Aldaris schrieb: Wenn ich mir anschaue, welche Ziele Islamisten verfolgen und wie einzelne Organisationen strukturiert sind, wie formelle und informelle 'Rechtssysteme' funktionieren und wie es mit den drei Säulen Freiheit, Gleichheit und Kontrolle ausschaut, dann lassen sich Islamisten durchaus auch in dieses Spektrum einordnen.
Nein, rechts/links sind genuin westliche Begriffe, um die konservative Nähe zum Kapitalismus bzw. die "widerständige" Distanz zu ihm zu markieren. Man kann das schlicht nicht auf orientale Gesellschaften übertragen, die den Kapitalismus ebenso wie vieles andere aus dem Westen importierten. "Rechts" und "links" könnte in etwa der Nähe oder die Distanz zum Regime bezeichnen, vielleicht auch zur Religion, aber wir befinden uns da auf sehr schlüpfrigem Terrain.
Und wie passt der von
@Fierna erwähnte (einstige) "islamische Sozialismus" dazu, der nicht nur von der PLO und El Fatah einst hoch gehalten wurde, sondern auch von Staatsführern wie Nasser, Gaddafi, Bhutto und eine Zeitlang auch von Assad senior und Saddam?
Aldaris schrieb:Es geht doch eigentlich um Folgendes: Umso strikter sich jemand auf seine Religion beruft, umso strenger er nach den Regeln alter Bücher lebt, umso eingeengter und einengender muss ein Individuum, eine Partei oder andere Organisation im Denken und Handeln sein.
Aber eben auch nur, solange man sich auf "alte Bücher" beruft. Glauben ist ja nicht 1:1 identisch mit Religion und man kann auch streng gläubig sein, ohne sich auf irgendwelche alten Bücher zu berufen, aber das nur nebenbei.
Aldaris schrieb:Vielleicht haben wir auch eine unterschiedliche Vorstellung von dem Begriff Islamist. Für mich definiert sich dieser primär als jemand, der als religiöser Fundamentalist bereit ist, für die Verbreitung des Islam über Leichen zu gehen und beispielsweise die Regeln der Religion auch praktisch über den demokratischen Rechtsstaat zu stellen.
Im ersten Teil gebe ich dir recht, der zweite ist etwas weit her geholt, denn in welchem Staat, in dem der Islam die tonangebende Religion ist, gibt es einen demokratischen Rechtsstaat? Ich müsste da lange suchen, um einen zu finden. Selbst die Türkei ist da inzwischen rausgefallen. Das heißt aber nicht im Umkehrschluss, dass in all diesen autoritären Staaten Islamisten tonangebend wären, im Gegenteil. Vielleicht in Saudi Arabien und den Emiraten. Iran auf der anderen Seite ist ein Sonderfall, das ist zwar der einzige "Gottesstaat", gleichzeitig aber eine Republik; der Ayatollah Khamenei ist zwar vorgestrig, aber auch wiederum kein Islamist.
Also alles nicht so einfach. Um die ganzen islamischen Staaten begrifflich einzuordnen, müsste man also wohl andere Kategorien als das einfach Links-Rechts-Schema wählen. Etwa das Maß der Freiheit, das der Einzelne besitzt, und da sind die südostasiatischen islamischen Staaten (Indionesien, Malaysia, Brunei, Bangladesch) relativ freizügig gegenüber den arabischen, wobei auch Marokko und Tunesien etwas laizistischer sind als der Rest.