Haltet ihr ein Leben nach dem Tod für möglich, egal welcher Art?
23.12.2012 um 14:18
Nahtoderfahrungen –
alles nur Hirngespinste?
Als der römische Ex-Offizier Maximus, gespielt von Russel Crowe, in dem Film „der Gladiator“
sich dem Tode nähert, hat er offensichtlich eine Nahtoderfahrung: Er sieht noch einmal die schöne
Landschaft seiner Heimat und seine längst gestorbene Frau.
Eine 66jährige Frau etwa, die anonym bleiben möchte, beschreibt ihre Nahtoderfahrung so: „Ich
schwebte heraus aus diesem Tunnel und sah mich einem Licht, einer Helligkeit, einer strahlenden
Wolke – etwas Unbeschreiblichem gegenüber. Es stand oder es war in ungefähr 4 bis 5 Metern
vor mir in einer angenehmen Dunkelheit. Es war kein eigentlicher Raum zu erkennen, auch keine
Farben, nur dieses intensive Leuchten. Diese Helligkeit war keine Person oder eine erkennbare
Lichtquelle. Mir strahlte sanft die absolute Liebe entgegen, das was man sich immer wünscht; ein
warmes Leuchten, ein liebevolles Warten auf mich, etwas was mich gleich aufnehmen würde und
in dem ich voller Glück aufgehen würde“.
Der Kardiologe Dr. Pim van Lommel der das Phänomen seit vielen Jahren erforscht, hat zusammen
mit seinen Kollegen 344 Patienten nach einem Herzstillstand befragt. 62 von ihnen, also fast
20 Prozent, hatten eine Nahtoderfahrung. Laut van Lommel tritt das Phänomen auch bei anderen
lebensbedrohlichen Erkrankungen auf. Die Erlebnisse der Betroffenen sind recht unterschiedlich:
Manche sehen ein helles Licht am Ende eines Tunnels, manche hören Musik, andere berichten von
schönen Landschaften oder erleben einen tiefen inneren Frieden.
Seit über 30 Jahren beschäftigt sich die „International Association for Near Death Studies“
(„IANDS“) mit Nahtoderfahrungen (NTEs). Auch in Europa gibt es mehrere Gruppen, in Deutschland
etwa das 2004 gegründete „Netzwerk Nahtod-Erfahrung“ die ihr angegliedert sind oder mit ihr
zusammen arbeiten. Einer der Wissenschaftler, der sich wie Lommel intensiv mit NTEs befasst, ist
der Arzt, Naturphilosoph und Buchautor Professor Walter van Laack.
In wenigen Wochen wird ein neues Buch zu NTEs von ihm erscheinen. „Schnittstelle Tod“ lautet der
Titel des Buches, das auf den Vorträgen einer europäischen Tagung des letzten Jahres in Aachen
basiert, zu der van Laack Betroffene und Experten geladen hatte.
NTEs sind keine Halluzinationen
Unter Wissenschaftlern werden NTEs kontrovers diskutiert. Die Betroffenen werden selten ernst genommen.
Viele leiden darunter und fürchten sich sogar vor Nachteilen. Vorschnell, so van Laack, bezeichne man
NTEs als Trugbilder, als physiologische Reaktionen auf Medikamente oder auch auf endogene „Glücksstoffe“.
Bestenfalls halte man NTEs noch für Träume, deute sie jedoch fast immer als reine Hirnprodukte.
NTEs sind nach Angaben von van Laack Erlebnisse des natürlich dann noch lebenden Menschen, selbst
wenn er bereits „klinisch tot“ ist. NTEs seien keine Halluzinationen, erklärt er. Halluzinationen setzen intakte
Sinnesorgane voraus. Aber auch Blinde und Taube berichten über NTEs. Zwar machen auch Betroffene
echter optischer Halluzinationen die Erfahrung einiger NTE-typischer Kerninhalte, etwa „Licht-“ oder
„Tunnelsehen“. Manche sehen sogar einige Bruchstücke aus ihrem Leben. Nie aber handelt es sich dabei
um einen zusammenhängenden Lebensrückblick, in dem der Betroffene aktiver Mittelpunkt ist. Im Gegensatz
zu echten Halluzinationen gilt, dass NTEs typische und universell gleichartige Grundmuster haben.
Nur die Inhalte variieren aufgrund persönlicher, kultureller oder religiöser Lebenshintergründe.
Zu einer komplexen NTE gehören nach Angaben des Arztes und Naturphilosophen auch das außerkörperliche Erlebnis
(AKE oder OBE). Dazu zähle auch das Lebenspanorama, der detaillierte Ablauf eines zusammenhängenden
und eigenen Lebensfilms. Schließlich komme es sehr häufig auch zu erheblichen und nachhaltigen Persönlichkeitsveränderungen
bei Betroffenen nach ihrer Rückkehr und Gesundung. Das alles seien typische Kernpunkte von
NTEs, die man regelmäßig und unabhängig von Religion und kulturellem Hintergrund vorfinde, erklärt van Laack.
Auch Hypoxie und Hyperkapnie mit Delir können NTEs als (komplexes) Ganzes nicht erklären. Menschen
im Delir sind immer desorientiert. Nie entwickeln sie tiefgreifende positive Gefühle, insbesondere keine
Liebe und erleben auch nicht das Gefühl des Geliebtwerdens. Erinnerungen an das Erlebte sind meist
bruchstückhaft, die Erlebnisse sind passiv und eher negativ Menschen mit NTEs dagegen sind stets voll
orientiert. Fast immer empfinden sie tiefe Gefühle wie Liebe. An ihre Erlebnissse erinnern sie sich immer
detailgetreu und in der vollen Überzeugung, etwas Reales erlebt zu haben. Der Betroffene ist während
seiner NTE stets selbst aktiv und steht im Zentrum des Geschehens.
Warum sind NTEs so selten?
Allerdings berichten nur etwa 18-35 Prozent aller Menschen in Todesnähe von einer NTE. Der mögliche
Grund: Vermutlich treten NTEs bei jedem Menschen zu einem anderen Zeitpunkt ein, möglicherweise
erst unmittelbar vor dem irreversiblen „Todeszeitpunkt“. Dieser Zeitpunkt wird eher häufig jenseits des
Zeitpunktes liegen, bis zu dem es noch möglich ist, den Sterbenden durch Reanimation „zurückzuholen“.
Dafür bieten uns die NTEs, die wir bei einem Null-Linien-EEG finden, deutliche Hinweise. Nur ein kleiner
Teil der dem Tod nahen Menschen erlebt eine NTE während des Sterbeprozesses so frühzeitig, dass sie
uns davon später berichten können, weil man sie wieder „ins Leben zurückrufen“ konnte. Bekannt ist auch,
dass man sich nicht zwangsläufig immer an reale Geschehnisse erinnert. Es sei, so van Laack, keineswegs
implausibel, ein reales Erlebnis gehabt zu haben, an das man sich später nicht mehr erinnert.
Der Ansicht, dass NTEs bloß Träume seien, widerspricht auch, dass die NTE-Inhalte von kleinen Kindern
den selben universellen Mustern entsprechen wie denen von Erwachsenen. Kleine Kinder träumen aber
noch nicht zusammenhängend. Erst im Schulalter haben ihre Träume zusammenhängende Inhalte. Man
sollte also davon ausgehen, dass natürlich jeder Mensch in Todesnähe eine NTE hat. In der Regel dürfte
es dazu aber eben erst dann kommen, wenn eine Rückkehr nicht mehr möglich ist.
Sind OBEs ein Beweis für die Realität von NTEs?
OBE ist die Abkürzung für „Out-of-Body-Experience“. Im deutschen Sprachraum nennt man sie „Außerkörperliche
Erfahrungen“ (AKEs). Tatsache ist, OBEs treten auch ohne Todesnähe auf. Dies spricht nicht
gegen ihre reale Existenz, sie beweisen aber nicht die Behauptung, dass sie etwas Spezifisches für das
Sterben oder den Tod seien. Darüber hinaus sollen OBEs sogar durch Stimulation des Gehirns provoziert
werden können. Tatsächlich jedoch führen solche Stimulationen nur zu bestimmten Halluzinationen, dem
Doppelgängerwahn. Van Laack bezeichnet sie
deshalb als Pseudo-OBEs. Bei künstlich provozierten OBEs ist die Körperwahrnehmung oft erheblich
beeinträchtigt, nicht selten findet man pathologische Bewegungsautomatismen. In der Regel haben die
Betroffenen Angst. Bei echten OBEs dagegen agiert das außerkörperliche Ich kontrolliert, Ängste sind
selten. Während echter OBEs ist man im Gegensatz zu den künstlich provozierten stets schmerzfrei, und die
Leistungsfähigkeit der Betroffenen ist sogar stark erhöht. Menschen mit echten OBEs können ihre materielle
Umwelt immer wahrheits- und detailgetreu beschreiben, was bei provozierten OBEs eine Ausnahme ist.
Verursachen Halluzinogene NTEs?
Halluzinogene, Rausch- und Narkosemittel, auch so genannte endogene Glücksstoffe und Neurotransmitter
verursachen Phänomene, wie sie ähnlich bei NTEs vorkommen. Sie provozieren aber nur einzelne und meist
unvollständige Teile von NTEs, nie komplette Muster. Und: Patienten, die sich in Todesnähe befanden und
später eine NTE schilderten, standen nur sehr selten unter dem Einfluss solcher Substanzen.
Natürlich kann man, sagt van Laack, einwenden, das sei auch nicht nötig, da viele solcher Stoffe ja endogen
produziert werden können und dann in „Todesnähe“ reichlich zur Verfügung stehen sollten. Allerdings wäre auch das kein Beweis gegen die Ansicht, NTEs seien eine Art Überleitung zu einer realen Existenz nach
dem Tod. Tatsache ist, dass Halluzinogene zwar einzelne Teile von NTEs hervorrufen können, es tatsächlich
jedoch nur selten tun. Zudem überwiegen unter solchen Drogen vor allem die krankhaften, die psychotischen
Wirkungen. Der unter Drogen Stehende erkennt auch fast immer, dass seine Erlebnisse nicht real sind.
Menschen mit NTEs dagegen sind von der Realität ihrer Erfahrungen dauerhaft überzeugt und begeistert.
Sind psychologische Erklärungsversuche wegweisend?
Manche Psychologen sehen in NTEs vielfach Wunschbilder. Zu einer solchen Annahme passt jedoch
kaum, dass bei NTEs gerade im Rahmen des sehr real und plastisch empfundenen Lebensrückblicks
oft negative Aspekte vorkommen: Hier erlebt der Betroffene immer positive und negative Situationen
des eigenen Lebens noch einmal nach. Oft sind die eigenen, negativen Gedanken und Handlungen sehr
schmerzlich. Häufig treten NTEs bei ganz plötzlicher Todesnähe auf, etwa Unfällen. Hier, sagt van Laack,
dürfte wohl kaum mehr Zeit für das Herbeisehnen irgendwelcher Wunschbilder bestehen.
Basierend auf den Vorstellungen von Jung sehen andere Skeptiker in NTEs die Spiegelung von „Archetypen“
eines „kollektiven Unbewussten“, d.h. von komplexen Mustern aus Erfahrungen und Informationen
der ganzen Menschheit. Doch Archetypen können OBEs überhaupt nicht erklären. Und OBEs sind
ein integraler Bestandteil einer jeden NTE. Schließlich bemüht man psychodynamische Erklärungen.
Danach solle man sich, akut vom Tod bedroht, von allen Gedanken daran abwenden. Man würde dann
versuchen, sich mit Hilfe einer NTE selbst in einen Zustand von Freude zu versetzen: NTEs seien also eine
Art Psycho-Schutzwall. Bei NTEs gibt es aber nicht selten auch negative Aspekte. Deshalb hält es van
Laack für absurd, dass dann ein Betroffener seine NTE phantasieren soll, um einerseits vor dem Tod zu
flüchten, sich dann aber andererseits wieder auch den negativen Seiten des eigenen Lebens zuwendet.
Zugleich eröffnen sich vielen Betroffenen im Rahmen ihrer NTE sogar neue Lebensperspektiven. Völlig
abwegig wird die psychodynamische Erklärung dann, wenn man von vielen Menschen mit NTEs später
erfährt, dass sie sich vehement gegen eine Rückkehr in ihren Körper gewehrt haben.
Parapsychologische Erklärungsversuche
In der Vorstellung der heute meist animistisch denkenden Parapsychologen habe der „Beinahe-Tote“
telepathischen Kontakt mit dem Arzt aufgenommen und so dessen Gedanken und Worte angezapft.
Durch Hellsehen habe er sich vielleicht ein Bild von der anwesenden Krankenschwester gemacht und
Informationen über ihre Kleidung eingeholt. Mit Hilfe von ASW-Wellen habe er sich dann aus der Vogelperspektive
selbst gesehen. Auf diese Weise habe er womöglich auch einen Blick in ein anderes Krankenzimmer
erhascht, und dort, nun wieder durch Hellsehen, vielleicht ein Fußballspiel im Fernsehen verfolgt.
Für solcherlei Vorstellungen gibt es bisher allerdings keinerlei verwertbare Hinweise, geschweige denn
irgendwelche Beweise! Natürlich heißt das nicht, dass es so etwas nicht trotzdem geben könne. Van
Laack hält eine solche These aber nicht nur für überaus kompliziert, sondern auch für reichlich implausibel
im Vergleich zu der letztlich viel einfacheren Vorstellung, jemand habe eine echte NTE gehabt.
Philosophische Erklärungsversuche
Ausgehend von der These, Nahtoderfahrungen seien reale „geistige“ und „spirituelle Erfahrungen und
nicht eine Art präfinales Phantasieprodukt des Gehirns, dann muss man sich Gedanken über eine
alternative Weltsicht machen; die heute verbreiteten wissenschaftlichen Theorien von unserer Welt lassen
eine solche Vorstellung gar nicht zu. Der Tod ist demnach das unwiderrufliche Ende. Häufig werden die
Betroffenen belächelt. Deshalb vermeiden es viele Menschen, über ihre NTEs zu sprechen – oft tun sie es
nicht einmal im privaten Kreis. Van Laack betrachtet Nahtoderfahrungen als genau das, was in unserer
Gesellschaft heute (noch) mehrheitlich strikt abgelehnt wird: als eine „Vorstufe zum Himmel“, als eine
reale „geistige“ und „spirituelle“ Erfahrung, die uns zugleich zeigt, dass wir weit mehr sind als ein selbstorganisierendes,
rein materielles Ergebnis einer zufälligen Welt und ziellosen Evolution.
Hinweis zum Buch:
Schnittstelle Tod – Aufbruch zu neuem Leben?
ISBN 978-3-936624-10-6, 148 S., Paperback, 19,80 Euro
Quelle
HIPPOKRANET.DE
p h y s i c i a n s n e t w o r k
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