Bunker und Bahnhof
Original anzeigen (0,9 MB)Nicolas war nicht aufgeregt. Nur alarmiert. Komm eine Woche da und schon der erste Tote hier, dachte er etwas bekümmert. Damit fiel ein Schatten auf das sonst so ruhige Städtchen. Kriminalität war in Mont Noir ein Fremdwort. Er ging ja auch nicht von einem Verbrechen aus. Wahrscheinlich war der Tote ein Urlauber. Ertrunken war er nicht, so sagte ihm Manon am Telefon. Als man die Leiche fand, wies sie etliche Verletzungen auf, Risswunden und ähnliches. Wahrscheinlich hatte sich der Mann im Wald verlaufen und muss irgendwo, am See oder am Fluss von einem Tier angegriffen worden sein. Sicher, ungewöhnlich, aber nicht kriminell oder mysteriös. „Und im Gevaudan sind wir hier auch nicht“ dachte sich Nicolas. Dann fiel ihm ein, dass es vor einem Jahr auch in Chateau Noir einen Unfall gegeben hatte. Aber direkt am Bergsee. Er hatte natürlich die Akte längst gelesen, konnte aber auch keinen Zusammenhang jetzt feststellen. Pierre Rochefort hatte die Ermittlungen persönlich geleitet und war zum Ergebnis gekommen, dass es ein Unfall war. Durch Selbstverschulden. Darüber hatte er mit Jaques noch nicht gesprochen. Plötzlich war er sich nicht sicher, ob er das überhaupt sollte. Alte Wunden aufreißen musste ja auch nicht sein… Er fuhr als erstes zur Firma, er hatte sich schon in Mont Noir über DatSecTec belesen. Nichts ungewöhnliches, alles war in Ordnung mit denen. Geradezu vorbildlich. Am Bunker angekommen waren jedoch Eingang und Pforte verschlossen.
Niemand öffnete ihm und auch minutenlanges Klingeln brachte nichts. Nach dem Erzählen von Jaques hatte seit 3 Tagen niemand mehr etwas von denen gehört und gesehen. Dann fiel ihm ein, was er über den Zug gesagt hatte. Natürlich! Wahrscheinlich waren alle weggefahren und da der Zug defekt war, konnten sie auch nicht da sein! Wahrscheinlich waren sie bereits auf dem Rückweg nach Chateau Noir. Ja, der Zug müsste ja jeden Moment eintreffen, nicht wahr? Also konnte er sie dort empfangen und sich gleich vorstellen bei ihnen. Er setzte sich wieder in den alten Geländewagen und startete den Motor.
Er fuhr bis ans andere Ende des Dorfes. Unterwegs sah er nur kurz den Urlauber, den Angler, das Gasthaus verlassen. Sonst war niemand weit und breit zu sehen. Schon irgendwie bedrückend. Obwohl es weder Grund noch Anlass dafür gab, begann er sich plötzlich unwohl zu fühlen. „Jetzt stell dich nicht so an!“ wies er sich in Gedanken zurecht. Immerhin hatte er schon wirklich schlimme Situationen durchlebt und eine Fahrt zum Bahnhof gehörte sicher nicht dazu. Doch das ungute Gefühl wollte einfach nicht weichen…
Er erreichte den Bahnhof. Niemand war da, kein Zeichen von Leben. Die Türen waren auch verschlossen. Sehr seltsam dachte er. Warum sollte jemand hier in der Wildnis einen alten Bahnhof geradezu verbarrikadieren? Er entschloss sich Manon zu kontaktieren, doch das Funkgerät gab nur Rauschen und Pfeifen von sich. Einfach kein Empfang in den Bergen. Als er das Handy herausholte war das Ergebnis auch nicht besser. „Wirklich am Arsch der Welt hier… Merde!“ Sollte er warten? Aber wie sollte hier jemand kommen? Oder hatten die Angestellten der Firma den Bahnhof selbst verschlossen und den Schlüssel mitgenommen als sie das Dorf verließen? Ihm blieb nur eine Option, zurück zu Jaques und nochmals sein Telefon benutzen. Gerade als er die Tür des Defenders öffnete, hörte er die Schreie! Hohe, grauenvolle Laute, scheinbar in höchster Not und Todesangst ausgestoßen! Aus dem Inneren des Bahnhofs! Aber wie konnte da jemand drinnen sein?
Er rüttelte an der Tür, trat dagegen, rief aus Leibeskräften, dass er, die Polizei, da wäre, aber sie öffnete sich nicht. Einen kurzen Moment dachte er daran das Türschloss aufzuschießen, verwarf den Gedanken aber sofort, da er möglicherweise jemanden so verletzten könnte! Seine Blicke rasten unstet hin und her, während die Schreie immer weiter gingen und Geschepper dazu kam, wie Kampflärm. Dann, als er auf den Kühlergrill des Landrovers sah, kam ihm die rettende Idee!
Schnell holte er das Stahlseil hervor, das aus der Winde an der Stoßstange hing. Zum Glück hatte die Tür mehrere stabile Ösen und so konnte er den schweren Karabinerhaken einhängen. Dann den Motor starten, Rückwärtsgang und Allrad zugeschaltet, fuhr er langsam an. Erst passierte nichts, dann kam der Widerstand und der Wagen blieb stehen, während die Tür leicht vibrierte. Dann trat er das Gaspedal durch, erst leicht, dann bis unten und mit einem mächtigen Knall riss die Tür aus den Angeln, samt Rahmen! Er stoppte den Wagen, sprang heraus und wurde mit einmal von unheimlicher Stille begrüßt. Keine Schreie, kein Scheppern. Nichts. „Super und ich kann auch niemanden erreichen und bin alleine..“ Aber da drinnen benötigte vielleicht jemand seine Hilfe! Oder aber, so flüsterte ihm eine böse Stimme in seinem Kopf zu, jemand wartet auf das nächste Opfer… Nun erschien der Vorfall mit dem toten Urlauber in einem ganz anderen Licht! So oder so, ich muss hier rein!
Er öffnete die Lasche seines Holsters, zog seine Dienstpistole, eine Sig Sauer P2022 und vergewisserte sich, dass sie geladen war, bevor er die Lampe zückte und sie unter die ausgestreckte Schußhand positionierte. So vorbereitet, begann er das Gebäude zu betreten, aus dessen finsterem Innern ihm nur Stille entgegen brandete. Sollte doch jemand versuchen ihn anzugreifen… So hatte er 15 9mm Gründe das er es besser nicht täte! Und Nicolas war ein ausgezeichneter Schütze! Langsam und vorsichtig, nach allen Seiten sichernd und sich laut identifizierend betrat er den alten Bahnhof…