Aus dunklen Tiefen
Der Aquaglider zog sie mit einem leisen Summen nahezu Geräuschlos über den Grund des Sees. Dadurch hatte Sie eine Menge Zeit und Atemluft gespart. Leider war dies der einzige Weg um unentdeckt nach Chateau Noir zu gelangen.
Wie sie aus den Aufklärungsberichten wusste, war die alte Wetterwarte nicht nur modernisiert, sondern auch unauffällig zu einer Überwachungsstation umfunktioniert wurden. Der Wetterwissenschaftler Rene Moulin schien nicht involviert, ob er etwas wusste oder ahnte war unbekannt. Möglicherweise wurde er aber auch unter Druck gesetzt oder erpresst.
Der „Unfall“ im See, letztes Jahr, wäre ein Mögliches Indiz dafür. Auf jeden Fall bot diese Unterwasserroute die vermutlich einzige Möglichkeit für eine erfolgreiche Infiltration der gesicherten Anlage. Sonst gab es nur den Zugang im Dorf und ein Eindringen dort war nicht nur unmöglich, sondern allein schon der Versuch mehr als nur auffällig. Zum See hin gab es alte Stollen und Bunkereingänge noch aus der Zeit des Baues selbst, diese waren aber mit den Jahrzehnten durch den steigenden Wasserpegel geflutet worden. Für eine normale Nutzung waren die alten Röhren mittlerweile längst unbrauchbar, aber sie sollten einen akzeptablen Zugang bieten.
Alles was sie brauchte hatte sie dabei. Der Scooter war bestens ausgerüstet und sie selbst ebenfalls. Außerdem war sie ein Profi, ausgebildet für eben jene Art von Einsätzen. Schnell rein, Daten und Beweise sichern, notfalls Proben nehmen und noch schneller wieder raus. Ohne bemerkt zu werden. Ohne aufzufallen. Für den Fall, dass letzteres sich doch nicht vermeiden ließ, war sie ebenfalls bestens vorbereitet. Die Fächer des Unterwassergleiters waren gut bestückt, eine komplette Ausrüstung nebst Bewaffnung für sie, falls es nötig sein sollte. Der Colonel hatte darauf bestanden das alles Equipment im Scooter verstaut werden sollte. Aber bei dem Gedanken fühlte sie sich unwohl. Letztendlich hatte der Colonel aber seinen Willen bekommen. Vorschrift. Basta. Also wurde alles dorthin verfrachtet. Trotzdem hatte sie noch eine zusätzliche Peli-Transportbox mit. Quasi ihre ganz persönliche. Die Waffe war zwar ein älteres Modell als die im UW-Schlitten verstaute Pistole und Maschinenpistole, eine Heckler&Koch P2000 und MP7 und hatte auch nur Sieben Schuss im Magazin. Aber die Walther PPK war schon lange ihr persönliches…Maskottchen…irgendwie. Zumindest fühlte sie sich nur gut, wenn sie diese dabei hatte, egal was für andere Ausrüstung sie trug und benutzte. Aber der Auftrag lief schon von Anfang an schief. Der von der Aufklärung gelieferte Bericht bezog sich, auf einen von einer gewissen Therese Cointreau-Moulin geschilderten alten Zugang, der sich Unterwasser befinden sollte. Das tat er auch. Was aber weder der Bericht, noch diese Therese erwähnten, war, dass der Zugang durch ein massives Gitter versperrt wurde! Vermutlich war die Absperrung noch relativ neu, warum sie auch immer installiert worden war. Zumindest war das Gitter weder verrostet noch sonderlich bewachsen. Nur hatte die Fremde kein Werkzeug mit oder parat um sich durch die zentimeterdicken Stahlstäbe zu arbeiten. Damit hatte nun auch niemand gerechnet und die Transportkapazität des Schlittens war ohnehin begrenzt. Egal. Also musste sie umdisponieren. Einen direkten Plan B gab es zwar nicht, aber ihr würde schon etwas einfallen. Außerdem hatte die Fremde noch einen Kontaktmann in Chateau Noir genannt bekommen. Der örtliche „Geschäftsmann“ schien durchaus einige brauchbare Kontakte zu haben, immerhin sogar zu ihrer Dienststelle. Die Zusammenarbeit war zwar nicht so ganz freiwillig, aber mit dem bebilderten Wissen über seine „Geschäfte“ ließ sich doch rasch seine Mitarbeit zusichern. Die Fremde checkte den Kompass und änderte den Kurs des Gefährts ein wenig um sich auf die Ferienanlage einzupeilen. Dort in der Nähe wollte sie ans Ufer und dann zum Kontaktmann. Plötzlich Schraubengeräusche! Sie konnte ein Boot erkennen das die Fahrt verlangsamte.
Wegen ihr? War sie entdeckt worden? Das Wasser war sehr klar im See und man konnte weit und tief sehen. Aber wie? Eine verräterische Blasenspur hatte sie nicht. Die Luftversorgung des Scooters als auch ihre eigene Tauchausrüstung waren blasenfreie Kreislaufgeräte. Ihr Blick checkte schnell die extern befestigten Unterwasserwaffen des Gefährts. Zwei Harpunen und Zwei H&K P11 Unterwasserpistolen. Dann drehte das Boot ab und änderte die Richtung. Sie konnte erkennen, dass es an einem anderen Boot längsseits ging, das dort scheinbar ankerte. Die Fremde wartete eine Weile, dann bewegte sie sich vorwärts. Langsam und vorsichtig. Obwohl sie immer noch ein ganzes Stück weit weg war, erkannte sie das vom zweiten Boot aus plötzlich ein Taucher im Wasser war. Anmutig bewegte er sich entlang der Ankerkette bis zum Grund.
Oder was es eine Taucherin? Schwer zu sagen bei der Entfernung. Nach kurzer Zeit schwamm der oder die wieder an die Oberfläche. Fast augenblicklich fuhr das Boot los, Richtung Ufer, wie ihr ein schneller Blick auf den Kompass bestätigte. Was war dort gewesen? Es gab nur einen Weg das herauszufinden! Schnell wendete die Fremde ihr Vehikel und fuhr zum Ankerseil. Dort lag die Leiche eines Mannes. Genauer gesagt, steckte der Anker in dessen Rücken. Da das Boot schon so lag, samt Anker, konnte das nicht die Crew des zweiten Bootes gewesen sein. Dann erkannte sie den Mann. Es war Rene Moulin. Hatte jemand einen Mitwisser beseitigt? Oder ihn aus dem Weg geräumt, weil er Zuviel wusste? Die Fremde musste dringend mit dem Kontaktmann reden! Wieder wendete sie den schnellen Unterwasserflitzer und peilte das Ufer an. Nach ungefähr 15 Minuten Fahrt war sie fast angekommen. Plötzlich schien der Seeboden zu vibrieren. Eine Gerumpele, das sich verstärkte zu einem Tösen! Eine unsichtbare Welle donnerte durch den See, erfasste und drückte sie weg! Sie kämpfte vergebens dagegen an, hatte aber keine Chance. Langsam verebbte die Strömung, bis sie zum Stillstand kam. Ihr Herz raste vor Aufregung und sie atmete schnell ein und aus. Was war das gewesen? Fast hätte sie auf einen weit entfernten Sprengsatz getippt, aber das konnte doch nicht sein?! Für eine solche Welle bräuchte man eine Menge Sprengstoff. Und wozu das ganze? Während sie nachdachte, fingen die Schwebeteilchen, die vor ihrer Tauchmaske fast zum Stillstand gekommen waren, sich wieder an zu bewegen. Aber in die andere Richtung. Erst langsam, dann immer schneller. Schon begann sie den Sog zu bemerken. Was ist hier los!? Sie startete den Aquaglider erneut, doch die Strömung wurde immer stärker und schneller! Das Unterwasserfahrzeug war kaum noch in der Lage das auszugleichen. Plötzlich weiteres Gedonnere. Das rettende Ufer war nicht mehr weit, sie musste es schnellstens dorthin schaffen. Mit einem Male drehte sich die Welt um sie herum, der Seeboden schien sich zu heben und zu senken in einem verrückten Muster. Dann prallte sie gegen ein plötzliches Hindernis, das sie festhielt. Erschrocken bemühte sich die Fremde weg und frei zukommen, aber das ging nicht. Als wäre das nicht genug, kam plötzlich eine weitere Welle, rollte über sie hinweg und riss ihr den Scooter aus den Händen. Und damit auch das Mundstück der Luftversorgung. Krampfhaft bemühte sich die Fremde den Atem anzuhalten, doch ihr Herz schlug rasend und das Adrenalin verbrauchte den restlichen Sauerstoff in ihrem Blut schneller als sonst. Immer noch hing sie fest, aber plötzlich dachte sie an die Reserve auf ihrem Rücken. Natürlich trug sie auch ein separates Kreislaufgerät! Schnell und schon leicht panisch suchte sie den Regler vor ihrer Brust, drückte die Luftdusche um Wasser daraus zu entfernen und platzierte in zwischen ihren Lippen. Luft! Tief atmete sie ein! Die Strömung ließ bereits nach. Was würde danach geschehen? Wäre Ruhe? Oder ein erneutes Beben?
Sie wurde jetzt wieder ruhiger und bemerkte, dass sich ein Teil der Bebänderung in der Felsformation verfangen hatte. Mit ihren dicken Neoprenhandschuhen konnte sie da nichts machen. Kurzentschlossen zückte die Fremde ihr Tauchmesser, durchtrennte das unwichtige, überhängende Stück und verstaute rasch wieder die scharfe Klinge. Die Strömung kam zum erliegen. Wie lange wusste die Fremde jedoch nicht. Sofort schwamm sie los, diesmal ohne Probleme und orientierte sich so gut es ging am Armkompass. Die Sicht war katastrophal, alles aufgewirbelt. Als sie den Kurs gefunden hatte, begann sie gleichzeitig mit dem Aufstieg, so rasch es ging und der Tauchcomputer am anderen Arm ihr erlaubte. Nach, wie es ihr erschien, endlosen Minuten, durchbrach sie endlich die Wasseroberfläche, atmete aber weiter durch den Regler. Sie war etwas zwanzig Meter vom Ufer, als sie ein erneutes Donnern und Grollen vernahm.
Als sie zum Berg sah, bemerkte sie Staubwolken, wohl Sprengladungen, die hier und da knallend explodierten. Auch im Wasser schien das so zu sein, vereinzelt donnerten weiße, riesige Wasserfontänen an der Straßenseite des Sees empor! Dort befand sich auch der verschlossene Zugang!
Jetzt aber bewegte sie sich so schnell es ging zum Ufer, kroch erst auf allen vieren an Land, streifte dann so zügig es ging die Flossen ab und lief mehrere Meter in die Deckung eines Ufergebüsches. Vorerst war sie in Sicherheit. Automatisch checkte sie ihre Ausrüstung und Möglichkeiten. Durch das hörbare Zischen hinter ihr überprüfte sie geschwind die Tauchausrüstung. Mist! Ein Leck! Damit war das ganze Gerät unbrauchbar. Wahrscheinlich war es beim Aufprall auf die Felsen beschädigt worden. Der Scooter war auch verschollen. Und mit ihm die Ausrüstung, die Bewaffnung und natürlich auch die Bekleidung. So ein Mist aber auch! Jetzt war sie völlig nackt und verlassen im Feindesland, fluchte sie in Gedanken. Nein, säuselte eine sarkastische Stimme in ihrem Hinterkopf, du bist doch immer noch in einen schicken, hautengen Tauchanzug gekleidet… Plötzlich hätte sie fast gelacht ob der Absurdität ihrer Lage. Dann beruhigte sich die Fremde wieder. Sie hatte ja noch die Peli-Box! Schnell legte sie die nun nutzlose Ausrüstung ab und öffnete die kleine Wasserdichte Kiste. Alles was ihr geblieben war. Ein Tauchanzug, ein Tauchmesser und der Inhalt der kleinen Box. Ein Schulterholster samt einer Walther PPK mit insgesamt Drei Siebenschüssigen 7,65mm Magazinen und Schalldämpfer, sowie ein Minicomputer/Smartphone mit Headset. Naja, besser als nichts. Immerhin nicht völlig nackt. Amüsiert über sich selbst, legte sie das Holster an, checkte die Waffe und schraubte den Schalldämpfer auf.
Noch das Headset angelegt und das Smartphone verstaut und schon war die Fremde auf den Weg in das Dorf, zu Ihrem Kontaktmann. Sie hatte einen Plan und eine Agenda, die sie jetzt Punkt für Punkt ab arbeiten würde. Während sie jede Deckung nutzend sich dem Dorf näherte, versank die Sonne langsam hinter den Bergen und überließ die Fremde der beginnenden Dunkelheit und einer ungewissen Zukunft.