktikum ab ... Das Blöde ist, dass viele einfach komplett beratungsresistent sind, was Bewerbungen, Praktika, Horizonte, etc. angeht.
Die gab es schon immer und wird es immer geben. Glaube aber nicht das die Anzahl derer sich in den letzten Jahrzehnten merklich verändert hat
Bei uns an der Schule wird das Problem größer - gesellschaftlich ist es z.B. heute toleriert, dass auch eine Mutter ihre Kinder verlässt. So bekommen wir nun oft Kinder, die zwischen den Elternteilen hin- und hergeschoben werden, was zu vielen Schulwechseln führt. Oder die Mietproblematik. Wenn die alleinerziehende Mutter die Wahl hat zwischen obdachlos und die Bruchbude fünf Käffer weiter, nimmt sie die. Wenn sie was Besseres findet, zieht sie um = drei Schulwechsel, hin und wieder auch in einem Schuljahr.
taren schrieb: Vielleicht sollte man die Hauptschule einfach komplett streichen und durch eine doppelte theoretische Berufsschule ersetzen. Der Schüler sucht sich also zwei Berufe aus die er lernen möchte und dafür erlernt er in den nächsten Jahren die Grundlagen theoretisch und in den letzten 2 Jahren wird dies jeweils durch ein halbjährliches Praktikum ergänzt.
Bei uns gibt es in der Hauptschule ein zweiwöchiges Orientierungspraktikum. Von 60 Schülern - was schätzt du, wie viele bekommen es die zwei Wochen hin, ohne dass sie abbrechen, rausfliegen oder aus einem anderen Grund wieder bei uns landen, bevor die zwei Wochen um sind?
Die Hauptschule und ihre Inhalte sind schon okay - das Problem ist, dass die Hauptschule ganz arg viel auffängt - viele Flüchtlinge sind dort (Sprachkenntnisse, Traumata, Erziehung in einer für die Kids fremden Kultur), viele Schüler, die früher nur auf der Sonderschule einen Platz gefunden hätten, viele extrem auffällige Schüler, da bei uns die Sonderschule für Erziehungshhilfe im Bundesland abgeschafft wurden. Dazwischen ein paar Schüler, die eigentlich "okay" sind, nur etwas länger zum Lernen brauchen.
Realo schrieb:Aber auch dann dürfen die Grundfächer nicht fehlen. Die Gesellschaft ist mehr als Berufe. Im Gymnasium lernst du praktisch nur "unspezifische" Allgemeinfächer, die zu dem gehören,w as man Bildung nennt.
Das Problem ist, das "Lernen" nicht als Wert verstanden wird. Es ist eine idealisierte Vorstellung, dass die Mehrzahl der bildungsfremden Schüler durch Bildung Werte erschlossen bekommt. Beispiel 1: Meine Kollegin wollte mit ihrer Klasse ins Theater gehen. Es gibt hier so ein Sponsor und Patenprojekt, die Karte hätte 5€ gekostet. Aber es ist ein zusätzlicher Termin abends. Frage 1: "Fällt dann Unterricht aus?". Kollegin verneint. 3 (!) von 30 Schülern haben sich letztendlich gemeldet, dass sie mitgehen wollen.
Fedaykin schrieb: Etwas früh die Kinder mit 10 Jahren auszusortieren. Wie auch richtig gemerkt geht es in der Schule nicht nur, um Vermitteln für Wissen was man im Beruf nutzen kann. Aber es geht darum eben gewisse Kompetenzen zu erwerben damit man eben weiter Lernen kann und auch gutes Grundlagenwissen hat
Böse gesagt fehlt auch Druck ... man ist so bemüht, den Druck von den Kindern zu nehmen. Den betroffenen Eltern ist es egal "ich habe auch nur XY Abschluss und aus mir ist was geworden". Der Schule fehlen Konzepte und auch Handlungsmöglichkeiten. Wenn du nicht gerade den Lehrer ohrfeigst, ist es unmöglich, von der Schule zu fliegen. Das wissen die Schüler auch. Wenn ich ohne Abschluss oder mit schlechtem Abschluss gehe, dann fängt mich eine Maßnahme des Arbeitsamtes auf - so sehen das die Schüler (leider).
Bruderchorge schrieb:Geschichte ist zweifellos wichtig, aber ich kann mir kaum vorstellen, daß Hauptschülern in Problemvierteln davon aktuell irgendwelche relevanten Anteile vermittelt werden können.
Viele wissen nicht einmal wer oder was der Kanzler ist, da muss man mit dem Dritten Reich gar nicht erst anfangen. Holocaust und linksgrün sind Fremdworte...
Es gibt immer einzelne Schüler, die sich punktuell für etwas interessieren. So pauschal kann man das nicht sagen. Im Umkehrschluss kann man nicht alles streichen, weil es den Schüler eventuell nicht interessiert. Wir haben 8. Klässler, die total mühevoll lesen. Das kann man auch nicht streichen, sondern muss fördern ...
Daveman schrieb:otternase schrieb:
Es geht hier um Schüler, die bereits mit Grundrechenarten und einfachem Textverständnis überfordert sind!
Ja das liegt mitunter auch daran das die Sprachbarriere vorhanden ist. Zuhause wird die Muttersprache gesprochen und über die Stellitenschüssel geguckt. da wird ausserhalb der eigenen vier Wände kein deutsch gesprochen, und draussen treffen sie sich auch nur mit Landsleuten...
Ein Teil des Problems. Wir erleben aber oft, dass genau Migrantenkinder (oft auch aus konservativem Elternhaus) von den Eltern viel besser begleitet und angeleitet werden "wir haben unser Land und unsere Kultur verlassen und wollen nun, dass du die Chancen, die wir dir geschaffen haben, nutzt". Das führt dann zu Rassismus, wenn Fatma auf einmal eine 2 in Deutsch hat und auf das Gymnasium wechselt, während Fritz mit lauter Hauptfachvierern in einem Berufsvorbereitenden Jahr landet.
Kc schrieb:Es war politisch gewollt, dass immer mehr und mehr Schüler Abitur machen und am besten noch studieren sollten. Das führte zu der vereinfachten Rechnung: nur wer Abi macht, ist intelligent, nur wer studiert, kann später einen guten Beruf ausüben und viel Geld machen. Und das sollte bei dieser Devise das oberste Ziel sein, viel Geld machen, Wachstum, die Gesellschaft immer weiter nach oben.
Das Niveau verschiebt sich. Was vor 10 Jahren ein sehr guter, fleißiger Realschüler war, macht heute ein gutes Abi. Sprich: Viel mehr Leute besuchen nun das Gymnasium. Auf der Realschule fehlen dadurch viele Leistungsträger. Was früher ein guter Hauptschüler war, geht heute gleich auf die Realschule. Gleichzeitig sinkt das Bildungsniveau so sehr, dass nun auch normale Handwerksbetriebe sagen "sorry, die Prozentrechnung sollte er eben können, das ist auf der Hauptschule nicht mehr gewährleistet, also verlangen wir einen Realschulabschluss" ...
Kc schrieb: Schmeißen wir alle zusammen in eine Klasse, dann können weder einzelne Kinder noch Niveaugruppen so gefördert werden, wie sie es benötigen. Das schadet allen Kindern.
Auch das kannst du so generell nicht sagen ... das Problem ist, dass Schüler sehr individuelle Geschöpfe sind. Mitunter bekommst du Schüler in Klasse 5 wo du denkst "oh weh, das wird schwierig" und sie beißen sich mit Motivation und Fleiß komplett durch. Dann hast du welche "ich habe eine Gymiempfehlung, aber der Bus ins Gymi fährt so früh" ... die in Klasse 7 sitzenblieben. Das Problem ist das Verhalten. Die Schüler, die ein problemloses Verhalten haben, dienen praktisch als Erziehungsinstanz für die Schüler mit Problemen. An sich eine gute Idee, aber wenn dann mal 1/3 der Klasse auffällig ist, dann kippt das oft und niemand lernt mehr was.
lawine schrieb:ich habe das GEfühl, dass sich zahlreiche Eltern noch nie überhaupt eingeklinkt haben.
Man kann die Lütten schließlich völlig oder nahezu kostenlos in Kinderkrippen, KiTas und Ganztagsschulen (für die "Eliten": Tagesmütter/Internate) abgeben und muss sich um Erziehung und Verköstigung kaum noch sorgen. Das Problem ist so groß, dass man sogar schon kostenlose Schulverpflegung anbieten muss (möchte), weil manche "Eltern" sich noch nicht mal um die Grundbedürfnisse ihrer Sprösslinge, sprich Nahrung und Trinken, kümmern.
So ist es. Mitunter sind es echt doofe Schicksale, mitunter reines Desinteresse. Viele Eltern sind auch überhaupt nicht erziehungskompetent. Nach den Weihnachtsferien sind bei uns reihenweise (auch 5. Klässler) im Unterricht eingeschlafen, weil sie Tag und Nacht Fortnite gespielt haben, durch den Gruppenzwang nicht mehr rausfanden, die Eltern zwar geschimpft haben, aber die Sicherung etc. nicht rausgedreht haben. Ein Schüler hat erzählt, dass er auf 16-18 Spielstunden täglich kam.
Suppenhahn schrieb:Kann ich dir nur zustimmen. In der Bildungspolitik wurde die letzten 40-50 Jahre viel zu viel auf schulische Bildung gesetzt, die berufliche Bildung kam viel zu kurz. Z.B. als ich Anfang der 1990er Jahren meinen Meisterbrief im Handwerk machen wollte, gab es von staatlicher Seite so gut wie keine Unterstützung, es wurde ausschließlich vom Arbeitsamt ein Unterhaltsgeld als Darlehen zur Verfügung gestellt. Den Meisterkurs selbst musste ich komplett aus eigener Tasche bezahlen.
Das würde ich so gar nicht unterschreiben - also bei uns an der Schule (und in ganz B-W) durchlaufen die Schüler ein ganzes Schuljahr lang so ein Assessment Center, bei dem ihre Begabungen getestet werden. Wir haben eine Außenstelle des Arbeitsamtes an der Schule sitzen, die gezielt Problemschüler berät. Wir haben Partnerschaften mit ortsansäßigen Betrieben. Aber z.B. bei der Partnerschaft - da gibt es z.B. einen Mittag, wo man eine Betriebsführung bekommt, alle Ausbildungsberufe des Betriebes kennenlernt und Kontakt zum Personalchef bekommt. Was ist das Problem? Richtig! Es ist ein Mittag = freiwilliger Zusatztermin. Daran scheitert es schon wieder beim ohnehin problematischen Klientel.
Und daran, dass Schülerin Y dann sagt "meine Mama sagt, ich soll nicht Arzthelferin werden, da verdiene ich nichts". Richtig. Leider sind Ys Noten nicht so, dass sie die große Auswahl hätte. Ende vom Lied: Y bewirbt sich nicht auf die Arzthelferstelle,
sondern aufs Gymnasium, schafft die Eingangsvoraussetzungen nicht und ist ab Herbst arbeitslos.