@Samnang Das haben ich übrigens heute entdeckt. Sehr interessant - Mettenbuch.
Rückblende ins Jahr 1876. Der Winter zieht ein, und der bayrische Wald ist weiß. Die Bewohner von Mettenbuch, einem hochgelegenen Dörfchen, haben einen beschwerlichen Weg, wenn sie ihr Gotteshaus im Tal, die Klosterkirche der Benediktiner-Abtei Metten, besuchen. Manche nehmen eine Abkürzung durch den Wald und die Schlucht, die Metten und Mettenbuch trennt.
Es ist Freitag vor dem ersten Advent, und es ist dunkel. Zwei Mädchen, zehn und 14 Jahre alt, gehen die Abkürzung durch den Wald. Sie werden von zwei erwachsenen Frauen begleitet. Unterwegs betet die Gruppe, wie so häufig, den Rosenkranz und fügt, wegen des bevorstehenden Advents, Worte aus der lauretanischen Litanei an, in der der Marientitel „Trösterin der Betrübten“ vorkommt. „Als sie die Worte sprachen: ´Du Zuflucht der Sünder, du Trösterin der Betrübten`, da flammte plötzlich das Licht, welches von den Mädchen ganz in der Nähe gesehen wurde, groß und hell und Funken sprühend auf und sank rasch wieder zusammen. Sie wunderten sich, wollten aber doch etwas erschreckt fortgehen; da schwebte das Licht neben ihnen her. Der Brombeerstaude gegenüber blieben sie nun stehen und beteten, jedes allein, für die Abgestorbenen. Jetzt schwebte das Lichtlein hinab gegen den Graben, blieb erst stehen und erlosch dann schnell. Bald tauchte an demselben Platze ein neues Licht auf und verschwand wieder. Plötzlich rief das zehnjährige Mädchen: ´Ein Kinderl, ein Kinderl`“.1 Die Mädchen hatten, so jedenfalls beginnt die Schilderung der Erscheinungen, das Jesuskind gesehen.
Am nächsten Tag, am Samstag, dem 2. Dezember 1876, geht die gleiche Gruppe, aber erweitert um einen Erwachsenen und zwei Kinder, in die Schlucht und betet unterwegs den Rosenkranz. An der Stelle mit den Lichtphänomenen des Vortages knieen die drei Erwachsenen und vier Kinder nieder und beten die lauretanische Litanei. Plötzlich rufen die Kinder wie aus einem Munde: „Unsere liebe Frau ist da“. Ihren Schilderungen nach sehen sie eine „schöne Frau“, auf einem Stuhl sitzend, ein Kind auf ihrem Schoß. Auf die Frage, wer sie sei, antwortet sie: „Maria, Trösterin der Betrübten“. Die gleißend helle Szene im dunklen Wald wiederholt sich tags darauf, es ist der erste Adventssonntag. Diesmal sehen die Kinder auch leuchtende Sternenkränze, märchenhafte Figuren, Engel, Heilige und schreckliche Bilder aus der Passion Christi. Drei Wochen dauert der Erscheinungszyklus von Mettenbuch - bis zum 21. Dezember 1876.
Die Verhöre
Die Kinder, und nur sie haben Erscheinungen wahrgenommen, werden noch im gleichen Monat verhört. Ihre Aussagen („Ja, ich habe die Mutter Gottes gesehen“) werden protokolliert. Ihr zuständiger Pfarrer Angelhuber, Benediktinerpater, und Benedikt Braunmüller vom Klostergymnasium Metten fahren gleich nach dem Weihnachtsfest in die Stadt Regensburg zu Bischof Ignatius Senestrey und informieren ihn über die Vorgänge in dem niederbayrischen Dörfchen. Der Bischof vermerkt in einer Aktennotiz: „Nachdem ich sie angehört, befahl ich zwar, alles aufzuzeichnen, aber im übrigen nichts laut werden zu lassen, sondern ruhig und schweigend abzuwarten, wie sich die Sache etwa gestalten werde.“2 Nicht nur Angelhuber, sondern auch Braunmüller, ebenfalls Benediktinerpater, glaubt an die Marienerscheinungen. Ohne das Ergebnis der offiziellen Untersuchung durch die Kirche abzuwarten, publiziert Braunmüller, was den Bischof sehr verärgert, schon bald eine Broschüre über die „Erscheinungen der Trösterin der Betrübten von Mettenbuch“.3 Es zeigt sich, dass im Kloster und im angeschlossenen Priesterseminar Metten die Meinungen geteilt sind, ob „Mettenbuch“ wahr oder eingebildet ist.
Die Wallfahrt
Zunächst bleibt die Erscheinungsstelle in der Schlucht unverändert und natürlich. An einem Baum wird ein Bild der schmerzhaften Muttergottes von Telgte befestigt. „O Maria, du Trösterin der Betrübten, bitt für uns!“ steht unten auf der Abbildung. Aufsehen erregt „Mettenbuch“ erst Ende April 1877, als in einer Nachbargemeinde ein Mädchen, das eine Nadel verschluckt hat, auf Fürbitten der „Trösterin der Betrübten“ von Mettenbuch gerettet und geheilt wird. Die sich verbreitende Kunde zieht in den nächsten Tagen über 2000 Menschen in die Schlucht zur Erscheinungsstelle. Im Sommer 1877 besucht mit großem Gefolge die Fürstin von Thurn und Taxis, die auch die ein halbes Jahr zuvor begonnene Wallfahrt von Marpingen fördert, den neuen Gnadenort in Mettenbuch. Für 56 Erwachsene und Kinder werden wunderbare Heilungen in Mettenbuch überliefert. Anders als die kirchlichen Untersuchungen der Marienerscheinungen von Marpingen, der bis heute die Einschätzung anhängt, nicht korrekt nach den vorgeschriebenen Regeln eines kirchlichen Verfahrens durchgeführt worden zu sein, sind die Verfahrensschritte des Bischofs Senestrey „in Sachen Mettenbuch“ formal „korrekt“. Er isoliert die Seherkinder im Zisterzienserinnenkloster zu Waldsassen, verbietet ihnen, miteinander zu sprechen, und dringt dort persönlich mit einer „Methode, die man heute Gehirnwäsche nennen würde“4 auf sie ein - „das Musterbeispiel eines korrekten Verfahrens nach kanonischem Recht“5, heißt es dagegen bei Blackbourn. Bischof Senetrey, der für die Kinder quasi Haftbedingungen anordnet, verlangt, niemanden mit den Kindern in Berührung kommen zu lassen, „wessen Standes und Ranges immer er sein möge, ohne eine specielle Vollmacht“.6
Im Herbst 1877, fast ein Jahr nach den Erscheinungen, tritt die bischöfliche Untersuchungskommission zusammen, besetzt mit Geistlichen und Ärzten, tagt fast zwei Monate lang und kommt zu einem klar ablehnenden Urteil. Über das „Wunderwasser“ der heute noch so bezeichneten Gnadenquelle an der Erscheinungsstätte berichtet ein Apotheker süffisant, es sei „als gutes Trinkwasser absolut nicht zu bezeichnen“. Bischof Senestrey begnügt sich nicht mit dem Urteil der Untersuchungskommission und wartet mit der Bekanntgabe der kirchlichen Ablehnung. Der Fall ist für ihn noch nicht erledigt. Die älteste der Visionärinnen, die zum Zeitpunkt der Erscheinungen 14-jährige Mathilde Sack, ist dem Bischof ein besonderer Dorn im Auge. Senestrey bezeichnet die von ihm immer wieder verhörte Mathilde als „Meisterin in Lüge und Verstellung“. Er setzt ihr mit „strengsten Drohungen“ - so seine eigene Notiz - zu und hält ihr „Verlogenheit, Verdorbenheit und Schamlosigkeit“ vor. „Tragisch war es, dass Bischof Senestreys Haltung von Anfang an völlig ablehnend war. Die Seher wurden bei den von ihm persönlich vorgenommenen Verhören sehr unter Druck gesetzt (einzeln verhört), ihre Aussagen gegeneinander ausgespielt. Senestrey nahm es dabei nachweislich mit der Wahrheit nicht allzu genau.“7
Nach monatelanger Quasi-Isolierhaft brechen alle Kinder zusammen und unterschreiben die Aussage, über die Erscheinungen gelogen zu haben. Erst jetzt gibt sich der Bischof zufrieden.
Seine inquisitorischen Verhörmethoden, von ihm schriftlich festgehalten, würden heute mit Haftstrafe wegen Freiheitsberaubung, Isolationsfolter und Kindesmisshandlung bedroht sein. Durch sein Verhalten und seinen Übereifer hat Bischof Senestrey die ansonsten korrekt durchgezogene kirchliche Untersuchung entwertet und das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte. Ob „Mettenbuch“ einer Anerkennung würdig ist oder nicht, bleibt deshalb für immer offen. Die erzwungenen Geständnisse der drangsalierten Kinder jedenfalls sind nicht das Papier wert, auf dem sie festgehalten sind.
Die Ablehnung
Für Dezember 1878 ruft Bischof Senestrey die bischöfliche Sonderkommission nach Regensburg zur abschließenden Sitzung zusammen. Einer der Domherren kritisiert heftig, dass „das Geständnis der Kinder durch Anwendung von Tortur durch den Bischof erzwungen“ sei, „weshalb die Aussagen nichts beweisen“. Am 23. Januar 1879 lässt Senestrey in allen Kirchen seines Bistums einen Hirtenbrief verlesen, in dem er die Mettenbucher Erscheinungen als unecht bezeichnet. Kein Katholik solle mit ihnen noch etwas zu schaffen haben.Trotz kirchlicher Ablehnung und trotz der Geständnisse entwickelt sich die Mettenbucher Wallfahrt zur „Trösterin der Betrübten“ zunächst weiter. Die bayrische Regierung verhält sich passiv. Die Leute sollen nach Mettenbuch pilgern dürfen wie nach Altötting, wenn sie daran glauben.Der Bischof aber ordnet Anfang 1879 an, dass die inzwischen in der Schlucht von Mettenbuch entstandene Gebetsstätte und alle Andachtsgegenstände zu zerstören seien. Mit Mühe können genügend viele Abbruch-Arbeiter aufgetrieben werden, und statt dass die Andachtsgegenstände vernichtet werden, verschwinden sie heimlich in den Häusern der Dorfbewohner, wo die Devotionalien in Ehren gehalten werden. Jede Wallfahrt nach Mettenbuch wird seitens der Kirche streng untersagt.
Mathilde Sack bleibt „auf Lebenszeit“ exkommuniziert, worauf Bischof Senestrey auch Ende 1880 noch beharrt - trotz intensiver Bitten von Fürsprechern, die sich dafür einsetzen, dass die Kinder wieder die heiligen Sakramente der Kirche empfangen dürfen. Er besteht auch darauf, dass die Suspendierung von inzwischen zwei Benediktinerpatres, die an den Marienerscheinungen von Mettenbuch festhalten, in Kraft bleibt - bis an ihr Lebensende. Sie sterben, ohne je wieder als Priester tätig geworden zu sein.
Erklärung veröffentlicht
Am 7. Juni 1887 wird eine amtlich beglaubigte Erklärung an den Bischof von Regensburg veröffentlicht. Die Unterzeichner sind Katharina Kändler, 23 Jahre alt, Josef Kändler, 19 Jahre, Xaver Kraus, 19, Katharina Kraus, 19, Theresia Liebl, 20, Anna Liebel, 19, und Theres Strobl, 17 Jahre alt. Es sind die Seherkinder von Mettenbuch, inzwischen erwachsen geworden und nun in der Lage, die Geschehnisse in ihrer Kindheit besser zu beurteilen. Die Unterschrift von Mathilde Sack, der ältesten der Visionäre, fehlt. Warum sie die Erklärung nicht mitunterzeichnet hat und ob ihr Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt überhaupt bekannt gewesen ist, wissen wir nicht.
Die Kinder widerrufen ihre Geständnisse, die sie vor zehn Jahren gemacht haben. Die Erklärung beginnt mit den Worten: „Da die Zeit gekommen zu sein scheint, daß wir in wirksamer Weise das Unrecht wiedergutmachen können, welches wir im Jahr 1878 gegen Unsere Liebe Frau begangen haben, so wird es Eure Bischöflichen Gnaden nicht überraschen, daß wir ... unser früheres Geständnis zurücknehmen. Wir haben dasselbe damals aus Furcht und mannigfaltiger Verwirrung gemacht und nie aufgehört, es zu bereuen“.8 Was aus den Seherkindern wird, bleibt weitgehend im dunkeln. Von Franz Xaver Kraus wissen wir, dass er den Beruf des Steinmetzes erlernt und später im Dachgeschoss der Benediktinerabtei zu Metten in einer Art Klause gelebt hat. Daraus kann man die Vermutung ableiten, dass in diesem Kloster zumindest von einem Teil der Mönche die Echtheit der Marienerscheinungen stillschweigend angenommen worden ist. Franz Xaver liegt wie das Seherkind Theres Strobl auf dem Klosterfriedhof vor der Kirche begraben.
Und was wird aus der Gnadenstätte? Devotionalien und ein kapellenähnlicher Verschlag aus der Anfangszeit der Mettenbucher Geschehnisse sind zwar verschwunden, aber schon 1889 steht an der Erscheinungsstelle ein eisernes Kreuz, an das fromme Besucher kleine Bilder und Votivtafeln hängen. Ein später errichteter, hölzerner Bildstock zu Ehren der „Trösterin der Betrübten“ verfällt in den 30er-Jahren dieses Jahrhunderts zunehmend. Eine Anwohnerin lässt ihn renovieren.
Im August 1983 besucht eine Frau aus Regensburg die Gebetsstätte und findet den Bildstock im verwitterten Zustand vor. Auf ihre Veranlassung wird er restauriert. 1985 lässt sie mit Erlaubnis der Besitzerin des Waldes einen festen Steinsockel errichten und das „obere Brünnl“ neu einfassen. Auch das „untere Brünnl“, die sogenannte Gnadenquelle, wird „wieder schön gerichtet“.
Es entstehen außerdem eine gemauerte, sehr kleine Waldkapelle, deren Eingang mit dem Marientitel „Trösterin der Betrübten“ geschmückt wird, und ein Kreuzweg entlang des Pfades, „den die Muttergottes mit den Kindern den Waldhang hinaufging“.9
Quelle:
MARTIN WILLING
[Kevelaerer Blatt Nr. 20 vom 15.5.1998