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Tschernobyl
Pflanzen passen sich der Radioaktivität an
Vor mehr als 24 Jahren explodierte ein Reaktor des Kernkraftwerks Tschernobyl, noch heute strahlen die Flächen um den Unglücksort. Forscher haben nun herausgefunden, wie die Pflanzen der Verseuchung trotzen.
Am 26. April 1986 um 1.24 Uhr Ortszeit, kam es im Kernkraftwerk Tschernobyl zum GAU: Durch eine Kernschmelze explodierte ein Reaktor und verstrahlte eine Fläche von etwa 218.000 Quadratkilometern. Noch heute sind viele der Böden im Umfeld mit langlebigen Isotopen verseucht - von außen jedoch kaum ersichtlich. Es blüht und grünt, das lokale Ökosystem hat sich an die Verstrahlung so weit wie möglich angepasst. Forscher versuchen nun, dem Mysterium auf die Spur zu kommen: Wie schaffen es die Pflanzen, trotz der Belastung zu gedeihen und sich fortzupflanzen?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, starteten Biologen von der Slovak Academy of Science im slowakischen Bratislava ein Experiment mit einer heimischen Flachspflanze. Grundlage ihres Versuchs waren zwei Felder, die sie mit demselben Saatgut bepflanzten. Eines davon befand sich auf stark radioaktiv verseuchtem Boden nur fünf Kilometer vom ehemaligen Unglücksort entfernt, das andere auf einer kaum verseuchten Fläche 100 Kilometer weiter weg. Anschließend beobachteten die Forscher, wie die Pflanzen auf die unterschiedlichen Umgebungen reagierten.
Auf dem radioaktiven Feld keimten zwar etwas weniger Planzen als auf dem sauberen Areal, ansonsten waren rein äußerlich keine Unterschiede erkennbar. Als die Pflanzen ihre ersten Samen bildeten, begannen die Wissenschaftler, auch den inneren Prozessen auf den Grund zu gehen. Dafür untersuchten sie den Protein-Fingerabdruck der Samen: Sie prüften, welche Eiweiße mehr und welche weniger produziert wurden. Proteine bilden die Basis nahezu aller Prozesse eines Lebewesens, sie regulieren den Stoffwechsel und sorgen für den Bau neuer Zellen, sie organisieren die Abwehr und regulieren das Ablesen des Erbguts. Demnach müssten sie, so die Theorie der Forscher, auch eine entscheidende Rolle bei der Resistenz gegen die Radioaktivität spielen.
Wenige, aber einflussreiche Proteine betroffen
Bei 35 von 720 untersuchten Proteinen entdeckten die Wissenschaftler Unterschiede zwischen den Pflanzen des verstrahlten Felds und der Kontrollfläche - manche davon wurden gehäuft erzeugt, andere nur noch in geringeren Mengen. Damit beschränkten sich die Abweichungen zwar nur auf fünf Prozent der Eiweiße, eine relativ geringe Quote. Beim näheren Betrachten zeigte sich allerdings, dass von den Veränderungen recht einflussreiche Stoffe betroffen waren.
So gehörten zum Beispiel mehrere der Eiweiße zu den sogenannten Signalproteinen: Pflanzen können nicht weglaufen, deshalb müssen sie sich ihrer Umwelt anpassen und auf äußere Einflüsse wie etwa Trockenheit, Krankheitserreger oder auch Radioaktivität reagieren. Die Signalproteine sind dafür verantwortlich, dass Informationen, die von außen an die Zelle gelangen, ins Innere getragen werden. Weitere Proteine, die bei den Strahlungspflanzen vermehrt produziert wurden, sorgen etwa für einen vermehrten Zuckerabbau und damit für eine größere Energiemenge in den Pflanzen oder für die Bildung von Glycin-Betain, der Lebewesen vor den Auswirkungen radioaktiver Strahlung schützen kann.
Jedes der Abweichler-Proteine besäßen zwar nur eine kleine Aufgabe beim Kampf gegen die Radioaktivität. Gemeinsam gelinge es ihnen jedoch, die Pflanze vor den Auswirkungen der Umweltkatastrophe in der Ukraine zu schützen, schreiben die Forscher in ihrer Studie im Fachblatt "Environmental Science and Technology".
Die Tschernobyl-Katastrophe bietet Wissenschaftlern die Möglichkeit, die Auswirkungen eines Atomunfalls auf die Natur zu untersuchen. Dabei fanden sie zum Beispiel heraus, dass die Radioaktivität den Insekten in der Umgebung des Unglücksort zu schaffen macht: Bis heute sinkt die Zahl der Tiere, je näher man dem ehemaligen Reaktor kommt.
Und sogar vor unserer Haustür sind die Folgen des Unfalls nach zu spüren. 2005 haben Forscher herausgefunden, dass Wildschweine in Bayern noch heute infolge der Katastrophe strahlen - die Tiere hatten nach dem Unfall zu viele verseuchte Pilze gefressen. Danach mussten auch sie sich mit den Folgen des Unglücks arrangieren.
quelle:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,717812,00.html (Archiv-Version vom 19.09.2010)