Rainlove schrieb:Man sollte ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen, man sollte an alles neutral rangehen und es mit wissenschaftlicher Methodik nachweißen / widerlegen .
Man sollte einen Roman danach beurteilen, daß es sich um einen Roman handelt, nicht etwa um ne Autobiographie, ein Geschichtswerk oder eine sozialwissenschaftliche Studie. Und dafür brauchts noch nicht mal ne wissenschaftliche Methodik.
Rainlove schrieb:Auch wenn ein Buchgefühl dir sagt, dass es so sei
Von nem Buchgefühl würde ich da nicht sprechen, sondern von einer geschulten Unterscheidungsfähigkeit. Schon kleine Kinder lernen den Unterschied etwa zwischen einem Märchen und der Kinderkrieg-Erklärung. Während sie - besonders in der Warumfrag-Phase - ihren Eltern ganz schön mit Nachfragen löchern, hält es sich bei Märchen dagegen arg in Grenzen, wissen zu wollen, warum die böse Hexe denn bloß den armen Prinzen in den Froschkönig verwandelt hat, und wie sowas überhaupt geht. Das ist mehr ein Verständnis für verschiedene "erzählerische Gattungen" als ein "Gefühl". Auch wenn viele dieses Verständnis eher unbewußt haben und es auf Nachfrage nicht benennen könnten. Oder kannst Du mir z.B. erklären, wann der Plural von "Wort" ein "Wörter" ist und wann ein "Worte", oder wann man das Hilfsverb "worden" und wann "geworden" verwendet und worin der Unterschied besteht? Vielleicht kannste es ja, aber viele können es nicht, verwenden die unterschiedlichen Sachen dennoch zuallermeist richtig. Weil sie für den richtigen Einsatz geschult (nenns meinetwegen "konditioniert") sind. Das kannste sogar gerne "Bauchgefühl" nennen, ist aber trotzdem weit mehr als nur "raten" und nicht zu beanstanden.
Rainlove schrieb:Damit könntest du ja alleine durch "Spüren" das Wissen erlangen, was dieses Problem löst. Das ist hokuspokus.
Das wäre indeed fataler Unsinn. Nur daß das, wovon ich sprach, eben genau das nicht meint. Vielmehr sage ich, in der Kainsgeschichte geht es darum, was aus Kain wird, nachdem dieser in eine (letztlich mehrere) Konfliktsituation(en) gerät. Hier könnte man sogar tatsächlich von "Spüren" sprechen, also vom Gespür für die Intention der Erzählung - nur eben, daß mit "Gespür" nur gemeint ist, daß die Erzählung evident zeigt, daß es ihr um genau diese Themensetzung geht, der Leser darüber aber nicht eigens bewußt nachdenken muß, um dies zu bemerken, sondern es bereits unbewußt registriert. Nenn das "Spüren", wenn Du willst, hat aber mit echter Evidenz zu tun.
Na wie auch immer. Wem (bewußt oder unbewußt) klar ist, daß die Erzählung zu dieser Thematik des Umgangs mit Konfliktsituationen und des Weiterlebens nach falschen Entscheidungen einen Beitrag leisten will, der wird von ihr keine Erklärung über den Ursprung anfänglicher Konfliktsituationen erwarten.
Wenn Kinder im Matheunterricht erfahren, daß Heinz um 8 Uhr mit seinem Auto von A nach B in 200 km Entfernung fährt, Friederike hingegen um die selbe Zeit mit ihrem Auto von B nach A losfährt, und beide mit 75 kmh fahren, dann werden diese Kinder nicht über die Losfahrmotive der beiden Leutz nachdenken, sondern über die Uhrzeit, wann die beiden aufeinander treffen. Wenn Du das "Spüren" nennen willst - ja, dann führt "Spüren" tatsächlich zur Wahrheit der Erzähl-Absicht.