Mit Hauptschulabschluss keine Chance?
23.04.2019 um 23:17@Areela
Ich werfe mal das etwas kryptische Wikipedia: Eule der Minerva hier hinein, spezifischer der Absatz aus dem Artikel:
Ich will aber nicht klagen, alles in allem hatte ich mehr oder weniger Glück im Leben, trotz vieler Schicksalsschläge.
Aber es ist faszinierend, wie früh die Weichen des Lebens gestellt werden können. Es kann durchaus mit dem Elternhaus anfangen oder den frühen Kindheitskontakten. Oder eben den Lehrern.
Eine kleine Lebensgeschichte anbei, wer die Zeit und Muße hat. Kontext ist weniger das reine Thema hier an sich, ich möchte mich mit der "Lebensgeschichte" eher Areela anschließen und meine Erfahrungen hier teilen.
SpoilerMein Elternhaus wie auch meine frühen Freundschaften konnte ich wirklich nicht beklagen. Einer rutschte zwar in Drogen ab aber der war auch früh raus dem dem Zirkel. Wenn ich versuchen würde ein Art Prägung früher Art zu definieren, müsste ich bei dem Grundschulrektor anfangen.
Der war wirklich schon im fortgeschrittenen Alter, sah sicherlich ein wenig aus wie ein Klischeelehrer aus vergangenen Zeiten, runde Brille, primär graues Haar mit so einer "Krone" auf dem Kopf (Haare nur noch eher am Rand), Meist so eine Kombination wie Hemd und Pulli drüber und vor allem .... für die Verhältnisse von Grundschülern erbarmungslos. Ich will nicht übertreiben aber das war manchmal ein bisschen Bootcamp für die Verhältnisse und es gab auch mal Beschwerden. Er hat durchaus mal Leute (oder primär mich? Ich weiß es nicht mehr, glaube aber nicht, dass nur ich es war) gepackt und "bestimmt mitgezerrt" oder einen vor der Klasse zur Sau gemacht. Der hatte auch ruhige Phasen aber als Choleriker wird er mir primär in Erinnerung bleiben. Die anderen Lehrer oder Lehrerinnen waren wirklich Engel im Vergleich. Ich mutmaße heute, rückblickend, dass mich die Zeit nicht wirklich im Positiven geprägt hat und das Hemmnisse im Unterricht aufbaute, zumal man ab der 3./4. Klasse primär mit ihm zutun hatte, vorher nicht. Das alles war übrigens um die Jahrtausendwende rum, heute wäre manches eher undenkbar und ein bundesweiter medialer Skandal oder etwas, was im stillen Kämmerlein bleibt.
Das Ende vom Lied durch schlechtere Leistung oder schlicht Nasenfaktor war, dass mir die Hauptschule empfohlen wurde. Am Ende entschied man sich dafür. So schnell kann es gehen, dass primäre Weichen früh im Leben gestellt werden können und bestimmte Faktoren die das spätere Leben beeinflussen sich langsam abbilden, auch wenn immer noch quasi alles offen war. Theoretisch. Wenn man aus einer eher einfachen Arbeiterfamilie kommt und sinngemäß nicht mit goldendem oder akademischen Löffel im Mund geboren wird, sind ohnehin schon viele Faktoren von vornherein anders; Dinge werden wahrscheinlicher bzw. unwahrscheinlicher, abstrakt gesehen, auch wenn alles kann, nichts muss, ob so oder so.
Am Ende prägt es eben aber den Lebenslauf. So war es nun die Hauptschule. Auch keine Brennpunktschule wie man sie heute kennt oder wie man heute von ihnen hört aber man merkt doch schon den typischen Background der anderen Schüler - nicht alle, aber doch viele bestätigten gewisse Erwartungen später als sie ins Berufsleben eingetreten sind. Bzw. nicht eingetreten sind.
Das Glück das ich aber hatte war, dass ich trotz heftiger Schicksalsschläge und Verluste und fallender Leistung dadurch irgendeine Nische rausgepickt hab. Englisch. Auch dank "Gaming". So kam ich in den B-Kurs und am Ende wurde wieder dadurch eine Weiche fürs Leben gestellt, denn aus einem zu erwartenden Hauptschulabschluss wurde doch ein Realschulabschluss bzw. mittlere Reife. Ich war leider durch etwaige Prägungen und Schicksalsschläge nie der Musterschüler der immer "Einsen" schrieb, was sich auf die Endzeugnisse auswirkte. Dumm und auf die Nase gefallen war ich aber auch nicht. So suchte ich nach der Zeit einen Beruf, wusste selbst nicht, was ich genau konnte oder wollte. Erneut absurde Konstellation die mich am Ende höherkatapultieren sollte: Ein "Werkstattjahr". Eigentlich für viele verschwendete Zeit weil sie direkt wissen wo sie hinwollen und das Jahr nutzlos ist, für andere die das brauchen würden aber nichts finden auch verschwendete Zeit. Hier wieder der Clou: Das war im Bereich Wirtschaft und Verwaltung, es gab in der Woche theoretischen Unterricht vom Träger (eher ... so was wie Bewerbungstraining lite und Beschäftigungstherapie) dann wurden wir an den anderen zwei Tagen in reale Berufsklassen integiert wo also Auszubildende in Berufen sitzen und da Inhalte erlernen, und am Freitag war es immer ein Verweilen am Praktikumsplatz, den man sich suchen musste. So geht das ein Jahr. Hier traf ich in der Berufsschulklasse jemanden der mich auf den Trichter brachte, ein (Fach-)Abi anzustreben, was ich am Ende des Jahres tat: Schrieb mich da an der gleichen Schule ein wo ich schon die Berufsschulklasse besucht habe. Zwar zog ich der rote Faden durchs Leben und wieder waren es nicht die Topleistungen die ich rückwirkend gerne gebracht hätte, wenn ich konnte, aber ich hatte nun ein passables Fachabitur. Mir steht nicht alles offen, das muss es aber auch nicht. Ich kann studieren, mich aber auch auf Facharbeit stürzen. Ich kann einen Bachelor und Master in gewissen Gebieten anstreben und tue das auch binnen weniger Jahre. Ich fand einen Beruf der mich irgendwo anspricht und der auf mich passt, wo mir darin selbst noch etwaige höhere Karrierelevel offenstehen und ich beruflich abgesichert bin, ohne wirkliches Hauen und Stechen nach oben und unten. Ohne gestresstes aggressives Arbeitsklima wo auch noch Mobbing unter den Kollegen ein Thema wäre.
Was will ich am Ende hier eigentlich sagen?
Mir steht quasi gemäß meiner Präferenzen die Welt weitgehend offen. Man muss es nur wollen und dranbleiben. Nicht jeder kann es seine Idealvorstellungen erreichen. Ich musste quasi oft umdenken und mich umorientieren. Aber ich denke sofern man nicht wirklich vom Schicksal gebeutelt ist, kann man maßgeblich an seiner Zukunft, seinem Schicksal, seinen Möglichkeiten arbeiten. Hauptschule oder nicht. Es muss nur "Klick" im Kopf machen und man muss sich selbst kritisch betrachten.
Schulabschlüsse kann man im worst-case nachholen, viele Wege führen nach Rom, und von da an kann man weiter ansetzen, sich hocharbeiten oder das anpeilen und einstreichen, was man braucht oder möchte.
Im Idealfall motiviert das hier irgendwen, wenn er das liest und noch in einer frühen kritischen Phase ist oder sich auch einfach umorientieren möchte oder daran denkt.
Ich halte nur eben aufgrund der eigenen Erfahrungen nicht viel davon, gedanklich pauschalstempel nur wegen dem aktuellen Schulabschluss zu verteilen. Wer drinsteckt muss die richtigen Weichen anpeilen. Die, die er will. Wers hinter sich hat, kann vermutlich nachholen und die Weichen und Strecken neu setzen.
Es gibt viele Möglichkeiten. Man muss sie nur nutzen oder die Grundintelligenz haben, diesen Punkt zu erreichen, durch aktive Recherche, durch positive Grundeinstellung.
Aber die kleine oder mittlere Lebensgeschichte bringt mich wieder zum Eingangspunkt: Hinterher ist man immer schlauer. Anderseits: Würde man noch wirklich Lebenswillen verspüren, wenn man sinngemäß sein Schicksal kennen würde, wenn alles vorhersehbar wird?
Ignoranz ist ein Segen, sagt man.
Ergänzend: Mal ganz davon ab, finde ich, sollte ein guter Hauptschlussabschluss auch was solides wert sein. Leider scheint ein Trend vorhanden zu sein, dass die erwartete akademische Bildung eher nach oben geschraubt wird. Das gipfelte vor Jahren mal darin, dass man bei KIK sinngemäß für Verkäuferstellen volles Abitur oder so erwartet hätte, wenn ich mich recht entsinne.
Das kann es auch nicht sein.
Ich werfe mal das etwas kryptische Wikipedia: Eule der Minerva hier hinein, spezifischer der Absatz aus dem Artikel:
Wie Eulen, die erst in der Abenddämmerung umherzufliegen beginnen, sei die Philosophie, die erst Erklärungen liefern könne, wenn die zu erklärenden Phänomene bereits Geschichte seien. Philosophen könnten immer nur Vergangenes deuten.Einfacher: Meist ist man (leider!) erst immer hinterher schlauer, als dass man in kritischen Lebensphasen oder auch Situationen die Auswirkungen seiner (bewussten) Handlungen auf mittlere oder lange Sicht erahnen oder sehen könnte. Wäre dem so hätte ich auch einiges anders gemacht.
Ich will aber nicht klagen, alles in allem hatte ich mehr oder weniger Glück im Leben, trotz vieler Schicksalsschläge.
Aber es ist faszinierend, wie früh die Weichen des Lebens gestellt werden können. Es kann durchaus mit dem Elternhaus anfangen oder den frühen Kindheitskontakten. Oder eben den Lehrern.
Eine kleine Lebensgeschichte anbei, wer die Zeit und Muße hat. Kontext ist weniger das reine Thema hier an sich, ich möchte mich mit der "Lebensgeschichte" eher Areela anschließen und meine Erfahrungen hier teilen.
SpoilerMein Elternhaus wie auch meine frühen Freundschaften konnte ich wirklich nicht beklagen. Einer rutschte zwar in Drogen ab aber der war auch früh raus dem dem Zirkel. Wenn ich versuchen würde ein Art Prägung früher Art zu definieren, müsste ich bei dem Grundschulrektor anfangen.
Der war wirklich schon im fortgeschrittenen Alter, sah sicherlich ein wenig aus wie ein Klischeelehrer aus vergangenen Zeiten, runde Brille, primär graues Haar mit so einer "Krone" auf dem Kopf (Haare nur noch eher am Rand), Meist so eine Kombination wie Hemd und Pulli drüber und vor allem .... für die Verhältnisse von Grundschülern erbarmungslos. Ich will nicht übertreiben aber das war manchmal ein bisschen Bootcamp für die Verhältnisse und es gab auch mal Beschwerden. Er hat durchaus mal Leute (oder primär mich? Ich weiß es nicht mehr, glaube aber nicht, dass nur ich es war) gepackt und "bestimmt mitgezerrt" oder einen vor der Klasse zur Sau gemacht. Der hatte auch ruhige Phasen aber als Choleriker wird er mir primär in Erinnerung bleiben. Die anderen Lehrer oder Lehrerinnen waren wirklich Engel im Vergleich. Ich mutmaße heute, rückblickend, dass mich die Zeit nicht wirklich im Positiven geprägt hat und das Hemmnisse im Unterricht aufbaute, zumal man ab der 3./4. Klasse primär mit ihm zutun hatte, vorher nicht. Das alles war übrigens um die Jahrtausendwende rum, heute wäre manches eher undenkbar und ein bundesweiter medialer Skandal oder etwas, was im stillen Kämmerlein bleibt.
Das Ende vom Lied durch schlechtere Leistung oder schlicht Nasenfaktor war, dass mir die Hauptschule empfohlen wurde. Am Ende entschied man sich dafür. So schnell kann es gehen, dass primäre Weichen früh im Leben gestellt werden können und bestimmte Faktoren die das spätere Leben beeinflussen sich langsam abbilden, auch wenn immer noch quasi alles offen war. Theoretisch. Wenn man aus einer eher einfachen Arbeiterfamilie kommt und sinngemäß nicht mit goldendem oder akademischen Löffel im Mund geboren wird, sind ohnehin schon viele Faktoren von vornherein anders; Dinge werden wahrscheinlicher bzw. unwahrscheinlicher, abstrakt gesehen, auch wenn alles kann, nichts muss, ob so oder so.
Am Ende prägt es eben aber den Lebenslauf. So war es nun die Hauptschule. Auch keine Brennpunktschule wie man sie heute kennt oder wie man heute von ihnen hört aber man merkt doch schon den typischen Background der anderen Schüler - nicht alle, aber doch viele bestätigten gewisse Erwartungen später als sie ins Berufsleben eingetreten sind. Bzw. nicht eingetreten sind.
Das Glück das ich aber hatte war, dass ich trotz heftiger Schicksalsschläge und Verluste und fallender Leistung dadurch irgendeine Nische rausgepickt hab. Englisch. Auch dank "Gaming". So kam ich in den B-Kurs und am Ende wurde wieder dadurch eine Weiche fürs Leben gestellt, denn aus einem zu erwartenden Hauptschulabschluss wurde doch ein Realschulabschluss bzw. mittlere Reife. Ich war leider durch etwaige Prägungen und Schicksalsschläge nie der Musterschüler der immer "Einsen" schrieb, was sich auf die Endzeugnisse auswirkte. Dumm und auf die Nase gefallen war ich aber auch nicht. So suchte ich nach der Zeit einen Beruf, wusste selbst nicht, was ich genau konnte oder wollte. Erneut absurde Konstellation die mich am Ende höherkatapultieren sollte: Ein "Werkstattjahr". Eigentlich für viele verschwendete Zeit weil sie direkt wissen wo sie hinwollen und das Jahr nutzlos ist, für andere die das brauchen würden aber nichts finden auch verschwendete Zeit. Hier wieder der Clou: Das war im Bereich Wirtschaft und Verwaltung, es gab in der Woche theoretischen Unterricht vom Träger (eher ... so was wie Bewerbungstraining lite und Beschäftigungstherapie) dann wurden wir an den anderen zwei Tagen in reale Berufsklassen integiert wo also Auszubildende in Berufen sitzen und da Inhalte erlernen, und am Freitag war es immer ein Verweilen am Praktikumsplatz, den man sich suchen musste. So geht das ein Jahr. Hier traf ich in der Berufsschulklasse jemanden der mich auf den Trichter brachte, ein (Fach-)Abi anzustreben, was ich am Ende des Jahres tat: Schrieb mich da an der gleichen Schule ein wo ich schon die Berufsschulklasse besucht habe. Zwar zog ich der rote Faden durchs Leben und wieder waren es nicht die Topleistungen die ich rückwirkend gerne gebracht hätte, wenn ich konnte, aber ich hatte nun ein passables Fachabitur. Mir steht nicht alles offen, das muss es aber auch nicht. Ich kann studieren, mich aber auch auf Facharbeit stürzen. Ich kann einen Bachelor und Master in gewissen Gebieten anstreben und tue das auch binnen weniger Jahre. Ich fand einen Beruf der mich irgendwo anspricht und der auf mich passt, wo mir darin selbst noch etwaige höhere Karrierelevel offenstehen und ich beruflich abgesichert bin, ohne wirkliches Hauen und Stechen nach oben und unten. Ohne gestresstes aggressives Arbeitsklima wo auch noch Mobbing unter den Kollegen ein Thema wäre.
Was will ich am Ende hier eigentlich sagen?
Mir steht quasi gemäß meiner Präferenzen die Welt weitgehend offen. Man muss es nur wollen und dranbleiben. Nicht jeder kann es seine Idealvorstellungen erreichen. Ich musste quasi oft umdenken und mich umorientieren. Aber ich denke sofern man nicht wirklich vom Schicksal gebeutelt ist, kann man maßgeblich an seiner Zukunft, seinem Schicksal, seinen Möglichkeiten arbeiten. Hauptschule oder nicht. Es muss nur "Klick" im Kopf machen und man muss sich selbst kritisch betrachten.
Schulabschlüsse kann man im worst-case nachholen, viele Wege führen nach Rom, und von da an kann man weiter ansetzen, sich hocharbeiten oder das anpeilen und einstreichen, was man braucht oder möchte.
Im Idealfall motiviert das hier irgendwen, wenn er das liest und noch in einer frühen kritischen Phase ist oder sich auch einfach umorientieren möchte oder daran denkt.
Ich halte nur eben aufgrund der eigenen Erfahrungen nicht viel davon, gedanklich pauschalstempel nur wegen dem aktuellen Schulabschluss zu verteilen. Wer drinsteckt muss die richtigen Weichen anpeilen. Die, die er will. Wers hinter sich hat, kann vermutlich nachholen und die Weichen und Strecken neu setzen.
Es gibt viele Möglichkeiten. Man muss sie nur nutzen oder die Grundintelligenz haben, diesen Punkt zu erreichen, durch aktive Recherche, durch positive Grundeinstellung.
Aber die kleine oder mittlere Lebensgeschichte bringt mich wieder zum Eingangspunkt: Hinterher ist man immer schlauer. Anderseits: Würde man noch wirklich Lebenswillen verspüren, wenn man sinngemäß sein Schicksal kennen würde, wenn alles vorhersehbar wird?
Ignoranz ist ein Segen, sagt man.
Ergänzend: Mal ganz davon ab, finde ich, sollte ein guter Hauptschlussabschluss auch was solides wert sein. Leider scheint ein Trend vorhanden zu sein, dass die erwartete akademische Bildung eher nach oben geschraubt wird. Das gipfelte vor Jahren mal darin, dass man bei KIK sinngemäß für Verkäuferstellen volles Abitur oder so erwartet hätte, wenn ich mich recht entsinne.
Das kann es auch nicht sein.