Nur ein paar Gedanken zum Thema - konnte die letzten Tage den Thread nicht verfolgen. Aber es gab Momente, in denen ich plötzlich von dem Thema und meinen Reaktionen förmlich überrannt wurde und merkte, wie nahe es mir ging. Vermutlich, weil eben die Diskussion hier schon zuvor so hitzig war, so emotional und ... entlarvend, für einige.
Die Demo in Paris war ganz sicher auch deshalb so groß geraten, weil sich da Rechte, Linke, Christen, Muslime, Juden und alle anderen zusammentun konnten.
Nicht wenige werden aber tatsächlich auch aus dem rechten Spektrum gekommen sein, und ihrer Fremdenfeindlichkeit auf ihre Weise Ausdruck verliehen haben. 25% Front National-Wähler sind ein großes Potential für solche Demos ...
Ein Bekannter (ein 80-jähriger alter Herr aus Paris, Überlebender der Massenmorde an Juden in Litauen, sehr konservativ) schrieb dazu ausschließlich über die jüdischen Opfer aus dem Supermarkt, was ich schade bis erschreckend fand.
Die Spaltungen der französischen Gesellschaft sind sehr viel tiefer und vielfältiger, als wir uns das vorstellen können. Rassismus, Sexismus, Linke und Rechte, Katholiken, Juden und Muslime, Reiche, Mittelschicht und Arme, Städt- gegen Landbevölkerung und Paris gegen alle, Elitenbewusstsein ... da gibt es viel krassere Diskrepanzen als in Deutschland.
Dazu kommt ein Staat, der in Zweifelsfällen immer eher drakonisch und super autoritär reagiert, in dem die Gefängnisse den Standard von irgendwelchen Bananenrepubliken haben, der mit beinhartem Zentralismus versucht, Probleme mit großen Gesten zu lösen oder gar nicht.
Man baute die Banlieues, und ließ sie, als sie nicht funktionierten wie erwartet, zu Ghettos verkommen, gegen die Neukölln wie Beverly Hills erscheint.
Nach Berlin gibt es einen stetigen Zuzug von russischen und auch israelischen Juden, aus Frankreich wandern sie aus ...
Da zeigen sich schon lange Probleme, die nie gelöst wurden und nur immer drängender werden.
Der mich am meisten berührende Kommentar war: "Ich bin nicht Charlie, ich bin der muslimische Polizist, der dafür starb, dass Charlie den Islam kritisieren darf."
Die Toten werden immer instrumentalisiert - die Täter allerdings auch. Jeder versucht, sein Süppchen auf dem heißen Thema zu kochen, und heute werden in Dresden eher noch mehr Menschen auf die Straße gehen weil sie nichts verstanden haben.
Zum Glück neige ich nicht zu Pessimismus ... oder vielmehr: Ich erlaube ihn mir nicht. Sonst würde ich mich langsam nach einem ruhigen Fleckchen Erde umsehen, wo ich mich hin verziehen kann, wenn hier die Erkenntnisse aus zwei Weltkriegen und einer Geschichte seit der Steinzeit von Dummheit und Egoismus zunichte gemacht werden.
PEGIDA-Anhänger und die Trauer ... ja, natürlich sind das keine Monster. Bloß kapieren sie nicht, dass die Täter in Frankreich ebenso wie die in Syrien, wie die RAF in den 70ern und 80ern, dem Fanatismus huldigen, und nicht der Religion oder Ideologie.
Sie kapieren nicht, dass es nicht religiöse Besserwissereien sind, die jemanden dazu treiben, eine Waffe in die Hand zu nehmen und dass es im Grunde vollkommen egal ist, was genau im Koran steht. Religion ist eben nicht rational, und es lässt sich letztendlich nicht rational darüber diskutieren im Sinne von: Da steht x, daraus muss y folgen. Der Glaube des Einzelnen wir immer geprägt sein von seinen persönlichen Erfahrungen, nicht von einzelnen Versen in einem Buch.
Fanatismus entsteht immer aus sozialen, politischen und wirtschaftlichen Spannungen, aus Hass und Wut, die auf individueller Erfahrung beruhen, auf Geltungssucht, die aus einem Minderwertigkeitsgefühl gespeist wird. Nichts ist gefährlicher als Menschen, die alles verloren haben und sich nicht akzeptiert fühlen ... ob materiell oder ideell.
Je mehr sich die westlichen Länder aufspielen als Weltpolizei und Übermacht, je mehr sie versuchen Einfluss im Nahen Osten zu gewinnen und Staaten zu lenken, je mehr sie anderen ihre Ideologien und Denkweisen aufzwingen möchten, oder wenigstens unsere Wirtschaftsmacht, ohne jedoch die innerstaatlichen Probleme mit Rassismus und sozialen Spannungen gelöst zu haben, desto mehr fordern sie Fanatismus heraus.
Im eigenen Land wie auf der anderen Seite der Erde, denn das Internet hat unsere Welt sehr klein gemacht.
Wer eine Waffe in die Hand nimmt, um andere zu überzeugen oder für ihre Überzeugung zu bestrafen, hat doch sowieso schon das Wichtigste nicht kapiert .... hat im Grunde schon verloren.
Es gibt so Momente, da wünschte ich mir, dass jemand wie
@Warhead oder
@interrobang mir den Kopf zurecht setzt ... nicht, weil ich ihnen in allem zustimmen würde, sondern weil sie eine Klarheit in ihren Überzeugungen zeigen, die mir in den meisten anderen Menschen, mit denen ich zu tun habe, fehlt.
Daher rührt wohl meine Sympathie mit extremen Linken: Ihre Position ist grundsätzlich nicht egoistisch. Und das ist heutzutage schonmal viel wert. Viel mehr, als die nickelige, egozentrische Angst um das Verlieren von Pfründen, Sicherheiten und angeblichen "kulturellen Werten", die nichts mehr sind als piefige, inhaltsleere Gewohnheiten.