Beweise, dass es Vampire gegeben hat/gegeben haben kann
22.04.2010 um 13:48
Ein Kainit träg Kains Fluch als furchtbares Mal, das ihn zu einer Art Unsterblichkeit verdammt, in der er vom Tier hartnäckig verfolgt wird, und doch liegt die ganze Grausamkeit seiner Existenz in Wahrheit nicht im Hunger nach Blut, sondern in der Fähigkeit, andere zum Leben in der Nacht verurteilen zu können.
Der Akt, mit dem ein Vampir erschaffen wird, wird der Kuss genannt und steht als ultimatives Zeichen für Kainitischen Hochmut, kainitische Hybris. Alle Vampire sind einsam, die Gesellschaft Sterblicher ist ihnen versagt, und sie sind zu einem Leben in Finsternis verdammt. So sehnen sie sich alle irgendwann einmal nach Gesellschaft.
Mit der Zeit wird diese Sehnsucht stärker und immer berauschender und erfüllt die Vampire mit einer leidenschaftlichen Begierde, die nur durch den Kuss befriedigt werden kann. Einige suchen hierfür nach einem würdigen Zögling, dem sie ihr Blut vererben wollen. Andere sehnen sich nach einem Gefährten, einer verwandten Seele, die ihren Schmerz und ihre Verdammnis teilen kann.
Dann gibt es die, die um der Macht willen zeugen, sich wahre Horden aus Untergebenen schaffen, die sie beschützen und versorgen.
Ganz gleich, aus welchem Grund ein Kainit den Kuss weitergibt – Leidenschaft, Schönheit, Stolz, Macht, Mitleid, ja selbst Liebe -, keiner dieser Gründe rechtfertigt dies tun wirklich oder spricht den Kainiten frei von Schuld.
Man kann den Akt des Kusses mit einer Werbung vergleichen: Das zukünftige Kind fängt den Blick des Erzeugers auf, und der wiederum wird von der Lebhaftigkeit und Energie des Kindes angezogen. Manche Erzeuger verfolgen ihre Kinder und prüfen sie von weitem, lassen sie ihren Wert beweisen, vernichten langsam, aber sicher alles, woran den Kindern gelegen ist, und schenken ihnen dann den Kuss. Andere werben um ihre Kinder und überschütten sie mit Geschenken und Liebesbeweisen.
Niemand jedoch beschließt freiwillig, ein Vampir zu werden – nur die Törichten und Naiven glauben, sie hätten im Austausch für den Kuss freiwillig ihre Seele geopfert.
Sterbliche, die nicht von ihren zukünftigen Erzeugern hingerissen sind und sich verzweifelt an ihr Leben klammern, haben gegenüber einem Vampir, der sich für sie entschieden hat, keine Chance.
Hat ein Sterblicher erst einmal die Aufmerksamkeit eines der Verdammten auf sich gelenkt, ist der Tod eine Gnade – das Schlimmste, was ihnen geschehen kann, ist eine Existenz der endlosen Qualen als einer der Untoten.
Letztlich gibt der Vampir dann seinen Gelüsten nach – sei es aus Liebe, Verzweiflung oder Leidenschaft – und zeugt, tauft sein Kind mit Blut und nimmt von ihm jenes kostbarste aller Geschenke entgegen, das Leben.
Manche Kainiten versuchen, sich selbst zu täuschen, und geben vor, durch den Kuss ihr Kind den Klauen der Zeit entrissen zu haben. In Wirklichkeit geben sie alle den Kuss weiter, weil sie von ihrem Kind besessen sind und sich dem nicht mehr entziehen können.
Wie das Licht Motten anzieht, so sehnt sich der Vampir danach, den Menschen zu besitzen, ihn sich zu Eigen zu machen, und der Kuss gestattet ihm das bis in alle Ewigkeit.
Dies ist ein Widerspruch, der letztlich die Beziehung zwischen Kind und Erzeuger vergiftet. Der Kuss, der den Menschen in unsterblicher Perfektion erhalten soll, führt dazu, dass er vernichtet und korrumpiert wird.
Mit dem Kuss versuchen manche Vampire vergeblich, die ihnen verloren gegangene Menschlichkeit zurück zu gewinnen und hoffen, sich in der Erschaffung eines neuen Vampirs irgendwie, wie durch Zauber, an das erinnern zu können, was sie vor langer Zeit einmal zu Menschen machte. Diese Hoffnung geht jedoch rasch zu Grunde, wenn ein Erzeuger merkt, dass sein Kind nicht anders ist als er: ein blutrünstiges, auf ewig zu einem Leben in der Nacht verdammtes Monster.
(Quelle: Vampire aus der Alten Welt)