@case77
>>Die Menschen in Afrika interessieren sich vieleicht nicht fuer Verhuetung weil
es Ihnen die Kirche verbietet Schlaumeier. <<
Hier mal ein interessantes Interview zur Aids-Epidemie, daß das schwelende Vorurteil, der papst bzw. die katholische kirche wäre schuld an dieser epidemie, in Frage stellt:
Gespräch mit Jan Suter, Leiter der Fachstelle Internationales bei der Aids-Hilfe Schweiz
Fantasien mit katastrophalen Folgen
Die Aids-Hilfe Schweiz befasst sich seit zwei Jahren auch mit den internationalen Aspekten der Aids-Pandemie.
Interview: Florianne Koechlin
WoZ: Jan Suter, bisher wurden neunzig Prozent der Aids-Ansteckungen in Afrika auf ungeschützten Geschlechtsverkehr zurückgeführt. Jetzt ist klar, dass die Hauptursache verseuchte Spritzen und andere medizinische Instrumente sind. Die Auswirkungen des Irrtums sind verheerend. War das für Sie ein Schock?
Suter: In Europa sind Fantasien über eine ungezügeltere Sexualität und eine grössere Promiskuität in Afrika sehr verbreitet. Solche Vorstellungen wurden durch diese Studien auf beschämende Weise blossgestellt. Katastrophal ist, welche Folgen diese auch rassistischen Wahrnehmungen in Afrika hatten und noch haben. Da die Befunde der Studien noch nicht abschliessend gesichert sind, hege ich noch eine leise Hoffnung, dass die Situation sich als weniger dramatisch herausstellt.
Bei UN-Aids, der Aids-Organisation der Vereinten Nationen, und bei Aids-Hilfen in Basel und Zürich scheint es, als ob die ExpertInnen würden die Bedeutung dieser Studien herunterspielen. Befürchten Siw, dass durch die neuen Erkenntnisse aus Afrika die bisherige Arbeit der Aids-Hilfe desavouiert wird und die Safer-Sexkampagne Schaden nimmt?
Bei UN-Aids war der Schock enorm. Sie haben immer gesagt, jede verhinderte Ansteckung bedeute verhindertes Leid, aber auch weniger Kosten. Prävention ist billiger als Behandlung, das war ein zentrales Argument. Dahinter steht die Tatscahe, dass die Medikamente zur Aids-Behandlung extrem teuer sind, und man den Bedürftigen nicht genug Medikamente zu vernünftigen Preisen bringen kann. Die ganze Prävention, die auf dem billigen Mittel Kondom und den begleitenden Kampagnen beruhte, ist nun infrage gestellt. Bei den grossen Organisationen wie UN-Aids oder der Weltgesundheitsorganisation WHO kommt hinzu, dass sie sich eingestehen müssen, gewaltig versagt zu haben: In vielen ressourcenschwachen Ländern wurde die westliche Medizin eingeführt und ein gewisser medizinischer Standard verordnet – beispielsweise Reihenimpfungen –, aber Aufklärungs- und Ausbildungskampagnen, Gelder sowie Kooperation waren nicht ausgereichend, einen Standard hinzukriegen, den wir hier bei uns für unabdingbar erachten.
Haben nicht auch die gewöhnlichen Aids-Hilfen ihre Gelder in Afrika falsch eingesetzt? Wäre dieses Geld nicht besser auch in die Ausrüstung der Spitäler und Ambulatorien geflossen?
Die Projekte der Aids-Hilfen in Afrika waren sehr punktuell und die eingesetzten Mittel im Vergleich zu jenen der Entwicklungszusammenarbeit verschwindend klein. Die Aids-Hilfen müssen ihre Arbeit nicht grundsätzlich überdenken. Die Prävention ist und bleibt zentral. Auch Menschen, die über verseuchte Spritzen angesteckt werden, etwa DrogenkonsumentInnen, verbreiten HIV durch ungeschützten Geschlechtsverkehr weiter. Vor einer neuen Situation stehen hingegen die Gesundheitssysteme und die paramedizinischen Dienste, die beispielsweise alle Leute zur Impfung aufgerufen haben, dabei aber keine Kontrolle über die Verwendung der Spritzen hatten. Von sechzehn Milliarden Injektionen im Jahr sind nach Angaben der WHO dreissig Prozent unsicher. Es gibt Schätzungen, dass zwanzig Millionen Menschen jährlich wegen unsauberen Spritzen mit Hepatitis B infiziert werden. Deshalb führt die WHO nun ein Programm für Spritzensicherheit durch. Aber das Problem ist viel umfassender, es muss generell sicher gestellt werden, dass die Gesundheitssysteme nicht wegen Geld- und Materialmangel zur Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung werden. Da steht auch die Entwicklungszusammenarbeit vor einer immensen Aufgabe.
Quelle:
http://www.blauen-institut.ch/Tx/tF/tfVerseuSpritzen.html (Archiv-Version vom 05.11.2004)AIDS-Ursache in Afrika: Unsterile Spritzen
Fataler Konsens
Die britische Royal Society of Medicine schlägt Alarm: Verseuchte Spritzen sind in Afrika für mehr HIV-Infektionen verantwortlich als ungeschützter Sex
Florianne Koechlin, WoZ 13/27.3. 2003
Zu Beginn der AIDS-Krise, also Anfang der Achziger Jahre, war unklar, wie das HI-Virus übertragen wird: In Europa und den USA waren vor allem Homosexuelle und Drogenabhängige betroffen, in afrikanischen Ländern hingegen vor allem Frauen und Männer aus den Mittelschichten. An einer WHO-Konferenz 1983 glaubten daher die ExpertInnen, dass in Afrika neben ungeschütztem Sex auch verschmutzte Spritzen bei neuen Infektionen eine grosse Rolle spielten. Sie forderten Kampagnen und Mittel für die sichere Sterilisierung medizinischer Instrumente.
Studien aus einigen afrikanischen Städten zeigten in den folgenden Jahren eine besonders hohe Infektionsrate bei Prostituierten und bei PatientInnen in Kliniken für Geschlechtskrankheiten. Aufgrund dieser Studien kamen die ExpertInnen zur Überzeugung, dass in Afrika über 90 Prozent aller HIV-Ansteckungen auf ungeschützten Sex zurückzuführen seien. Weniger als zwei Prozent, so die neue Einschätzung, gehe auf das Konto von unsauberen Spritzen; den Rest würden Blut-Transfusionen und Mutter-zu-Baby-Infektionen ausmachen. Diese Einschätzung wurde zum allgemeinen Konsens. Gestützt auf eine Studie von David Gisselquist hat die britische Royal Society of Medicine nun diesen Konsens radikal infrage gestellt.
Eine dieser Studien – sie wurde von David Gisselquist und seinem Team durchgeführt – beruht auf der Auswertung von über hundert wissenschaftliche Arbeiten zur Übertragung von HIV, zum Sexualverhalten und zu medizinischen Praktiken in Afrika. Gisselquist und sein Team zeichnen detailliert die Meinungsbildung bei den ExpertInnen nach und schreiben abschliessend: »Unglücklicherweise wurde der Konsens erreicht, ohne dass Verwechslungen zwischen sexuellem und medizinischem Kontakt mit HI-Viren erforscht wurden. Es wurde übersehen, dass Prostituierte und PatientInnen von Kliniken für Geschlechtskrankheiten eine relativ intensive medizinische Betreuung erhalten und ihre hohe Ansteckungsrate auch mit infiziertem Material erklärt werden könnte. Auch wurden mehrere Studien in Afrika, die unsichere Spritzen als Ursache vermuten liessen, einfach ignoriert.«
Unbeachtete Hinweise
Gisselquist und sein Team fanden bei ihrer Literaturrecherche eine Vielzahl von Hinweisen auf medizinische Betreuung als Ursache für HIV-Infektionen in Afrikanischen Ländern:
– HIV-positive Kinder von HIV-negativen Müttern: Studien in Kinshasha (1985) und in Ruanda (1992) fanden in Geburtskliniken viele HIV-positive Babies von HIV-negativen Müttern. Als Hauptrisikofaktor nannten die Studien Bluttransfusionen und Spritzen.
– HIV-positive Schwangere und junge Mütter: Studien aus sieben afrikanischen Ländern fanden jeweils besonders hohe Infektionsraten bei schwangeren Frauen und solchen, die gerade geboren hatten. Beide Gruppen waren medizinisch betreut worden. Die Infektionsrate war jedes Mal höher als durch sexuelle Übertragung zu erwarten war.
– HIV-positive Erwachsene ohne sexuelle Kontakte: Eine Studie in Zimbabwe (1990) fand bei einer grösseren Gruppe junger Frauen ohne sexuelle Erfahrung, dass zwei Prozent HIV-positiv waren. In einer Studie aus Südafrika (1999) sagten sieben Prozent der HIV-positiven Frauen, nie Sex gehabt zu haben. Mehrere weitere Studien bestätigen in der Tendenz diese Aussagen.
– HIV-Ansteckung durch verseuchte Spritzen: Mindestens fünfzehn grosse Studien in Afrika legen den Schluss nahe, dass infizierte Nadeln bei der Übertragung eine Schlüsselrolle spielen. Ein Beispiel: Bei einer Untersuchung von PatientInnen mit einer sexuell übertragenen Krankheit waren 47 Prozent derjenigen, die mit Spritzen behandelt wurden, HIV-positiv; bei den nicht medizinisch Betreuten waren es nur 24 Prozent.
– Nicht erklärbare hohe Ansteckungsraten: Mit Computermodellen kann die dominante Rolle von ungeschütztem Sex simuliert werden. Diese Modelle gehen jedoch von unrealistischen Grundlagen aus, schreibt David Gisselquist. Viele Studien zum Sexualverhalten in verschiedenen Ländern Afrikas kommen zum immer gleichen widersprüchlichen Schluss: Die Promiskuität müsste in Afrika absurd hoch sein, um die epidemieartig steigenden HIV-Infektionsraten zu erklären. Tatsächlich aber unterscheidet sich das Sexualverhalten der AfrikanerInnen nicht wesentlich von jenem der EuropäerInnen. Eine Gross-Studie in zwölf afrikanischen Ländern ergab, dass über siebzig Prozent der Männer und über neunzig Prozent der Frauen im Jahr zuvor keinen »nicht-regulären Sexpartner« hatten.
Gisselquist und sein Team kommen zum Schluss, dass höchstens ein Drittel der HIV-Erkrankungen auf Sex zurückzuführen ist. An mehr als der Hälfte aller HIV-Ansteckungen in Afrika sind verseuchte Spritzen Schuld.
Quelle:
http://www.blauen-institut.ch/Tx/tF/tfVerseuSpritzen.html (Archiv-Version vom 05.11.2004)