Die Sonne, ein leichtes Klopfen an der Tür und der verführerische Duft von frisch gebrühten Kaffee weckten Natalie sanft auf. Genüsslich rekelte sie sich nochmals in den weichen Kissen und streckte sich ausgiebig, bevor sie sich ins Bad begab. Nach dem vorzüglichen Schlaf und einer heißen Dusche fühlte sie sich wie neugeboren, selbst wenn sie ihre mittlerweile 3 Tage alte Kleidung wieder anziehen musste.
Auch Professor Mendez erwartete sie bereits gutgelaunt an einem reichlich gedeckten Frühstückstisch. „Bedienen sie sich, sie werden Kraft brauchen!“ Das ließ sich Nat nicht zweimal sagen. Nach dem Frühstück und einer letzten Tasse Kaffee wurde sie von Arturo verabschiedet. „Alles Gute meine Liebe und viel Erfolg! Es würde mich sehr freuen, wenn sie mir alles erzählen könnten, wenn sie wieder kommen!“ Ein kurzer, dunkler Gedanke huschte durch ihren Verstand „Wenn ich wieder komme…“, denn sie aber sofort beiseiteschob. Nach einer letzten Umarmung stieg sie wieder in den Käfer und startete den Motor. Zuerst wollte sie noch tanken, dann Eric und Juan anrufen. Die benötigten Koordinaten hatte der Professor während des Frühstücks in ihre Karte eingezeichnet. Es ging vorwärts!
Original anzeigen (0,2 MB)Zuerst fuhr sie über die Straße, die sich später auf staubige Feldwege aufteilte. Nun war sie schon seit einer Weile im Dschungel unterwegs. Obwohl es ziemlich holprig war, hielt sich der kleine Käfer erstaunlich tapfer!
Wiederholt überprüfte sie die Koordinaten, langsam müsste sie da sein…
Als der VW sich die nächste Hügelkette hochquälte, offenbarte sich ihr der Blick aufs Tal.
Natalie stoppte, stieg aus und ließ den majestätischen Anblick einwirken. Es war…unbeschreiblich! Wie ein Blick in eine andere Welt, ein Märchen aus 1001 Nacht. Die Türme waren der Mittelpunkt, doch ringsum säumten weitere Gebäude das Areal. Es musste einst eine prächtige Stadt gewesen sein. Das war sie immer noch, wenn auch niemand mehr darin lebte und alles in das Grün des Dschungels eingebettet war. Es sah nicht einmal verfallen aus, eher wie eine perfekte Symbiose, so als ob das eine unbedingt zum anderen gehörte.
Original anzeigen (0,2 MB)Sie konnte ihren Blick kaum lösen, so unglaublich war es. Wenn dies Professor Mendez sehen könnte! Doch bevor sie zu ekstatisch wurde, kam der Gedanke, dass dies auch was für Nathaniel gewesen wäre und dämpfte damit ihre Euphorie etwas. Aber sie war immer noch irgendwie glücklich und voller Vorfreude. Nat erinnerte sich an den Tauchgang vorgestern und was sie dem Kapitän gesagt hatte. „Ich genieße es für uns beide…“ Der Gedanke gab ihr Kraft und ließ sie irrigerweise kurz in den Himmel sehen. Verdutzt schmunzelte sie über sich selbst, dann stieg sie wieder in den Wagen und versuchte einen Weg zu den verlassenen, überwucherten Stadtruinen zu finden. Jetzt war es etwas leichter, der schmale Pfad auf den sie den antiken VW lenkte, führte Bergab.
Natalie hatte den Käfer am Rande des Dschungels abgestellt und abgeschlossen. Genau genommen stand er immer noch im Dschungel. Sie klappte das Schweizer Messer zusammen, verstaute das Victorinox wieder in ihrer Hosentasche und betrachtete zufrieden ihr Werk. Allerlei Blattwerk und Äste bedeckten nun den alten Wagen und versteckten ihn vor unerwünschten Blicken.
Sie war zwar alleine hier, wollte aber einfach auf Nummer sicher gehen. Auch das Tauchgerät hatte sie im Auto gelassen, bei Bedarf konnte sie es später immer noch holen oder den Käfer näher rein fahren. Sie schulterte den Rucksack und zog die Gurte straff, die Tasche hatte sie sich schon zuvor umgehängt. Erst würde sie alles erkunden und reiste daher mit leichtem Gepäck. Nur etwas Proviant und Wasser hatte sie eingepackt, mehr würde sie vorerst nicht brauchen. Als sie aus dem dichten Urwald trat, lag die alte Maya Stadt wie eine gigantische, verlassene Kulisse ´vor ihr. Ein erhabener Anblick, der ihr abermals, wieso oft früher, ein angenehmes Kribbeln in der Magengegend verursachte. Voller Tatendrang und Abenteuerlust stiefelte sie los, vergaß aber trotzdem nicht, dass ihr Besuch hier einen ernsten Hintergrund hatte.
Beeindruckt und auch ein wenig eingeschüchtert lief Nat durch die gigantische Stadt. Hier mussten Tausende gewohnt haben damals! Trotz des überall vorhandenen Bewuchses waren die Gebäude erstaunlich gut erhalten… Ihre Nackenhaare stellten sich etwas auf und ein Schaudern erfasste ihren Körper, als würde sie direkt unter einer Hochspannungsleitung stehen. Es war ein surrealer Anblick, als müssten gleich überall Menschen herauskommen und die verlassene Stadt wieder mit Leben erfüllen, als wäre sie nie aufgegeben worden…
Langsam bemerkte sie auch immer mehr Details, die sie mehr und mehr verdutzten. Neugierig blickte sie sich um. Natürlich waren überall Spuren der Maya, es war ja ihre Stadt gewesen.
Original anzeigen (0,2 MB) Doch einige der Ornamente schienen mehr aztekischen Ursprungs zu sein, was sie verwunderte. Azteken waren auf Yukatan nie heimisch geworden, höchstens zu Kriegszügen eingefallen. Warum waren dann etliche Zeichen ihrer Kultur zurück geblieben? Sie lief weiter, untersuchte Wände, Statuen, einfach alles was sie sah.
Sie hatte auch das Smartphone herausgeholt und fing an Bilder zu machen. Nahaufnahmen, Panoramas, alles, was das Sony Z2 hergab. Es wurde immer seltsamer. Jetzt fand sie weitere Inschriften und Bemalungen, aber diese waren weder Aztekischen Ursprungs, noch von den Mayas.
Verwundert untersuchte Sie diese genauer, konnte sich aber einfach keinen Reim darauf machen. Was das Ganze noch mysteriöser machte, war die Tatsache, dass eben diese unbekannten Hinterlassenschaften weit älter wirkten, als der Rest zusammen! Doch wie sollte das bitte gehen? Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Warum hatte Professor Mendez nichts davon gewusst oder gesagt? Warum gab es anderswo keine Veröffentlichungen dazu? Nat wusste sich keinen Rat und auch keine Erklärung. Ungläubig betrachtete sie alles, dann zeichnete sie so viel auf, wie nur ging und machte weitere Fotos.
Natalie machte eine kleine Pause, trank etwas Wasser und kaute in Gedanken versunken an einem staubtrockenen Müsliriegel. Sie hatte zwar noch Beef Jerky einstecken, wollte sich aber das nahrhafte, getrocknete Rindfleisch für später aufheben. Und so großen Hunger hatte sie nun auch nicht.
Das ganze erinnerte sie an ihre Unternehmungen mit Nathaniel, damals… Sie waren oft in ähnlichen Gegenden unterwegs. Hatten gemeinsam alles erkundet, erforscht, kartographiert und fotografiert. Oft hatten sie abends am Lagerfeuer noch rumgealbert und sich dann geliebt…
Sie schreckte hoch, ihre Gedanken waren abgeglitten und ihre Aufmerksamkeit hatte nachgelassen. Verunsichert sah sich Nat um und lauschte. Alles normal, so wie es sein sollte, ihre Phantasie hatte ihr nur einen Streich gespielt. Sie packte die Wasserflasche wieder in den Rucksack und verstaute auch noch ordentlich das Müslipapier in einer der Netztaschen des Backpacks. So wie es sich gehörte. Darüber musste sie selbst etwas schmunzeln. Frisch gestärkt stand sie auf, es ging weiter und die Stadt war noch lange nicht komplett untersucht. Abgesehen davon, in die Gebäude selbst musste sie auch noch rein, später jedenfalls.
Langsam wurde es Abend. Sie hatte die ganze Siedlung soweit durchstreift. Neues gefunden hatte Nat bis jetzt aber noch nicht. Sie grübelte immer noch über die seltsamen, unbekannten Schriftzeichen nach. Ihr war bewusst, dass sie eine bestimmte Bedeutung hatten, aber welche? Auf den ersten Blick sah es aus wie eine Keilschrift, aber nichts das ihr bekannt war. Sie sah nochmals auf das Handy, kein Empfang hier draußen… Damit war auch das Netbook nutzlos. Sie hatte überlegt, die Bilder an Eric zu mailen, aber ohne Netz ging das nicht. Das würde bis später warten müssen, wenn sie wieder weiter an eine Straße und damit bewohnte Gegend kam. Sie überlegte noch, den VW in die Sicherheit des Tales zu fahren, hinten hatte sie so etwas wie eine Art kleine Halle gefunden, wo sie ihn unterstellen und als Türstopper nutzen konnte, um auch selbst sicher schlafen zu können, ohne unerwünschte Besucher oder ähnliches. Immerhin, etwas gruselig war es hier schon, so alleine… Wie um sich zu beruhigen, strich sie dabei eher unbewusst über die Rückentasche des Rucksackes, was ihr wieder etwas Mut machte. Noch schien die Sonne über die Baumwipfel, aber sie hatte höchstens noch zwei Stunden, bis alles hier in Dunkelheit getaucht wäre… Wie um sich selbst zu versichern, sah sie auf ihre Uhr, ja, ihre Schätzung schien soweit korrekt zu sein.
Dann bemerkte sie die Spalte im Schatten. Interessiert sah Nat hin. Eigentlich wollte sie ja den VW holen… Neugier wider besseres Wissen kämpfte in ihr. Sie konnte ja mal kurz nachschauen, oder? Den Käfer konnte sie auch später noch hier her fahren, immerhin hatte er ja auch Scheinwerfer, sollte es doch schon dunkler sein dann. Nicht wahr? Die Stadt hatte sie ja soweit erkundet, aber die Gebäude selbst wollte sie sich erst morgen vorknöpfen. Trotzdem… Ein kurzer Blick nur, einfach etwas umschauen, nicht mehr, damit sie wusste, was dort war… „Ach, scheiß drauf. Eine halbe Stunde mehr oder weniger ist egal!“ Sich selbst anfeuernd lief sie los. Was sollte schon passieren?
Natalie kam aus dem Staunen kaum noch raus. Es war…unwirklich, unglaublich, unbeschreiblich! Natürlich war die ganze Stadt vom Dschungel wieder erobert worden und überwuchert, doch hier war es anders. Sie versuchte zu verstehen, warum ihr das nicht schon vorher aufgefallen war, aber eigentlich war das egal. Es kam wohl auf den Beobachtungspunkt und den Blickwinkel an, um es überhaupt zu bemerken. Nun stand sie davor. Es war ein Eingang, der aber erst auf den zweiten oder dritten Blick zu erkennen war. Ein gigantischer Baum war auf dem Gebäude, was es einst wohl war, gewachsen.
Original anzeigen (0,3 MB) Als ob das nicht genug wäre, reichten seine riesigen Wurzeln über die Fassade bis in den Boden und verdeckten das meiste des Baus gekonnt. Nur ein schmales Stück war frei, gerade so viel genug, um den Eingang des alten Gemäuers zu offenbaren…
War vorher ihr Interesse geweckt, so war jetzt ihre Forscherleidenschaft entfacht! Die alte Tür lockte sie verheißungsvoll. „Besuche mich…entdecke mich…ergründe mich…“ Wie im Rausch näherte sich Natalie immer weiter, bis sie im Schatten der Baumwurzeln nahe genug am Durchgang war. Außer dem Rahmen konnte sie jedoch fast nichts erkennen, dahinter gähnte tiefste Finsternis. Sie dachte kurz an den VW, der immer noch darauf wartete in die Ruinen gefahren zu werden, dann nahm sie aber den Rucksack ab und öffnete ihn.
Sie wühlte etwas herum und suchte. Da war ihr Hoodie, aber jetzt war es noch zu warm um ihn anzuziehen. Dafür entdeckte sie einen Satz Unterwäsche und Waschzeug, was ihr ein dröhnendes Lachen entlockte. Das war noch vom Boot drin, als sie den Tauchgang gemacht hatte und einfach vergaß, es heraus zunehmen. Auf jeden Fall hatte sie nun Wechselwäsche! Belustigt stopfte sie Slip und Shirt zurück und tastete weiter, bis sie sie fand.
Triumphierend schloss sich ihre Hand um den Griff, dann zog sie die Taschenlampe heraus. „Hab ich dich!“ Die Funzel war eigentlich eine handelsübliche, alte, aber sehr robuste Armeelampe, die wie ein L aussah. Aber durch die Klammer an der Rückseite konnte man sie an den Gurten des Tragegestells befestigen. So hatte man die Hände frei und trotzdem Licht! Sehr praktisch, vor allem, wenn man zu tun hatte. Nathaniel hatte die Lampe später etwas aufgemotzt, indem er das LED Modul einer Maglite eingesetzt hatte. Er passte perfekt und gab sogar mehr Licht als die normale Glühbirne vorher. Und die Batterien hielten sehr viel länger! Im Rucksack selbst waren zwar noch Reservebatterien, aber die normale Ladung sollte mit der LED etwas über 120 Stunden halten.
Für mal kurz nachsehen hier kein Thema befand Nat, hängte sich wieder den Rucksack um, befestigte die Leuchte am Brustgurt und schaltete sie an. Ein breiter Kegel grellen, weißbläulichen Lichtes schob sich nun in die Dunkelheit vor ihr und erhellte wenigstens einen Teil der Finsternis. Sie atmete nochmals tief durch und sammelte sich, dann trat sie ein.