@Kc Kc schrieb:Wollen ernsthafte Wissenschaftler heute überhaupt die Existenz von Geistern beweisen?
Ähnlich, wie mit der Ufoforschung oder Forschung in anderen Grenzwissenschaften setzt sich ein Wissenschaftler immer der Gefahr aus, sich lächerlich zu machen, wenn er ernsthaft daran arbeiten wollte, die Existenz von etwas zu beweisen, was der große Rest der wissenschaftlichen Community ablehnt.
,,Ach, der Trottel, der an Geister glaubt..." ;)
Man kann nicht leugnen, dass es auch in der wissenschaftlichen Welt vorherrschende Lehrmeinungen gibt und diejenigen, welche diese Lehrmeinung anzweifeln oder sogar gefährden, unter Umständen mit schwerem Gegenwind und Missgunst rechnen müssten.
Ich denke mal, dass in der „wissenschaftlichen Welt“ überhaupt keine „Lehrmeinung“ über Geister herrscht. Ganz einfach deshalb, weil diese überhaupt nicht zum Gegenstandsbereich der meisten Wissenschaften gehören oder jemals gehört haben, sei es nun Physik, Chemie, Geologie, Biologie, Kosmologie oder was für eine –logie sonst.
Nur drei Wissenschaften (außer vielleicht – am Rande – die Geschichtswissenschaft) beschäftigen sich überhaupt irgendwie mit Geistern oder Geistererscheinungen, nämlich die Psychologie, die Parapsychologie und die Ethnologie (oder empirische Kulturwissenschaft). Letztere hat lange Zeit die Fragestellung, was Geister ontologisch gesehen „wirklich“ sind, schlicht ausgeklammert bzw. für außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs erklärt. Erst in jüngster Zeit gibt es unter dem Label „Paranthropology“ Bestrebungen, die Ethnologie (englisch „
anthropology“ oder „
cultural anthropology“) mit der Parapsychologie zusammen zu bringen.
Was die Psychologie betrifft – sofern sie sich überhaupt mit dem Thema irgendwie beschäftigt –, so gibt es auch hier keine einheitliche „Lehrmeinung“.
Während die einen – etwa Richard Wiseman oder Christopher French – unter dem Label „anomalistische Psychologie“ konventionelle psychologische Erklärungen für Geistererscheinungen und andere vermeintlich „paranormale“ Erlebnisse suchen, gehen andere davon aus, dass zumindest bei manchen solchen Erlebnissen durchaus ein „Psi“-Element enthalten ist, ja dass sie sogar ein mögliches Überleben der menschlichen Persönlichkeit nach dem körperlichen Tod plausibel machen können, – zu dieser Gruppe gehören etwa der Isländische Parapsychologe Erlendur Haraldsson und der amerikanische Psychologe Gary Schwartz oder historisch gesehen Forscher wie Frederic W. H. Myers (1843-1901).
Und was nun die „wissenschaftliche Welt“ als soziologische Gruppe angeht, so geht es ihr wie der Gesellschaft insgesamt, dass Geister eher ein „Tabuthema“ sind. Wenn es „offiziell“ und öffentlich angesprochen wird, gehört es zum „guten Ton“, zu sagen, dass man nichts davon hält. Privat und „nicht-öffentlich“ dagegen ist man sich manchmal nicht mehr so sicher …
In einem Aufsatz mit dem schönen Untertitel „Was der Professor verschwieg“ hat der renommierte dänische Ethnologe Ake Hultkrantz (1920 – 2006) folgende aufschlussreiche Beobachtung niedergelegt:
„Der Gelehrte sieht sich hier in einer heiklen Lage. Als ich mich als angehender Anthropologe daran machte, die Kultur und insbesondere die Religion eines nordamerikanischen Indianerstammes – der Shoshoni in Wyoming – zu untersuchen, hatte ich die Absicht, meine Forschungen durch Interviewtechniken, teilnehmende Beobachtung und Archivauswertungen abzusichern. Ich musste jedoch feststellen, dass irrationale Faktoren meine sorgfältig ausgetüftelten Vorkehrungen durcheinander brachten, und zwar vor allem auf dem Gebiet der Religion. Aber das war noch nicht alles. An Ritualen mit Medizinmännern teilnehmend, musste ich in meinem Notizbuch Beobachtungen von einer Art festhalten, die ich in keiner Fachzeitschrift hätte veröffentlichen können, ohne meine wissenschaftliche Reputation aufs Spiel zu setzen. Es ereigneten sich Dinge, die man im Rahmen unseres gängigen wissenschaftlichen Wertesystems nicht als Faktum registrieren konnte.“
Und weiter: „Es war eine eigentümliche Erfahrung, das Verhalten mancher meiner Kollegen in solchen Fällen zu beobachten: wenn sie darüber schrieben oder Vorlesungen hielten, leugneten sie das faktische Vorkommen derartiger Phänomene und führten deren angebliche Existenz entweder auf die Illusionen eines verwirrten Geistes oder (was auf dasselbe hinauslief) auf subjektive religiöse Antizipationen zurück. Privat äußerten jedoch genau dieselben Kollegen ihre Betroffenheit darüber, derartige Phänomene selbst beobachtet zu haben. Wie ich gestehen muß, war mein eigenes Verhalten nicht viel besser.“
(Ake Hultkrantz, „Ritual und Geheimnis: Über die Kunst der Medizinmänner, oder: Was der Professor verschwieg“, in: Hans Peter Dürr (Hrsg.), Der Wissenschafter und das Irrationale, Frankfurt/Main, 1985, S. 72 f.
Ganz ähnliches berichtet der Philosoph Stephen Braude, der sich viel mit Parapsychologie beschäftigt hat: „Offiziell“ erklären viele Kollegen und andere akademische Gelehrte ihr Befremden über sein parapsychologisches Interesse, nur um dann privat und unter der Hand – „aber bitte nicht weiter erzählen“ – von eigenen „paranormalen“ oder zumindest unerklärlichen Erlebnissen zu berichten – nicht selten seien das Geistererscheinungen, so Braude.
Nicht speziell in Bezug auf Geister, sondern in Bezug auf die Survival-Forschung allgemein (also der Forschung über die Frage, ob das menschliche Bewusstsein oder Teile des Bewusstseins nach dem biologischen Tod des Körpers in irgend einer Form weiter existieren) macht der Wissenschaftshistoriker Andreas Sommer in dem verlinkten Aufsatz das wissenschaftliche Dilemma deutlich. In dem Aufsatz spricht er von einem „Auslöschungsparadigma“ und einem „Transzendenzverbot“ in der Mainstream-Wissenschaft, die weniger auf rationalen Argumenten, als vielmehr auf emotionalen und sozialen Faktoren beruhen: „Gründe für die akademische Vernachlässigung unserer Fragestellung – und somit den wissenschaftlichen Status der Survival-Forschung – dürften am wenigsten logischer Art sein, sondern sind primär wissenschaftshistorisch und -soziologisch zu begreifen.“ (S. 181):
http://www.anomalistik.de/images/stories/pdf/zfa/zfa2005_23_178_sommer.pdf