konstanz schrieb:Ich glaube, das Hauptproblem ist, dass man heute das Wort *Geist* verwendet, und nicht mehr das Wort *Gespenst*.
Stimmt nur nicht. Die Verwendung von Geist im Sinne von "Totenseele" odgl. ist ebenfalls uralt.
Wie im Griechischen das
pneuma und im Hebräischen die
ruach ist auch im altdeutschen der Geist sowohl etwas wie Seele/Lebenskraft als auch etwas wie Wind. Letzteres sehen wir noch am altdeutschen bzw. heute noch mundartlichen Gest/Geest für den Schaum der Hefegärung sowie an der Gischt, vom Wind aufgepeitschtes, mit Wind / Luft vermengtes Wasser. Wer atmet, lebt. Wer Luft / Geist hat, lebt. Wer seinen Geist aushaucht, ist tot. Wie der Adam lebte, als Gott ihn anhauchte. Das ist eine uralte Verbindung, die in vielen Völkern begegnet. Auch in unserem. Und in unserer Sprache. Geist war schon früh so etwas wie "Seele". Aber eben auch wie "Totenseele", wenn der Geist den Menschen verlassen hat und herumgeistert.
Als vor tausend Jahren die Germanenmission in Nordeuropa anfing, konnten die Neuchristen nichts mit dem Heiligen Geist anfangen. Eine Kirche, die der "Dreifaltigkeit" gewidmet wurde, Dreeni(n)gs Kirka, wurde im Volksmund zu Dronnings Kirka, zur Königinnenkirche, also zu einer Marienkirche. Für sie klang die Trinität nach "der Vater, der Sohn und das Heilige Gespenst".
konstanz schrieb:Das ursprüngliche Gespenst, wie es unsere Vorfahren kannten, war ein Naturwesen; etwas, das in Bäumen und Pflanzen wohnt und auch mal menschliche Gestalt annehmen kann, obwohl es nicht menschlich ist.
Noch etwas, das nicht stimmt. Soweit wir zurückschauen, ist Gespenst ein Vielfaches. Es können Gedanken sein, sowohl die Eingebung, eine gute Idee, als auch die Verlockung, ein Irrtum. Als Erscheinung meint Gespinst entweder die schemenhafte Darstellung eines Körpers, ohne der ganze Vollkörper zu sein (quasi die Idee des Körpers, wird ein Gebäude eingerüstet, so nannte man dieses Gerüst Gespenst), oder mit Gespenst ist ein Trugbild gemeint. Als "Geistwesen" meint Gespenst soweit wir das Wort zurückverfolgen können entweder menschliche Totengeister oder mythische Wesen - jedoch negativ Besetzte. Teufel z.B. werden Gespenster genannt, Engel jedoch nicht.
konstanz schrieb:Der *Geist*, wie wir ihn heute kennen, als Seele eines verstorbenen Menschen, ist erst in den letzten 100 Jahren erfunden worden.
Na dann lies mal Grimms Wörterbuch der deutschen Sprache. Das Buch ist älter als 100 Jahre, und es bringt Textbeispiele, die noch weit älter sind.
Wer sich hier was erfindet...
konstanz schrieb:Und wie vieles, das im 20. Jahrhundert erfunden wurde, hat auch der *Geist* logische Fehler; warum ist er nicht nackt? Warum spukt er da, wo seine Hülle liegt (oder lag), und warum gibt es ihn überhaupt?
Da geb ich Dir recht, daß die Neuzeit sich ne Menge Quark zusammenreimt, Traditionen vergißt und vermengt, Du zeigst das ja ganz gut. Auch in Sachen Geist ist das so, ebenfalls Zustimmung. Freilich mit Abstrichen!
In vielen alten Kulturen, schamanistisch geprägten zumal, gab es einen dreifachen Seelenbegriff. Da gibt es die Exkursionsseele, die Seele des Atems, die den Körper im Schlaf und bei Krankheit verläßt und im letzteren Fall vom Schamanen gesucht und zurückgebracht werden muß, wenn die Krankheit schwer ist. Kehrt die Seele nicht zurück, stirbt der Mensch. Noch heute schlagen oder rütteln wir einen Ohnmächtigen und rufen "Komm zu Dir!". Oder ein Mensch, der stirbt, ohne zuvor das Bewußtsein kurz wiedererlangt zu haben, von dem sagt man "er ist nicht wieder zu sich gekommen". Die Exkursionsseele verläßt beim Tod den Menschen un begibt sich in die jenseitige Welt, und der Schamane begleitet sie auf dem gefahrvollen Weg dahin. Die Mutseele sitzt im Herzen. Herz und Mut sind eins. Daher ist der eine "beherzt", und dem anderen ist "das Herz in die Hose gerutscht". Was die dritte Seele war, weiß ich leider nicht. Bei Plato wäre es die Begierdenseele mit Sitz im Bauch.
Aber es müssen drei auch bei den frühen Kulturen wie auch den Germanen gewesen sein, denn neben jener Seele, der Exkursionsseele, die beim Tod die Welt verläßt, gibt es eben zwei verschiedene Seelen, die in der Welt bleiben. Die eine ist die Reinkarnationsseele. Bei manchen Völker sagte man vor dem Neugeborenen laut die Namen der verstorbenen Verwandten auf, um zu sehen, bei welchem Namen das Kind eine Reaktion zeigt. Dann gab man ihm diesen Namen, denn der Ahne war zurückgekehrt. Auch in anderen Völkern sprach man davon, wenn sich bei einem jungen Menschen ein bestimmter Charakterzug oder eine Fähigkeit herauskristallisierte, daß der Geist eines (dafür berühmten) Ahnen zurückgekehrt sei. Und meinte es nicht in übertragenem Sinne. Die dritte Seele aber, das ist die, die beim Körper bleibt. Daher beerdigen viele Kulturen ihre Toten im Hauptraum ihres Hauses, hinterm Ofen oder unter der Türschwelle, sodaß die Seele das Haus beschützen kann. Und als Hausgeist auch sonst gute Dienste leistet. Begräbt man die Toten jedoch fern von den Menschen, dann will man nicht, daß sie wiederkehren. Um diese Wiedergänger zu verhindern, trägt man den Sarg nicht auf direktem Wege zum Friedhof, sondern biegt vielmals ab. Oder verbindet dem Toten die Augen. Oder beschwert das Grab mit einem Stein. Will man Kontakt aufnehmen, so sucht man das Grab auf, spricht mit dem Toten, gibt ihm zu essen. Wer nicht begraben ist, muß umherirren, bis sein Leichnahm beigesetzt ist. Diese Seele bleibt in der Nähe des Körpers, diese Seele tritt als das auf, das wir als Schloßgespenst usw. kennen.
Alle drei Seelenvorstellungen kommen in den frühen Kulturen in der Regel nebeneinander auf. Nicht: hier haben sie diese Vorstellung, dort aber jene Vorstellung, und das dritte Volk hängt der dritten Seelenvorstellung an. Es kann mal eine Vorstellung fehlen, aber die Regel ist das nicht.
konstanz schrieb:warum ist er nicht nackt?
Warum sollte er. Weil ein Geist nicht die letzten Kleider mitnehmen konnte? Nun, den Körper konnte er doch auch nicht mitnehmen, aber ein kleiderloser Geist mit Körper scheint Dir ja normal zu sein. Wieso sollten die Kleider nicht ebenfalls zum Gespinnst des Gespenstes gehören, wie der Körper auch, der doch ebenso wie die Kleider im Grab liegt?