So, ich habe einige Tage nachzuarbeiten – bisher habe ich auch hier die letzten Seiten nur überflogen. Ich versuche mich aber an einem Zwischenfazit bzgl. der letzten Ereignisse.
Zunächst zu dem zuletzt aufgetauchten Video: Ich halte es durchaus für möglich, dass es von Seiten OPs bzw. der Verteidigung lanciert wurde. Dass dadurch ernsthaft das Verfahren gegen OP in Gefahr sein könnte, wird zwar (soweit ich es gesehen habe) nur exklusiv von einem Juristen als Auffassung vertreten.
http://www.20min.ch/panorama/news/story/29573980Dass es dennoch eine denkbare Option ist, wird aber wohlmöglich für die Verteidigung ausgereicht haben, auch dieses Mittel nicht auszulassen. Sie haben ja ohnehin nicht mehr viel zu verlieren. Da hat man wohlmöglich etwaige Widersprüche insbesondere zu den zuletzt aufgetretenen Experten und deren Aussagen zur stark eingeschränkten Mobilität OPs auf Stümpfen in Kauf genommen. Zumal es ja auch schon vor deren Auftritt diesbezüglich Widersprüche gab. Dazu hatte
@Evidence1 ja vor ein paar Wochen diesen Link eingestellt:
http://phil51089.wordpress.com/2014/05/28/oscar-pistorius-mobility-without-prosthetics/Es ist aus meiner Sicht absolut unwahrscheinlich, dass durch das aufgetauchte Video tatsächlich ein Verfahrensfehler begründet wurde, der zu einer erfolgreichen Revision führen könnte. Es wurde nicht als Beweismittel eingebracht und ist damit für die rechtliche Bewertung durch die Richterin bedeutungslos. Wenn es im Verfahren nicht berücksichtigt wurde, kann sich daraus auch kein Verfahrensfehler begründen.
Zudem ist derzeit offenbar nicht klar, ob die Veröffentlichung überhaupt illegal geschah und ob die Verteidigung tatsächlich bei der Produktion beteiligt war oder der Auftrag von OPs Onkel erfolgte.
Ohne Beteiligung der Verteidigung gäbe es keinen besonderen rechtlichen Schutz. Selbst wenn die Verteidigung involviert war, käme es darauf an, ob möglicherweise Rechte an dem Filmmaterial abgetreten wurden, sodass diese auch legal veräußert werden konnten. Hier käme es zudem darauf an, welche Schutzvorkehrungen getroffen wurden, um eine Veröffentlichung zu verhindern. Durch die Involvierung des amerikanischen Unternehmens und deren Verfügung über sensible Daten, ergibt sich zwangsläufig ein erhötes Risiko, dass Informationen öffentlich werden. Hier muss die Verteidigung, damit ihr keine Mitverantwortung anzulasten ist, entsprechende Vorkehrungen treffen.
Demgegenüber hat der Staat hinsichtlich des ganzen Vorgang überhaupt keine Einflussmöglichkeit. Bei der Diskussion unter den übrigen Rechtsexperten ging es auch eher um die Frage, ob das Video als zulässiges Beweismittel durch die Staatsanwaltschaft eingebracht werden kann. Dies hat sich ja letztlich erübrigt, weil man darauf verzichtet hat.
Ein zweiter Ansatzpunkt für eine Revision könnte die Andeutung Rouxs sein, wonach viele, viele Zeugen nicht aussagen wollten, weil ihre Stimme nicht öffentlich zu hören sein sollte.
Allerdings hat man hier nicht mal versucht durch Beantragung eine nicht öffentliche Aussage zu erwirken. Das ist insofern ganz offenbar eine bloße Schutzbehauptung. Ich denke, eine Berufung darauf würde schon daran scheitern, dass man sich nicht um eine Ausnahme bemüht hat. Etwas anders könnte es nur dann aussehen, wenn es einen Antrag gegeben hätte und dieser wäre abgelehnt worden. Dies ist aber nicht der Fall.
Auch die Lancierung des psychologischen Gutachtens bestätigt meinen Eindruck, dass man von Seiten der Verteidigung zuletzt in erster Linie gezielt öffentliche Stimmungsmache betreiben wollte, um zumindest auf diese Weise Druck auf die Richterin aufzubauen. Es wurde ja ordentlich auf die Tränendrüse gedrückt, um den Eindruck zu erzeugen, der arme Oscar wäre schon gestraft genug.
Es war in der vergangenen Woche auffallend, wie oft die Verteidigung OPs zuletzt Bezug auf das nun veröffentlichte Gutachten des Psychologen genommen hat (Donnerstag wurde es ja in Teilen auch gemeinsam mit Derman diskutiert). Aus dem gemeinsamen Bericht der 3 Psychiater wurde hingegen (soweit ich es mitbekommen habe) seitens der Verteidigung nichts zitiert. Offenbar ließ sich da für ihre Angelegenheit wenig Erbauliches finden. Dieses zweite Gutachten wurde ja auch (bisher) nicht veröffentlicht. Auch verzichtete man auf die Ladung des für die Verteidigung eingesetzten Psychiaters. Wohlmöglich bot die psychologische Begutachtung den besseren Ansatzpunkt, um durch entsprechende gründliche Vorbereitung OPs die gewünschten Informationen und darauf aufbauende Schlussfolgerungen zu Gunsten OPs in den Bericht einfließen zu lassen - wenn schon die GAD wieder einkassiert wurde und er insgesamt schuldfähig ist.
In diesem Zusammenhang vielen Dank an die schlüssige Analyse des Gutachtens durch
@psychiatrist, bei der u.a. deutlich wurde, dass man auch hier (dort sogar erfolgreich) versucht hat, durch Falschinformationen das Bild einer ganz besonderen, liebevollen Beziehung zwischen Oscar und Reeva zu zeichnen. Dieses Bild wurde zwar durch das Kreuzverhörs des Managers wieder relativiert. Der Psychologe hat aber offenbar keine ausreichenden Möglichkeiten gehabt, die von OP und ihm nahestehenden Personen gemachten Angaben zu verifizieren. Letztlich fußen aber natürlich alle seine Schlussfolgerungen nur auf den Informationen, die ihm OP und Entourage zur Verfügung stellen. Wenn diese bereits falsch sind, kann auch die Schlussfolgerung nicht mehr passen. Dass hier im Unterschied zu der psychiatrischen Begutachtung nur eine Einzelperson tätig war und Ergebnisse nicht noch von weiteren Experten hinterfragt wurden, eröffnete evtl. auch leichter die Möglichkeit, gezielt positive Aspekte in das Gutachten einzubringen.
@RabenfederWerden selbstmordgefährdete Täter von der Haft verschont?
Grundsätzlich ist es so, dass die Vollstreckung einer Haftstrafe zu verschieben (oder zu unterbrechen) ist, wenn von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für den Verurteilten zu besorgen ist.
Selbstmordgefahr - auch ernsthafte-, kommt dabei aber als Haftaufschub – oder unterbrechungsgrund nicht in Betracht. Die Vollzugstauglichkeit wird dadurch also nicht beeinträchtigt. Es soll nicht in das Belieben des Verurteilten gestellt werden, sich durch Suiziddrohungen dem Strafantritt zu entziehen. Die Lebensgefahr geht dann letztlich nicht von der Vollstreckung, sondern von der suizidgefährdeten Person selbst aus. Haftaufschub oder –unterbrechung kommt nur bei lebensbedrohenden Erkrankungen in Betracht, die während der Haft nicht adäquat behandelt werden können. Dass ist bei Depressionen nicht der Fall. Im Strafvollzug kann der Suizidgefahr durch besondere Sicherungsmaßnahmen begegnet werden, womit zugleich dem grundgesetzlich geschützten Interesse eines rechtskräftig Verurteilten an der Wahrung seiner Gesundheit ausreichend Rechnung getragen ist.
Gegen einen Gefangenen können danach besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach seinem Verhalten die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht.
Ich denke, die Betonung der Selbstmordgefahr ist auch Teil der Stimmungsmache. Es soll Mitleid erzeugt werden. Zudem gibt es ja doch bei einigen die falsche Verknüpfung, wonach sich Reue nach der Tat und eine absichtliche Tötungshandlung bzgl. des Partners ausschließen. Es geht daher wohl in erster Linie um eine emotionale Beeinflussung. Da es in diesem Verfahren keine Jury gibt, bin ich ganz guter Hoffnung, dass dieser Versuch erfolglos bleibt.
Nach dem Abschluss der Beweisaufnahme kann ich insgesamt nicht erkennen, dass der Mordvorwurf durch das Vorliegen eines rechtlich anerkannten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund für die Tat (wie z.B. Putativnotwehr oder Automatismus) entkräftet werden konnte (das kann natürlich die Richterin anders bewerten). Wenn dies aber der Fall ist, wäre es letztlich (für die juristische Bewertung) auch egal, ob OPs Version nun stimmt und ein Irrtum vorlag oder eben nicht (wobei ich persönlich aufgrund der eingebrachten Indizien und Beweise überzeugt bin, dass seine Version nur eine Lüge ist).
Ich gehe davon aus, dass Nel in seiner Argumentation nicht nur die Beweise und Indizien aufzeigt, die seine Version stützen, sondern auch für den Fall, dass die Richterin OPs Version zugrundelegt, darlegt, warum keine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe vorliegen und es daher letztlich für die rechtliche Bewertung unerheblich ist, ob ein Irrtum bestand oder nicht. Auf diese Weise kann er den Mordvorwurf zusätzlich absichern. Noch bin ich auch optimistisch, dass es ein gerechtes Urteil geben wird.