Balthasar70 schrieb:Das ist ja erstmal eine Unterstellung
Ne, dass ist eine Tatsache, die im grunde fast schon trivial erscheint. Schließlich stehst du als Wissenschaftler nicht außerhalb der Gesellschaft, wenn du diese untersuchst, sondern bist in dieser sozialisiert worden und die entwickelten Methodiken und Grundannahmen, sind historisch verwurzelt und nicht vom Himmel gefallen. Somit ist das webersche Postulat der Wertfreiheit kompletter Käse. Außerdem steht genau das sogar in dem zweiten Abschnitt des zitierten Artikels:
Balthasar70 schrieb:Dass Geisteswissenschaftler ihrem Gegenstand nicht unvoreingenommen und neutral gegenüberstehen können, wie es dem Historiker Leopold von Ranke im 19. Jahrhundert noch vorschwebte, ist eine befreiende Erkenntnis, die vor dem Aberglauben der einen, absoluten Wahrheit bewahrt. Doch muss man keineswegs akzeptieren, dass sich an den Universitäten ein Fach etabliert hat, das wissenschaftliche Objektivität und Rationalität gegen offen praktizierten Subjektivismus eintauscht, um politisch-ideologische Ziele zu erreichen. Dass gegen diese Usurpation der Geisteswissenschaften praktisch kein Widerstand vernehmbar ist, wirft kein gutes Licht auf die Universitätskultur.
Den letzten Satz kann ich so jedoch nicht unterschreiben. Es gibt sogar in der Geschlechterforschung einen Zweig des materialistischen Feminismus, der sich genau gegen die konstruktivistischen Grundannahmen der Queertheorie stellt. Der radikalkonstruktivistische Zweig der Gender-Studies hingegen ist auch, was seinen Einfluss betrifft, ziemlich überbewertet. Das man sich ausgerechnet immer wieder darauf stürzt, obwohl es an einigen Stellen viel dringender wäre, zeigt mir (so meine These) dass es in erster Linie um das Verteidigen von klaren gesellschafltichen Kategorien geht und weniger um wissenschaftliche Qualitätskontrolle. Das sich dasselbe Klientel immer wieder auf gesellschaftskritische Aspekte einschießt, ist schon ziemlich auffällig (dabei wird interessanterweise das Verhältnis von Gesellschaftskritik und "Meinungsmainstream" komplett interveniert, so dass man sich selbst als Kritiker darstellt). Da wird von Feminismus, über bestimte "alternative" Ernährungsformen, bis zum Marxismus alles in einen Sack gepackt und draufgeknüppelt. Dabei geht es allgemein wohl in erster Linie um den Versuch einer Selbstversicherung, dass die Kritik falsch sei und man sich deshalb auch im Status Quo "einrichten" dürfe. Das die Auseinandersetzung mit dem Feindbild rein oberflächlich bleibt, geschieht wohl aus Angst, nun doch noch "wahre" Aspekte finden zu können.