Özil wird vorgeworfen, was andere Fußball-Funktionäre und auch Politiker am laufenden Band tun: Nicht-demokratischen Regierungsvertretern und -Oberhäuptern die Hand zu schütteln.
Und wenn es da was zu kritisieren gibt, von wegen Vorbildfunktion: Warum hat Özil die zu erfüllen, andere aber nicht?
Die ganze verdammte WM hat in einem Land stattgefunden, in das kein deutscher Regierungsvertreter gereist ist... wie wäre das wohl bei einem 1. Platz geworden... keine Fotos mit Putin? Hoppla, die gab es ja längst. So wie auch Fotos von deutschen Politikern mit Erdogan. Sicher in diplomatischer, politischer Funktion - aber darum weniger repräsentativ? Wohl kaum.
Die Türkei ist immer noch militärischer Verbündeter, Wirtschaftspartner und Partner im Flüchtlingsdeal, Heimat und Herkunftsland vieler, die in Deutschland leben und
gleichzeitig ein Land, in dem demokratische Rechte mit Füßen getreten werden.
Özil hat sich entschlossen, dem Präsidenten als Fußballer zu begegnen, weil... das schreibt er ausführlich selbst.
Man kann das kritisieren, aber die ätzende Hetze der letzten Wochen, die wüsten Beschimpfungen und rassistischen Ausfälle, die empfinde ich als gravierend schlimmer, denn sie offenbaren, dass es mit der Toleranz, der Meinungsfreiheit und dem Sportsgeist, den Özil repräsentieren soll, bei denen, die ihn so beschimpfen, nicht weit her ist. Solche "Demokraten" würde ich auch nicht repräsentieren wollen, deren selektive Wahrnehmung die eines Lemmings ist, der der blökenden Masse hinterher springt - egal ob Fußball-Funktionär oder -Zuschauer, oder einfacher Wutbürger. Allzu leicht macht man es sich mit der Verurteilung eines Özil, noch dazu nach dem Ausscheiden der Deutschen bei der WM.
Schon vergessen, welche Kritik es an den Fußball-Funktionären hier wie im Weltverband und den Erstliga-Vereinsleitungen gibt? Repräsentieren die in irgend einer Form demokratische Werte, schrecken die davor zurück, nicht nur Hände zu schütteln, sondern dabei auch immer mal ein paar Hunderttausend hin und eine Million her zu stecken? Haben sie Skrupel, mit Kleptokraten und Diktatoren abgelichtet zu werden? Nicht, dass ich wüsste. Ist doch alles nur völkerverständigender Sport!!!
Nur zur Erinnerung: Dass Argentinien eine Militärdiktatur mit Tausenden politischen Gefangenen und "Verschwundenen" war, hinderte niemanden daran, dort eine WM abzuhalten.
Wikipedia: Argentinische Militärdiktatur (1976–1983)Jaja, das ist lange her...
Wikipedia: Menschenrechte in KatarVon den 2,7 Millionen Einwohnern sind nur 200.000 wahlberechtigt. Das Land steht unter Sharia-Recht, vergewaltigte Frauen müssen, wenn sie die Vergewaltigung anzeigen, mit einer Haftstrafe wegen außerehelichem Sex rechnen, von der Ausbeutung von Arbeitern auf den WM-Baustellen gar nicht zu sprechen... dagegen scheint die Türkei doch geradezu moderat.
Wie wird man das handhaben? Darf man als Fußballer Fotos mit den Katarischen Staatsoberhäuptern machen? Gar deren Hände schütteln?
Auch hier gibt´s auf der ersten Seite Hetze zu lesen, weil Özil nunmal zwei Staatsbürgerschaften und damit auch zwei Präsidenten hatte, und sich 2007 für die deutsche entschied. Man müsse sich entscheiden! Nie wieder das andere Land als zweite Heimat empfinden! Herkunftsland? Scheißegal!
Ja, der Nationalist kann das natürlich nicht erfassen, dass man sich gar nicht entscheiden muss. Man kann sogar beide Staatsbürgerschaften behalten, in beiden Ländern wählen, auch hier die AfD oder die Linken und in der Türkei die Opposition. Man kann auch als Spieler in der Nationalmannschaft die gesamte restliche Zeit des Jahres im Ausland verbringen und das Leben dort besser finden als in Deutschland, man kann sich auf Bali zur Ruhe setzen und ausländische Autos fahren... längst ist der Fußball international und die WM nicht repräsentativ für den Fußball der Länder, weil der Fußball der Erstligisten zu weiten Teilen von Ausländern gespielt wird.
95% des Jahres ist das dem Fan recht und man fühlt sich gar tolerant, weil man trotzdem jubelt, auch wenn der Söldner die Tore macht... aber zur WM, da müssen echte Deutsche das echte Deutschland repräsentieren, deutsche Tugenden und demokratische Werte und so fort, da geht´s um die Wurst!!! (und nicht den Döner. Auch wenn der angeblich in Deutschland erfunden wurde.)
Und dann kommen die Sponsoren und entdecken ihr Gewissen...
*kotz*
Mehr fällt mir dazu nicht ein.
Ich kann´s Özil nicht verdenken, dass er keine Lust mehr auf den verlogenen Zirkus hat. Davon gibt es schon genug im Fußball, aber er hat das Sahnehäubchen voll in die Fresse bekommen.
Seine Wut und Enttäuschung wegen der "Fääääns" kann ich mehr als verstehen, die ihren Nationalismus und Rassismus mal so richtig von der Leine lassen konnten.
In England wird er als Fußballer geschätzt und sein Vertrag bis 2021 verlängert, sein Gehalt verdoppelt.
Bei der nächsten WM in Katar ist er 33 und vielleicht klüger - aber der toitsche Fan, der wird ihm nicht verzeihen. Darum ist der Schritt, aus der Nationalmannschaft zurückzutreten, richtig. Ich wünsche ihm weiterhin viel Erfolg... wo auch immer.